Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2014, Az. IV ZR 47/14

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 1212

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 47/14
vom

19. November 2014

in dem Rechtsstreit

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Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzende Richterin [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin Dr. Brockmöller

am 19. November 2014

beschlossen:

Auf die Beschwerde der
Klägerin
wird die Revision gegen das Urteil des 20.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.]
vom 10. Januar 2014 zugelassen.

Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur
neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 21.944,20

Gründe:

I. Die
seit 2004 an einem mittlerweile metastasierenden malignen
Melanom erkrankte Klägerin, die bei der Beklagten eine private Krank-heitskostenversicherung unterhält, begehrt die Erstattung von Kosten in Höhe von bislang 21.944,20

für eine Immuntherapie mit dendritischen Zellen, deren medizinische Notwendigkeit die Beklagte bestreitet.

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Die dem Versicherungsvertrag zugrunde
liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung für die [X.] ([X.]) enthalten in § 6 Abs. 6 die nachfolgende, so genannte Schulmedizinklausel:


6 Umfang der Leistungsp

(6)
Der Versicherer leistet im vereinbarten Umfang für Untersuchungs-
oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für [X.] und Arzneimittel, die sich in der Praxis als [X.] Erfolg versprechend bewährt haben oder die an-gewandt werden, weil keine schulmedizinischen Me-thoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhan-dener schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel

Die Klägerin behauptet, es stehe für sie keine schulmedizinisch anerkannte Behandlungsform zur Verfügung, die geeignet erscheine, den höchstmöglichen Therapie-
bzw. Heilungserfolg herbeizuführen. Eine Behandlung mit dem Medikament Interferon (Chemotherapie)
biete ge-genüber der Therapie mit dendritischen Zellen nur geringere, allenfalls gleichwertige Heilungschancen. Sie komme deshalb nicht in Betracht, weil bei der Klägerin eine Interferonunverträglichkeit bestehe und die Gabe von Interferon auch wegen einer Schilddrüsenerkrankung und De-pressionen kontraindiziert sei.

Das [X.] hat die Klage ab-, das Berufungsgericht die Beru-fung der Klägerin zurückgewiesen und darin

sachverständig beraten

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ausgeführt, die Leistungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 6 [X.] lägen nicht vor. Die dendritische Zelltherapie sei noch keine von der [X.] überwiegend anerkannte Methode. Zwar sei es gelungen,
starke Immunreaktionen bei in-vitro-Studien zu induzieren, in klinischen Studien sei aber noch nicht ausreichend belegt, dass sich eine objektive [X.] herbeiführen lasse; die detaillierte Analyse dieser Fakten ste-he noch aus, an ihr werde intensiv geforscht. Den aktuellen [X.] für die Erkrankung der Klägerin stelle die Behandlung mit Inter-feron dar, die wissenschaftlich nachgewiesen das Gesamtüberleben ver-bessern oder sogar zu einem rezidivfreien Überleben führen könne. Die dendritische Zelltherapie sei in der Praxis noch nicht in gleicher Weise Erfolg versprechend.

Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Interferongabe bei ihr kontraindiziert sei. Die behauptete [X.] habe der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht feststellen können.
Bei der Klägerin einmalig -
nach der fünften [X.] -
doku-mentiertes extremes Fieber und grippeähnliche Symptome ließen einen solchen Rückschluss nicht zu. Die depressive Störung der Klägerin er-fordere zwar eine sorgfältige Überwachung während der [X.], stehe letzterer aber nicht entgegen. Gleiches gelte für die Schilddrüsenerkrankung der Klägerin, die durch Medikamente kontrol-lierbar sei.

Anträgen
der Klägerin, den Sachverständigen zur Erläuterung sei-nes Gutachtens anzuhören, hat das Berufungsgericht nicht entsprochen. Mit ihrem Antrag vom 22. Oktober 2013 habe sie das Ergänzungsgutach-ten des Sachverständigen weder angegriffen noch einen Erläuterungs-bedarf zu erkennen gegeben. Den weiteren,
am 8. Dezember 2013 ge-5
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stellten
Antrag auf Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 13.
Dezember 2013 hat das Berufungsgericht als nach § 411 Abs. 4 i.V.m.
§ 296 ZPO verspätet zurückgewiesen.

[X.] Die gegen diese Entscheidung gerichtete Nichtzulassungsbe-schwerde der Klägerin hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt die
Kläge-rin
schon deshalb in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Grund-recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), weil ihren Anträgen auf Anhörung des Sachverständigen in mündlicher Verhand-lung nicht stattgegeben worden ist.

1. Nach der Rechtsprechung des [X.] kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläu-terung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch [X.] sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die [X.]en haben zur Ge-währleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen [X.] darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhö-rung stellen können. Dieses Antragsrecht der [X.]en besteht [X.] von § 411 Abs. 3 ZPO (Senatsbeschlüsse
vom 30. Oktober 2013

IV ZR 307/12, [X.], 25 Rn. 9; vom 15. März 2006
IV ZR 182/05, [X.], 950 Rn. 6 m.w.N.; [X.],
Beschluss vom 10. Mai 2005
VI ZR 245/04,
VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N. und ständig). Dabei kann von der [X.], die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, 7
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nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den [X.] zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen ei-ne weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht.

