Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.05.2021, Az. 1 StR 123/21

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist ihr Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen des [X.]s führte die Angeklagte seit November 2016 eine Beziehung mit dem späteren Tatopfer [X.], die von andauerndem Streit geprägt war. [X.]übte mehrfach niederschwellige Gewalt aus, wenn er sich von der Angeklagten provoziert fühlte. Auch in der Tatnacht vom 24. November auf den 25. November 2019 stritten sich die Lebenspartner. [X.]   verließ vorübergehend die gemeinsam genutzte Wohnung der Angeklagten, kehrte aber alsbald gegen 0.35 Uhr zurück, nachdem diese ihm geschrieben hatte, sie habe einen neuen Liebhaber, der besser als er und [X.] sei, der ihre Liebe verdiene.

In der Wohnküche versetzte [X.]  der Angeklagten einen leichten Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht; er schlug ihr Mobiltelefon gegen die Küchentheke, sodass das Display zersprang, und warf es zu Boden. [X.] ergriff mit seiner rechten Hand fest den Unterkiefer der Angeklagten und drückte sie derart gepackt in die Ecke der Küchenzeile mit dem Oberkörper nach hinten. Die Angeklagte ergriff ein Küchenmesser mit einer 16 cm langen Klinge und holte in Richtung seines linken Oberkörpers aus. [X.]hob schützend seinen linken Arm und erlitt Schnittverletzungen am Handrücken, am vorderen Unterarm, am Ellenbogen und am [X.]. [X.]ließ von der Angeklagten ab und drehte sich zum Bartisch der Küche um, um seine stark blutenden Wunden zu betrachten. Die Angeklagte erkannte, dass von [X.]  kein weiterer Angriff drohte; dennoch versetzte sie aus Wut und Verärgerung über das vorangegangene Verhalten ihres Lebenspartners sowie über den enttäuschenden Verlauf der Beziehung [X.] von hinten einen tödlichen Stich unterhalb der linken Achselhöhle, der elf cm tief in die Brusthöhle eindrang und einen Schlagaderast in der linken Lunge durchtrennte.

2. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei Notwehr (§ 32 StGB) ausgeschlossen. Indes hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand:

Die Erwägungen, mit denen das [X.] einen minder schweren Fall nach § 213 Alternative 1 StGB abgelehnt hat, erweisen sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

a) Trotz des mit § 223 Abs. 1 Alternative 1 StGB übereinstimmenden Wortlauts [X.] setzt nach der Rechtsprechung des [X.] die Strafzumessungsregel des § 213 Alternative 1 StGB nicht das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung einer Körperverletzung voraus. Daher ist ein [X.] nicht erforderlich ([X.], Beschlüsse vom 9. Februar 1995 - 4 StR 37/95 Rn. 8, [X.]R StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; vom 14. Mai 2002 - 5 [X.] Rn. 4 und vom 12. Juni 2002 - 5 [X.] Rn. 3; Urteil vom 1. August 1996 - 5 [X.] Rn. 7, [X.]R StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 5); auch seelische Misshandlungen können genügen. Entscheidend ist demnach nicht, in welchem Umfang das körperliche Wohlbefinden des Täters des Totschlags beeinträchtigt ist, sondern, ob die diesem zugefügten Misshandlungen nach ihrem Gewicht und den Umständen des Einzelfalls geeignet sind, die [X.] als verständliche Reaktionʺ auf das provozierende Verhalten des anschließend getöteten Opfers erscheinen zu lassen ([X.], Beschluss vom 9. Februar 1995 - 4 StR 37/95 Rn. 8, [X.]R StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4).

Ob der vorausgehende Angriff durch das Opfer ausreichendes Gewicht hat, hat das Tatgericht mit Blick auf den für [X.] durch § 213 StGB eröffneten Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (statt von fünf Jahren bis zu fünfzehn Jahren; § 212 Abs. 1 StGB) und auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der bisherigen [X.] und der damit verbundenen Motivationsgenese, zu beurteilen. Die Anwendung des § 213 Alternative 1 StGB kann auch dann geboten sein, wenn die tatauslösende Misshandlung für sich allein genommen zwar keine ʺschwere Unbillʺ ist, sie aber gleichsam der [X.] ist, der ʺdas Fass zum Überlaufen bringtʺ (vgl. [X.], Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, [X.]R StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 18 bis 20, 22, 25 mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Das gesamte provozierende Verhalten des Opfers ist einzubeziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juni 2002 - 5 [X.] Rn. 3; Urteil vom 1. Juli 2014 - 5 [X.], [X.]R StGB § 213 Alt. 2 Opferverhalten 4 Rn. 16). Lediglich geringfügige Eingriffe in die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Täters des Tötungsdelikts sind regelmäßig nicht von ausreichendem Gewicht; die Erheblichkeitsschwelle ist aber bei schmerzhaften Ohrfeigen überschritten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Januar 2016 - 1 StR 518/15 Rn. 4 f. und vom 19. Dezember 2018 - 3 StR 391/18 Rn. 9).

b) Diesen Maßstab hat das [X.] in seiner Würdigung verkannt. Es hat maßgeblich darauf abgestellt, dass die Angeklagte nur [X.] erlitten habe ([X.]). Damit hat das [X.] die Gesamtsituation des Angriffs durch [X.] nur lückenhaft gewürdigt. Denn das Gewicht der [X.] ist nicht allein nach dem [X.] zu bemessen, sondern auch nach der Intensität der Angriffshandlungen. Jedenfalls die Fixierung durch [X.]  Griff an den Unterkiefer war von einigem Gewicht.

c) Die Feststellungen sind von diesem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht darf seiner Strafzumessung neue Feststellungen zugrunde legen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.