Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.10.2014, Az. 1 StR 426/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2427

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 426/14

vom
7. Oktober
2014
in der Strafsache
gegen

wegen
Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht

geringer Menge

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat am 7.
Oktober 2014 beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26.
Februar 2014 wird als unbegründet verwor-fen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklag-ten ergeben hat (§
349 Abs.
2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Ergänzend bemerkt der Senat:
Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art.
20 Abs.
3 GG, Art.
6 Abs.
1 Satz
1 EMRK i.V.m. einem Verstoß gegen §
257c StPO) dringt nicht durch.
1.
Der Verfahrensbeanstandung liegt zugrunde, dass am sechsten und siebten [X.] Gespräche zwischen allen Verfahrensbeteiligten mit dem Ziel einer Verfahrensverständigung stattfanden. Dabei stellte das [X.] für den Angeklagten eine Freiheitsstrafe zwischen sechs und neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung in Aussicht. Am siebten [X.] kam es bezüglich des Angeklagten zu einer Verständigung gemäß §
257c StPO. Auf der Grundlage dieser Verständigung verurteilte das [X.] den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, de-ren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im [X.] an das Urteil -
3
-
verkündete es einen Bewährungsbeschluss, in dem der Angeklagte angewie-sen wurde, dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich und unaufgefor-dert mitzuteilen. Über die Ausgestaltung der Bewährung war zuvor weder im Rahmen der Vorgespräche noch der Verständigung selbst gesprochen worden.
2.
Ob die Rüge in einer §
344 Abs.
2 Satz
2 StPO genügenden Weise ausgeführt ist, kann dahinstehen. Sie bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer ist nicht in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art.
20 Abs.
3 GG, Art.
6 Abs.
1 Satz
1 EMRK) verletzt. Zumindest bei der hier erteilten Anweisung der Anzeige jedes Wohnsitzwechsels erfordern es weder das Fairnessgebot noch sonstige Rechtsgrundsätze, dass das Gericht vor einer Verständigung (§
257c StPO) offenlegt, solches anweisen zu wollen. Die Rechtsprechung des 4.
Strafsenats des [X.] zu den aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens resultierenden tatgerichtlichen Offenlegungs-pflichten bei [X.], bei denen eine zur Bewährung aus-zusetzende Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt wird ([X.], Beschlüsse vom 29.
Januar 2014

4
StR
254/13, NJW 2014, 238
f.; vom 11.
September 2014

4
StR
148/14 Rn.
9
f., NJW 2014, 3173, 3174), steht nicht entgegen. Diese bezieht sich ausschließlich auf im Rahmen der Verständigung nicht [X.] Bewährungsauflagen (§
56b StGB). Sie lässt sich nicht auf die nach ihrer Zwecksetzung und ihrer rechtlichen Natur völlig verschiedene
Anweisung der Anzeige des Wohnsitzwechsels übertragen.
a)
Der 4.
Strafsenat hat aus dem Anspruch eines Angeklagten auf ein fai-res Verfahren abgeleitet, dass er vor einer Verständigung gemäß §
257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Frei-heitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen [X.] werden muss, die nach §
56b Abs.
1 Satz
1 StGB der Genugtuung für -
4
-
das begangene Unrecht dienen und deren Erfüllung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte
Strafaussetzung ist
([X.] aaO
mwN; zustimmend [X.],
[X.] 2014, 357). Mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens sei die Verständigung im Strafverfahren nur dann zu vereinbaren, wenn durch eine vorherige Beleh-rung sichergestellt sei, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist. Lediglich eine solche umfassende Information könne die Autonomie der Entscheidung des Angeklagten gewährleisten, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen, Einlassungen zur Sache zu verweigern oder sich auf eine Verständigung einzulassen ([X.]
aaO unter Bezugnahme auf [X.],
[X.], 1058, 1071 =
[X.]E 133, 168, 237 Rn.
125 [bzgl. der Belehrungspflicht aus §
257c Abs.
5 StPO]).
Aus diesen Grundsätzen folgert der 4.
Strafsenat die bereits angespro-chene Pflicht des Gerichts zur Offenlegung, dass es zur Verwirklichung der Ge-nugtuungsfunktion des Strafverfahrens außer
der Verhängung der zur [X.] ausgesetzten Freiheitsstrafe auch Bewährungsauflagen in Betracht zieht. Eine autonome Entscheidung über seine Mitwirkung an einer Verständigung könne der
Angeklagte
lediglich in Kenntnis der gesamten [X.] treffen. Angesichts der Genugtuungsfunktion von Bewährungsauflagen (§
56b Abs.
1 Satz
1 StGB) und ihres strafähnlichen Charakters seien diese Teil der Rechtsfolgenerwartung. Erst die Information darüber, dass neben der Strafe selbst weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter und möglichen erhebli-chen Belastungen drohen, versetzten den Angeklagten in die Lage, von
seiner
Entscheidungsfreiheit auf einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage Ge-brauch zu machen ([X.]
aaO Rn.
11 und 12).
b)
Ob dieser Rechtsprechung bei [X.] (§
257c StPO), auf deren Grundlage das Tatgericht eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheits--
5
-
strafe bei Erteilung von Bewährungsauflagen (§
56b StGB) verhängt, uneinge-schränkt zu folgen wäre, bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls für die vorliegende Konstellation einer mit einer Anweisung des Verurteilten, jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitzuteilen, verbundenen Bewährungsstrafe, die durch ein auf einer Verfahrensabsprache beruhendes Urteil verhängt wird, [X.] es keiner vorherigen Information des Angeklagten über die in Betracht kommende Weisung.
Dient

