Bundessozialgericht, Urteil vom 25.10.2012, Az. B 9 SB 2/12 R

9. Senat | REWIS RS 2012, 1926

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Schwerbehindertenrecht - Diabetes mellitus - täglich viermalige Insulininjektion - erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung als Voraussetzung für einen Grad der Behinderung von 50 - Auslegung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - finale Betrachtung bei der Festsetzung des Behinderungsgrads - sozialgerichtliches Verfahren - rechtliches Gehör - keine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts zu möglicher Beweiswürdigung


Leitsatz

Eine Diabetes Mellitus-Erkrankung bedingt erst dann einen Grad der Behinderung von 50, wenn die betroffene Person auch unter Berücksichtigung des Therapieaufwands insgesamt in ihrer Lebensführung erheblich beeinträchtigt ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 21. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 nach dem Schwerbehindertenrecht hat.

2

Auf den Antrag der 1954 geborenen Klägerin vom [X.] stellte das beklagte Land nach Beiziehung eines Befundberichts und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit Bescheid vom [X.] wegen eines Diabetes mellitus einen GdB von 30 ab April 2010 fest. Nachdem die Klägerin im Widerspruchsverfahren Auszüge ihres Diabetikertagebuchs vorgelegt hatte, holte der Beklagte weitere versorgungsärztliche Stellungnahmen ein. Die Versorgungsärztin S. führte unter dem [X.] aus: Die vorgelegte Dokumentation umfasse einen [X.]raum von 96 Tagen. Die Klägerin messe vier bis achtmal täglich den Blutzucker und injiziere zwei bis viermal täglich [X.] und einmal täglich [X.]. An mindestens 35 Tagen habe die Dosis nicht angepasst werden müssen. An den restlichen Tagen seien ein bis drei Korrekturinjektionen vorgenommen worden. Eine für einen GdB von 50 erforderliche ständige Anpassung der Insulindosierung sei daher nicht zu bestätigen. Es werde ein [X.] von 40 vorgeschlagen. Hierauf gestützt änderte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010 den angefochtenen Bescheid unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen dahin ab, dass ab April 2010 der GdB 40 betrage. Zur Begründung gab er den Inhalt der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom [X.] weitgehend wörtlich wieder.

3

Das von der Klägerin daraufhin angerufene [X.] ([X.]) hat mit Urteil vom 14.3.2011 den angefochtenen Verwaltungsakt geändert und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin ab April 2010 einen GdB von 50 festzustellen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Bei der Klägerin seien die Voraussetzungen für einen GdB von 50 bei Diabetes mellitus erfüllt, wie sie in Teil [X.] in der Fassung vom [X.] geregelt seien, die auch für die [X.] davor gälten. Die Klägerin führe eine Insulintherapie durch, bei der sie täglich ein langwirkendes [X.] und jeweils vor den Mahlzeiten ein schnell wirkendes Insulin spritze. Die Tatsache, dass sich die Klägerin nach ihren Aufzeichnungen an einigen Tagen nur drei [X.] verabreicht habe, sei darauf zurückzuführen, dass sie an diesen Tagen nur zwei Mahlzeiten zu sich genommen habe. Damit habe die Klägerin aber die Voraussetzungen der Verordnung sinngemäß erfüllt, denn die Vorschrift wolle gerade die Fälle erfassen, in denen - wie hier - täglich einmal [X.] und vor jeder Mahlzeit, also üblicherweise dreimal, ein Mahlzeiteninsulin gespritzt werde. Die weitere Formulierung "… Menschen, die … durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind" stelle kein weiteres Tatbestandsmerkmal dar, sondern eine Bewertung der Situation der Betroffenen, die den genannten [X.] betreiben müssten.

4

Im danach vom Beklagten veranlassten Berufungsverfahren hat das [X.] (L[X.]) die Klägerin persönlich angehört sowie einen Befundbericht von [X.] vom 6.9.2011 eingeholt. Ferner hat es zwei vom Beklagten vorgelegte versorgungsärztliche Stellungnahmen von [X.] vom 30.9.2011 und Dr. W. vom 13.2.2012 zu den Akten genommen. Durch Urteil vom 21.2.2012 hat das L[X.] das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat es auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin sei durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt, da der festgestellte GdB von 40 rechtmäßig sei. Rechtsgrundlage für die Beurteilung des GdB seien § 69 Abs 1 [X.]B IX sowie die Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Anlage zu § 2 der [X.] ([X.]) vom 10.12.2008. Das zentrale Leiden der Klägerin betreffe das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" und werde durch den insulinpflichtigen Diabetes mellitus geprägt. Auf der Grundlage der [X.] zur Änderung der VersMedV vom [X.] ergebe sich bei der Klägerin ein GdB von 40. Demgegenüber setze ein GdB von 50 mindestens vier [X.] pro Tag, ein selbstständiges Anpassen der Insulindosis sowie gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung voraus.

