Bundessozialgericht, Urteil vom 23.06.2020, Az. B 2 U 13/18 R

2. Senat | REWIS RS 2020, 2512

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Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Beitragsrecht - Rechtmäßigkeit eines Beitragszuschlags nach § 162 SGB 7 - Rentennachzahlungen für weit zurückliegende Zeit - keine periodengerechten "Aufwendungen")


Leitsatz

Rentennachzahlungen, die im Beitragsjahr für weit zurückliegende Jahre in einer Summe ausgezahlt werden, sind keine periodengerechten "Aufwendungen", nach denen sich die Höhe der Beitragszuschläge nach näherer Maßgabe der Satzung richten darf.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 23. Januar 2018 aufgehoben, der Gerichtsbescheid des [X.] vom 11. Dezember 2014 geändert und der Bescheid der Beklagten vom 23. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 4. Dezember 2015 aufgehoben, soweit das Sozialgericht die Klage abgewiesen hat.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte für das Beitragsjahr 2010 noch einen Beitragszuschlag [X.] 18 312,40 Euro erheben darf.

2

Die Klägerin betreibt einen Profi-Eishockey-Club, der in der [X.] spielt. Sie beschäftigte den Spieler [X.], der sich am [X.] während eines Eishockeyspiels verletzte, als er von einem gegnerischen Spieler gecheckt wurde. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom [X.] "Rente für zurückliegende Zeit" ab dem [X.] bis zum 31.12.2009 und zahlte die aufgelaufenen [X.] im Kalenderjahr 2010 in einer Summe [X.] 17 264,42 Euro aus.

3

Die Beklagte veranlagte die Klägerin ab 2010 zu der [X.] 32 "Sportunternehmen" ihres Gefahrtarifs und setzte für das Beitragsjahr 2010 die Eigenumlage auf 366 248,13 Euro fest (Beitragsbescheid vom 20.4.2011 idF des Änderungsbescheids vom 1.7.2011). Nach Anhörung erlegte sie der Klägerin für 2010 einen Beitragszuschlag [X.] 36 624,81 Euro auf (Beitragszuschlagsbescheid vom 23.8.2011 und Widerspruchsbescheid ohne Datum), bei dem sie Unfälle von vier beschäftigten Spielern berücksichtigte. Später reduzierte sie die Forderung auf 18 312,40 Euro (Ausführungsbescheid vom 4.12.2015). Dabei legte sie neben dem Unfall des Spielers [X.] noch den des Spielers S. zugrunde, der am [X.] einen Arbeitsunfall mit im Beitragsjahr 2010 angefallenen Kosten [X.] 10 816,89 Euro erlitten hatte.

4

Klage und Berufung sind insoweit erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des [X.] vom 11.12.2014 und Urteil des L[X.] vom 23.1.2018). Zur Begründung hat das L[X.] ausgeführt, der Beitragszuschlag sei satzungskonform festgesetzt und erhoben worden. Der Unfall des Spielers [X.] sei nicht auf ein alleiniges Fremdverschulden zurückzuführen. Die Entscheidung für ein reines Beitragszuschlagsverfahren und dessen Ausgestaltung in der Satzung sei von der Ermächtigungsnorm gedeckt. Das Abstellen auf eine Kombination von Zahl und Schwere der Unfälle als Berechnungsgrundlagen für die Höhe der Zuschläge sei ebenso wenig zu beanstanden wie das Belastungspunktesystem zur Beurteilung der Unfallschwere und die Einführung einer Mindestkostengrenze [X.] 10 000 Euro. Gleiches gelte für die Abhängigkeit des Zuschlags von der Einzelbelastung des jeweiligen Unternehmens im Verhältnis zur Durchschnittsbelastung aller Unternehmen derselben [X.] und für die nach Prozentsätzen abgestufte Höhe des Beitragszuschlags, die auf [X.] des Beitrags gedeckelt sei. [X.] seien nicht erkennbar.

