Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.02.2015, Az. VI ZR 279/14

6. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 15096

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Gegenstand

Schadensersatzklage eines deutschen Kraftfahrzeughalters nach Verkehrsunfall in Belgien: Teilurteil bei fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage gegen einen einfachen Streitgenossen; Direktklage gegen die ausländische Kfz-Haftpflichtversicherung am Wohnsitz des Geschädigten und internationale Zuständigkeit für eine Klage gegen den Versicherten oder Versicherungsnehmer


Leitsatz

1. Ist eine Klage gegen mehrere einfache Streitgenossen erhoben worden und fehlt es bezüglich eines von ihnen an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, kann er durch Teilurteil aus dem Prozess entlassen werden.

2. Nach Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO kann der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (Anschluss an BGH, 6. Mai 2008, VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276).

3. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnet trotz Konnexität mit der Klage gegen den Versicherer diesen Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers nicht für eine Klage gegen den Versicherten oder Versicherungsnehmer, wenn dieser gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem des Kläger hat. Die durch den sogenannten "Ankerbeklagten" vermittelte internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO kann nur auf dessen Wohnsitzgerichtsstand (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO) gestützt werden.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 18. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Ersatz materiellen Schadens aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 10. Dezember 2011 auf der Autobahn [X.] in [X.] ereignete. Der in [X.] wohnhafte Kläger ist Halter und Fahrer des unfallbeteiligten PKW [X.], die Beklagte zu 1 (im Folgenden Beklagte) ist Fahrerin des ebenfalls unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges und wohnt in [X.]. Ihr Kraftfahrzeug ist bei der an den Rechtsmittelverfahren nicht beteiligten [X.] zu 2 haftpflichtversichert. Dieser Haftpflichtversicherer hat seinen Sitz in [X.].

2

Kläger und Beklagte fuhren mit ihren Fahrzeugen auf der Autobahn Richtung [X.], auf der mittleren Fahrspur fuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug der [X.] auf. Es ist streitig, ob ein zuvor erfolgter Spurwechsel der [X.] seinen Abstand zu ihr derart verkürzte, dass das Auffahren nach einer Bremsung der [X.] für den Kläger trotz einer Vollbremsung nicht zu vermeiden war.

3

Das Amtsgericht hat mit Zwischenurteil vom 15. August 2013 festgestellt, dass die Klage gegen die Beklagte mangels örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Gerichts unzulässig sei. Das [X.] hat mit Urteil vom 18. Juni 2014 die Berufung des [X.] gegen das Zwischenurteil mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass es sich um ein Teilurteil handele, dessen Tenor laute, dass die Klage gegen die Beklagte abgewiesen werde, und hat die Revision zugelassen.

4

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Verurteilung der [X.] als Gesamtschuldnerin mit dem erstinstanzlich beklagten Haftpflichtversicherer in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht führt aus, dass es sich entgegen der Bezeichnung des amtsgerichtlichen Urteils bei der verkündeten Entscheidung um ein Endurteil in Form eines Teilurteils und nicht um ein Zwischenurteil handele. Stelle sich - wie im Streitfall - im Rahmen einer gemäß § 280 Abs. 1 ZPO abgesonderten Verhandlung über die Zulässigkeit einer Klage heraus, dass sie nicht zulässig sei, so sei sie durch Endurteil als unzulässig abzuweisen. Die fehlerhafte Bezeichnung des Urteils als Zwischenurteil hindere indes seine Bindungswirkung und die [X.] der Berufung nicht. Die Klage sei unzulässig, da das angerufene Gericht international nicht zuständig sei. Für die gegen die Beklagte gerichtete Klage sei in [X.] kein Gerichtsstand begründet. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten liege gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.] L 12 vom 16. Januar 2001, [X.], in der bis zum 9. Januar 2015 geltenden Fassung, im Folgenden [X.]) in [X.], da dort ihr Wohnsitz sei. Besondere Gerichtsstände in der Bundesrepublik [X.] seien nicht einschlägig. In Bezug auf die ebenfalls beklagte Haftpflichtversicherung greife zwar gemäß Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. [X.] ein besonderer Gerichtsstand ein, demzufolge die Versicherung zulässigerweise in [X.] verklagt werden könne. Die Norm finde jedoch auf die Beklagte als Fahrerin des unfallbeteiligten PKW keine Anwendung. Die inländischen Gerichte seien auch nicht wegen des engen Sachzusammenhangs mit der Klage gegen die Beklagte zu 2 gemäß Art. 6 Nr. 1 [X.] international zuständig. Die Voraussetzungen dieser Zuständigkeitsregelung seien nicht erfüllt. Die Norm setze nach ihrem Wortlaut voraus, dass der Wohnsitz eines der Beklagten an dem zu begründenden Gerichtsstand liegen müsse. Dies sei hier nicht der Fall. Die Beklagte wohne in [X.], die Beklagte zu 2 habe ihren Sitz ebenfalls in [X.]. Es gebe keinen Anlass, die Norm entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut auf andere Gerichtsstände als den allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes zu erstrecken.

