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PDF anzeigenBUNDESGERICHTSHOFBESCHLUSS3 StR 345/01vom20. Februar 2002in der Strafsachegegenwegen Vergewaltigung u.a.- 2 -Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbun-desanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. Februar 2002gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Bückeburg vom 21. Februar 2001 mit den Feststellungenaufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammerdes Landgerichts zurückverwiesen.Gründe:Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vierFällen sowie wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in vier Fäl-len, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindesund in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Mißbrauch eines Kin-des zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verur-teilt. Die Revision des Angeklagten hat mit zwei Verfahrensrügen Erfolg, weildie Strafkammer in mehrfacher Hinsicht gegen § 247 StPO verstoßen hat.1. In den Fällen II. 3., 5. bis 7. der Urteilsgründe hat das Landgericht denAngeklagten jeweils wegen Vergewaltigung zum Nachteil der Elvira D. verurteilt. Während ihrer Vernehmung war der Angeklagte gemäß § 247 Satz 1StPO aus dem Sitzungszimmer entfernt worden. In Abwesenheit des Ange-klagten ist nicht nur die Zeugin vernommen, sondern während deren Aussageauch ein Lichtbild vom Tatort in Augenschein genommen worden. Durch die- 3 -Niederschrift r die Hauptverhandlung wird bewiesen (§ 274 StPO), daû essich dabei um eine förmliche Beweisaufnahme in Form eines richterlichen Au-genscheins gehandelt hat. Daû der mit der förmlichen Beweiserhebung er-strebte Beweisertrag hier auch durch einen bloûen Vorhalt zu erreichen gewe-sen wre, ist fr sich allein kein Umstand, der geeignet wre, die Beweiskraftdes Protokolls in Zweifel zu ziehen. Da solche Umstch sonst nicht er-sichtlich sind, kann der Senat nicht davon ausgehen, das Lichtbild sei der Zeu-gin im Rahmen der Vernehmung lediglich als Vernehmungsbehelf vorgehaltenworden (vgl. BGH NStZ 1999, 522, 523). Dafr, daû tatschlich ein Sachbe-weis erhoben worden ist und nicht allein ein Vorhalt stattgefunden hat, sprichtauch, daû in der Niederschrift - unnötigerweise (vgl. BGH NStZ 1999, 522) -mehrfach Vorhalte an die Zeugin im Verlauf ihrer Aussage protokolliert wurden.Die förmliche Inaugenscheinnahme des Lichtbilds in Abwesenheit desAngeklagten war durch den Beschluû nach § 247 StPO nicht gedeckt. Da sieauch nicht ster in Anwesenheit des Angeklagten wiederholt wurde, ist derabsolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben.Ein Ausnahmefall, bei dem ein Einfluû des Verfahrensfehlers auf dasUrteil zum Nachteil des Angeklagten denkgesetzlich ausgeschlossen werdenkann (vgl. BGHR StPO § 338 Beruhen 1; BGH, Beschl. vom 30. Januar 2001- 3 StR 528/00), liegt hier auch unter Bercksichtigung der Beweiskonstellationnicht vor. Der Angeklagte hatte eingermt, mit der Zeugin in seiner Wohnungjeweils einvernehmlich Geschlechtsverkehr aust zu haben, bei dem esauch zu besonderen Sexualpraktiken und zu einer Verletzung der Zeugin ge-kommen sei. Er hatte allerdings behauptet, alles sei mit dem Einverstisdes Opfers und ohne den Einsatz von Nötigungsmitteln geschehen. Das feh-lerhafterweise in Abwesenheit des Angeklagten in Augenschein genommene- 4 -Lichtbild zeigt den Tatort, ein srlich mliertes Zimmer. Das Landgericht hatsich von der Schuld des Angeklagten aufgrund der Zeugenaussage des Opfersund weiterer, diese sttzende Indizirzeugt. In den Urteilsgrist dieTatortaufnahme bei der Beweiswrdigung nicht erwt. Das kte durchauszu der Überzeugung fren, daû der richterliche Blick auf das Lichtbild nichtentscheidend zur Verurteilung des Angeklagten beigetragen hat. Diese imRahmen einer Prfung nach § 337 StPO anzustellende Überlegung reicht hieraber wegen der Vermutung des § 338 StPO nicht aus. Das Landgericht