5

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen (§ 103 [X.]G) und materiellen Rechts (§ 28 der Satzung, § 162 [X.]B VII, Art 3 Abs 1 GG, § 35 Abs 1 Satz 1 [X.]B X): Der Unfall des Spielers [X.] sei auf alleiniges Fremdverschulden zurückzuführen, wofür der Verletzte als Zeuge benannt, aber verfahrensfehlerhaft (§ 103 [X.]G) nicht vernommen worden sei. Die Auferlegung des Beitragszuschlags sei materiell rechtswidrig, weil die Beklagte die Bestimmungen in § 28 der Satzung zur grundsätzlichen Heranziehung Beitragspflichtiger und zum alleinigen Fremdverschulden (Abs 1 aaO), zur vermeintlichen Präklusion (Abs 2 aaO) und zu den Grundsätzen der Zuschlagsberechnung (Abs 3 aaO), insbesondere zum Beobachtungszeitraum ([X.]), zur Berechnung der Einzel- und Durchschnittsbelastung ([X.]) sowie zur Höhe des Beitragszuschlags ([X.]), fehlerhaft angewendet habe. Überdies sei § 28 der Satzung keine taugliche Basis für den Beitragszuschlagsbescheid, weil die Vorschrift (teil-)nichtig sei. Denn sie sei weder mit ihrer Ermächtigungsgrundlage (§ 162 [X.]B VII) noch mit Freiheitsgrundrechten, dem Gleichheitssatz und dem Willkürverbot (Art 3 Abs 1 GG) sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Rückwirkungsverbot vereinbar. Schließlich sei der [X.] aufgrund von [X.] (§ 35 Abs 1 Satz 1 [X.]B X) auch formell rechtswidrig.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 23. Januar 2018 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des [X.] vom 11. Dezember 2014 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides in der Fassung des Ausführungsbescheids vom 4. Dezember 2015 aufzuheben, soweit das Sozialgericht die Klage abgewiesen hat.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise die Satzungsregelungen der Beklagten für eine Übergangszeit zum 31. Dezember 2021 für weiterhin anwendbar zu erklären.

8

Die Satzung sei mit § 162 Abs 1 [X.]B VII vereinbar, halte die Grenzen des Satzungsermessens ein und setze spürbare Anreize zur Prävention von Arbeitsunfällen. Der verbliebene Zuschlag [X.] 5 vH des Beitrags verstoße nicht gegen die Eigentumsgarantie, weil er keine erdrosselnde Wirkung habe. Eine Verletzung des [X.] liege mangels (echter) Rückwirkung nicht vor. Auch das Gleichbehandlungsgebot in der Ausprägung der Beitragsgerechtigkeit beachte die Satzung hinreichend, wobei die von der Revision geforderte Einzelfallbetrachtung einen unverhältnismäßigen Aufwand zur Folge hätte, der im Rahmen einer Massenverwaltung nicht geleistet werden könne bzw solle. Auch die Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung des Beitragszuschlags seien nicht zu beanstanden. Der Unfall des Spielers [X.] sei nicht auf alleiniges Fremdverschulden zurückzuführen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist begründet, sodass der [X.] die spruchreife Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 Satz 1 [X.]). Das [X.] hat die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Teil des [X.] vom 11.12.2014 zu Unrecht zurückgewiesen. Die isolierten [X.] (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1, § 56 [X.]) sind vollumfänglich begründet. Die Klägerin ist beschwert (§ 54 Abs 2 Satz 1 [X.]), weil die Auferlegung eines Zuschlags zum Beitrag und das entsprechende Zahlungsgebot in dem Bescheid vom 23.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 [X.]) materiell rechtswidrig sind. Der Bescheid vom 4.12.2015, mit dem die Beklagte den zusprechenden Teil des [X.] vom 11.12.2014 ausgeführt hat, setzt die Höhe der [X.] lediglich herab, lässt die Verwaltungsakte im Übrigen iHv 18 312,40 Euro aber ausdrücklich weiterbestehen.

