Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.09.2010, Az. V S 26/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 3697

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Darlegungserfordernisse bei Anhörungsrüge - Wirksamkeit der Kündigung einer Vollmacht - Zulässigkeit einer Gegenvorstellung - Rüge des Mangels einer vorschriftsmäßigen Vertretung - Keine Gebühren bei Gegenvorstellung


Leitsatz

1. NV: Für die Zulässigkeit der Anhörungsrüge ist darzulegen, welches entscheidungserhebliche Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen wurde .

2. NV: Die Kündigung einer Vollmacht wird erst mit der Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten wirksam .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin, Rügeführerin, Beschwerdeführerin und Nichtigkeitsklägerin (Klägerin) wendet sich mit ihrer Anhörungsrüge, Sofortigen Beschwerde, Gegenvorstellung und Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss des [X.] ([X.]) vom 6. August 2009 [X.]/08 (1 K 1202/08). Mit diesem Beschluss hat der Senat eine Beschwerde auf Zulassung der Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts ([X.]) zurückgewiesen. Das [X.] hatte eine Nichtigkeitsklage der Klägerin als unzulässig verworfen.

Entscheidungsgründe

2

II. Das Begehren der Klägerin ist unzulässig.

3

1. Die gemäß § 133a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) statthafte Anhörungsrüge ist unzulässig, da ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 133a Abs. 2 Satz 5 [X.]O in seiner ab dem 1. Juli 2008 geltenden Fassung entspricht.

4

a) Nach dieser Bestimmung muss in der Anhörungsrüge --und zwar innerhalb der Frist des § 133a Abs. 2 Satz 1 [X.]O-- "dargelegt" werden, dass die Voraussetzungen des § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]O vorliegen. Darlegen, das schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch im Sinne von "erläutern" und "erklären" zu verstehen ist, heißt in diesem Zusammenhang: [X.], substantiiert und nachvollziehbar darstellen, zu welchen Sach- oder Rechtsfragen der [X.] sich im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren (hier dem [X.]) nicht habe äußern können, welches entscheidungserhebliche Vorbringen des [X.]s das Gericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen habe und woraus der [X.] dies meint folgern zu können (vgl. z.B. [X.] vom 26. November 2008 [X.], [X.], 409, und vom 11. März 2009 VI S 2/09, [X.], 1131). Dabei ist auch vorzutragen, inwiefern durch das nicht berücksichtigte Vorbringen die Entscheidung auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts hätte anders ausfallen können ([X.] vom 15. Mai 2007 IV S 6/07, nicht veröffentlicht --n.v.--, und vom 2. Oktober 2007 [X.], n.v.).

5

b) Die Klägerin macht mit ihrer Anhörungsrüge nicht geltend, dass der [X.] entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen hat.

6

aa) Im Streitfall hatte das [X.] die Klage als unzulässig abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.

7

bb) Nach dem Beschluss des [X.]s hatte die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg, da sich nach § 578 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 [X.]O die Nichtigkeitsklage gegen rechtskräftige Endurteile richte und das [X.] rechtsfehlerfrei entschieden habe, dass es sich bei der Terminanordnung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht um ein rechtskräftiges Endurteil handelt, so dass das [X.] die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen habe. Im Hinblick auf die sich aus § 578 Abs. 1 ZPO ergebende Unzulässigkeit der Klage komme es auf die von der Klägerin geltend gemachte fehlerhafte Beurteilung anderer Sachurteilsvoraussetzungen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O), die behaupteten schweren Rechtsfehler und die behauptete Divergenz zu Entscheidungen anderer Gerichte (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O) und weiter behauptete Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) nicht an. Die Revision sei weiter auch nicht im Hinblick auf die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs als rechtsmissbräuchlich nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O zuzulassen. Gleiches gelte für den behaupteten, aber bereits nicht schlüssig dargelegten Verstoß des [X.] gegen den für ihn geltenden Geschäftsverteilungsplan.

8

cc) Ohne sich mit der Begründung des Beschlusses des [X.]s auseinanderzusetzen, wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr Klagevorbringen (Nichtvornahme eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit eines Finanzamts, Falschbeurteilung von parteibezogenen Prozessvoraussetzungen, Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz "durch eine Entscheidung vom 12.11.2008" hinsichtlich der Tatsachen, die die örtliche Unzuständigkeit eines Finanzamts begründen, Divergenz zu anderen Gerichtsentscheidungen, Verstoß gegen das Gebot der Prozessökonomie, willkürliche Falschanwendung von Verfahrensrecht, Mängel der Vertretung des Beklagten, Vorliegen von [X.], Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz).

9

Zur Verletzung rechtlichen Gehörs selbst trägt die Klägerin nur vor, dass dem "Vortrag in den jeweiligen Entscheidungen keinerlei oder falls überhaupt nur ungenügende Beachtung geschenkt" worden sei. Dies reicht zur Darlegung, welcher Vortrag, der nach der Rechtsauffassung des [X.]s entscheidungserheblich war, und vom [X.] nicht zur Kenntnis genommen worden sei, nicht aus.