hateine - mlicherweise entbehrliche, weil durch einen Vorhalt des Lichtbilds andie Zeugin mit gleichem Beweisertrag zu ersetzende - frmliche Beweiserhe-bung konkret zur Aufklrung des Verfahrensgegenstandes genutzt (vgl. BGH,Beschl. vom 5. Februar 2002 - 5 StR 437/01). Daû diese Beweiserhebungdenkgesetzlich nichts zum Nachteil des Angeklagten beigetragen haben kann,vermag der Senat nicht festzustellen. Das Landgericht kann durch die Augen-scheinseinnahme die Schilderung des Tatorts durch die Zeugin besttigt ge-funden und deshalb deren Darstellung zur Gewaltanwendung auch im rigenleichter Glauben geschenkt haben. Das Landgericht kann, ohne daû sich diesin den Urteilsgriederschlagen mûte, Details der Schilderung desOpfers zu seiner Gegenwehr in der durch das Lichtbild vermittelten rmlichenSituation besttigt gefunden haben.Der Generalbundesanwalt meint, das Beruhen des Urteils auf diesemFehler sei jedenfalls insoweit denkgesetzlich auszuschlieûen, als der Ange-klagte wegen vier weiterer Taten zum Nachteil von zwei Tchtern der Zeuginverurteilt worden ist. Hiergegen kte allerdings sprechen, daû zwischen bei-den Komplexen zumindest insoweit ein Zusammenhang mlich ist, als dieStrafkammer bei der Prfung der Glaubhaftigkeit der Aussagen jeweils auchdie Aussagen der anderen Gescigten vor Augen hatte. Die Tchter hatten- 5 -sich untereinander r das Verhalten des Angeklagten ir un-terhalten. Sie hatten ster der Mutter berichtet. Sie hatten Folgen der Tatenzum Nachteil der Mutter beobachtet. Der Senat braucht dies hier nicht zu ent-scheiden, weil das Urteil insoweit wegen eines anderen Verfahrensfehlers auf-gehoben werden muû.2. In den Fllen II. 1., 2., 4. und 8. der Urteilsgrt das Landgerichtden Angeklagten wegen sexuellen Miûbrauchs zum Nachteil der MchenVanessa und Esther-Pia S. verurteilt. Fr die Dauer ihrer Vernehmunghatte die Strafkammer den Angeklagten gemû § 247 StPO aus dem Sitzungs-zimmer entfernt. In Abwesenheit des Angeklagten wurde zuerst die ZeuginEsther-Pia vernommen, sodann die Sitzung fr kurze Zeit unterbrochen und imAnschluû daran die Zeugin Vanessrt. Danach wurde der Angeklagtevom Inhalt der Aussage der Zeugin Esther-Pia unterrichtet und erhielt Gele-genheit, Fragen an diese Zeugin stellen zu lassen. Erst nach Abschluû derBefragung dieser Zeugin wurde er vom Inhalt der Aussage der Zeugin Vanessaunterrichtet und erhielt sodann Gelegenheit, Fragen an diese stellen zu lassen.Diese Verfahrensweise verstût gegen § 247 Satz 4 StPO.Nach § 247 Satz 4 StPO hat der Vorsitzende den Angeklagten, sobalddieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrich-ten, was wrend seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt wordenist. Ein Angeklagter muû danach, bevor in seiner Anwesenheit die Beweisauf-nahme fortgesetzt wird, auch dann von dem in seiner Abwesenheit Ausgesag-ten unterrichtet werden, wenn die in seiner Abwesenheit durchgefrte Ver-nehmung lediglich unterbrochen wurde. Nur hierdurch ist sichergestellt, daûsein Informationsstand im wesentlichen dem der anderen Prozeûbeteiligtenentspricht und er aufgrund der bereits teilweise in die Hauptverhandlung ein-- 6 -gefrten Aussage sein Fragerecht r weiteren Zeugen und Sachver-stigen oder seine Verteidigung zu sonstigen Verfahrensgegenstsachgerecht auszvermag (BGHSt 38, 260 f.; BGH NStZ 1999, 522;BGH, Beschl. vom 28. Februar 2001 - 3 StR 2/01).Es kann dahinstehen, ob ein Verstoû gegen die Unterrichtungspflichtschon darin zu sehen ist, daû der Vorsitzende den Angeklagten nicht bereitsnach der Unterbrechung der Vernehmung der ersten Zeugin vom wesentlichenInhalt dieser Aussage unterrichtet hat, ehe er mit der Vernehmung der zweitenZeugin begann (offengelassen auch in BGH, Beschl. vom 5. November 1996- 4 StR 490/96 - insoweit in NStZ 1997, 123 nicht abgedruckt). Er muûte aberden Angeklagten, nachdem dieser wieder vorgelassen war, r den Inhaltbeider Zeugenaussagen