Der fortbestehende Verwaltungsakt über die Auferlegung des Zuschlags zum Beitrag ist rechtswidrig und daher aufzuheben, weil er mit den [X.] nicht vereinbar ist. Aus § 28 Abs 3 [X.] und [X.] der Satzung der [X.] (idF des 1. Nachtrags vom 12.11./10.12.2009; Genehmigung durch das [X.] am 17.12.2009) iVm der Ermächtigungsnorm des § 162 [X.] (idF des Art 3 des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004, [X.], 611) folgt, dass die Verletztenrente des Spielers [X.], die für einen Unfall aus dem Jahre 2007 im Jahr 2010 bewilligt wurde, nicht berücksichtigt werden darf (nachfolgend [X.]). Damit entfällt zugleich die [X.] aufgrund der Unfallkosten für den Spieler S., weshalb auch das entsprechende Zahlungsgebot rechtswidrig ist (nachfolgend I[X.]). Über das weitere Vorbringen der Klägerin war damit ebenso wenig zu entscheiden wie über den Hilfsantrag der [X.], weil dieser nur aufschiebend bedingt für den Fall gestellt worden ist, dass der [X.] [X.] für nichtig hält (nachfolgend II[X.]).

[X.] Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung des Beitragszuschlags ist § 162 Abs 1 [X.] iVm § 28 der Satzung der [X.]. Deren Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht zuschlagspflichtig ist.

1. Gemäß § 162 Abs 1 [X.] haben die gewerblichen Berufsgenossenschaften unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen (Satz 1). Versicherungsfälle nach § 8 Abs 2 [X.] bis 4 [X.] bleiben dabei außer Ansatz (Satz 2). Das Nähere bestimmt die Satzung; dabei kann sie Versicherungsfälle, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen eintreten, und Versicherungsfälle auf Betriebswegen sowie Berufskrankheiten ausnehmen (Satz 3). Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtet sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen für die Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale (Satz 4). Die Satzung kann bestimmen, dass auch die nicht anzeigepflichtigen Versicherungsfälle für die Berechnung von Zuschlägen oder Nachlässen berücksichtigt werden (Satz 5).

Auf der Grundlage des § 162 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 1 [X.] bestimmt § 28 der Satzung Folgendes: Jedem Unternehmer mit Pflichtversicherten nach § 2 Abs 1 [X.] [X.] werden unter Berücksichtigung der Zahl und Schwere der anzuzeigenden Arbeitsunfälle Zuschläge zum Beitrag auferlegt (Abs 1 Satz 1 Alt 1). [X.]ig sind nur Beitragspflichtige gemäß § 3 Gruppe I bis V der Satzung, deren Belastung wesentlich von der Durchschnittsbelastung aller Unternehmen ihrer [X.] abweicht (Abs 3 [X.]). Wesentlich ist die Abweichung, wenn die Einzelbelastung um [X.] über der Durchschnittsbelastung der [X.] liegt (§ 28 Abs 3 [X.]). Das [X.] wird jährlich nachträglich für das abgelaufene Geschäftsjahr (Beitragsjahr) durchgeführt unter Berücksichtigung der im Beitragsjahr bekannt gewordenen meldepflichtigen Arbeitsunfälle, der im Beitragsjahr festgestellten neuen Unfallrenten und der Todesfälle (§ 28 Abs 3 [X.]). Jedes Unternehmen erhält für jeden im Beitragsjahr bekannt gewordenen Arbeitsunfall mit Kosten bis 10 000 Euro null Punkte und mit Kosten über 10 000 Euro einen Punkt sowie für jede im Beitragsjahr festgestellte neue Arbeitsunfallrente mit Kosten bis 10 000 Euro null Punkte und mit Kosten über 10 000 Euro 50 Punkte (§ 28 Abs 3 [X.] Satz 2 Gliederungspunkte 1 und 2). Zur Berechnung der Einzelbelastung werden die Punkte jedes Unternehmens addiert (Belastungspunkte) und auf je 10 000 Euro Beitrag des Unternehmers für das Beitragsjahr bezogen (§ 28 Abs 3 [X.].1 Satz 1). Der Zuschlag zum Beitrag beträgt [X.] des für das Beitragsjahr zu zahlenden Beitrags, wenn die Einzelbelastung um [X.] [X.] über der Durchschnittsbelastung der [X.] liegt (§ 28 Abs 3 [X.] 1 Gliederungspunkt 1).

