Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.07.2017, Az. 4 StR 415/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8448

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Gegenstand

Strafverurteilung von Rasern wegen fahrlässiger Tötung: Voraussetzungen einer Strafaussetzung zur Bewährung


Tenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 14. April 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die gegen die Angeklagten erkannten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten [X.]eils wegen fahrlässiger Tötung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren ([X.]    ) sowie einem Jahr und neun Monaten ([X.]) verurteilt; die Vollstreckung beider Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es gegen beide Angeklagte Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Hiergegen richten sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft. Die vom [X.] vertretenen Rechtsmittel, die [X.]eils auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt werden, erzielen den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Die Revisionen der Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 6. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 [X.] verworfen.

I.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:

3

Am 14. April 2015 fuhren die Angeklagten mit von ihnen geführten Pkw - [X.]     mit einem [X.], [X.]mit einem [X.] Cabrio 280SL - in [X.] in Richtung der [X.]. Auf dem Weg dorthin hatten sie bereits mehrere Fahrzeuge mit überhöhter Geschwindigkeit überholt. Nach einem Halt an einer Lichtzeichenanlage „schossen“ sie ([X.]) mit überhöhtem Tempo - [X.]     voran - rechts an dem auf der [X.] fahrenden Kraftfahrzeug eines Zeugen vorbei. An der nächsten Lichtzeichenanlage kam der von [X.]gefahrene [X.] dicht hinter dem [X.] des Angeklagten [X.]     zum Stehen. Während der Wartezeit spielten die Angeklagten [X.]eils mit Gaspedal und Bremse, ließen die Motoren aufheulen und rückten Stück für Stück vor. Als die Ampel auf Grün umsprang, gab [X.]     massiv Gas und bog mit quietschenden Reifen nach rechts in den [X.]  weg ab, dicht gefolgt von [X.]. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 50 km/h, das Überholen war durch Zeichen 276 (Anlage 2 zu § 41 [X.]) verboten.

4

Ohne dies explizit vor ihrer Abfahrt abgesprochen zu haben, entstand zwischen den beiden Angeklagten spätestens jetzt ein „Kräftemessen“, bei dem jeder der beiden dem anderen seine überlegene Fahrkunst und die Leistung seines Fahrzeugs demonstrieren wollte; beide wollten möglichst hohe Geschwindigkeiten erzielen und vor dem anderen am Ziel ankommen. Dabei war ihnen bewusst, dass ihre riskante Fahrweise geeignet war, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden und in einen Unfall - auch mit unbeteiligten [X.] - münden konnte ([X.]). Sie vertrauten jedoch in Überschätzung ihrer Fähigkeiten als Fahrzeugführer darauf, es werde schon nichts passieren. Um diese [X.] (18.45 Uhr) herrschte auf dem [X.]  weg ein relativ geringes Verkehrsaufkommen. Der an erster Stelle fahrende [X.]    beabsichtigte, vor [X.]zu bleiben und diesen auch bis zu ihrem Ziel - den noch etwa 1.200 bis 1.500 Meter entfernten [X.] - nicht überholen zu lassen. Nach dem „Blitzstart“ an der Ampel erhöhte er seine Geschwindigkeit immer weiter. [X.]hatte jedoch beim Anfahren an der Ampel ebenfalls Gas gegeben, hielt mit [X.]     mit und bedrängte diesen, indem er sehr dicht auffuhr. [X.]     gab weiter Gas. Mit stark überhöhter Geschwindigkeit und eng hintereinander fahrend erreichten sie die erste, weit gezogene Linkskurve. Eine Zeugin, die gerade ihr Fahrrad über die Straße geschoben hatte, erschrak, als sie sah, wie die Angeklagten „Stoßstange an Stoßstange“ und leicht versetzt, wie bei einem „[X.]“, an ihr „vorbeirauschten“ ([X.]). Eine weitere Zeugin, die ihnen auf Höhe der zweiten, ebenfalls weit gezogenen Linkskurve joggend auf der rechten Seite entgegenkam, bekam Angst, als sie die Angeklagten „tänzelnd“, sehr schnell „wie ein Ball“ auf sich „zujagen“ sah ([X.]). Sie nahm ein Spielen mit dem Gaspedal und laute Musik wahr. Sie wähnte sich in großer Gefahr, da sie befürchtete, die Angeklagten würden aufgrund der hohen Geschwindigkeit die Kurve nicht mehr nehmen können und sie überfahren.