2. Anders als das Berufungsgericht meint, bot das Vorbringen der Klägerin nach den vorgenannten Maßstäben Anlass, den gerichtlich be-stellten medizinischen Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden
und zur Erläuterung seines Gutachtens persönlich anzuhören.

a) Unter dem 11. November 2012 hat der Sachverständige ein Er-gänzungsgutachten erstattet und ist darin zu dem Schluss gekommen, das von dem behandelnden Arzt dokumentierte Fieber sowie bei der Klägerin beobachtete grippeartige
Symptome belegten keine Unverträg-lichkeit, die der weiteren Behandlung mit Interferon entgegenstünde. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2012 hat der Klägervertreter zwei dem Sachverständigen widersprechende Stellungnahmen des behandelnden Arztes und der die Klägerin wegen ihrer depressiven Störung behan-delnden Diplom-Psychologin vorgelegt und erstmals beantragt, den ge-richtlich bestellten Sachverständigen zum Ergebnis seines Gutachtens anzuhören.

Das Berufungsgericht hat dem Sachverständigen daraufhin im Be-schlusswege aufgegeben, ergänzende Fragen zur Bedeutung der de-pressiven Störung der Klägerin und weiterer geltend gemachter Be-schwerden für die Kontraindikation einer Interferontherapie zu beantwor-ten. Unter dem 24. September 2013 hat der Sachverständige sein weite-res schriftliches [X.] erstattet, das eine "absolute Kon-traindikation zur Interferontherapie"
zwar weiterhin verneint, im Hinblick 9
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auf die Vorerkrankungen der Klägerin allerdings mit der Empfehlung en-det, gegebenenfalls auf die Interferontherapie zu verzichten.

In seiner dazu unter dem 22. Oktober 2013 verfassten [X.] hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin zum Aus-druck
gebracht, er verstehe das [X.] dahin, dass im konkreten Fall die Therapie mit dendritischen Zellen medizinisch not-wendig sei, weil mit Rücksicht auf die
Lebensqualität der Patientin auf eine Interferontherapie verzichtet werde. Falls die Beklagte kein Aner-kenntnis erkläre, werde vorsorglich beantragt, den Sachverständigen zum Termin zu laden, um sein Gutachten nebst [X.] zu erläutern.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnte dem Vorbringen der Klägerin entnommen werden, welchem Ziel die Anhörung dienen sollte. Dass auch das Berufungsgericht diese Zielrichtung erkannt hat, belegen
sein Beweisbeschluss und die dem Sachverständigen darin ergänzend gestellten Fragen. Mit Einholung dieser ergänzenden schriftli-chen gutachtlichen Stellungnahme war

mag dieses Verfahren zur weite-ren Sachaufklärung auch sinnvoll erscheinen

der Antrag der Klägerin auf Anhörung des Sachverständigen aber nicht erledigt (vgl. [X.], Urteil vom 3. Juni 1986

[X.], [X.], 1079 unter II 3 b; Musielak/[X.], ZPO 11. Aufl. § 411 Rn. 7; BeckOK-ZPO/Scheuch,
Stand 15.
September 2014 § 411 Rn. 20).
Denn das Recht der [X.], dem Sachverständigen im Rahmen einer mündlichen Anhörung Fragen zum Gutachten zu stellen, erlischt nicht dadurch, dass das Gericht dem
Sachverständigen Fragen stellt, die dieser beantwortet.
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c) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Anhörung des [X.] weder zurückgenommen noch sonst auf ihr Anhörungsrecht verzich-tet. Auch wenn dem Schriftsatz des früheren Klägervertreters vom
22.
Oktober 2013 kein Widerspruch gegen die gutachtlichen Äußerungen im [X.] vom 24. September 2013 zu entnehmen ist, weil das Gutachten irrtümlich zugunsten der Klägerin interpretiert
wird, hat er dennoch an seinem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachver-ständigen festgehalten, falls die Beklagte die Klagforderung nicht aner-kenne.
Die Annahme der Beklagten, mit dem genannten Schriftsatz habe die Klägerin konkludent auf ihr Recht auf Anhörung des [X.] verzichtet, überzeugt nicht. Sie steht im Widerspruch dazu, dass die Klägerin ihren Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ausdrücklich wiederholt hat.

Bei dieser Sachlage war kein Raum, von einer Ladung und Anhö-rung des Sachverständigen abzusehen. Auf die Frage, ob der neuerliche Antrag der Klägerin vom 8. Dezember 2013 für sich genommen verspätet gewesen wäre, kommt es nicht mehr an.

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht insbesondere hinsichtlich der Frage, inwieweit eine [X.] bei der Klägerin angesichts der konkreten Fallumstände kontraindi-ziert ist oder aber Behandlungserfolge erwarten lässt, zu einem anderen

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Ergebnis gelangt wäre, wenn die Klägerin Gelegenheit erhalten hätte, den Sachverständigen in mündlicher Anhörung zur Erläuterung seines Gutachtens zu befragen.

[X.] [X.] [X.]

[X.] Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.03.2012 -
23 [X.]/10 -

O[X.], Entscheidung vom 10.01.2014 -
20 [X.] -

Meta

IV ZR 47/14

19.11.2014

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2014, Az. IV ZR 47/14 (REWIS RS 2014, 1212)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1212

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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