Diese [X.] der [X.], die grundsätzlich nicht zu beanstanden sind, stellen autonom gesetztes Recht dar, das die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nur daraufhin überprüfen, ob es mit der gesetzlichen Ermächtigung und höherrangigem Recht vereinbar ist (vgl [X.] vom [X.] - [X.], 111, 112 = [X.] 3-2200 § 809 [X.]). Nicht zu kontrollieren haben die Gerichte, ob der [X.] die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung getroffen hat ([X.]e vom [X.]; vom 11.4.2013 - [X.] U 8/12 R - [X.], 192 = [X.] 4-2700 § 157 [X.] 5; vom [X.] - [X.], 253 = [X.] 3-2200 § 809 [X.] 2 mwN und vom [X.] - [X.], 111 = [X.] 3-2200 § 809 [X.]; vgl [X.] in [X.], [X.], § 157 Rd[X.] 5 mwN). Die Abwägung unter mehreren, für die eine oder andere Satzungsregelung sprechenden Gesichtspunkte und die Entscheidung hierüber obliegt dem zur autonomen Rechtsetzung berufenen Organ des [X.] (vgl [X.]e vom 12.12.1985 - 2 RU 40/85 - [X.] 2200 § 731 [X.] 2 und vom [X.] - [X.], 111 = [X.] 3-2200 § 809 [X.]).

Der [X.] ist befugt, die Satzung der [X.] auszulegen, weil es sich dabei um revisibles Recht iS des § 162 [X.] handelt. Nach dieser Vorschrift kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des [X.] geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des [X.] hinaus erstreckt. Da die Beklagte eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (§ 1 Abs 2 Halbsatz 1 der Satzung iVm § 29 Abs 1 SGB IV), geht der Geltungsbereich ihrer Satzung über den Bezirk des [X.] hinaus (vgl dazu [X.] vom [X.] - [X.], 47, 48 = [X.] [X.] zu § 543 RVO), sodass offenbleiben kann, ob es sich bei den [X.] nicht ohnehin um "Bundesrecht" handelt (so Fichte/[X.], [X.], 3. Aufl 2020, § 162 Rd[X.] 8; [X.] in Eyermann/Fröhler, VwGO, 15. Aufl 2019, § 137 Rd[X.]6; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2014, § 162 Rd[X.] 8, 17; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], 13. Aufl 2020, § 162 Rd[X.] 5; [X.] in jurisPK-[X.], 1. Aufl, Stand 20.3.2018, § 162 Rd[X.]5).

2. Die gemäß § 3 [X.] der Satzung beitragspflichtige Klägerin ist nicht zuschlagspflichtig, weil ihre Einzelbelastung unterhalb der Durchschnittsbelastung aller Unternehmen ihrer [X.] liegt, sodass keine wesentliche Abweichung besteht. Sie gehört der [X.] (Verwaltungen) mit der Unternehmensart 39 an, zu der [X.], Vereine und Einrichtungen zählen, die der Entspannung, Erholung, Belehrung, Unterhaltung, Geselligkeit dienen. Dabei kann offenbleiben, ob sie trotz ihrer Rechtsform als Kapitalgesellschaft ein (Sport-)"Verein" sein kann. Denn sie gehört entweder (aus der Perspektive ihrer Beschäftigten) zu den "Sporteinrichtungen" oder (aus der Perspektive der Zuschauer) zu den "Einrichtungen ... , die der Unterhaltung dienen". Da sie weder gemeinnützig ist noch ihr tatsächlich errechneter Beitrag unterhalb des [X.] liegt, ist sie gemäß § 28 Abs 3 [X.] 2 Satz 3 der Satzung auch nicht vom [X.] ausgenommen.

3. Die neue Arbeitsunfallrente des Spielers [X.], die im Beitragsjahr 2010 rückwirkend für die Jahre 2007 bis 2009 festgestellt und 2010 in einer Summe ausgezahlt worden ist, rechtfertigt nicht die Auferlegung von 50 Belastungspunktengemäß § 28 Abs 3 [X.] Satz 2 Gliederungspunkt 2 der Satzung.