6

Diese Anforderungen erreiche die Klägerin nicht. Sie führe nicht ständig eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier [X.] durch, wie dies die Versorgungsärztin S. unter dem [X.] überzeugend ausgeführt habe. Auch komme es nach der Einschätzung der Versorgungsärzte nach Auswertung der Unterlagen nicht zu einer "ständigen" Dosisanpassung der Insulingabe. Damit bewege sich die Klägerin bereits unterhalb des Mindestumfangs des [X.]es, den die VersMedV für die Feststellung eines GdB von 50 verlange. Neben der täglichen Injektion mit einem langwirksamen Insulin müsse die Klägerin bei hohen Morgenwerten zu jeder Mahlzeit und bei [X.] das kurzwirkende Insulin einsetzen und dabei auch die jeweilige Dosis variieren. Das sei jedoch nicht ständig der Fall, sondern offenbar von den jeweiligen Begleitumständen ([X.], berufliche Anforderungen, Reisetätigkeit usw) abhängig. Hinzu kämen ständige [X.] zu jeder Mahlzeit und gegebenenfalls bis zu sechsmal täglich, die jedoch nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht erhöhend zu berücksichtigen seien.

7

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin einen [X.] von mindestens vier [X.] und eine ständige Dosisanpassung annehmen würde, fehle es jedenfalls an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend auf ihre Lebensführung auswirkten, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden könne. Die Klägerin werde trotz des einschränkenden [X.]es nicht noch zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in ihrer Leistungsfähigkeit und damit in ihrer Teilhabefähigkeit erheblich beeinträchtigt. So gehe sie nach ihren eigenen Angaben einer Außendiensttätigkeit mit hohem und belastungsintensiven Anforderungsprofil nach und bewältige diese Anstrengungen offenbar ohne wesentliche krankheitsbedingten Einschränkungen seit vielen Jahren. Zu schweren hypoglykämischen Entgleisungen sei es bei der Klägerin nach Beginn der Insulintherapie noch nie gekommen. Auch seien wesentliche Folgeschäden noch nicht eingetreten.

8

Mit ihrer - vom L[X.] zugelassen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

9

Das angefochtene Urteil sei iS der § 136 Abs 1 [X.], § 128 Abs 1 S 2 [X.]G nicht hinreichend mit Gründen versehen. Das L[X.] habe seiner Entscheidung allein die Fassung des Teil [X.] 15.1 [X.] in der ab dem [X.] geltenden Fassung (nF) zugrunde gelegt, obwohl streitig auch die Höhe des GdB in der [X.] von April 2010 bis zum [X.] sei. Für diesen [X.]raum fehle es an einer Begründung für die Feststellung des GdB.

Das L[X.] habe zudem ihr Recht auf rechtliches Gehör (§ 128 Abs 2 [X.]G) dadurch verletzt, dass es seine Entscheidung maßgebend auf die Stellungnahme der Versorgungsärztin S. vom "30.12.2010" gestützt habe, ohne ihr diese Stellungnahme zuvor zugänglich gemacht zu haben. Da das L[X.] erstmals im Urteil auf diese im Verwaltungsverfahren erstellte versorgungsärztliche Stellungnahme eingegangen sei, sei sie dadurch unzulässig überrascht worden. Aufgrund des Verlaufs des Erörterungstermins vom 21.12.2011, der von ihr danach vorgelegten Messdokumentationen von April 2010 und der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.2.2012 habe sie nicht damit rechnen müssen, dass das L[X.] die versorgungsärztliche Stellungnahme vom "30.12.2010" zur Urteilsbegründung heranziehen würde. Hätte man sie vorab darauf hingewiesen, hätte sie ihr Tagebuch erneut vorgelegt und anhand dessen nachgewiesen, dass sie sehr wohl - täglich - mindestens vier [X.] durchführe.

Soweit das L[X.] seine Verneinung eines GdB von 50 darauf gestützt habe, dass sie über Jahre hinweg beruflich und privat ohne gravierende Einschränkungen lebe, habe es nicht erkennen lassen, dass es die für diese Beurteilung erforderliche soziologische und sozialmedizinische Sachkunde besitze. Diese Unterlassung mache das Urteil ebenfalls zur einer Überraschungsentscheidung.

Schließlich habe das L[X.] auch seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nach § 103 [X.]G verletzt. Das Gericht habe Teil [X.] 15.1 [X.] idF vom [X.] (nF) dahin ausgelegt, dass zusätzlich zum [X.] (von mindestens vier [X.] täglich) erhebliche Einschnitte in der Lebensführung vorliegen müssten. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze hätten zwar normähnlichen Charakter, inhaltlich seien sie jedoch antizipierte Sachverständigengutachten. Deren Inhalt gehöre zur Erforschung des Sachverhalts, sodass diesbezügliche Zweifel regelmäßig durch Nachfrage bei dem geschäftsführend tätigen [X.] zu klären seien. Wenn das L[X.] sein Verständnis von den erheblichen Einschnitten in die Lebensführung, die für die Beurteilung der Teilhabeeinschränkungen im Fall eines insulinpflichtigen Diabetes mit einem GdB von 50 zwingend vorliegen müssten, seinem Urteil habe zugrunde legen wollen, hätte es sich nicht damit begnügen dürfen, Teil [X.] 15.1 [X.] selbst auszulegen. Es hätte sich vielmehr gedrängt fühlen müssen, eine Auskunft bei dem zuständigen [X.] für Arbeit und Soziales einzuholen, wie die erheblichen Einschnitte in die Lebensführung bei der Festsetzung des GdB zu berücksichtigen seien. Eine derart durchgeführte Klärung hätte zu dem Ergebnis führen können, dass allein der [X.] von mindestens vier [X.] täglich mit einer selbstständig vorzunehmenden Variation der Insulindosis die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertige.