2. [X.] ist unzulässig. Entscheidungen des [X.] sind nicht mit der Sofortigen Beschwerde anfechtbar. Daher ist die Sofortige Beschwerde zu verwerfen (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 4. November 2008 [X.], n.v.).

3. Die Gegenvorstellung ist gleichfalls unzulässig. Der [X.] kann offen lassen, ob eine Gegenvorstellung als außerordentlicher Rechtsbehelf neben der gesetzlich geregelten Anhörungsrüge (§ 133a [X.]O) statthaft ist. Denn sie ist jedenfalls nur in Ausnahmefällen eröffnet, insbesondere bei schwerwiegenden Grundrechtsverstößen oder wenn die angegriffene Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint und jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (vgl. z.B. [X.] vom 27. September 2006 [X.], [X.]/NV 2006, 2304; vom 11. Juni 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1535; vom 14. November 2006 [X.], [X.]/NV 2007, 474, jeweils m.w.N.; vom 19. Mai 2008 III S 29/08, und vom 13. August 2008 III S 34/08, jeweils n.v.). Die Klägerin hat aber nicht substantiiert und nachvollziehbar vorgetragen, dass dem angefochtenen [X.]sbeschluss ein derart schwerwiegender Verstoß anhaftet.

4. [X.] ist unzulässig. Im Hinblick auf den angefochtenen [X.]sbeschluss ist die "Nichtigkeitsklage" --da sie sich nicht auf ein Urteil i.S. von § 578 ZPO bezieht-- als Antrag zu verstehen, den [X.]sbeschluss entsprechend § 134 [X.]O, § 579 ZPO für nichtig zu erklären.

Der Antrag ist indes unzulässig. Auf den geltend gemachten Vertretungsmangel auf der [X.] kann sich die Klägerin im Rahmen des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht berufen, weil der Mangel der vorschriftsmäßigen Vertretung nur vom nichtvertretenen Beteiligten --das wäre hier das nach Auffassung der Klägerin verfahrenswidrig nicht einbezogene Finanzamt-- gerügt werden kann ([X.]-Beschluss vom 27. Oktober 1992 [X.], [X.]/NV 1993, 314, m.w.N.).

Im Hinblick auf die von der Klägerin darüber hinaus noch geltend gemachten Rechtsfehler und [X.] ist ein Bezug zu einem der Nichtigkeitsgründe des § 579 ZPO nicht erkennbar. Die Klägerin macht im Wesentlichen jene Einwendungen geltend, die sie bereits in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vorgebracht hatte, und wendet sich gegen die Verfahrensweise des [X.]s und die Begründung des [X.]sbeschlusses. Welche Nichtigkeitstatbestände insoweit gegeben sein sollen, ist nicht ersichtlich.

5. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar mit Schriftsatz vom 28. Januar 2010 mitgeteilt, dass er die Klägerin nicht mehr vertrete. Die Kündigung der Vollmacht erlangt gemäß § 62 Abs. 4, § 155 [X.]O i.V.m. § 87 ZPO aber erst Wirksamkeit durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten ([X.]-Urteil vom 13. Januar 1977 [X.], [X.]E 121, 20, [X.] 1977, 238). Ein anderer Prozessbevollmächtigter ist bisher nicht bestellt worden.

6. Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge wird eine Gebühr in Höhe von 50 € erhoben (vgl. Nr. 6400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes --Kostenverzeichnis--).

Die Kostenentscheidung beruht bezüglich der Sofortigen Beschwerde und der Nichtigkeitsklage auf § 135 Abs. 2 [X.]O. Die Entscheidung über die Gegenvorstellung ergeht gerichtsgebührenfrei, da für Verfahren betreffend Gegenvorstellung kein Gebührentatbestand vorgesehen ist (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 8. August 2005 III S 18/04, [X.]/NV 2006, 76).

Meta

V S 26/09

01.09.2010

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend BFH, 6. August 2009, Az: V B 88/08, Beschluss

§ 133a FGO vom 12.12.2007, § 62 Abs 4 FGO, § 155 FGO, § 87 ZPO, § 579 Abs 1 Nr 4 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 135 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.09.2010, Az. V S 26/09 (REWIS RS 2010, 3697)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3697

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I S 14, 15/13, I S 14/13, I S 15/13 (Bundesfinanzhof)

Gegenvorstellung und Anhörungsrüge


X S 8/11 (Bundesfinanzhof)

Anhörungsrüge: Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs - Wesen der Prozessvollmacht - Zulässigkeit einer …


I S 3/14 (Bundesfinanzhof)

Vertretungszwang bei Erhebung der Anhörungsrüge - Unbeachtlichkeit von Schriftsätzen eines nicht postulationsfähigen, "im Auftrag" des …


II S 31/10 (Bundesfinanzhof)

Begründungsintensität von PKH-Beschlüssen - Kein Vertretungszwang bei Antrag auf Bewilligung von PKH - Zulässigkeit einer …


X S 16/21, X S 17/21 (PKH), X S 20/21 (PKH), X S 16/21, X S 17/21 (PKH), X S 20/21 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Gebührenhöhe für nach dem 31.12.2020 eingegangene Anhörungsrügen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.