Rentennachzahlungen für weit zurückliegende Jahre sind keine "Aufwendungen" iS des § 162 Abs 1 Satz 4 [X.], nach denen sich ua die Höhe der Zuschläge nach näherer Maßgabe der Satzung (§ 162 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 1 [X.]) richten darf. Das Hauptziel des [X.]s besteht darin, den Unternehmern ökonomische Anreize für eine verstärkte Unfallverhütung zu bieten. Hieraus folgt, dass § 162 Abs 1 Satz 4 [X.] die Unfallversicherungsträger nur dazu ermächtigt, die in einem nahen Zeitabschnitt vor dem Beitragsausgleich entstandenen Aufwendungen zu berücksichtigen (vgl etwa [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand 1/17, § 162 Rd[X.]5). Durch die nach der Ermächtigungsnorm des § 162 Abs 1 Satz 4 [X.] zulässigen [X.] müssen folglich die durch die wirtschaftlichen Nachteile eines Beitragszuschlags beabsichtigten erhöhten [X.] für den Unternehmer in einem erkenn- und berechenbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen stehen. Auf der Zeitachse können die Unfallversicherungsträger die "Aufwendungen für die Versicherungsfälle" (§ 162 Abs 1 Satz 4 [X.]) von vornherein nur abschnittsweise berücksichtigen ([X.]/[X.], Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Mai 2020, § 162 [X.] 7.3; [X.]/[X.], jurisPK-[X.], 2. Aufl 2014, Stand 17.7.2017, § 162 Rd[X.] 45; [X.] in [X.]/[X.]/Bieresborn, [X.]-Kommentar, Stand Februar 2020, § 162 Rd[X.] 54; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 01/17, § 162 Rd[X.]5; [X.] in Kater/ders, [X.], 1997, § 162 Rd[X.]5; Platz in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2 [X.], 1996, § 58 Rd[X.] 75; [X.], [X.], 4. Aufl 2009, § 162 Rd[X.] 8; [X.] in [X.], [X.], Stand März 2020, § 162 Rd[X.]8). Dabei wird auch in dem den [X.] nahe stehenden Schrifttum davon ausgegangen, dass bei einer zu großen Verlängerung des Beobachtungszeitraums das [X.] an Aktualität verliere (vgl nur [X.], Grundfragen des berufsgenossenschaftlichen [X.], 4. Aufl 1999, [X.]). Der 8. [X.] des BSG hat hierzu bereits entschieden, dass der [X.] zur Berücksichtigung von Aufwendungen und Kosten in der Regel einen Zeitraum von bis zu zwei Geschäftsjahren wählen darf ([X.] vom 30.7.1981 - 8/8a [X.] - [X.] 2200 § 725 [X.] 7 = juris Rd[X.] 23). Es bedarf hier aber keiner weiteren Erörterung, ob aus § 162 Abs 1 Satz 4 [X.] ein ganz konkreter zeitlicher Zurechnungszusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des Unfalls und der Berücksichtigung der durch ihn verursachten Kosten gefordert werden kann.

Es ist jedenfalls nicht zu beanstanden, dass die Vertreterversammlung der [X.] im Rahmen ihrer Satzungsautonomie an einen solchen Zwei-Jahres-Zeitraum anknüpft, wenn sie in § 28 Abs 3 [X.] Satz 3 ihrer Satzung bestimmt, dass ein und derselbe Unfall in zwei verschiedenen Beitragsjahren bepunktet werden kann. Darüber hinaus beschränkt sie den Beobachtungszeitraum in § 28 Abs 3 [X.] der Satzung ermächtigungskonform auf das abgelaufene Beitragsjahr, sodass konsequenterweise auch bei der Mindestkostengrenze von 10 000 Euro nur die Ausgaben "jährlich nachträglich" berücksichtigt werden dürfen, die "für das abgelaufene (…) Beitragsjahr" und nicht lediglich periodenfremd "im" abgelaufenen Beitragsjahr "für" davorliegende Beitragsjahre aufgewendet wurden.