Das L[X.] habe ua dem Urteil des B[X.] vom 2.12.2010 - [X.] SB 3/09 R - folgen wollen. Nach dieser Entscheidung seien [X.] dazu vorzunehmen, ob der [X.] aus medizinischen Gründen nach Ort, [X.] oder Art und Weise festgelegt sei, ob eine Vernachlässigung der therapeutischen Maßnahmen gravierende Folgen haben könne und ob die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in anderen Lebensbereichen wegen des zeitlichen Umfangs der Therapie erheblich beeinträchtigt sei. Dementsprechend hätte das L[X.] sich gedrängt fühlen müssen, entsprechende [X.] zu den Einschnitten in die Lebensführung entsprechend dem Urteil des B[X.] vom 2.12.2010 vorzunehmen, was es jedoch unterlassen habe. Diese fehlenden [X.] seien auch nicht in den Stellungnahmen der Versorgungsverwaltung enthalten, auf die das Berufungsgericht seine Beweiswürdigung in sehr einseitiger Weise stütze.

Materiell-rechtlich habe das L[X.] § 69 Abs 1 und 3 [X.]B IX verletzt. Für den [X.]raum von der Antragstellung im April 2010 bis zum [X.] hätte das L[X.] die Grundsätze des Urteils des B[X.] vom 24.4.2008 - [X.]/9a [X.] - anwenden müssen. Danach sei für die Feststellung des GdB neben der Einstellungsqualität auch der [X.] zu beurteilen, soweit er sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirke. Hierbei sei auch das Ergebnis der therapeutischen Maßnahmen, insbesondere die erreichte Stoffwechsellage zu betrachten. Der GdB sei relativ niedrig anzusetzen, wenn mit geringem [X.] eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht werden könne. Mit in beeinträchtigender Weise wachsendem [X.] und bzw oder abnehmendem Therapieerfolg im Sinne einer instabileren Stoffwechsellage werde der GdB höher einzuschätzen sein. In einem ersten Schritt sei der [X.] festzustellen. In einem zweiten Schritt sei die Stoffwechsellage zu beurteilen und in einem dritten Schritt wären die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Betracht zu ziehen. Entsprechende [X.] hierzu habe das L[X.] nicht angestellt.

Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen habe das L[X.] den GdB unzutreffend beurteilt. Schon der unmittelbare [X.] sei erheblich. Zudem sei zu berücksichtigen, dass, würde sie nicht so diszipliniert leben, [X.] die Folge wären. Soweit das L[X.] bei ihr von einer stabilen Stoffwechsellage auf einen geringeren GdB als 50 geschlossen habe, sei dieser Rückschluss in der Allgemeinheit nicht zulässig. Gerade ihre hohe Disziplin und vorausschauende Planung sowie ihre bewusste Lebensführung führten dazu, dass die Folgen des Diabetes bei ihr bisher gering geblieben seien. Ihr dies zum Nachteil gereichen zu lassen, würde bedeuten, dass der disziplinlose Behinderte mit einem höheren GdB "belohnt" werde und derjenige Behinderte, der sich intensiv um die Bekämpfung der Folgen der Erkrankung kümmere und einen entsprechenden [X.]aufwand dafür betreibe, mit einem geringeren GdB "bestraft" werde. Zudem habe das L[X.] die Auswirkungen des Diabetes auf die Teilhabe am Leben in der [X.] gemessen, die mit ihrer Erkrankung nicht vergleichbar seien.

Für die [X.] ab dem [X.] habe das L[X.] zwar richtiger Weise Teil [X.] 15.1 [X.] nF zugrunde gelegt. Das L[X.] missverstehe jedoch die im vorliegenden Fall einschlägige Variante der Ziff 15.1, nach der der GdB 50 beträgt. Diese Variante beinhalte einerseits den [X.], der mit täglich mindestens vier [X.] angegeben werde, und die Insulindosis, die in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der jeweils folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig zu variieren sei. Schon wenn, wie in ihrem Fall, die vier [X.] täglich durchgeführt werden müssten, sei der GdB mit 50 festzusetzen. Entgegen der Auffassung des L[X.] bedürfe es nicht zusätzlich noch weiterer, erheblicher Einschnitte in die Lebensführung. Der [X.] von mindestens vier [X.] täglich erfasse den in der Summe erheblichen zeitlichen Aufwand zB für regelmäßige Arztbesuche, den Einkauf von Medikamenten und Spritzutensilien, die Planung des Tagesablaufs, den Aufwand für das Spritzen selbst, die Vermeidung von rückfallgefährdenden Verhaltensweisen, das Aufsuchen von Orten für die Injektionen sowie aktive Vorkehrungen zum Ausgleich von potenziellen Gesundheitsrisiken. Da der Begriff [X.] nach der Rechtsprechung des B[X.] weit zu fassen sei und darunter die Gesamtheit der Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit mit dem Ziel der Wiederherstellung der Gesundheit, der Linderung der Beschwerden und der Verhinderung von Rückfällen zu verstehen sei, sei der [X.] zur Herstellung einer guten Stoffwechsellage ein geeigneter Maßstab. Das L[X.] verkenne diesen Begriff, wenn es den GdB primär danach beurteile, welche Einschnitte sie jenseits derjenigen, die im Zusammenhang mit den [X.] stünden, hinzunehmen habe. Wenn das Insulin infolge tropischer Temperaturen unbrauchbar werde, habe das mittelbar ebenfalls mit dem [X.] zu tun. Nichtbehinderte müssten sich insoweit nicht mit entsprechenden zusätzlichen Vorkehrungen gegen Hitze oder auch Diebstahl der Insulintasche belasten.