5

Auch [X.]     befürchtete inzwischen, die Kurve in diesem Tempo nicht mehr befahren zu können, bremste aber aus Angst, [X.]würde aufgrund des geringen Abstandes mit dem [X.] auffahren, nicht ab. Es gelang ihm gerade noch, die Kurve zu durchfahren. Hierbei erreichte er eine Geschwindigkeit von etwa 95 km/h; die Kurvengrenzgeschwindigkeit lag an dieser Stelle bei etwa 98 km/h. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit geriet der von [X.]     gefahrene [X.] ausgangs der Kurve ins „Driften“, zuerst nach rechts, anschließend nach links, wobei er die Mittellinie überfuhr, und anschließend wieder zurück nach rechts. Mit einer Geschwindigkeit von 73 bis 83 km/h stieß der [X.] mit dem rechten Hinterrad an die rechtsseitige Bordsteinkante. Anschließend brach er nach links aus und schleuderte in einer linksdrehenden Rotationsbewegung über die gesamte Fahrbahnbreite. Der Pkw schlitterte über die Gegenfahrbahn auf den - in Fahrtrichtung links verlaufenden - Radweg zu und überfuhr die dortige Bordsteinkante. Auf dem Radweg erfasste er die dort mit [X.] fahrende 19jährige Studentin     S.    ; das Fahrrad kollidierte nahezu im rechten Winkel mit der Beifahrerseite des [X.]. Die Kollisionsgeschwindigkeit betrug zu diesem [X.]punkt 48 bis 55 km/h.     S.     und [X.] wurden in das neben dem Weg wachsende Gebüsch geschleudert; sie kam dort zum Liegen. Der [X.] schlitterte zurück auf den Radweg, begrub einen Stromkasten unter sich und kam schließlich entgegen seiner ursprünglichen Fahrtrichtung stark beschädigt zum Stehen.

6

    S.     wurde umgehend zur intensivmedizinischen Versorgung in die Universitätsklinik [X.]gefahren; sie verstarb trotz zeitnaher operativer Versorgung an den Folgen eines zentralen Regulationsversagens.

7

2. Das [X.] hat die Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB verurteilt. Beide Angeklagte hätten entgegen § 29 Abs. 1 [X.] ein verbotenes Rennen gefahren und die zulässige Höchstgeschwindigkeit unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 [X.] „massiv“ ([X.]) bzw. „weit“ ([X.]) überschritten; [X.]habe darüber hinaus gegen das in § 4 [X.] normierte Abstandsgebot verstoßen.

8

Die [X.] hat die Angeklagten zu den eingangs genannten Freiheitsstrafen verurteilt und bei deren Bemessung auch dem Strafzweck der Generalprävention „Beachtung geschenkt“; sie ist nämlich von einer gemeinschaftsgefährlichen Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten im [X.]er Stadtgebiet ausgegangen.

9

Die Vollstreckung beider Freiheitsstrafen hat das [X.] zur Bewährung ausgesetzt. Es hat beiden Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt (§ 56 Abs. 1 StGB), das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB bejaht und ferner gemeint, die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete es nicht, den Angeklagten die Strafaussetzung zur Bewährung zu versagen (§ 56 Abs. 3 StGB). Außerdem hat es Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet.

II.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft erweisen sich teilweise als begründet.

1. Die Rechtsmittel sind wirksam auf den [X.]eiligen Strafausspruch beschränkt (§ 344 Abs. 1 [X.]).

Die Beschwerdeführerin hat zwar einen unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Jedoch hält sie das Urteil nur deshalb für fehlerhaft, weil das [X.] die Angeklagten [X.]eils zu einer zu niedrigen Freiheitsstrafe verurteilt und diese rechtsfehlerhaft zur Bewährung ausgesetzt habe.

Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung, ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 [X.] das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 11. Juni 2014 - 2 [X.], [X.], 285, vom 22. Februar 2017 - 5 StR 545/16 und vom 26. April 2017 - 2 StR 47/17). Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung hat die Beschwerdeführerin deutlich zu erkennen gegeben, dass sie sich allein gegen die Strafaussprüche wendet und mit ihren Rechtsmitteln nicht die Schuld- und Maßregelaussprüche angreifen will.

2. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleiben im Ergebnis ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die - nach Auffassung der Beschwerdeführerin zu geringe - Höhe der gegen die Angeklagten verhängten Freiheitsstrafen wenden.

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage seines umfassenden Eindrucks von der Tat und der Persönlichkeit des [X.] die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. In die [X.] des Tatgerichts kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des § 337 Abs. 1 [X.] vorliegen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist dagegen ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 25. April 2017 - 1 StR 606/16 mwN). Dem Revisionsgericht ist es verwehrt, seine eigene Wertung an die Stelle des Tatgerichts zu setzen; vielmehr muss es die von ihm vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen ([X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, [X.], 105, 106).

b) Hieran gemessen weist die Festsetzung der gegen die Angeklagten verhängten Freiheitsstrafen keine Rechtsfehler auf.

aa) Das gilt zunächst, soweit die Beschwerdeführerin und der [X.] meinen, dass die „Kürze der Rennstrecke“ und ein „Augenblicksversagen“ (so der [X.] in seiner Terminszuschrift vom 23. Dezember 2016) nicht als strafmildernde Gesichtspunkte hätten berücksichtigt werden dürfen. Von einem „Augenblicksversagen“ ist das [X.] nicht ausgegangen ([X.]). Im Übrigen hängt die Frage, ob ein einzelner Umstand zumessungserheblich und die ihm vom Tatrichter beigelegte [X.] vertretbar ist, insbesondere nicht davon ab, ob die [X.] diesen Umstand positiv oder negativ umschreiben. Dies kann vielmehr nur nach Lage des Einzelfalls beurteilt werden (st. Rspr.; vgl. nur [X.] - [X.]er Senat für Strafsachen -, Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 349 f.). Daran gemessen begegnet auch die Erwägung zur „Kürze der Rennstrecke“ keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das [X.] ausweislich der getroffenen Feststellungen das gesamte Fahrverhalten der Angeklagten im Blick hatte.

bb) Im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das [X.] davon abgesehen, das Nachtatverhalten des Angeklagten [X.]- seine Äußerungen und seine unangemessene Sorge um sein Fahrzeug an der Unfallstelle - strafschärfend heranzuziehen; mit Blick auf den Umstand, dass [X.]nicht der unmittelbare Verursacher des tödlichen Unfalls war, ist der Schluss der [X.] auf eine fehlende rechtsfeindliche Einstellung vertretbar.

cc) Es kann dahinstehen, ob das [X.] bei seiner Strafzumessung mit Recht davon ausgegangen ist, [X.]     habe durch die Fahrt (lediglich) zwei und [X.]drei Ordnungswidrigkeiten begangen. Der Senat schließt aus, dass die [X.] einer etwaigen Verwirklichung weiterer Ordnungswidrigkeitentatbestände - insbesondere fuhren beide Angeklagte Fahrzeuge, deren [X.] erloschen waren - zusätzliche strafschärfende Bedeutung beigemessen hätte, da die Anzahl der Verkehrsverstöße nur einer von mehreren Gesichtspunkten war, die das [X.] zur Begründung des zu Recht angenommenen hohen Maßes der Pflichtwidrigkeit herangezogen hat.

dd) Im Übrigen erschöpft sich der Vortrag der Revisionsführerin in dem Versuch, mit eigenen Wertungen die Strafzumessung des [X.]s durch eine eigene zu ersetzen; damit kann sie im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Insbesondere hat die [X.] das besonders hohe Maß der Leichtfertigkeit rechtsfehlerfrei in die Bemessung der Strafen eingestellt. Außerdem hat sie bei beiden Angeklagten dem hier relevanten Aspekt der Generalprävention wegen der signifikanten Zunahme tödlicher Verkehrsunfälle aufgrund deutlich überhöhter Geschwindigkeit im Stadtgebiet von [X.] und an anderen Orten bei der Strafzumessung Rechnung getragen und strafschärfend berücksichtigt.

3. Mit Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft indes die Aussetzung der Vollstreckung der beiden Freiheitsstrafen zur Bewährung.