Mithilfe der Mindestkostengrenze und des Belastungspunktesystems der Satzung lässt sich die "Unfallschwere" iS des § 162 Abs 1 Satz 4 [X.] zuverlässig beurteilen, weil erhebliche Verletzungen regelmäßig höhere Kosten verursachen und somit ein tauglicher Indikator für die Schwere des Unfalls sind. Die Indikation der Unfallschwere gerade durch die angefallenen Kosten ist aber umso weniger aussagekräftig, je mehr periodenfremde Aufwendungen sich über längere Zeiträume aufsummieren, wie es hier der Fall war. Denn dann könnten auch leichte Unfälle mit vergleichbar niedrigen Rentenzahlbeträgen den Schwellenwert übersteigen, der dann infolge kumulierter, überjähriger Aufwendungen eine Unfallschwere anzeigen würde, die in Wirklichkeit - dh bei [X.]er Betrachtung - gar nicht vorliegt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Mindestkostengrenze statisch und nicht dynamisch ausgestaltet ist, dh sie bleibt auch bei der Einbeziehung der Aufwendungen aus mehreren Perioden (Beitragsjahren) starr und wächst nicht entsprechend mit. Sieht die Satzung somit keine Dynamisierung der Mindestkostengrenze um die Zahl der betrachteten [X.] vor, so ist sie im Lichte der Ermächtigungsnorm des § 162 Abs 1 Satz 4 [X.] vom [X.] zulässigerweise so auszulegen, dass nur solche Aufwendungen berücksichtigt werden sollen, die [X.] im jeweils betreffenden Beitragsjahr entstanden sind.

Für eine solche ermächtigungskonforme Auslegung der [X.] spricht schließlich auch, dass der Kostenbegriff nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (siehe zur Kosten- und Leistungsrechnung § 69 Abs 4 SGB IV) nur periodenrichtige Aufwendungen erfasst, während Nachzahlungen für abgeschlossene Leistungszeiträume als perioden- bzw zeitraumfremde Aufwendungen definitionsgemäß keine "Kosten", sondern neutraler Aufwand sind ([X.], Einführung in hierarchischen Modulen, Band 1, 1998, [X.]; [X.], Kosten- und Leistungsrechnung, 10. Aufl 2004, [X.], [X.]; [X.], Kostenrechnung 1, 13. Aufl 2008; [X.], Bilanzen, 2013, [X.]). Dies gewährleistet, dass sich verstärkte [X.] in absehbarer Zeit für den Unternehmer wirtschaftlich auswirken, und verhindert zugleich, dass die beabsichtigten ökonomischen Anreize leerlaufen, weil trotz verstärkter Bemühungen um eine größere Arbeitssicherheit Versicherungsfälle aus der ferner zurückliegenden Vergangenheit - aufgrund kumulativer Effekte - zu erheblich später verhängten [X.] führen. Denn nur eine möglichst zeitnahe Entscheidung darüber, ob und wie ein Arbeitsunfall zu berücksichtigen ist, führt zur Konzentration des [X.] auf das aktuelle Unfallgeschehen, schafft Rechtsklarheit, entlastet die Verwaltung und stärkt den Normzweck, die Prävention durch [X.] zu fördern ([X.], [X.], 17, 28).

I[X.] Für die Berechnung der Einzelbelastung ist nur ein Belastungspunkt für den im Beitragsjahr bekannt gewordenen Arbeitsunfall des Spielers S. zu berücksichtigen. Dieser Belastungspunkt führt zu einer Einzelbelastung von 0,0273, womit die [X.] von 0,92 unterschritten wird, die die Beklagte für alle Unternehmen der [X.] ermittelt hat, zu der die Klägerin veranlagt worden ist. Der Arbeitsunfall des Spielers S. ist mit einem Punkt zu bewerten, weil er der [X.] im Beitragsjahr 2010 bekannt geworden ist und im Gesamtjahreszeitraum Kosten iHv 10 816,89 Euro (Heilverfahren und sonstige Kosten) verursacht hat( § 28 Abs 3 [X.] Satz 2 Gliederungspunkt 1 der Satzung). Dieser Belastungspunkt führt zu einer Einzelbelastung von 0,0273, womit die [X.] von 0,92 zuschlagsfrei um [X.]{0,0273 - 0,92} x 100] : 0,92) wesentlich unterschritten wird. Zur Berechnung der Einzelbelastung werden nach § 28 Abs 3 [X.].1 Satz 1 der Satzung die Punkte jedes Unternehmens addiert (Belastungspunkte) und auf je 10 000 Euro Beitrag des Unternehmers für das Beitragsjahr bezogen. Für die Berechnung des Beitrags des Unternehmers im Beitragsjahr wird gemäß § 28 Abs 3 [X.] 3 der Satzung nur der Beitragsanteil herangezogen, der sich aus dem Umlagesoll für die Berufsgenossenschaft (§ 152 Abs 1 [X.]) ergibt. Dies führt unter Zugrundelegung eines Belastungspunkts zu einer Einzelbelastung von 0,0273 (= [1 x 10 000] : 366 248,13). Diese Einzelbelastungsziffer unterschreitet die [X.], die die Beklagte mit 0,92 errechnet hat, sodass keine wesentliche Abweichung iS des § 28 Abs 3 [X.] der Satzung vorliegt und damit eine [X.] entfällt.

