Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.06.2016, Az. 2 StR 89/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 9101

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:290616U2STR89.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM [X.] [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 89/16
vom
29. Juni
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
gewerbsmäßigem
Einschleusens von Ausländern u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 29.
Juni
2016, an der
teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
[X.],
[X.] am [X.]
Zeng,

Staatsanwalt beim [X.]

in der Verhandlung,
Oberstaatsanwältin beim [X.]

bei der Verkündung,

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger
des Angeklagten,

Justizhauptsekretärin

in der Verhandlung,
Justizangestellte

bei der Verkündung

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft
gegen
das Urteil des [X.]s Frankfurt
am Main vom 15. Oktober
2015 wird das Verfahren gegen den Angeklagten M.

im Fall II. Ziffer
8 der
Urteilsgründe eingestellt.

Der Schuldspruch wird dahin berichtigt, dass der Angeklagte M.

des gewerbsmäßigen Schleusens von Ausländern in
sechs Fällen und des unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] schuldig ist.

Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verwor-fen.

Die im Verfahren zu II. Ziffer
8 der Urteilsgründe sowie die übri-gen
im Revisionsverfahren entstandenen Kosten und die dem Angeklagten M.

insoweit entstandenen notwendigen Ausla-
gen fallen
der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

-
4
-
Gründe:

Das [X.] hat
den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Schleu-sens von Ausländern in sieben Fällen und wegen unerlaubten Erwerbs und Be-sitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwalt-schaft, die auf die Verurteilung des Angeklagten M.

im Fall II. Ziffer
8 der
Urteilsgründe beschränkt ist. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.
1. Die vom [X.] unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift sah folgendes vor:
a) Nach dem abstrakten Anklagesatz
wurde dem Angeklagten M.

und dem Nichtrevidenten Br.

vorgeworfen,

19. Dezember 2013 bis zum 9. Dezember 2014 in F.

und andernorts
der Angeklagte M.

durch sieben selbständige Handlungen (Zif-fer 1
bis 4, 6, 7 und 10),
der Angeschuldigte

Br.

durch fünf selbständige Hand-
lungen (Ziffer 5, 7
bis
9 und Ziffer 11),
im siebten Fall gemeinschaftlich handelnd
1. bis 9.
Ausländern, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der [X.] oder eines anderen Vertragsstaats des 1
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3
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5
-
Abkommens über den [X.] besitzen, [X.] geleistet zu haben, entgegen §
14 Abs.
1 Nr. 1 oder 2 des [X.] in das [X.] oder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der [X.] oder eines [X.] einzureisen,
wobei die Angeschuldigten dafür einen Vermögensvorteil erhielten oder sich versprechen ließen,
sie wiederholt oder zugunsten der Ausländer handelten
und es hinsichtlich des Angeschuldigten

Br.

im achten
Fall bei einem Versuch blieb
sowie
10.
der Angeschuldigte M.

e-

b) Zu
Ziffer
8 wurde das Geschehen im konkreten Anklagesatz dahin ge-schildert, dass die Angeschuldigten
den Entschluss gefasst
hätten, in der Nacht
vom 10.
auf den 11.
Januar 2014 fünf [X.] Staatsangehörige gegen [X.] von Ma.

nach F.

zu schleusen. Der Angeschuldigte

M.

habe den Personentransport mit einem Mietfahrzeug von Ma.

nach
Ba.

durchführen sollen, der Mitangeschuldigte
Br.

von Ba.

nach F.

. Br.

habe sich deshalb gegen 21.26 Uhr auf den Weg nach

Ba.

gemacht. Zu einem Treffen mit M.

sei es dort nicht gekommen, weil
dieser bereits an der [X.] kontrolliert und festge-nommen worden sei. Deshalb sei der Mitangeklagte Br.

ohne Passagiere
nach F.

zurückgekehrt.
2. Das [X.] hat in dem angefochtenen Urteil entsprechende [X.] getroffen. Diese
hat es
auf die Geständnisse der Ange-klagten und Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung gestützt. Bei der rechtlichen Wertung hat es
auch einen Fall des Einschleusens von Aus-4
5
-
6
-
ländern durch den Angeklagten M.

im Fall II. Ziffer
8 der Urteilsgründe an-
genommen und dafür eine Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt.