Nach den Bewertungsgrundsätzen in Teil [X.] 15.1 [X.] nF würden die bei der [X.] zu berücksichtigenden Teilhabestörungen unter dem Oberbegriff "Einschnitte in die Lebensführung" zusammengefasst. Der [X.] und die damit verbundenen Einschnitte in die Lebensführung seien aber nicht die einzige Art und Weise, wie die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch den Diabetes mellitus beschränkt werde. Soweit sie ihren Ausschluss von bestimmten Sportarten geschildert habe, gehe es indes nicht um den [X.], sondern um den Ausschluss von Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten und damit um Teilhabemöglichkeiten am Leben in der Gesellschaft. Werde Teil [X.] 15.1 [X.] nF in dieser Weise verstanden und angewendet, sei ihr GdB mit mindestens 50 festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 21. Februar 2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 14. März 2011 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er trägt im Wesentlichen vor: Eine Verletzung der von der Klägerin genannten Verfahrensvorschriften liege seines Erachtens nicht vor. Insbesondere sei die versorgungsärztliche Stellungnahme vom [X.] nahezu wörtlich im Widerspruchsbescheid wiedergegeben. Auf der Grundlage der [X.] zur Änderung der VersMedV vom [X.] sei der GdB mit 40 korrekt bewertet. Danach sei Voraussetzung für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft neben der täglich viermaligen Insulininjektion bei jeweiliger Anpassung der Dosis eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung. Das wäre der Fall, wenn sich die Stoffwechsellage trotz des definierten täglichen [X.]es weiterhin so unbefriedigend zeige, dass eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung nachvollziehbar sei. Nicht der Fall sei dies, wenn sich die Stoffwechsellage im Ergebnis des therapeutischen Aufwandes - wie im Fall der Klägerin - überwiegend als gut eingestellt erweise. Dieses Rechtverständnis werde von der Begründung der Änderungsverordnung gestützt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig. Sie ist [X.] durch das [X.] statthaft und innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt und begründet worden. Die Begründung genügt den Anforderungen des § 164 Abs 2 S 3 [X.]G.

Die Revision ist unbegründet.

Einer Sachentscheidung des [X.]s stehen Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens nicht entgegen. Klage und Berufung sind zulässig. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des Berufungsurteils, mit dem die Klage abgewiesen worden ist. Die Klägerin erstrebt die Wiederherstellung des Urteils des [X.], mit dem der Beklagte verurteilt worden ist, den GdB der Klägerin ab April 2010 mit 50 festzustellen. Dieses prozessuale Ziel, das die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 [X.]G - zur statthaften [X.] vgl B[X.] Urteil vom 12.4.2000 - [X.] [X.] 3/99 R - [X.] 3-3870 § 3 [X.] f; Urteil vom 2.12.2010 - [X.] [X.] 3/09 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] RdNr 11) verfolgt, erreicht sie nicht.

Zunächst ist die Rüge, das angefochtene Urteil sei iS der § 136 Abs 1 [X.], § 128 Abs 1 S 2 [X.]G nicht mit Gründen versehen, jedenfalls unbegründet. Es trifft zwar zu, dass das [X.] auch für den Beurteilungszeitraum vor dem [X.] (ohne nähere Begründung) Teil [X.] idF vom 14. 7.2010 (nF) zu Grunde gelegt hat. Insoweit fehlen jedoch keine Entscheidungsgründe. Das [X.] hat lediglich nicht deutlich gemacht, warum es die erst am [X.] in [X.] getretenen Bestimmungen auch für die [X.] davor als maßgeblich ansieht. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, das [X.] habe insoweit einen falsche Rechtsgrundlage angewendet, betrifft ihre Rüge einen Rechtsanwendungsfehler, jedoch keinen Verfahrensmangel (zum Begriff Verfahrensmangel s [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G 10. Aufl 2012, § 144 RdNr 32 mwN).

Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 50 richtet sich nach § 69 Abs 1 und 3 [X.]B IX vom 19.6.2001 ([X.] 1046, 1047) idF vom 13.12.2007 ([X.] 2904). Nach § 69 Abs 1 S 1 [X.]B IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes ([X.]) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs 1 S 4 [X.]B IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der [X.] nach [X.] abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs 1 [X.] [X.]B IX gelten die Maßstäbe des § 30 Abs 1 [X.] entsprechend. Durch diesen Verweis auf § 30 Abs 1 [X.] stellt § 69 [X.]B IX auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem ab, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden iS der [X.] Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 [X.] sind. Die weitere Bezugnahme in § 69 Abs 1 [X.] [X.]B IX betrifft die aufgrund des § 30 Abs 17 [X.] erlassene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs 1 und 3, des § 30 Abs 1 und des § 35 Abs 1 [X.] ([X.]) vom 10.12.2008 ([X.] 2412), die zuletzt durch die Verordnung vom 11.10.2012 ([X.] 2122) geändert worden ist (vgl auch B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/08 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] RdNr 16 f). Als Anlage zu § 2 [X.] sind "[X.] Grundsätze" (Anl [X.]) veröffentlicht worden, in denen ua die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen ([X.]) iS des § 30 Abs 1 [X.] festgelegt worden sind.