wie hier

die im Bewährungsbeschluss erteilte Anweisung dem Zweck, auf die zukünftige Lebensführung des Verurteilten hel-fend spezialpräventiv einwirken zu können, ist sie einer Bewährungsweisung im Sinne von §
56c Abs.
2 Nr.
1 StGB gleichzustellen (vgl. zum Diskussionsstand bzgl. der bewährungsrechtlichen Einordnung einer Anweisung der Wohnsitz-wechselanzeige [X.], Beschluss vom 28.
März 2006

2
Ws
123/06,

zit. nach juris, Rn.
9; [X.],
[X.], 461 einerseits; [X.],
[X.], 627 andererseits; vgl. auch [X.]/M.,
NStZ 2009, 39; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 29.
Aufl., §
56c Rn.
6 aE mwN;
[X.] in Satzger/Schluckebier/[X.], StGB, 2.
Aufl., §
56c Rn.
2
und 9).
[X.] dienen

anders als Bewährungsauflagen

nicht dem Ausgleich für das vom Täter schuldhaft verursachte Unrecht. Wie sich aus §
56c Abs.
1 Satz
1 StGB ergibt, kommt ihnen die Aufgabe zu, dem zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe Verurteilten zu helfen, zukünftig ein straffreies Leben zu führen (näher [X.] in [X.] Kommentar zum StGB, 2.
Aufl., §
56c Rn.
5 und 7 mwN). Sie haben damit ausschließlich spezial-präventiven Charakter ([X.], Beschluss vom 13.
Dezember 2010

1
Ws
455/10, zit. nach juris, Rn.
26; [X.]/[X.] aaO §
56c Rn.
1 mwN;
[X.]
aaO
§
56c Rn.
1). Weisungen dürfen grundsätzlich auch lediglich zu dem Zweck erteilt werden, dem Verurteilten Hilfe zu seiner zukünftigen Straf--
6
-
freiheit zu gewähren. Fehlt es an einer solchen Zwecksetzung, ist die Weisung gesetzwidrig (vgl. §
453 Abs.
2 Satz
2 StPO). In der unterschiedlichen Zweck-setzung liegt der fundamentale Unterschied ([X.] aaO Rn.
2) zwischen [X.]sauflagen einerseits und -weisungen andererseits.
Die in der Rechtsprechung des 4.
Strafsenats tragende Erwägung für das Gebot umfassender Information bei einer Verfahrensabsprache auch über Bewährungsauflagen knüpft an deren sanktionsähnlichen Charakter und die mit ihnen verbundene Genugtuungsfunktion an. Sie geht erkennbar von der [X.] aus, erst mit der Kombination aus verhängter Strafart, Strafhöhe und der Bewährungsauflage (bzw. dem Unterbleiben ihrer Anordnung) bestimme das Tatgericht das Genugtuungsbedürfnis
für die begangene [X.] (vgl. zu dieser Erwägung [X.] aaO
§
56e Rn.
14 mwN). Auf die ausschließ-lich der Hilfe des Verurteilten dienenden Weisungen bzw. Anweisungen lässt sich dies schon wegen der gänzlich unterschiedlichen Zwecksetzung nicht übertragen.
Auch der vom 4.
Strafsenat angeführte Aspekt der mit Bewährungsauf-lagen möglicherweise verbundenen erheblichen Belastungen für den [X.] trägt nicht für die hier ausschließlich in Rede stehende Anweisung, jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitzuteilen. Eine solche Anweisung ist gesetz-mäßig, wenn