II.
Die in zulässiger Weise erhobene Revision der Staatsanwaltschaft gegen die Verurteilung des Angeklagten M.

im Fall II. Ziffer
8 der Urteilsgründe ist
begründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und
die Verhängung
einer Einzelstrafe richtet. Insoweit liegt ein vom [X.] wegen zu beachten-des Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Verfahrens zwingt

260 Abs.
3 [X.]). Der Ausspruch
über die Gesamtfreiheitsstrafe
bleibt davon aber entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin unberührt.
1. Aus dem
Anklagesatz ergibt sich eine Beschränkung des Verfol-gungswillens der Staatsanwaltschaft, der die Tatbeteiligung des Angeklagten M.

im Fall II.
Ziffer
8 der Urteilsgründe vom Verhandlungsgegenstand
aus-
schließt.
a) Der Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung reicht nur soweit
wie der aus der Anklageschrift erkennbare
Verfolgungswille der Anklagebehörde (vgl. [X.],
Urteil vom 15.
Mai 1997

1 [X.], [X.]St 43, 96, 99 f.).
Enthält die Anklageschrift mehrere Taten, sind nur diejenigen an-geklagt, auf die sich der aus der Anklageschrift zu entnehmende [X.] der Staatsanwaltschaft bezieht (vgl. [X.], [X.], 26.
Aufl., §
264 Rn.
35). Eine weitere
Tat
darf nicht zum Gegenstand des [X.] gemacht werden, auch wenn sie in der Anklageschrift erwähnt ist, ohne dass sich jedoch der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft darauf bezieht.

6
7
8
-
7
-
Verfahrensgegenstand sind nur Taten
einer bestimmten Person. Daher
bleibt die Tat im prozessualen Sinn stets auf die
in der Anklageschrift als Ange-schuldigter bezeichnete Person bezogen
(vgl. Senat, Urteil vom
21.
Dezember 1983

2 StR 578/83, [X.]St 32, 215, 217; Urteil vom 20.
Dezember 1995

2
StR 113/95, [X.], 243, 244; BeckOK-[X.]/[X.], [X.], 24.
Ed.
2015, §
264 Rn.
4; MünchKomm-[X.]/[X.], [X.], 2016, §
264 Rn.
4; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2012, §
264
Rn.
8). Taten
eines [X.], die
nicht vom Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft umfasst sind, können
daher vom Gericht nicht abgeurteilt werden, selbst wenn sie in Bezug auf einen Mitangeschuldigten
zum Gegenstand der Anklage gemacht wurden.
Ob ein konkreter Lebenssachverhalt
in Bezug auf einen Angeschuldigten zum Verfahrensgegenstand gehören soll, ist durch Auslegung der Anklage-schrift zu ermitteln. Diese ist aus sich heraus zu interpretieren ([X.], Urteil vom 17.
August 2000

4 StR 245/00, [X.]St 46, 130, 134). Auf die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft nach ihrem
Schlussvortrag keinen Antrag zu Fall
II. Zif-fer
8 hinsichtlich des Angeklagten M.

gestellt hat, kommt es daher nicht an.
Die Beschreibung
eines strafrechtlich relevanten Geschehens im
Ankla-gesatz ist zwar ein
Indiz dafür, dass dieses Geschehen vom Verfolgungswillen
der Staatsanwaltschaft umfasst sein könnte
([X.] aaO, [X.]St 43, 96, 100). Die Auslegung kann aber
im Einzelfall etwas anderes ergeben, insbesondere wenn mehrere Taten verschiedenen Angeschuldigten in
unterschiedlichem Um-fang
vorgeworfen werden.

b) Dem abstrakten Anklagesatz ist eindeutig zu entnehmen, welche Fälle den Mitangeschuldigten M.

und Br.