Da der Arbeitsunfall des Spielers [X.] nicht zu berücksichtigen ist (soeben [X.]), steigt die Eigenbelastung der Klägerin nicht auf 1,3925 (= [51 x 10 000] : 366 248,13), sodass die [X.] von 0,92 nicht um 51,36 vH (= [{1,3925 - 0,92} x 100] : 0,92) überschritten und gemäß § 28 Abs 3 [X.] 1 Gliederungspunkt 1 der Satzung kein Zuschlag von [X.] (18 312,40 Euro) des Beitrags aufzuerlegen ist, der für das Beitragsjahr zu zahlen war. Ist somit der Verwaltungsakt über die Auferlegung des Beitragszuschlags materiell rechtswidrig und deshalb aufzuheben, kann auch das entsprechende Zahlungsgebot keinen Bestand haben.

II[X.] Da die Revision in vollem Umfang Erfolg hat, war auf das weitere Vorbringen der Klägerin - keine Anhörung des Spielers [X.] usw - nicht mehr einzugehen. Ebenso war der Hilfsantrag der [X.] auf Erlass einer Fortgeltungsanordnung nicht zu bescheiden, weil er - aufschiebend bedingt - nur für den Fall gestellt worden ist, dass der [X.] [X.] für rechtswidrig und damit nichtig hält. Folglich kann hier auch offenbleiben, ob die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überhaupt befugt wären, eine zeitlich befristete Fortgeltung rechtswidriger Satzungen anzuordnen. Der [X.] hat es zwar aus zwingenden Gründen ausnahmsweise zugelassen, gesetzes- oder verfassungswidrige Vorschriften einer Satzung für eine Übergangszeit weiter anzuwenden, wenn die Nichtanwendung der Norm zu untragbaren Ergebnissen führen würde, die von der gesetzes- und verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt sind als ein Zustand, bei dem es dem Betroffenen zugemutet wird, die Anwendung einer rechtswidrigen Norm für eine begrenzte Zeit hinzunehmen ([X.]e vom 4.12.2007 - [X.] U 36/06 R - [X.] 4-2700 § 182 [X.] Rd[X.]9 f und vom 7.12.2004 - [X.] U 43/03 R - [X.], 38, 46 = [X.] 4-2700 § 182 [X.] Rd[X.]8). An dieser Rechtsprechung bestehen allerdings Zweifel, weil es für die Anordnung der übergangsweisen Weitergeltung einer Satzungsnorm durch das BSG keine Rechtsgrundlage gibt (vgl schon [X.] vom 4.12.2014 - [X.] U 11/13 R - [X.], 9 = [X.] 4-2700 § 161 [X.], Rd[X.] 28 ff; dazu auch BVerwG Urteil vom 27.11.2019 - 9 C 4/19 - HFR 2020, 314 Rd[X.] 20).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 154 Abs 1 VwGO.

Meta

B 2 U 13/18 R

23.06.2020

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Landshut, 11. Dezember 2014, Az: S 9 U 339/11, Gerichtsbescheid

§ 162 Abs 1 S 3 SGB 7, § 162 Abs 1 S 4 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.06.2020, Az. B 2 U 13/18 R (REWIS RS 2020, 2512)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2512

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