Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.05.2024, Az. XII ZB 98/24

12. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 3786

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.]vom 22. Januar 2024 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das [X.]zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Die Beiordnung einer Verkehrsanwältin im Rahmen der für die Betroffene bewilligten Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt (vgl. [X.]Beschluss vom 29. Juni 2011 - V ZA 10/11 - juris).

Gründe

I.

1

Die Rechtsbeschwerde wendet sich gegen die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen.

2

Die heute 40jährige Betroffene leidet nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen an paranoider Schizophrenie, verbunden mit einer leichten Intelligenzminderung. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen deren Unterbringung in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 12. Dezember 2024 genehmigt. Das [X.]hat die von der Betroffenen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen.

3

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5

1. Das Beschwerdegericht hat die Genehmigung der Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB unter Bezugnahme auf das eingeholte Sachverständigengutachten damit begründet, dass die Betroffene die Depotpräparatgabe des [X.]ablehne, weswegen keinerlei Krankheits- oder Defiziteinsicht bestehe. Aus medizinischer Sicht lägen die Voraussetzungen der Verlängerung einer freiheitsentziehenden Unterbringung der Betroffenen in einem Pflegeheim vor. Eine offene Einrichtung würde sie bei gänzlich fehlendem Realitätsbezug verlassen, ihre Medikation ablehnen und sich erneut gesundheitlich erheblich schädigen. Dies würde zu einer Verschlechterung der Erkrankung führen, ebenso zu erneuten Verwahrlosungstendenzen und erheblicher gesundheitlicher Gefährdung. Die Betroffene könne ihren Willen in Bezug auf die Unterbringung nicht frei bilden. Dies habe sich bei der Anhörung der Betroffenen und aufgrund der Angaben von Betreuer und Verfahrenspfleger bestätigt.

6

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die auf § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützte Unterbringung wegen Selbstgefährdung reichen die vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen nicht aus.

7

a) Eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nur zulässig, solange sie erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

8

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB zwar keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten. Dies setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass beispielsweise auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Erforderlich sind aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens. Der Grad der Gefahr ist dabei in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Senatsbeschluss vom 17. Januar 2024 - XII ZB 434/23 - FamRZ 2023, 646 Rn. 13 mwN).

9

b) Auf die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen lässt sich eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen nach diesen Maßstäben nicht stützen.

Das Beschwerdegericht hat die Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens auf eine durch Nichteinnahme der Medikation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drohende Verwahrlosung der Betroffenen in ihrem häuslichen Umfeld gestützt. Das genügt für sich genommen noch nicht, um die konkrete Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Schädigung zu begründen, zumal eine Verwahrlosung nicht ohne Weiteres zu einer erheblichen Gesundheitsschädigung führt und alternative Möglichkeiten des Wohnens und einer nicht geschlossenen Unterbringung für die Betroffene nicht näher geprüft worden sind. Damit sind die Feststellungen auch im Hinblick auf die Einschätzung des Grades der Gefahr in Relation zum möglichen Schaden nicht ausreichend, um die einschneidende Maßnahme einer freiheitsentziehenden Unterbringung rechtfertigen zu können. Gleiches gilt für die nicht näher konkretisierte Annahme des [X.]zur „Verschlechterung der Erkrankung“ der Betroffenen.

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil noch weitere Feststellungen zu treffen sind.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Guhling     

      

Klinkhammer     

      

Botur

      

Krüger     

      

Recknagel     

      

Meta

XII ZB 98/24

15.05.2024

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Deggendorf, 22. Januar 2024, Az: 13 T 6/24

§ 1831 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.05.2024, Az. XII ZB 98/24 (REWIS RS 2024, 3786)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 3786

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9 T 121/24 (Landgericht Wuppertal)


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V ZA 10/11

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