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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Neufahrzeugs: Schätzung der Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung gezogener Nutzungsvorteile
Zur Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 25. Zivilsenats des [X.] vom 30. April 2020 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin des in ihrem Fahrzeug eingebauten Dieselmotors auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Die Klägerin erwarb am 13. April 2011 von einem Autohaus einen neuen [X.] zum Kaufpreis von 23.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des [X.] EU 5 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Prüfzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.
Nachdem das Kraftfahrtbundesamt diese Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, rief die Beklagte Fahrzeuge mit Motoren der [X.] zurück, um eine geänderte Software aufzuspielen. Das Fahrzeug der Klägerin wurde nicht nachgerüstet.
Mit [X.] forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen gegen Rückgabe des Fahrzeugs bis 29. März 2018 auf.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 21.689 € (Kaufpreis in Höhe von 23.000 € abzgl. Nutzungsvorteilen [X.] ausgerechneter Deliktszinsen) nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 23.000 € seit 1. April 2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs, Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung, dass der Klägerin weitere Schäden zu ersetzen sind, die ihr aus der Manipulation des [X.] oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen am Fahrzeug entstehen.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] - unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zurückweisung der weitergehenden Berufung - das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 7.963,52 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 11.407,82 € vom 30. März 2018 bis 20. April 2020 und aus 7.963,52 € seit dem 21. April 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Es hat den Annahmeverzug festgestellt und die Beklagte zur Zahlung von Rechtsanwaltskosten verurteilt.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des Berufungsgerichts teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.469,60 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 13.339,85 € vom 30. März 2018 bis 20. April 2020 und aus 10.469,60 € seit dem 21. April 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Beklagte habe die Klägerin durch das Inverkehrbringen des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten [X.], der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet gewesen sei, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Auf den zu erstattenden Kaufpreis müsse sich die Klägerin allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen. Angesichts einer für das streitgegenständliche Fahrzeug zu schätzenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km und der mit dem Fahrzeug gefahrenen Strecke von 163.440 km ergebe sich eine vom Kaufpreis abzuziehende Nutzungsentschädigung von 15.036,48 €. Es verbleibe daher eine Restforderung von 7.963,52 €.
II.
Die Revision der Klägerin, die sich allein gegen die tatrichterliche Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km statt - so die Klägerin - 300.000 km richtet, ist unbegründet.
1. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der [X.] verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es ist insbesondere nicht Aufgabe des [X.], dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungsmethode vorzuschreiben (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.], 316 Rn. 79 mwN).
2. Rechtlich erhebliche Fehler der tatrichterlichen Schätzung zeigt die Revision nicht auf.
a) Bei der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das Berufungsgericht von folgender Berechnungsformel ausgegangen:
[X.] x gefahrene Strecke (seit Erwerb) |
|
Nutzungsvorteil = |
|
erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt |
Diese Berechnungsmethode ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - [X.], [X.], 322 Rn. 12).
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km durch das Berufungsgericht nicht deshalb zu beanstanden, weil es an Anhaltspunkten für die Annahme einer solchen Gesamtlaufleistung durch das Berufungsgericht fehle und das Berufungsgericht sich nicht mit Vortrag der Klägerin zur Gesamtlaufleistung befasst habe.
aa) Umstände, die für die Prognose der Gesamtlaufleistung in erster Linie maßgeblich sind, nämlich Fahrzeugtyp und Baujahr, hat das Berufungsgericht in seinem Urteil festgestellt. Auf dieser Grundlage hat es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km geschätzt. Mit dieser Schätzung bewegt sich das Berufungsgericht innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung und zwar nicht am unteren Rand (vgl. hierzu [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., Rn. 3574; [X.]/[X.], BGB, Neubearbeitung 2012, § 346 Rn. 261). Einer näheren Begründung des Berufungsgerichts für seine Schätzung der Gesamtlaufleistung hätte es danach nur bedurft, hätte die Klägerin weitere aussagekräftige Umstände, die die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, dargetan (vgl. Senatsurteil vom 23. März 2021 - [X.], juris Rn. 11). Solchen Vortrag zeigt die Revision nicht auf.
bb) Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift lediglich vorgetragen, die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs sei auf 300.000 km zu schätzen, wobei die von der Rechtsprechung angenommene zu erwartende Gesamtlaufleistung für Pkw zwischen 100.000 und 400.000 km schwanke. Sie hat die aus ihrer Sicht im Streitfall anzunehmende Gesamtlaufleistung von 300.000 km damit begründet, dass bei einer an einem nicht näher benannten Tag durchgeführten Recherche auf einer Internetplattform über 5.000 Pkw der Marken [X.], [X.] und [X.] mit mehr als 300.000 km Laufleistung erhältlich gewesen seien, davon über 4.000 Fahrzeuge mit Dieselmotor.
Dieser Vortrag enthält jedoch keine die Prognose der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs beeinflussenden Umstände, mit denen sich das Berufungsgericht als Grundlage seiner Schätzung hätte auseinandersetzen müssen. Dem Vortrag ist weder zu entnehmen, in welchem Zustand die Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller waren, die angeboten wurden, noch, um welche Fahrzeugtypen und Baujahre es sich handelte. Das Berufungsgericht war - entgegen der Ansicht der Revision - angesichts dieses Vortrags nicht gehalten, auf eine Schätzung zu verzichten und zur Frage der zu prognostizierenden Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein Sachverständigengutachten einzuholen.
[X.] |
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von [X.] |
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[X.] |
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Klein |
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Linder |
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Meta
27.04.2021
Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat
Urteil
Sachgebiet: ZR
vorgehend OLG Köln, 30. April 2020, Az: I-25 U 53/18
§ 287 ZPO, § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 812/20 (REWIS RS 2021, 6463)
Papierfundstellen: MDR 2021, 742-743 REWIS RS 2021, 6463
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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