Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.01.2017, Az. 4 StR 443/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 17066

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Gegenstand

Revision in Strafsachen: Eintritt von Teilrechtskraft hinsichtlich der Nichtanordnung einer Maßregel


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 16. Juni 2016 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat gegen den Angeklagten, der bereits rechtskräftig wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist, im zweiten Rechtsgang eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und zehn Monaten festgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten. Er wendet sich mit Einzelangriffen gegen die Strafzumessung und erstrebt die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB.

2

1. Die gegen die Strafzumessungserwägungen des [X.]s gerichteten Beanstandungen des Beschwerdeführers dringen aus den in der Antragsschrift des [X.] dargelegten Gründen nicht durch.

3

2. Das [X.] hat entgegen der Auffassung des Angeklagten und des [X.] zu Recht davon abgesehen, im zweiten Rechtsgang (erneut) die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu prüfen. Einer solchen Prüfung stand die - auch insoweit - eingetretene Teilrechtskraft des in dieser Sache im ersten Rechtsgang ergangenen Urteils entgegen.

4

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5

Das [X.] hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 21. Mai 2015 wegen der oben genannten Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. In diesem Urteil hatte das [X.] unter anderem geprüft, ob gegen den Angeklagten eine Maßregelanordnung nach § 64 StGB zu treffen ist, und dies - sachverständig beraten - verneint. Auf die gegen dieses Urteil unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten hob der Senat mit Beschluss vom 2. Dezember 2015 das Urteil im Strafausspruch unter Aufrechterhaltung der Feststellungen auf, weil es das [X.] versäumt hatte, den [X.] möglicherweise gemäß § 55 StGB einbeziehungsfähiger Strafen aus zwei Vorverurteilungen mitzuteilen. Im Umfang der Aufhebung verwies der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurück. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wurde verworfen. Im zweiten Rechtsgang ist das [X.] davon ausgegangen, dass durch die Senatsentscheidung neben dem Schuldspruch u.a. auch die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in (Teil-)Rechtskraft erwachsen ist. Mit der Frage einer Unterbringungsanordnung hat es sich in seinem Urteil deshalb nicht mehr befasst.

6

b) Die Auffassung des [X.]s ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

7

Führt die Revision nur teilweise zur [X.], erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft; dieser ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen ([X.], Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, [X.]St 54, 135, 137; [X.] in [X.] Kommentar, 7. Aufl., § 353 Rn. 31). Der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden ([X.] aaO; [X.] in Systematischer Kommentar zur [X.], 4. Aufl., § 354 Rn. 79; [X.] in [X.] Online-Kommentar [X.], Stand: 1. Oktober 2016, § 354 Rn. 99). Das bedeutet, dass der Schuldspruch rechtskräftig wird, wenn das angefochtene Urteil allein im Strafausspruch aufgehoben wird (sog. horizontale Teilrechtskraft). Aber auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs kann horizontale Teilrechtskraft bezüglich einzelner Rechtsfolgen eintreten, wenn lediglich der Strafausspruch aufgehoben wird. Nach ständiger Rechtsprechung gilt dies, wenn das Tatgericht auf weitere Rechtsfolgen erkannt hat, die von Art und Höhe der Strafe unabhängig sind, was sich nach den für die Rechtsmittelbeschränkung geltenden Grundsätzen richtet ([X.] aaO; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 59. Aufl., § 353 Rn. 8; [X.] aaO, § 353 Rn. 13). Dies kann etwa der Fall sein, wenn neben der Strafe [X.] nach §§ 63 ff. StGB angeordnet worden sind ([X.], Urteil vom 29. August 1984 - 4 StR 397/85, [X.]St 33, 306, 310 [Entziehung der Fahrerlaubnis]; Beschluss vom 4. August 1982 - 3 [X.], [X.], 483 [Maßregel nach § 63 StGB]; [X.] aaO, § 353 Rn. 8 mwN). Nichts anderes gilt, wenn der Tatrichter die Frage einer Maßregelanordnung geprüft, jedoch von einer solchen Anordnung abgesehen hat ([X.], Beschluss vom 8. Januar 2002 - 5 StR 573/01). Maßgebend für den Umfang einer Aufhebung ist insoweit die Formulierung im Tenor der revisionsgerichtlichen Entscheidung ([X.], Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, aaO; vgl. auch [X.] aaO, § 353 Rn. 20). Dabei umfasst die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs alle Rechtsfolgen der Tat, unabhängig davon, ob diese vom erstinstanzlichen Gericht angeordnet worden sind, während die Aufhebung des Strafausspruchs lediglich die zur Ahndung der verfahrensgegenständlichen Tat zu verhängenden Strafen betrifft (vgl. [X.] aaO, § 353 Rn. 44).

8

c) Dies zugrunde gelegt, ist im Hinblick auf die im ersten Urteil erfolgte [X.] einer Maßregel nach § 64 StGB Teilrechtskraft eingetreten.

9

Nach der [X.] vom 2. Dezember 2015 wurde das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des [X.]s - ausschließlich - im Strafausspruch aufgehoben; die Entscheidung über die Maßregel nach § 64 StGB als weitere - vom [X.] abgelehnte - Rechtsfolge war hiervon mithin nicht erfasst. Hätte der Senat seine aufhebende Entscheidung auch auf die [X.] der Maßregel erstrecken wollen, wäre dies in der [X.] zum Ausdruck zu bringen gewesen (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 4 StR 248/16; vom 13. März 2013 - 4 StR 28/13; vom 22. August 1995 - 4 StR 465/95).

Dem steht - entgegen der Auffassung des [X.] - auch nicht das Urteil des [X.] vom 22. Juni 1960 - 2 StR 221/60 ([X.]St 14, 381 ff.) entgegen. Zwar hat der [X.] in jenem Urteil unter Hinweis auf § 76 StGB aF, wonach [X.], Nebenfolgen und Maßregeln der Besserung und Sicherung nur neben der Gesamtstrafe, nicht neben den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen zu verhängen und anzuordnen waren, entschieden, dass bei Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs auch die daneben angeordneten [X.], Nebenfolgen oder [X.] bereits als gesetzliche Folge des § 76 StGB aF entfallen, und es deshalb eines diesbezüglichen gesonderten Ausspruchs in der Entscheidungsformel nicht bedurfte. Diese Rechtsprechung ist aber mit Wegfall des § 76 StGB aF überholt (vgl. [X.], Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, aaO).

Sost-Scheible     

       

Roggenbuck     

       

Bender

       

Feilcke     

       

[X.]     

       

Meta

4 StR 443/16

19.01.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankenthal, 16. Juni 2016, Az: 5110 Js 10023/14 - 2 KLs

§ 63 StGB, §§ 63ff StGB, § 64 StGB, § 354 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.01.2017, Az. 4 StR 443/16 (REWIS RS 2017, 17066)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17066

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Referenzen
Wird zitiert von

6 StR 98/23

4 StR 65/17

4 StR 72/22

4 StR 234/17

4 StR 167/17

4 StR 416/21

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