wie im vorliegenden konkreten Einzelfall

damit der Zweck [X.] wird, auf die zukünftige Lebensführung des Verurteilten positiv Einfluss nehmen zu können (vgl. [X.] aaO; [X.]/M. aaO;
[X.] aaO §
56c Rn.
21; [X.] aaO §
56c Rn.
9). Mit ihrer Erfüllung sind keine Belas-tungen verbunden, die aus Gründen der [X.] eine der Verfah-rensabsprache vorausgehende Information des Angeklagten darüber gebieten würden. Auf die
in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich -
7
-
beurteilte Frage, ob auf Verstöße gegen eine solche Anweisung gemäß §
56f StGB ein Bewährungswiderruf gestützt werden kann ([X.], [X.], [X.] und [X.] jeweils aaO), kommt es vorliegend nicht an. Ein im Rah-men der Beurteilung der [X.] einer [X.] gemäß §
257c StPO zu berücksichtigender Aspekt resultierte daraus selbst dann nicht, wenn Verstöße gegen die fragliche Anweisung Maßnahmen nach §
56f StGB begründen könnten. Der Eintritt von Umständen, die zu Entscheidungen gemäß §
56e oder §
56f StGB führen können, hängt jeweils ausschließlich von dem eigenen Verhalten des Verurteilten nach der [X.] ab. Die mit der Befolgung der Anweisung und damit zur
Meidung von Maßnahmen nach §
56e oder §
56f StGB einhergehenden Verhaltensanforderungen an den Verurteilten sind derart marginal, dass von einer Belastung nicht die Rede sein kann.
Gegen ein aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens abgeleitetes Gebot vorheriger Information des Angeklagten spricht hinsichtlich von Bewährungs-weisungen allgemein und für die hier fragliche
Anweisung besonders auch eine weitere Erwägung, die wiederum mit den Unterschieden zwischen [X.]sauflagen auf der einen Seite und [X.] auf der anderen Seite in Zusammenhang steht. Im Hinblick auf den strafähnlichen Charakter der Auflagen und ihrer Genugtuungsfunktion wird im Rahmen nachträglicher An-ordnung oder Änderung der Ausgestaltung der Bewährung gemäß §
56e StGB, obwohl das Verbot der reformatio in peius bei Bewährungsauflagen nicht gilt ([X.], Beschluss vom 16.
Februar 1982

5
StR
1/82, NJW 1982, 1544), in der Strafrechtswissenschaft und gelegentlich in der Strafrechtsprechung die [X.] vertreten, den Verurteilten belastende Auflagen dürften nicht allein auf eine vom Tatrichter abweichende Beurteilung des [X.] seitens des für die Entscheidung nach §
56e StGB zuständigen Gerichts ge-stützt werden (vgl. [X.] aaO
§
56e Rn. 13;
[X.]/[X.] aaO
§
56e
Rn.
4 mwN; -
8
-
siehe auch [X.],
[X.], 362, 363). Bei der nachträglichen Anordnung von belastenden [X.] werden solche Beschrän-kungen nicht gefordert ([X.]/[X.] aaO §
56e Rn.
5 mwN; [X.] aaO §
56e Rn.
6); die spezialpräventive Ausrichtung erfordert hier gerade eine [X.] Anpassung an gewandelte, für die Prognose relevante Umstände. Angesichts dieser jederzeitigen nachträglichen Abänderbarkeit von [X.]sweisungen ist eine der Verfahrensverständigung (§
257c StPO)
voraus-gehende Information über die in Aussicht genommenen
[X.] nicht geboten.
Rothfuß
Cirener
Radtke

[X.]
Fischer

Meta

1 StR 426/14

07.10.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.10.2014, Az. 1 StR 426/14 (REWIS RS 2014, 2427)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2427

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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