II.

6

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klage habe durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen werden dürfen.

7

1. Gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht die Endentscheidung durch Teilurteil zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs zur Endentscheidung reif ist. § 301 ZPO dient der Beschleunigung, soll aber auch die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Entscheidung in ein und demselben Rechtsstreit gewährleisten (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1999 - [X.], [X.], 734 f.). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist; dabei ist auch die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung durch ein Rechtsmittelgericht zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 29. März 2011 - [X.], [X.], 79 Rn. 15; [X.], Urteile vom 17. Januar 2012 - [X.], [X.]Z 193, 60 Rn. 8; vom 7. November 2006 - [X.], [X.], 539; Beschluss vom 7. Juli 2010 - [X.], [X.], 2410 Rn. 13). Eine solche Gefahr besteht in der Regel bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen ihnen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind (vgl. Senatsurteil vom 29. März 2011 - [X.], [X.], 79 Rn. 16). Eine materiell-rechtliche Verzahnung kann bei subjektiver Klagehäufung, aber auch bei objektiver Häufung inhaltlich zusammenhängender Anträge auftreten (vgl. [X.], Urteil vom 28. November 2003 - [X.], [X.]Z 157, 133, 143). Ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen ist daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Über ein Prozessrechtsverhältnis darf deshalb nicht vorab durch Teilurteil entschieden werden, wenn eine gemeinsame Beweisaufnahme in Betracht kommt (vgl. [X.], Urteile vom 17. Januar 2012 - [X.], [X.]Z 193, 60 Rn. 8; vom 19. Dezember 2002 - [X.], [X.], 594 f.). Zwar muss gegenüber einfachen Streitgenossen grundsätzlich keine einheitliche Entscheidung getroffen werden. Eine Teilentscheidung ist aber nur zulässig, wenn sie unabhängig von der Entscheidung über den restlichen Verfahrensgegenstand ist ([X.], Urteil vom 13. Oktober 2008 - [X.], [X.], 230 Rn. 8).

8

Eine materiell-rechtliche Verzahnung, die einem Teilurteil entgegenstehen kann, kommt bei der Klage gegen Versicherungsnehmer und Haftpflichtversicherer, die im Verhältnis untereinander einfache Streitgenossen sind (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juli 1974 - [X.], [X.]Z 63, 51, 52 ff.), regelmäßig dann in Betracht, wenn um den [X.] gestritten wird. Eine solche Verzahnung hindert nicht stets den Erlass eines Teilurteils, insbesondere dann nicht, wenn die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit nicht gegen alle Streitgenossen zulässig ist. Dann besteht in aller Regel ein rechtlich anzuerkennendes Bedürfnis, den Streitgenossen, bezüglich dessen die Klage bereits unzulässig ist, durch Teilurteil aus dem Prozess zu entlassen (vgl. [X.], Urteil vom 27. September 2013 - [X.], [X.] 2014, 16 Rn. 2, 8 ff.; Dressler in [X.] ZPO, § 61 Rn. 11 [Stand 1. Januar 2013]; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 3. Aufl. § 301 Rn. 31).