Die zum 1.1.2009 in [X.] getretene Anl [X.] stellt ihrem Inhalt nach nicht nur eine Konkretisierung der Regelung des § 69 [X.]B IX, sondern auch ein antizipiertes Sachverständigengutachten dar (stRspr des B[X.]; vgl Urteil vom [X.] - [X.]/9a [X.] - [X.] 4-3250 § 69 [X.] Rd[X.]5 mwN; vgl auch zur Rechtslage nach dem Schwerbehindertengesetz: [X.] Beschluss vom 6.3.1995 - 1 BvR 60/95 - [X.] 3-3870 § 3 [X.] S 11 f). Sie berücksichtigt dabei den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der [X.] als [X.] verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems, auch wenn dieses Klassifikationsmodell darin bislang noch nicht überall konsequent umgesetzt worden ist (vgl [X.], Einleitung [X.], 1. Aufl 2009). Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe im Leben in der [X.] nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die [X.] auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - [X.]/9a [X.] - [X.] 4-3250 § 69 [X.] Rd[X.]8; B[X.] Urteil vom 29.8.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - B[X.]E 67, 204, 208 = [X.] 3-3870 § 4 Nr 1 [X.] f; dazu auch [X.], [X.] 2004, 314, 315; [X.], [X.]b 2003, 613).

Dem trägt die Anl [X.] im Grundsatz Rechnung. Dementsprechend ist deren Inhalt nicht (ausschließlich) mit Hilfe juristischer Auslegungsmethoden zu ermitteln; vielmehr sind diesbezügliche Zweifel vorzugsweise durch Nachfrage bei dem verantwortlichen Urheber, hier also beim "Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin" bzw dem für diesen geschäftsführend tätigen [X.] - [X.] (§ 3 [X.]), zu klären (vgl zB dazu B[X.] Urteil vom [X.] aaO). Darüber hinaus ist die [X.] (nebst Anlage) an den rechtlichen Vorgaben der §§ 2, 69 [X.]B IX zu messen. Dazu gehört, dass sie dem aktuellen Stand der Medizin entsprechen muss (vgl dazu B[X.] Urteil vom 18.9.2003 - [X.] [X.] 3/02 R - B[X.]E 91, 205 = [X.] 4-3250 § 69 [X.] jeweils RdNr 14; Urteil vom [X.] - [X.]/9a [X.] - [X.] 4-3250 § 69 [X.] Rd[X.]5; Urteil vom 2.12.2010 - [X.] [X.] 3/09 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] RdNr 14; § 69 Abs 1 [X.] [X.]B IX, § 30 Abs 17 [X.] iVm §§ 2, 3 Abs 1 [X.]). Bei Verstößen dagegen sind die jeweiligen Bestimmungen nicht oder nur mit Maßgaben anzuwenden (vgl auch B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/08 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] RdNr 19; B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 3/08 R - juris RdNr 30).

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des B[X.] grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl Urteil vom 29.11.1956 - 2 [X.] 121/56 - B[X.]E 4, 147, 149 f; Urteil vom 9.10.1987 - 9a RVs 5/86 - B[X.]E 62, 209, 212 f = [X.] 3870 § 3 [X.]6 S 83; Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/08 R - aaO Rd[X.]3 mwN). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom [X.] die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 und 3 [X.]B IX (s zuletzt B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/08 R - aaO RdNr 16 bis 21 mwN); danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der [X.] maßgebend.

Zur [X.] bei Diabetes mellitus hat der [X.] in mehreren Urteilen Stellung genommen. Mit Urteil vom [X.] (- [X.]/9a [X.] - [X.] 4-3250 § 69 [X.]) hat er sich mit den Bewertungsgrundsätzen der früheren [X.]6.15 Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im [X.] Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht ([X.], Ausgaben 1996 und 2004) befasst. Mit Urteil vom 11.12.2008 (- [X.]/9a [X.] 4/07 R - juris) hat er sich zu der vorläufigen Neufassung des Abschnitts Diabetes mellitus in [X.]6.15 der [X.] geäußert. Mit Urteil vom [X.] (- [X.] [X.] 3/08 R - juris) hat der erkennende [X.] Teil [X.] vom 10.12.2008 als nichtig angesehen, weil darin, wie in der vorläufigen Neufassung der [X.] allein die Einstellungsqualität und - noch - nicht der die Teilhabe beeinträchtigende [X.] berücksichtigt worden war. Schließlich hat der [X.] mit Urteil vom 2.12.2010 (- [X.] [X.] 3/09 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.]) zu Teil [X.] idF vom [X.] entschieden, dass diese Vorschrift mit § 69 [X.]B IX vereinbar und wirksam ist und auf sie auch in der [X.] vor ihrem Inkrafttreten zurückgegriffen werden kann (aaO RdNr 30 ff insbes 38).