jeweils zur Last gelegt werden soll-
ten. Dort ist nicht nur die Anzahl der rechtlich selbständigen
Handlungen ge-9
10
11
12
-
8
-
nannt, die den Mitangeschuldigten vorgeworfen wurden, sondern es wurden auch durch individuelle Zuordnung
der Fallziffern die
den Mitangeschuldigten
jeweils vorgeworfenen Einzeltaten
gekennzeichnet. Ergänzend
wurde
hervor-gehoben,
dass im siebten Fall von einem gemeinschaftlichen Handeln der bei-den Mitangeschuldigten ausgegangen werden sollte. In allen anderen Fällen wurde der Vorwurf demnach jeweils nur gegen den einen oder den anderen Mitangeschuldigten
erhoben. Das gilt auch
für den Fall II.
Ziffer
8.
Die Tatsache, dass der Lebenssachverhalt zum Vorwurf im Fall
II.
Zif-fer
8 im konkreten Anklagesatz mitgeteilt wurde und dazu das Verhalten der beiden Mitangeschuldigten umschreibt, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Diese Beschreibung
war
der Tatsache
geschuldet, dass die Staatsanwaltschaft zur Begründung der Erfüllung des [X.] durch den [X.] Br.

den Ablauf
des Geschehens erläutern
musste, an dem der
Angeklagte M.

bis zum Erreichen der
[X.]

beteiligt war. Ein Rückschluss aus dieser Tatsachenschilderung darauf, dass deshalb

entgegen dem
abstrakten Anklagesatz

auch das Verhalten des [X.] M.

in diesem Fall Gegenstand des Anklagevorwurfs
sein
sollte, ist nicht angezeigt.

Das Legalitätsprinzip zwingt nicht stets dazu, alle Sachverhalte zum Ge-genstand einer Anklage gegen alle erkannten Tatbeteiligten zu machen. [X.] Gründe die Staatsanwaltschaft hatte, von einer Anklageerhebung gegen
den Angeklagten M.

im Fall Ziffer
8 abzusehen, ist zwar der Anklageschrift
nicht zu entnehmen. Dies ist aber angesichts des eindeutigen Wortlauts des abstrakten Anklagesatzes unerheblich. Auf die diesbezüglichen Erläuterungen der Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung im Hinblick auf eine
Straf-verfolgung im Ausland kommt es für die Auslegung der Anklageschrift daher nicht an.
13
14
-
9
-
c) Der als Fall II. Ziffer
8 der Urteilsgründe zum Gegenstand der Verurtei-lung gemachte
Sachverhalt war nach allem
nicht Teil
des Anklagevorwurfs
ge-gen den Mitangeschuldigten M.

. Die [X.]voraussetzung einer wirk-
samen Anklagerhebung (§
151 [X.])
ist insoweit nicht erfüllt. Daraus ergibt sich
ein [X.], das den Senat zur Einstellung des Verfahrens zwingt, soweit der Angeklagte M.

vom [X.] im Fall II.
Ziffer
8
seiner

Urteilsgründe verurteilt wurde (§
260 Abs.
3
[X.]).
Der Senat berichtigt
den Schuldspruch entsprechend.
2. Eine Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe ist trotz Wegfalls der Einzelstrafe gegen den Angeklagten M.

im Fall II.
Ziffer
8
der Urteilsgründe nicht angezeigt.
Das [X.] hat gegen den Angeklagten M.

vier Einzelfreiheits-
strafen von jeweils einem Jahr und vier weitere Einzelfreiheitsstrafen
von je-weils zehn Monaten verhängt; daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Durch die Verfahrenseinstellung entfällt eine
Einzelfreiheits-strafe von zehn Monaten im Fall II.
Ziffer
8 der Urteilsgründe. Der Senat schließt aus, dass das [X.] bei Absehen von dieser Verurteilung auf eine niedrigere als die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
Fischer

[X.]

[X.]

Ott

Zeng
15
16
17
18

Meta

2 StR 89/16

29.06.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.06.2016, Az. 2 StR 89/16 (REWIS RS 2016, 9101)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9101

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