9

2. So verhält es sich im Streitfall, weil das Berufungsgericht die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte für die Klage gegen die Beklagte zu Recht verneint hat.

a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich hier nach der schon zitierten Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 ([X.]), nachdem die Klage nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung am 1. März 2002 erhoben (vgl. Art. 76, 66 Abs. 1 [X.]) und der sachliche und räumliche Geltungsbereich der Verordnung (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 3 [X.]) im Verhältnis der Bundesrepublik [X.] zu [X.] als Mitgliedstaat eröffnet ist. Die sie ersetzende Verordnung ([X.]) Nr. 1215/2012 des [X.] und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.] 2012, [X.] L. 351 vom 20. Dezember 2012, [X.]) gilt gemäß deren Art. 81 Satz 2, Art. 66 Abs. 1 erst für diejenigen Klagen, welche ab dem 10. Januar 2015 erhoben wurden.

b) Die Beklagte, die [X.] des hier klagenden Geschädigten, hat ihren Wohnsitz in [X.]. Auch die [X.] Beklagte zu 2, ihr Haftpflichtversicherer, hat den Sitz in [X.].

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte für die Klage gegen die Beklagte zu 2 gegeben sein kann. Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteil vom 13. Dezember 2007 - [X.]/06, [X.]. 2007, [X.] - [X.]/Odenbreit), der der erkennende Senat gefolgt ist, kann nach Art. 11 Abs. 2 [X.] i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. [X.] der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat (vgl. Senatsurteil vom 6. Mai 2008 - [X.], [X.]Z 176, 276 Rn. 3, 5).

Für die Klage gegen die zu 1 beklagte [X.] und Versicherungsnehmerin sind dagegen gemäß Art. 2 Abs. 1 [X.] grundsätzlich die Gerichte ihres Wohnsitzstaates, also die [X.] Gerichte, international zuständig. Nach Art. 3 Abs. 1 [X.] können Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des zweiten Kapitels der [X.] verklagt werden. Zu den Regelungen, die eine Klage vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats zulassen, gehört auch Art. 6 Nr. 1 [X.]. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, verklagt werden, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.

Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht aber zu Recht davon ausgegangen, dass über diese Regelung des Mehrparteiengerichtsstandes (vgl. dazu [X.]/v. [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 6 [X.] Rn. 4) bzw. des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft (vgl. [X.] in derselbe/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 6 Rn. 3) keine Zuständigkeit der [X.] Gerichte für die Klage gegen die Beklagte begründet wird, selbst wenn die gemäß Art. 6 Nr. 1 [X.] erforderliche [X.] beider Klagen gegeben sein sollte. Nach seinem Wortlaut setzt Art. 6 Nr. 1 [X.] voraus, dass mindestens einer der mehreren Beklagten seinen Wohnsitz am Ort des Gerichts hat. Das ist im Streitfall nicht gegeben. Eine allein mit der [X.] begründete erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dahingehend, dass es für die Annexzuständigkeit genügt, dass ein Mitbeklagter oder Streitgenosse aufgrund einer anderen Gerichtsstandsregelung als der allgemeinen des Art. 2 Abs. 1 [X.], nämlich einer Regelung eines besonderen Gerichtsstandes, seinen Gerichtsstand am Wohnsitzgericht des [X.] hat, kommt nicht in Betracht (allg. Ansicht, vgl. dazu grundsätzlich [X.]/v. [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 6 [X.] Rn. 12; [X.] in [X.], ZPO, 30. Aufl., Art. 6 [X.] Rn. 2; [X.] Prütting/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl., Art. 6 [X.]GVO Rn. 3; Wagner in [X.], ZPO, 22. Aufl., Art. 6 [X.] Rn. 8, 15 f.; speziell für den Fall der Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer am Wohnsitzgericht des [X.] [X.] in Stiefel/[X.], Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., [X.] Rn. 112; [X.], [X.]. 2011, 91, 94; [X.]/[X.], [X.], 2249, 2253; Nugel, [X.] 13/2013 [X.]. 3 zu [X.], [X.], 194). Die Zuständigkeit für die Klage gegen den sogenannten "Ankerbeklagten" muss sich auf dessen Wohnsitz stützen (vgl. Wagner, aaO, Rn. 15; [X.], aaO, Rn. 3).

