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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
ZWISCHENURTEIL
X ZR 169/12
Verkündet am:
23. April 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
Aufnahme des Patentnichtigkeitsverfahrens
ZPO § 250; InsO § 86 Abs. 1 Nr. 1
Das durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Patent-inhabers unterbrochene Patentnichtigkeitsverfahren betrifft im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aussonderung eines Gegenstands aus der Insolvenzmas-se und kann daher sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Kläger aufge-nommen werden.
BGH, Zwischenurteil vom 23. April 2013 -
X ZR 169/12 -
Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhand-lung vom 23. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deich-fuß
für Recht erkannt:
Der Rechtsstreit ist aufgenommen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die W.
Ges.m.b.H. & Co. KG mit Sitz in I.
war Inhaberin
des europäischen Patents 957
066 (Streitpatents). Das Patentgericht hat auf die Nichtigkeitsklage der Klägerinnen das Streitpatent mit Urteil vom 16. Okto-ber 2008 teilweise für nichtig erklärt
und die Klage im Übrigen abgewiesen. Am 9.
Dezember 2008 ist über das Vermögen der Patentinhaberin in Österreich das Konkursverfahren als Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden.
Gegen die teilweise Klageabweisung richtet sich die am 23. Dezember 2008
eingelegte und am 16. April 2009 begründete Berufung der Klägerinnen. Der (nunmehr beklagte) Konkursverwalter hat das Streitpatent übertragen; die Erwerberin ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.
Die Klägerinnen haben die Aufnahme des
Rechtsstreits erklärt, nachdem der Verwalter das parallel geführte Verletzungsverfahren aufgenommen, aber die Aufnahme des Nichtigkeitsverfahrens abgelehnt hat.
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Entscheidungsgründe:
Der Rechtsstreit ist von den Klägerinnen nach Art. 15 EuInsVO i.V.m. §
99 Abs. 1 PatG, §§
250, 240 Satz 1 ZPO, § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO wirksam aufgenommen worden.
1.
Das Patentnichtigkeitsverfahren ist durch die Eröffnung des Kon-kursverfahrens über das Vermögen der Beklagten in Österreich gem. Art.
15 EuInsVO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden.
2.
Ob die Klägerinnen den Rechtsstreit wirksam aufgenommen haben, richtet sich nach deutschem Recht. Ebenso wie für die Auswirkung des öster-reichischen Konkursverfahrens auf den vor deutschen Gerichten anhängigen Rechtsstreit ist auch für die Frage, wer zur Aufnahme des Rechtsstreits befugt ist, nach Art. 15 EuInsVO die lex fori und nicht die lex loci concursus maßgeb-lich (Rauscher/Mäsch, Europäisches Zivilprozess-
und Kollisionsrecht, 2010, Art.
15 EuInsVO Rn.
1
ff.; Paulus,
Europäische Insolvenzverordnung, 2010, Art.
15 EuInsVO Rn. 6; Pannen/Damann, Europäische Insolvenzverordnung, 2007, Art. 15 EuInsVO Rn. 11 f.; Braun/Ehret, InsO, 5. Aufl. 2012, § 352 Rn. 9). Die Aufnahme des Verfahrens richtet sich damit nach den für das Insolvenzver-fahren geltenden Vorschriften.
3.
Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufnahme des Rechtsstreits wirksam. Denn das Patentnichtigkeitsverfahren ist eine Rechtsstreitigkeit, die die Aussonderung eines Gegenstandes aus der Insolvenzmasse betrifft und damit als Passivprozess außer durch den Insolvenzverwalter auch vom Gegner aufgenommen werden kann.
a)
Ob dem aus einem Patent in Anspruch genommenen Verletzer in der Insolvenz des Patentinhabers hinsichtlich des die Klagegrundlage bildenden Patents entsprechend § 47 InsO ein Aussonderungsrecht zuzubilligen ist und er demzufolge zur Aufnahme eines unterbrochenen Patentnichtigkeitsverfahrens befugt ist, ist bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden (offengelassen in 4
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BGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 -
X ZR 79/06, GRUR 2010, 861 Rn. 29
Schnellverschlusskappe).
Hierzu wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass dem Kläger für den Fall der Insolvenz des Patentinhabers die Möglichkeit der Aufnahme des Patentnichtigkeitsverfahrens gegeben
werden müsse, wenn er vom Insolvenz-verwalter aus dem Streitpatent in Anspruch genommen werde. Das Patent kön-ne Gegenstand der Aussonderung sein, wenn mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werde, dass dem Streitpatent die Schutzvoraussetzungen fehlten und das Schutzrecht deshalb nicht zur Masse gehöre (Keukenschrijver/Engel, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl. 2011, Rn.