Nicht anders als die Strafzumessung ist auch die Entscheidung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, grundsätzlich Sache des Tatrichters (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 26. April 2007 - 4 [X.], [X.], 232, 233, und vom 21. Februar 2001 - 1 [X.], [X.], 366, 367). Wird eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt, müssen die Urteilsgründe in einer der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Weise die dafür maßgebenden Gründe angeben (§ 267 Abs. 3 Satz 4 [X.]). Dabei reichen formelhafte Wendungen oder die Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht aus (vgl. [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 267 Rn. 110 mwN).

a) Allerdings hat das [X.] beiden Angeklagten rechtsfehlerfrei eine positive Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB gestellt. Es hat hierbei im Wesentlichen auf die [X.] Eingliederung, den Schulabschluss und die berufliche Perspektive der Angeklagten abgestellt. [X.]sei nicht vorbestraft, [X.]     „nicht besonders gewichtig“ wegen einer schon länger zurückliegenden Tat. [X.]     sei durch das Verfahren, dem ein außergewöhnlich großes Medieninteresse zuteil geworden sei, sichtlich beeindruckt; er habe durch sein Geständnis rückhaltlos die Verantwortung für die Tat übernommen. Beiden Angeklagten sei eine Zugehörigkeit zur sog. Raserszene nicht nachzuweisen.

b) Sowohl die Annahme des [X.]s, es lägen bei beiden Angeklagten besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vor, als auch die Wertung, die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete nicht die Vollstreckung der Strafen (§ 56 Abs. 3 StGB), weisen jedoch - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen [X.] (vgl. dazu [X.], Urteil vom 13. Juli 2016 - 1 StR 128/16) - durchgreifende Rechtsfehler auf.

aa) Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des Unrechts- und [X.], der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen. Dazu können auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen waren. Wenn auch einzelne durchschnittliche Milderungsgründe eine Aussetzung nicht rechtfertigen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB jedoch keine „ganz außergewöhnlichen“ Umstände. Vielmehr können sich dessen Voraussetzungen auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben ([X.], Beschluss vom 29. Juli 1988 - 2 StR 374/88, [X.]R StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 7). Die besonderen Umstände müssen allerdings umso gewichtiger sein, je näher die Freiheitsstrafe an der Zweijahresgrenze liegt (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2016 - 4 StR 487/15, NJW 2016, 2349, 2351; [X.], StGB, 64. Aufl., § 56 Rn. 24). Bei der Prüfung ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen. Eine erschöpfende Darlegung aller Erwägungen ist weder möglich noch geboten; nachprüfbar darzulegen sind lediglich die wesentlichen Umstände. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts; das Revisionsgericht hat dessen, ganz maßgeblich auf dem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck beruhende Wertungen bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 12. Juni 2001 - 5 [X.], [X.], 676; vom 28. Mai 2008 - 2 [X.], [X.], 276; vom 16. April 2015 - 3 [X.] und vom 26. April 2017 - 2 StR 47/17).

Auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab begegnet die Annahme besonderer Umstände indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das [X.] hat rechtsfehlerhaft im Wesentlichen keine über die bereits bei der Legalprognose herangezogenen Aspekte hinausgehenden Umstände berücksichtigt; seine Ausführungen schließen mit der Erwartung, dass die Angeklagten nicht erneut straffällig werden. Das genügt den aufgezeigten Anforderungen nicht. Vielmehr lässt dies besorgen, dass die [X.] bereits das Vorliegen einer günstigen Legalprognose als solcher einem besonderen Umstand gleichgestellt hat.

Soweit die [X.] darüber hinaus - ausdrücklich nur bei [X.]     - „schließlich“ berücksichtigt hat, „dass es sich um ein ungeplantes [X.] gehandelt“ habe, lässt dies wesentliche, der Ermessensentscheidung zugrunde zu legende Tatsachen aus. Nach den Feststellungen handelte es sich nämlich um eine bewusste Gefahrschaffung, auch dokumentiert durch die aggressive Fahrweise im Vorfeld der Kollision; darüber hinaus verstießen die Angeklagten vorsätzlich jedenfalls gegen das [X.] in § 29 Abs. 1 [X.] (vgl. dazu, dass der Verstoß gegen § 29 Abs. 1 [X.] „praktisch“ nur vorsätzlich begangen werden kann, die Einordnung dieser Ordnungswidrigkeit als Nr. 248 in Abschnitt II des Bußgeldkatalogs sowie König in [X.]/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 29 [X.] Rn. 11). Dieser Umstand gibt der Tat ihr wesentliches Gepräge und durfte bei der Bewährungsentscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB nicht außer Acht bleiben.

bb) Auch die Begründung, mit der das [X.] die Frage verneint hat, ob die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen gebietet, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.

Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56 Abs. 3 StGB nur versagt werden, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte ([X.], Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 [X.], [X.]St 24, 40, 46; Beschluss vom 21. Januar 1971 - 4 StR 238/70, [X.]St 24, 64, 66, [X.]. zu § 23 Abs. 3 StGB aF). Dies darf freilich einerseits nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 24. April 1997 - 4 [X.], [X.], 260 [[X.]], und vom 27. September 2012 - 4 StR 255/12, [X.], 40, 41). Andererseits gibt es entgegen der Auffassung des [X.]s keine „Regel“, wonach bei Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB die Verteidigung der Rechtsordnung nach § 56 Abs. 3 StGB der Strafaussetzung nicht entgegensteht. Dem widerstreitet schon die Systematik des § 56 StGB, der in Absatz 3 gerade für den Fall einen Versagungsgrund vorsieht, in dem - neben der günstigen Legalprognose - besondere Umstände für eine Strafaussetzung zur Bewährung sprechen. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Gesichtspunkte; die Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung gebietet, ist deshalb unter allseitiger Würdigung von Tat und Täter zu entscheiden (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Januar 1971 - 4 StR 238/70, [X.]St 24, 64, 69; Urteil vom 17. März 1994 - 4 StR 4/94, [X.], 336), wobei generalpräventiven Erwägungen Bedeutung zukommt ([X.], Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 [X.], [X.]St 24, 40, 45 mit Nachw. aus der Gesetzgebungsgeschichte; abw. [X.] in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 56 Rn. 42 mwN). Auf das dem [X.]eiligen Fall entgegengebrachte Medieninteresse kommt es dabei nicht an.

Eine solche allseitige Würdigung findet sich im angefochtenen Urteil nicht. Vielmehr werden vom [X.] auch hier wesentliche - zuvor festgestellte - Gesichtspunkte nicht erörtert. Die [X.] rückt das Vorliegen eines [X.]s in den Vordergrund, spricht von einem „spontane(n) Fehlversagen [...] im Zusammenspiel mit einer Selbstüberschätzung eigener Fahrfertigkeiten und einer Fehleinschätzung der Beherrschbarkeit“ der Fahrzeuge und betont abschließend, dass eine Zugehörigkeit zur sog. Raserszene nicht erwiesen sei.

Dies verfehlt den aufgezeigten rechtlichen Maßstab und schöpft wesentliche Elemente des zuvor festgestellten Sachverhalts nicht aus: Insbesondere der Umstand, dass die Angeklagten die - zum Tod von     S.     führenden - Gefahren bewusst geschaffen haben, ist innerhalb von § 56 Abs. 3 StGB von maßgeblicher Bedeutung ([X.], [X.], 246, 247 f. in Abgrenzung zu einer „bloßen“ Überschätzung der eigenen Fähigkeiten; vgl. auch [X.], Blutalkohol 15, 62). Auch die äußerst aggressive Fahrweise der Angeklagten bereits vor der eigentlichen Kollision wird von der [X.] nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung einbezogen (vgl. [X.], [X.], 321). Bei [X.]werden die verschiedenen Voreintragungen im Fahreignungsregister - bis hin zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 58 km/h - nur formelhaft erwähnt (vgl. [X.], [X.], 467 für Fälle der „verantwortungslosen Raserei“). Stattdessen greift das [X.] erneut auf Umstände zurück, die es bereits zur Bejahung der günstigen Prognose herangezogen hat. Eine Beantwortung der Frage, ob durch die Entscheidung die Rechtstreue einer über die Besonderheiten des Einzelfalls aufgeklärten Bevölkerung beeinträchtigt wird und die Strafaussetzung von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte, erfolgt nicht. Dies lag jedoch schon angesichts der festgestellten Häufung von Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang aufgrund überhöhter Geschwindigkeit in [X.] und anderswo (vgl. auch BT-Drucks. 18/10145) nahe.

Sost-Scheible     

       

Cierniak     

       

Franke

       

Quentin     

       

Feilcke     

       

Meta

4 StR 415/16

06.07.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 14. April 2016, Az: 117 KLs 19/15

§ 56 Abs 2 StGB, § 56 Abs 3 StGB, § 222 StGB, § 29 Abs 1 StVO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.07.2017, Az. 4 StR 415/16 (REWIS RS 2017, 8448)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3011 REWIS RS 2017, 8448

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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