Dies ergibt sich aus dem - schon angeführten - klaren Wortlaut von Art. 6 Nr. 1 [X.] und steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des [X.] zur Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften. Danach sind die Vorschriften der genannten Verordnung autonom unter Berücksichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzungen auszulegen ([X.], Urteil vom 13. Juli 2006 - [X.]/05, [X.]. 2006, [X.] Rn. 29 - [X.]). Ausgangspunkt dieser Auslegung sind die Erwägungsgründe der [X.], die - soweit für den Streitfall von Bedeutung - wie folgt lauten:

"(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist...

(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(15) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen ..."

Sie gebieten, die besonderen Zuständigkeitsregelungen, zu denen auch Art. 6 [X.] gehört (vgl. Art. 3 Abs. 1 [X.]), eng auszulegen; eine Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen Fälle hinaus ist unzulässig (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2006 - [X.]/05, [X.]. 2006, [X.] Rn. 23 - [X.]; vom 11. Oktober 2007 - [X.]/06, [X.]. 2007, [X.] Rn. 35 - [X.]; speziell zu Art. 6 Nr. 1 [X.], Urteil vom 11. April 2013 - [X.]/11, [X.], 1661 Rn. 41 - [X.] u.a.; vom 22. Mai 2008 - [X.]/06, [X.]. 2008, [X.] Rn. 28 - Glaxosmithkline; vom 1. Dezember 2011 - [X.]/10, [X.]. 2011, [X.] Rn. 74 - Painer/Standard). Laut dem Erwägungsgrund Nr. 11 der [X.] müssen die Zuständigkeitsvorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz der Beklagten richten ([X.], Urteil vom 11. Oktober 2007 - [X.]/06, [X.]. 2007, [X.] Rn. 36 - [X.]). Die in Art. 2 [X.] vorgesehene Zuständigkeit, d.h. die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, stellt den allgemeinen Grundsatz dar und besondere Zuständigkeitsregelungen in Abweichung von diesem Grundsatz sieht die Verordnung nur für abschließend aufgeführte Fälle vor (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2006 - [X.]/05, [X.]. 2006, [X.] Rn. 22 - [X.]). Der Charakter eines allgemeinen Grundsatzes in Art. 2 [X.] erklärt sich daraus, dass diese Zuständigkeitsregel dem Beklagten normalerweise die Verteidigung erleichtert. Infolgedessen können die von diesem allgemeinen Grundsatz abweichenden [X.] nicht zu einer Auslegung führen, die über die in dem Übereinkommen vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. [X.], Urteil vom 17. Juni 1992 - [X.]/91, [X.]. 1992, [X.] [X.] - [X.]/[X.] zu der im Wesentlichen gleichlautenden Regelung in Art. 2 EuGVÜ).

Gemessen daran würde die Begründung des Mehrparteiengerichtsstandes des Art. 6 Nr. 1 [X.] über die besondere Zuständigkeit in [X.] gemäß Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. [X.] dem Versicherten oder Versicherungsnehmer den Schutz nehmen, den diese Verordnung mit dem allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeit des Wohnsitzgerichtes verbunden mit dem abschließenden Katalog der besonderen Zuständigkeiten gewähren will. Für den Versicherten bzw. Versicherungsnehmer wäre nicht zuverlässig vorhersehbar, welche Gerichte für eine gegen ihn gerichtete Klage international zuständig wären. Die Systematik der Verordnung würde beeinträchtigt, ließe man zu, dass eine Zuständigkeit nach Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. [X.], bei der es sich um eine besondere Zuständigkeit handelt, die auf abschließend aufgeführte Fälle beschränkt ist, als Grundlage für eine Zuständigkeit für andere Klagen dienen könnte (vgl. zu Art. 5 und Art. 6 Nr. 1 [X.] [X.], Urteil vom 11. Oktober 2007 - [X.]/06, [X.]. 2007, [X.] Rn. 46 - [X.]). Die von der Revision geforderte erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung würde ein Verlassen des abschließenden Kataloges der besonderen Zuständigkeiten bedeuten. Eine Regelungslücke der Verordnung ist insoweit nicht erkennbar. Mit dem deutlichen Hinweis auf den abschließenden Katalog der besonderen Zuständigkeiten hat der [X.] auch klar gestellt, dass die in dem Erwägungsgrund Nr. 15 formulierte Zielsetzung, Parallelverfahren zur Verhinderung miteinander unvereinbarer Entscheidungen zu vermeiden, hinter dieser der Rechtssicherheit geschuldeten Regelung eines abschließenden [X.] zurücktreten muss. Da die [X.] in Art. 27 und Art. 28 über die Möglichkeit der Aussetzung einen Weg zur Vermeidung miteinander unvereinbarer Entscheidungen anbietet, ist dieser Zielsetzung anderweit Rechnung getragen.