Im vorliegenden Fall zu beurteilen ist der [X.]raum ab Antragstellung durch die Klägerin im April 2010, sodass (formal) betrachtet für die [X.] vom 1.4.2010 bis zum [X.] die am 1.1.2009 in [X.] getretene Regelung in Teil [X.] idF vom 10.12.2008 heranzuziehen ist. Entsprechend den Urteilen des erkennenden [X.]s vom [X.] und 2.12.2010 (jeweils aaO) ist diese Vorschrift jedoch nicht zur [X.] geeignet. Vielmehr kann auf die Neufassung der Vorschrift idF vom [X.] zurückgegriffen werden.

Für die [X.] ab dem [X.] ist die vom [X.] im Einvernehmen mit dem [X.] und mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Regelung in Teil [X.] nF unmittelbar anzuwenden.

Die Vorschrift hat folgenden Inhalt, der sich zwar unmittelbar auf die Feststellung des [X.] bezieht, jedoch für die Bemessung des GdB entsprechend gilt (vgl Teil A [X.] Anl [X.]):

        

15.1 Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)

        

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den [X.] keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines [X.] rechtfertigt. Der [X.] beträgt 0.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den [X.] eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der [X.] beträgt 20.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des [X.]s und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der [X.] beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier [X.] durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses [X.]s eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die [X.] und [X.] (beziehungsweise [X.] über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der [X.] beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere [X.]-Werte bedingen.

Hierzu hat der erkennende [X.] bereits im Einzelnen ausgeführt, dass diese neugefassten Beurteilungsgrundsätze den Vorgaben seiner Rechtsprechung in den Urteilen vom [X.], 11.12.2008 und [X.] (jeweils aaO) genügen und Anhaltspunkte dafür, dass diese Bestimmungen nicht dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen könnten, nicht ersichtlich sind (Urteil vom 2.12.2010, aaO, Rd[X.]6).

Soweit es die hier streitige Feststellung eines GdB von 50 betrifft, enthält Teil [X.].1 [X.] Anl [X.] nF seinem Wortlaut nach drei Beurteilungskriterien: täglich mindestens vier [X.], selbstständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung sowie (durch erhebliche Einschnitte) gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung. Diese Kriterien sind nach Auffassung des [X.]s nicht jeweils gesondert für sich genommen starr anzuwenden; vielmehr sollen sie eine sachgerechte Beurteilung des [X.] erleichtern.

Dementsprechend kann das Erfordernis von "täglich mindestens vier [X.]" entgegen der Auffassung des Beklagten nicht so verstanden werden, dass ausnahmslos an allen Tagen eine Anzahl von vier [X.] durchgeführt werden muss. Der [X.] hat insoweit bereits entschieden, dass eine Bewertung des GdB, die sich ausschließlich an der Zahl der [X.] pro Tag orientiert, nicht überzeugt. Vielmehr ist der [X.] neben der Einstellungsqualität zu beurteilen (s Urteil vom [X.], aaO [X.]). Dazu hat der [X.] ausgeführt, dass der GdB relativ niedrig anzusetzen sein wird, wenn mit geringen [X.] eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht wird, und der GdB bei (in beeinträchtigender Weise) wachsendem [X.] und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilerer Stoffwechsellage) höher einzuschätzen sein wird (aaO). Obwohl die Begründung der [X.] zur Änderung der [X.] insoweit inhaltlich keine konkrete Aussage trifft ([X.]), wollte der Verordnungsgeber der Rechtsprechung des B[X.] erklärtermaßen folgen (s [X.] S 3). Es ist daher davon auszugehen, dass er bei der Neufassung des Teil [X.].1 Anl[X.] zum [X.] die Zahl von vier [X.] am Tag nicht als absoluten Grenzwert angesehen hat.

Des Weiteren verlangt das Erfordernis einer "selbstständigen" Variation der Insulindosis kein "ständiges" Anpassen der Dosis. Entscheidend ist die Abhängigkeit der jeweiligen Dosierung vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung. Sie kann demnach unter Umständen auch mehrfach gleich bleiben. In keinem Fall ist insoweit allein auf die Anzahl von zusätzlichen Korrekturinjektionen abzustellen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin reicht ein Erfüllen dieser beiden, auf den [X.] bezogenen Beurteilungskriterien nicht aus. Vielmehr muss die betreffende Person durch Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein. Das kommt in Teil [X.].1 [X.] Anl [X.] durch die Verwendung des Wortes "und" deutlich zum Ausdruck. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass bei einem entsprechenden [X.] immer eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegt. Je nach den persönlichen Fähigkeiten und Umständen der betreffenden Person kann sich die Anzahl der [X.] und die ständige Anpassung der Dosis nämlich unterschiedlich stark auf die Teilhabe am Leben in der [X.] auswirken. Abgesehen davon ist für die Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus auch die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam (vgl auch Teil [X.].1 Abs 3 Anl [X.]; allgemein dazu B[X.] Urteil vom [X.] - [X.]/9a [X.] - [X.] 4-3250 § 69 [X.] [X.]), die im Rahmen der Prüfung des dritten Merkmals (gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung) berücksichtigt werden kann. Die durch erhebliche Einschnitte bewirkte gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung kann mithin auf Besonderheiten der Therapie beruhen, etwa wenn ein Erkrankter aufgrund persönlicher Defizite für eine Injektion erheblich mehr [X.] benötigt als ein anderer, im Umgang mit den Injektionsutensilien versierter Mensch. Einschnitte in der Lebensführung zeigen sich daneben auch bei einem unzulänglichen Therapieerfolg, also der Stoffwechsellage des erkrankten Menschen.

