Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.01.2013, Az. 2 B 114/11

2. Senat | REWIS RS 2013, 8630

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Gegenstand

Soldat; Dienstpflichtverletzung; ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung; Entlassung; Auslegung des § 55 Abs. 5 SG


Gründe

1

Die auf die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache gestützte [X.]eschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat keinen Erfolg.

2

1. Der Kläger wurde nach einer Dienstzeit von fast drei Jahren fristlos aus dem [X.] auf [X.] entlassen, weil er bei einer Fahrkartenkontrolle in einem Regionalzug einen gefälschten [X.]ahnberechtigungsausweis und einen gefälschten [X.] vorgelegt hatte. Die Staatsanwaltschaft stellte das deswegen gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein, weil ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht gegeben sei, die Schuld und der Schaden als gering anzusehen seien und der Kläger nicht vorbestraft sei.

3

Die Klage gegen die Entlassungsverfügung hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Das [X.]erufungsgericht hat ausgeführt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung nicht vorlägen. Der Kläger habe zwar seine Dienstpflichten verletzt, dadurch jedoch keine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der [X.] herbeigeführt. Weder habe der Pflichtenverstoß den militärischen Kernbereich betroffen noch sei eine Nachahmung zu befürchten gewesen. Selbst wenn die Gefahr der Nachahmung bestünde, könnte ihr wirksam durch konsequenten Einzug der an die vormals Wehrpflichtigen vergebenen Ausweise oder der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Dienstverhältnis als milderes Mittel begegnet werden. Auch einer - unterstellten - Ansehensminderung der [X.] hätte durch die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wirksam begegnet werden können.

4

2. Die Revision ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

5

Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn die [X.]eschwerde gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche, noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr; [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - [X.]VerwG 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91> = [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.). Dies ist hier nicht der Fall.

6

Die [X.]eschwerde sieht als grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragen an,

"ob der durch [X.] eingetretene und durch dienstliche Verfügungen manifestierte Vertrauensverlust der militärischen Vorgesetzten oder der [X.] Dienststelle den Kernbereich der militärischen Ordnung berührt und daher eine Entlassung nach § 55 Abs. 5 [X.] rechtfertigt",

"ob die durch Ausgabe von [X.] garantierte, jederzeitige Verfügbarkeit von Wehrpflichtigen am Dienstort zur Funktionsfähigkeit der [X.] beitrage und ein Missbrauch dieses Systems den Kernbereich der militärischen Ordnung betrifft",

und schließlich,

"welche Anforderungen an die [X.] in der Öffentlichkeit zu richten sind, insbesondere welche Maßstäbe an den [X.]egriff der "Öffentlichkeit" angelegt werden müssen".

7

Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht, weil sie nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam sind. Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 55 Abs. 5 [X.] ist in der Rechtsprechung des [X.] hinreichend geklärt.

8

Nach § 55 Abs. 5 [X.] kann ein Soldat auf [X.] während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der [X.] ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der [X.] gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine [X.]eeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. [X.]ereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 [X.] ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (Urteile vom 9. Juni 1971 - [X.]VerwG 8 [X.] 180.67 - [X.]VerwGE 38, 178 <180 f.> = [X.] 238.4 § 55 [X.] Nr. 5 S. 2 f., vom 31. Januar 1980 - [X.]VerwG 2 [X.] 16.78 - [X.]VerwGE 59, 361 <362 f.> = [X.] 238.4 § 55 [X.] Nr. 8 S. 5 f., vom 24. September 1992 - [X.]VerwG 2 [X.] 17.91 - [X.]VerwGE 91, 62 <63 f.> = [X.] 236.1 § 55 [X.] Nr. 13 S. 2 f. und vom 28. Juli 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 28.10 - [X.]VerwGE 140, 199 = [X.] 310 § 96 VwGO Nr. 60, jeweils Rn. 10, sowie [X.]eschluss vom 16. August 2010 - [X.]VerwG 2 [X.] 33.10 - [X.] 449 § 55 [X.] Nr. 20 Rn. 6).

9

Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können [X.] auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der [X.] durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (Urteile vom 9. Juni 1971 a.a.[X.], vom 31. Januar 1980 a.a.[X.], vom 20. Juni 1983 - [X.]VerwG 6 [X.] 2.81 - [X.] 238.4 § 55 [X.] Nr. 11 S. 13 f. = NJW 1984, 938, vom 24. September 1992 a.a.[X.] und vom 28. Juli 2011 a.a.[X.] Rn. 11 sowie [X.]eschluss vom 16. August 2010 a.a.[X.] Rn. 7).

Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 [X.] regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für [X.] im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. [X.]ei [X.] außerhalb dieses [X.]ereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete [X.]efürchtung besteht, der Soldat werde weitere [X.] begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der [X.] beurteilen zu können (vgl. Urteile vom 9. Juni 1971, vom 31. Januar 1980, vom 20. Juni 1983, vom 24. September 1992 und vom 28. Juli 2011 jeweils a.a.[X.] sowie [X.]eschluss vom 16. August 2010 a.a.[X.] Rn. 8).

Das [X.]erufungsgericht hat die dargestellten Auslegungsgrundsätze seinem Urteil zugrunde gelegt und auf den festgestellten Sachverhalt angewandt. Es hat das Verhalten des [X.] weder dem militärischen Kernbereich zugeordnet noch als eine Straftat von erheblichem Gewicht angesehen. Auch hat es keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr festgestellt.

Die beiden ersten mit der [X.]eschwerde aufgeworfenen Fragen lassen sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung im Sinne des [X.]erufungsurteils beantworten. Nach der dargestellten Rechtsprechung des [X.] müssen [X.] im militärischen Kernbereich die personelle oder materielle Einsatzbereitschaft der [X.] unmittelbar beeinträchtigen, sodass hierunter begrifflich schon nur (schwere) innerdienstliche [X.] fallen können, oder außerdienstliches Verhalten, das unmittelbar hierauf gerichtet ist. Dies ist bei der einmaligen Verwendung eines gefälschten [X.]ahnberechtigungsausweises und eines gefälschten [X.]es nicht der Fall. Nicht jeder schuldhafte Pflichtenverstoß eines Soldaten beeinträchtigt unmittelbar die Einsatzbereitschaft der [X.]. [X.]ei sonstigem außerdienstlichen Verhalten, wie es dem Soldaten zur Last gelegt wird, muss es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handeln oder eine Wiederholungs- oder eine Nachahmungsgefahr bestehen.

Im Übrigen ist entgegen der Auffassung der [X.]eschwerde zur [X.]eantwortung der Frage, ob der Kernbereich der militärischen Ordnung berührt wird, nicht auf das persönliche Empfinden der für den Kläger zuständigen militärischen Vorgesetzten oder seiner [X.] Dienststelle abzustellen. Die Frage, ob das Verbleiben im Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der [X.] ernstlich gefährden würde, ist nach dem Normzweck des § 55 Abs. 5 [X.] und dem darin verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anhand objektiver Kriterien zu beurteilen. Danach soll gerade nicht jeder mit einem leichteren Fehlverhalten zwangsläufig einhergehende Verlust des "uneingeschränkten" Vertrauens der Vorgesetzten zur Entlassung aus dem Dienstverhältnis führen können. Vielmehr müssen gerade bei leichterem Fehlverhalten entweder eine Wiederholungsgefahr oder eine Nachahmungsgefahr hinzukommen. Zudem muss feststehen, dass die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der [X.] nicht durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann.

Die Fragen nach dem [X.]egriff der "Öffentlichkeit" im Rahmen der [X.] und einer Gefährdung des Kernbereichs der militärischen Ordnung durch den Missbrauch von [X.] sind im Übrigen schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil das [X.]erufungsgericht beides im Rahmen einer Zusatzargumentation unterstellt und gleichwohl die Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 [X.] verneint. Das [X.]erufungsgericht führt aus, dass einer - unterstellten - Ansehensminderung der [X.] durch die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme hätte wirksam begegnet werden können. Ähnlich argumentiert es zur Gefahr der Nachahmung. Entgegen der in diesem Zusammenhang von der [X.]eschwerde vertretenen Auffassung ist zudem grundsätzlich geklärt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Rahmen der [X.] gilt, sodass auch dort zu prüfen ist, ob ihr durch eine Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Dienstverhältnis als milderes Mittel wirksam begegnet werden kann. Zum möglichen Missbrauch der [X.]ahnberechtigungsausweise schließlich weist das [X.]erufungsgericht noch zusätzlich auf die Möglichkeit des konsequenten Einzugs der Ausweise hin. Hiermit setzt sich die [X.]eschwerde nicht auseinander.

Meta

2 B 114/11

28.01.2013

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 14. Juli 2011, Az: 4 S 1915/09, Urteil

§ 55 Abs 5 SG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.01.2013, Az. 2 B 114/11 (REWIS RS 2013, 8630)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8630

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