Im Übrigen ist die Frage der Möglichkeit einer erweiternden Auslegung der Annexzuständigkeit des Art. 6 Nr. 1 [X.] lediglich wegen der [X.] geklärt durch das Urteil des [X.] vom 27. Oktober 1998 (- [X.]/97, [X.]. 1998, [X.] Rn. 44 ff. - [X.] Européenne) zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift in Art. 6 EuGVÜ (vgl. auch [X.], Urteil vom 11. Oktober 2007 - [X.]/06, [X.]. 2007, [X.] Rn. 46 - [X.] zu Art. 6 Nr. 1 [X.]).

Dieses Urteil bezog sich auf eine Klage, die vor einem Gericht eines Mitgliedstaats ([X.]) anhängig gemacht worden war, in dem keiner der drei Beklagten des Ausgangsverfahrens seinen Wohnsitz hatte, und bei der sich die Zuständigkeit des [X.] Gerichts für den in [X.] ansässigen Beklagten aus Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (entspr. Art. 5 Nr. 3 [X.] bzw. Art. 7 Nr. 3 [X.] 2012) ableitete. Darin hat der [X.] zu der Annexzuständigkeit gem. Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ausgeführt, dass das mit dem Übereinkommen angestrebte Ziel der Rechtssicherheit nicht erreicht würde, wenn der Umstand, dass sich das Gericht eines Vertragsstaats in Bezug auf einen der Beklagten, der seinen Wohnsitz nicht in einem Vertragsstaat hat, für zuständig erklärt hat, es ermöglichen würde, einen anderen Beklagten, der seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat, außerhalb der im Übereinkommen vorgesehenen Fälle vor diesem Gericht zu verklagen; denn hierdurch würde diesem der durch die Bestimmung des Übereinkommens gewährte Schutz genommen (vgl. [X.], Urteil vom 27. Oktober 1998 - [X.]/97, [X.]. 1998, [X.] Rn. 46 - [X.] Européenne).

Dass Art. 11 Abs. 3 [X.] es bei einer Direktklage gegen den Versicherer diesem über eine Streitverkündung rechtlich möglich macht, den Schädiger am Wohnsitzgericht des Geschädigten auf Regress zu verklagen, steht dem nicht entgegen. Die Regelung zeigt, dass eine generelle Erweiterung des besonderen Gerichtsstandes des Versicherungsnehmers (Art. 9 Abs. 1 Buchst. [X.]) bei einer Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer nicht geschaffen werden sollte.

c) Eine Vorlage an den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V ist nicht veranlasst (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 1982 - [X.]/81, [X.]. 1982, [X.] Rn. 16 - [X.]/[X.]; vom 11. September 2008 - [X.]/06, [X.]. 2008, [X.] Rn. 42 - [X.]). Die Frage, ob aus der Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des [X.] für eine Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners gemäß Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. [X.] über Art. 6 Nr. 1 [X.] wegen der [X.] die Zuständigkeit für den mitbeklagten Unfallgegner bzw. Versicherten oder Versicherungsnehmer begründet werden kann, obwohl keiner der Beklagten seinen Wohnsitz im Mitgliedstaat des [X.] hat, hat der [X.] bereits geklärt. Die für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 [X.] richtige Auslegung ist aus den ausgeführten Gründen derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt.

3. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen.

[X.]

               von [X.]                           [X.]

Meta

VI ZR 279/14

24.02.2015

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Dortmund, 18. Juni 2014, Az: 4 S 110/13, Urteil

§ 301 ZPO, Art 2 Abs 1 EGV 44/2001, Art 6 Nr 1 EGV 44/2001, Art 9 Abs 1 Buchst b EGV 44/2001, Art 11 Abs 2 EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.02.2015, Az. VI ZR 279/14 (REWIS RS 2015, 15096)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2429 REWIS RS 2015, 15096

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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