unterrichten.Der Senat kann nicht ausschlieûen, daû die Verurteilung in den vierMiûbrauchsfllen auf diesem Verfahrensfehler beruht. Als der Angeklagte seinRecht auste, Fragen an die Zeugin Esther-Pia stellen zu lassen, wuûte er imGegensatz zu den anderen Verfahrensbeteiligten nicht, was die ZeuginVanessa ausgesagt hatte, und konnte seine Fragen darauf nicht einrichten.Nachdem sich beide Zeugir das Verhalten des Angeklagten miteinan-der ausgetauscht hatten, liegt es nahe, daû die Zeugin Esther-Pia aucrdie Tat zum Nachteil Vanessas ausgesagt hat.3. Das Urteil muû aufgehoben werden, obwohl sich das Landgericht ineiner im rigen rechtsfehlerfreien Beweiswrdigung von der Tterschaft desdie Taten weitgehend bestreitenden Angeklagtrzeugt hat.4. Im Hinblick auf das Verfahren vor dem neuen Tatrichter sieht sich derSenat zu folgenden Hinweisen veranlaût:- 7 -a) Bei den der ersten Vergewaltigung der Zeugin D. im Abstandvon je einem Tag folgenden weiteren drei Vergewaltigungen (Flle II. 5. bis 7.der Urteilsgr) hat das Landgericht bislang nur festgestellt, daû das Opferden unerwschten Geschlechtsverkehr jeweils aus Angst vor einer neuen Be-strafung durch den Angeklagten erduldete, was dem Angeklagten auch bewuûtwar. Das Landgericht frt weiter aus, der Angeklagte habe sich "das Fortwir-ken dieser frren Gewaltanwendung ... in den 3 folgenden Nchten zunutze"gemacht (UA S. 144). Dies lût besorgen, daû das Landgericht die Notwendig-keit einer finalen Verkfung zwischen dem Ntigungsmittel und der sexuellenHandlung verkannt hat. Der Tter muû erkennen und zumindest billigen, daûdas Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwrtiger Gefahr fr Leib oderLeben empfindet und nur deshalb den Geschlechtsverkehr erduldet (BGHRStGB § 177 Abs. 1 Drohung 2, 6, 8 und Gewalt 1).b) Nach den bisherigen Feststellungen ist der Angeklagte in den FllenII. 2. und 8. der Urteilsgrjeweils mit dem Finger in die Scheide des Kindeseingedrungen. Dies gibt Anlaû, die Anwendung von § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGBzu prfen (vgl. BGH NJW 2000, 672).c) In die Sitzungsniederschrift muû die Verwendung von Augen-scheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlauf einer Zeugenvernehmung(ebenso wie der Vorhalt von Urkunden) nicht aufgenommen werden (Klein-knecht/Meyer-Goûner, StPO 45. Aufl. § 273 Rdn. 8 a.E.). Wenn sich eine Sit-zungsniederschrift richtigerweise darauf beschrkt, nur die frmliche Erhe-bung eines Sachbeweises als Verlesung einer Urkunde oder Einnahme einesAugenscheins wiederzugeben, ist sie erheblich krzer und vermeidet die Ge-fahr von Miûverstissen (vgl. auch BGH bei Miebach NStZ-RR 1998, 1, 5zu § 338 Nr. 5 StPO; BGH NStZ 1999, 522).- 8 -d) Die schriftlichen Urteilsgrienen nicht dazu, all das zu doku-mentieren, was in der Hauptverhandlung an Beweisen erhoben wurde; sie sol-len nicht das vom Gesetzgeber abgeschaffte Protokoll r den Inhalt von An-geklagten- und Zûerungen ersetzen, sondern das Ergebnis derHauptverhandlung wiedergeben und die Nachprfung der getroffenen Ent-scheidung ermlichen. Deswegen ist es regelmûig verfehlt, nach den tat-schlichen Feststellungen die Aussagen der Zeugen umflich wiederzuge-ben. Dies kann die Wrdigung der Beweise nicht ersetzen. Mit der Beweiswr-digung soll der Tatrichter - unter Bercksichtigung der Einlassung des Ange-klagten - lediglich belegen, warum er bestimmte bedeutsame tatschliche Um-stso festgestellt hat. Hierzu wird er Zûerungen, Urkunden o..heranziehen, soweit deren Inhalt fr die berzeugungsbildung nach dem Er-gebnis der Beratung wesentlich ist (BGH NStZ-RR 1999, 272 m.w.N.).Rissing-van Saan Miebach Pfister von Lienen Becker
Meta
20.02.2002
Bundesgerichtshof 3. Strafsenat
Sachgebiet: StR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.02.2002, Az. 3 StR 345/01 (REWIS RS 2002, 4479)
Papierfundstellen: REWIS RS 2002, 4479
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