Dieser Auslegung steht - wie das [X.] zutreffend erkannt hat - nicht entgegen, dass es im letzten Teilsatz des [X.] heißt: "erleiden auf Grund dieses [X.]es eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung". Diese Formulierung mag zwar sprachlich unklar erscheinen und in einem gewissem Widerspruch zu den zuvor aufgeführten drei Merkmalen stehen, sie ändert jedoch nichts an der durch § 69 [X.]B IX gebotenen umfassenden Betrachtung des [X.]. Jedenfalls kann aus ihr nicht der Schluss gezogen werden, der Verordnungsgeber habe eine Mindestzahl von mit selbstständiger Dosisanpassung verbundenen [X.] für die Feststellung eines GdB von 50 ausreichen lassen wollen.

Diese Bestimmung des Inhalts des Teil [X.] nF gewinnt der [X.] allein aufgrund einer Auslegung des Wortlauts der Vorschrift vor dem Hintergrund seiner zitierten Rechtsprechung. Unklarheiten, die nur mit Hilfe medizinischen oder anderweitigen [X.] beseitigt werden können, sind nicht ersichtlich. Aus diesem Grund bleibt auch die Rüge der Klägerin, das [X.] hätte den Inhalt der Vorschrift durch eine Befragung des zuständigen Sachverständigenbeirats beim [X.] klären müssen, ohne Erfolg.

Auf dieser rechtlichen Grundlage verlangt die Bewertung des GdB eine am jeweiligen Einzelfall orientierte Beurteilung, die alle die Teilhabe am Leben in der [X.] beeinflussenden Umstände berücksichtigt. Gemessen an diesen Kriterien ist das Berufungsurteil rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50.

Nach den Feststellungen des [X.] führt die Klägerin nicht ständig eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Injektionen durch. Auch komme es nicht zu einer "ständigen" Anpassung der Insulingabe. Trotz ihres individuellen [X.]s werde die Klägerin nicht durch eine schlechte Einstellungsqualität in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Sie erleide in ihrer gesamten Lebensführung (Beruf, Sport, Reisen) keine gravierenden krankheitsbedingten Einschränkungen. Zu schweren hypoglykämischen Entgleisungen sei es noch nie gekommen.

Soweit die Klägerin die Feststellung des [X.] zur Häufigkeit ihrer täglichen [X.] mit der Begründung angreift, das [X.] habe dabei ihr rechtliches Gehör verletzt, dringt sie damit nicht durch. Der in §§ 62, 128 Abs 2 [X.]G konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 [X.]G; vgl B[X.] [X.] 3-1500 § 62 [X.]; [X.]E 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen wird ([X.]E 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). In diesem Rahmen besteht jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage, noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen, denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger [X.] nicht zu rechnen brauchte (vgl [X.]E 84, 188, 190). Das gilt grundsätzlich auch für nicht rechtskundig vertretene Beteiligte, wenn es sich nicht um komplizierte tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten oder Überlegungen handelt. Bei der Zahl täglich erforderlicher Injektionen handelt es sich nicht um einen komplizierten tatsächlichen Umstand. Jeder kann ihn ohne juristischen oder anderweitigen besonderen Sachverstand erfassen.

Entgegen der Darstellung der Klägerin war eine Sachlage, bei der sie nicht damit zu rechnen brauchte, dass das [X.] die täglich erforderliche Zahl von [X.] anspricht und wertet, vor der Entscheidung des [X.] nicht gegeben. Der Klägerin musste schon aufgrund des Inhalts des Widerspruchsbescheides sowie des Urteils des [X.] klar sein, dass es maßgebend auch auf die Häufigkeit der täglichen [X.] ankam und diese nicht als ausreichend angesehen werden könnte. Denn der Beklagte hat die vom [X.] schließlich ausdrücklich genannte versorgungsärztliche Stellungnahme von [X.] vom [X.] im Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010 bereits inhaltlich wiedergegeben. Zwar hat der Beklagte in seiner weiteren Begründung den Schwerpunkt auf das Fehlen einer ständigen Anpassung der Dosierung gelegt. Das [X.] hat jedoch ausdrücklich ausgeführt, die "Tatsache, dass sich die Klägerin nach ihren Aufzeichnungen an einigen Tagen nur drei [X.] verabreicht" habe, sei darauf zurückzuführen, dass sie an diesen Tagen nur zwei Mahlzeiten zu sich genommen habe. Damit seien zwar die Voraussetzungen nach dem Wortlaut der Vorschrift ("täglich mindestens vier [X.]") nicht erfüllt. Es sei jedoch nicht sachgerecht, den GdB nach der Anzahl der Mahlzeiten festzulegen.