495). Mit entsprechenden Erwä-gungen hat das Bundespatentgericht für das Einspruchsverfahren die Anwen-dung des §
86 Abs. 1 Nr. 1 InsO bejaht (BPatG, Beschluss vom 2. Februar 2012 -
23 W (pat) 339/05 Rn. 45, ZInsO 2012, 1090).
b)
Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Gegenstand des in § 86 InsO geregelten Teilungsmassestreits sind Streitigkeiten über Ansprüche gegen den Schuldner, die
unmittelbar auf eine Minderung der Teilungsmasse abzielen (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 86 Rn. 3). Damit ist bei einem Passivpro-zess entscheidend, ob den Insolvenzgläubigern eine Minderung der Teilungs-masse droht. Aus diesem Grund kann eine negative Feststellungsklage, mit der der Kläger die Feststellung des Nichtbestehens eines vom Schuldner in An-spruch genommenen Rechts begehrt, ein Teilungsmassestreit sein (Braun/Kroth, InsO, 5. Aufl. 2012, § 86 Rn. 4; Jaeger/Windel, InsO, 2007, § 86 Rn. 6; HK/Kayser, InsO, 6. Aufl. 2011, § 86 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, InsO, 24.
ErgLf. 2012, § 86 Rn. 4; Uhlenbruck aaO Rn.
1 mwN). Ebenso betrifft eine gegen den Insolvenzschuldner gerichtete, auf ein gewerbliches Schutzrecht gestützte Unterlassungsklage nach verbreiteter Auffassung nach ihrem sachlichen Gehalt einen Aussonderungsanspruch und unterfällt damit §
86 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Karsten Schmidt, ZZP 1977, 38, 51; Andres/Leithaus, InsO, 2.
Aufl. 2011, § 86 Rn. 3; Braun/Kroth aaO §
86 Rn. 4; Jaeger/Windel aaO Rn.
13, 16; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth aaO Rn. 4; Uhlenbruck 9
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aaO Rn.
8; s. auch HK/Kayser aaO Rn.
8; differenzierend MünchKomm.InsO/Schumacher, 2.
Aufl. 2007, § 86 Rn.
15). Der Bundesgerichtshof hat demge-genüber zwar eine den Gläubiger nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO zur Aufnahme berechtigende Masseverbindlichkeit angenommen (BGH, Urteil vom 18.
März 2010 -
I ZR 158/07, GRUR 2010, 536 -
Modulgerüst II). Er hat dies aber damit begründet, dass die Verwirklichung des Verletzungstatbestands nicht dazu füh-re, dass die Produkte nicht zur Insolvenzmasse gehörten. Gerade hierum geht es aber, nicht anders als bei der negativen Feststellungsklage, bei der Patent-nichtigkeitsklage. Die Klage, mit der der vom Insolvenzverwalter als Verletzer in Anspruch Genommene die mangelnde Patentfähigkeit des Gegenstands des Patents geltend macht, entzieht im Falle ihres Erfolges das Patent
und die auf das Patent gestützten Ansprüche gegen den Verletzer
als Vermögensrechte
der Teilungsmasse. Sie tritt damit auch an die Stelle einer negativen Feststel-lungsklage, mit der eine vom Schuldner als Verletzer in Anspruch genommene Partei das Nichtbestehen solcher Ansprüche wegen Patentverletzung geltend macht. Denn da das Bestehen solcher Ansprüche im Patentverletzungsprozess nicht mit der Begründung geleugnet werden kann, dem Gegenstand des Pa-tents fehle die Patentfähigkeit, wird das Ziel eines solchen Feststellungsbegeh-rens
mit der erfolgreichen Patentnichtigkeitsklage erreicht, die sämtlichen aus dem Patent abgeleiteten Ansprüchen des Schuldners die Grundlage entzieht und damit die Teilungsmasse mindert.
4.
Der Entscheidung über die Wirksamkeit der Aufnahme durch Zwi-schenurteil steht nicht entgegen, dass die Berufung, wie der Beklagte und seine Streithelferin meinen, ohnedies als unzulässig zu verwerfen wäre. Einlegung und Begründung der Berufung durch die Klägerinnen sind nicht nach § 249 Abs. 2 ZPO unwirksam, weil sie während der Zeit der Unterbrechung vorge-nommen worden sind. Denn die Vorschrift ist allein auf Prozesshandlungen an-zuwenden, die dem Gegner gegenüber vorzunehmen sind, nicht aber auf die Einlegung eines Rechtsmittels bei Gericht (BGH, Urteil vom 30. September 1968
VII
ZR
93/67, BGHZ 50, 397, 400;
Urteil vom 21.
Juni 1995
VIII
ZR
224/94, NJW 1995, 2563;
Urteil vom 16. Januar 1997 -
IX ZR 220/96, 11
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NJW 1997, 1445). Ob es an einer wirksamen Zustellung der Berufungs-
sowie der Berufungsbegründungsschrift gefehlt hat, kann offenbleiben, da der Beklag-te jedenfalls gemäß §
295 ZPO auf die Rüge des Mangels verzichtet hat, indem er in der mündlichen Verhandlung die Zurückweisung der Berufung beantragt und damit zur Sache verhandelt hat.
Meier-Beck
Mühlens
Grabinski
Hoffmann
Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16.10.2008 -
3 Ni 30/06 (EU) -
Meta
23.04.2013
Bundesgerichtshof X. Zivilsenat
Sachgebiet: ZR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2013, Az. X ZR 169/12 (REWIS RS 2013, 6398)
Papierfundstellen: REWIS RS 2013, 6398
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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