Dem ist der Beklagte mit seiner Berufung entgegengetreten und hat - unter Wiederholung der Begründung des Widerspruchsbescheides - vorgetragen, dass nach dem vorliegenden [X.] für den [X.]raum vom 3.6. bis 7.9. (ohne Jahresangabe - 96 Tage) die Klägerin sich "zwei- bis viermal täglich [X.] und einmal [X.] injiziert" habe. Aus diesen Angaben ergibt sich nicht durchgängig eine Anzahl von mindestens vier Injektionen am Tag. Der weitere Verlauf des Berufungsverfahrens (Schriftsatz des Beklagten vom 4.10.2011 mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 30.9.2011 und insbesondere Erörterungstermin am 21.12.2011) lässt nicht erkennen, dass der Beklagte eine tägliche Mindestzahl von vier [X.] eingeräumt oder dass sich das [X.] inhaltlich so geäußert hätte.

Aus diesem Ablauf und Inhalt des Verfahrens konnte die Klägerin demzufolge entnehmen, dass die Häufigkeit der täglichen [X.] maßgebend für die Beurteilung des GdB ist und sie nach dem bisherigen Stand des Verfahrens eine Mindestzahl von vier Injektionen täglich nicht erreicht. Jedenfalls musste die Klägerin mit einer solchen Beweiswürdigung des [X.] rechnen. Dementsprechend konnte es für sie objektiv keine Überraschung sein, dass das [X.] im Berufungsurteil diesen Umstand aufgreift und rechtlich würdigt.

Des Weiteren ist unbeachtlich, dass die Vorinstanz irrtümlich eine "ständige" (anstelle einer "selbstständigen") Dosisanpassung verlangt, denn jedenfalls fehlt es nach dem berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen an einer durch erhebliche Einschnitte gravierend beeinträchtigten Lebensführung der Klägerin. Detaillierte Tatsachenfeststellungen sind insoweit nicht erforderlich gewesen, da das [X.] die ausführlichen Angaben der Klägerin zugrunde gelegt hat. Soweit die Klägerin rügt, das [X.] habe seine Feststellung, sie - die Klägerin - habe über Jahre hinweg beruflich und privat ohne gravierende Einschränkungen gelebt, getroffen, ohne über die für diese Beurteilung erforderliche soziologische und sozialmedizinische Sachkunde zu verfügen, greift diese Rüge nicht durch. Denn für die Beurteilung einer im Wesentlichen "normalen Lebensführung" bedarf es keiner besonderen Sachkunde. Die entsprechende Beurteilung kann der Tatrichter ohne sachverständige Unterstützung selbst vornehmen. Überdies hat sich das [X.] insoweit ersichtlich neben den eigenen Angaben der Klägerin auch auf die sozialmedizinische Beurteilung der Versorgungsärztin Dr. W. in deren in das Verfahren einbezogenen Stellungnahme vom 13.2.2012 gestützt. Dabei sind auch die von der Klägerin geschilderten einschränkenden Umstände (zB Schwierigkeiten bei Reisen in die Tropen, Unmöglichkeit der Ausübung des Tauchsports) berücksichtigt worden.

Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des [X.] ist es zudem - auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens - auszuschließen, dass der GdB der Klägerin gemäß Teil [X.].1 Abs 5 Anl [X.] einen Wert von 50 erreicht. Nach dieser Vorschrift können außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen jeweils höhere [X.] bedingen. Ausgehend von einem GdB von 40 wäre danach eine Erhöhung auf 50 theoretisch möglich. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind jedoch zweifelsfrei nicht erfüllt, da entsprechende Stoffwechsellagen bei der Klägerin nicht festgestellt worden sind.

Schließlich geht die von der Klägerin in diesem Zusammenhang vertretene Ansicht fehl, sie dürfe wegen ihres konsequenten Therapieverhaltens und ihrer vernünftigen Lebensführung in Bezug auf ihre Erkrankung bei der Festsetzung des GdB nicht "schlechter" behandelt werden als ein behinderter Mensch, der bei gleicher [X.] wegen einer nicht so konsequent durchgeführten Therapie eine schlechtere Stoffwechsellage aufweise und dem deswegen ein höherer GdB als ihr zuerkannt werde. Die Klägerin übersieht, dass die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ausschließlich final, also orientiert an dem tatsächlich bestehenden Zustand des behinderten Menschen zu erfolgen hat, ohne dass es auf die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsstörung ankommt (vgl [X.] in [X.], Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 69 [X.]B IX Rd[X.]3 mwN). Das gilt sowohl hinsichtlich unbeeinflussbarer Kausalzusammenhänge (s dazu B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/08 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] Rd[X.]0 mwN) als auch für Vorgänge, auf die der Betroffene Einfluss nehmen kann oder die er sogar selbst zu verantworten hat. Insofern kommt es nicht darauf an, welche Folgen eine Vernachlässigung der Diabetes-Therapie bei der Klägerin haben würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 9 SB 2/12 R

25.10.2012

Bundessozialgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Magdeburg, 14. März 2011, Az: S 9 SB 15/11, Urteil

§ 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 69 Abs 1 S 4 SGB 9, § 69 Abs 1 S 5 SGB 9, § 69 Abs 3 SGB 9, § 2 SGB 9, § 30 Abs 17 BVG vom 13.12.2007, § 2 VersMedV, § 3 VersMedV, Anlage Teil A Nr 2 VersMedV, Anlage Teil B Nr 15.1 Abs 3 VersMedV, Anlage Teil B Nr 15.1 Abs 4 VersMedV, § 62 SGG, § 103 SGG, § 128 Abs 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.10.2012, Az. B 9 SB 2/12 R (REWIS RS 2012, 1926)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1926

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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