Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.05.2014, Az. 1 StR 116/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5392

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
116/14

vom
21. Mai
2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen

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2
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Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 21. Mai 2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Wahl
als Vorsitzender

und die [X.] am [X.]
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Gegenstand des Verfahrens ist die Entscheidung über einen Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 413 StPO auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die [X.] hat diesen Antrag [X.], weil eine
Unterbringung
unverhältnismäßig wäre.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die auch vom [X.] vertreten wird, hat Erfolg.

1. Folgendes ist festgestellt:

a) Der 1981 geborene Beschuldigte leidet seit Jahren an paranoider Schizophrenie, die unter anderem von [X.] (Schmerzempfin-
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Krankheitssymptome gehen bei medikamentöser Behandlung immer wieder zurück. Weil er aber wegen der fehlenden Krankheitseinsicht die Medikamente
wiederholt
eigenmächtig absetzt, kommt es
jeweils alsbald zu einem Rückfall und er muss erneut
stationär untergebracht werden.
Teilweise erfolgte dies nach Maßgabe von Betreuungsrecht,
dessen Anwendung auf seinem verbal aggressiven Verhalten beruhte. Bei seiner letzten Unterbringung vor seiner Un-terbringung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens musste er wegen (nicht näher beschriebenerr
Verhaltensweisen zeitweise fixiert

werden.

b) Auf der Grundlage dieses Zustandes kam es zwischen 2011 und 2013 zu folgenden Taten:

(1) Soweit der Beschuldigte nicht arbeitsunfähig war, arbeitete er in einer Gießerei. Er war überzeugt, dass [X.] und sein Vorarbeiter durch ihr spürte. In seinem öffentlichen FacebookProfil bezeichnete er den Vorarbeiter nicht nur als blöd, sondern er kündigtsterben, weil er, der Beschuldigte, den Stecker herausziehe. Auf dem gleichen Weg kündigte er an, dass [X.] bald sterben werde.

(2) Eine Mitbewohnerin des Hauses machte er ebenfalls für Schmerzen in seinem
Unterleib verantwortlich, nachdem diese wegen von ihm verursachter Lärmbelästigung wiederholt die Polizei gerufen hatte. Mehrfach kündigte er ihr, n-gen, wenn sie noch einmal die Polizei rufe.
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(3) Der Beschuldigte war davon überzeugt, die Schwester eines Freun-
schlagen. Als er bei
ihr klingelte, öffnete nicht sie sondern ihre Mutter. [X.] schlug er dieser heftig mit der Faust ins Gesicht. Nasenbluten, Kopf-schmerzen, Schwindelgefühle und Schwellungen sowie über Wochen ein Mo-nokelhämatom waren die Folge. In der Hauptverhandlung erklärte der Beschul-

ä-higkeit an. Während der Sachverständige von fehlender Steuerungsfähigkeit ausgeht, nimmt die [X.] in ausdrücklicher Abweichung hiervon [X.] Einsichtsfähigkeit an. Im Übrigen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig Gewaltdelikte zu erwarten, es sei gegenüber früher eine erkennbare Steigerung des Gewaltpotentials auszumachen. Jedoch spreche sein früheres Verhalten dafür, dass mit noch intensiveren Gewaltdelikten nicht zu rechnen sei. Im Blick auch auf die seit Jahren vorhandene Erkrankung spreche der [X.], dass der Angeklagte bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, gegen die Annahme, eine Unterbringung sei verhältnismäßig. In diesem t-ung angesichts der fehlenden

Insgesamt sei nach alledem eine Unterbringung gegenwärtig [X.].
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3. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand:

a) Im Ansatz zutreffend geht die [X.] davon aus, dass Gewalt-delikte, wie etwa Faustschläge ins Gesicht, regelmäßig als im Sinne des § 63 StGB erhebliche Taten anzusehen sind (vgl. nur [X.], Urteil
vom 17. Februar 2004

1 [X.]). Nicht deutlich, für das Maß der vom Beschuldigten ausgehenden Gefahr aber möglicherweise bedeutsam, wird dagegen, dass auch Bedrohungen, etwa mit dem Tode,
als erhebliche Taten zu bewerten sein können, wenn sie aus Sicht der Bedrohten diese nachhaltig und massiv in ih-rem elementaren Sicherheitsempfinden beeinträchtigen können (vgl. [X.], [X.] vom 3. April 2008

1 [X.]/08).

b) Zweifel bestehen auch an der Bewertung der Grundlage der Schuld-unfähigkeit des Beschuldigten:

Schuldunfähigkeit kann sowohl auf fehlender Einsichtsfähigkeit beruhen als auch auf fehlender Steuerungsfähigkeit. Zwar liegen gerade in Fällen, in denen

wie hier

im Ergebnis Schuldunfähigkeit angenommen ist, die für die Unterscheidung maßgeblichen Kriterien nicht stets klar auf der Hand. Dennoch kann nach ständiger
Rechtsprechung gerade dann nicht auf eine präzise Fest-stellung verzichtet werden, wenn eine Unterbringung gemäß § 63 StGB im Raum steht (vgl. zusammenfassend [X.],
StGB,
61. Aufl.,
§ 20 Rn.
44a mwN). All dies verkennt auch die [X.] nicht, jedoch ist die ihrer Bewer-tung zu Grunde liegende Würdigung nicht rechtsfehlerfrei dargelegt. Sie be-schränkt sich letztlich auf die Feststellung, dass sie die Auffassung des Sach-verständigen zum Grund der Schuldunfähigkeit nicht teile. Zwar ist das Gericht grundsätzlich nicht an die Bewertung durch einen Sachverständigen gebunden, 10
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jedoch bedarf die Abweichung von der Auffassung eines

hier als hoch quali-fiziert angesehenen

Sachverständigen zumal dann näherer Darlegung, wenn das Gericht nach gesetzlicher Wertung in dem in Rede stehenden Zusammen-hang regelmäßig sachverständiger Beratung bedarf (vgl. § 246a StPO).

c) Unklar ist auch, wieso trotz der aus der Tat gegen die Mutter des Freundes ersichtlichen gesteigerten Gefährlichkeit des Beschuldigten bei den

anders als früher nunmehr zu befürchtenden

künftigen
Gewalttaten eine noch intensivere Gewaltanwendung nicht zu erwarten sein soll. Allein der [X.], dass er früher (noch) keine Gewalt gegen Personen ausgeübt hat, kann dies jedenfalls ohne nachvollziehbare Erläuterung nicht belegen. Dem gegen-über wäre in diesem Zusammenhang auch das festgestellte, aber nicht näher erläuterte Geschehen im Krankenhaus in die Erwägungen einzubeziehen ge-wesen. Die offenbar aus ärztlicher Sicht bejahte Notwendigkeit einer Fixierung des Beschuldigten wegen seines fremdaggressiven Verhaltens kann für die Beurteilung des Maßes der von ihm früher schon ausgegangenen Gefährlich-keit und damit auch für die Prognose über die künftig von ihm ausgehende Ge-fährlichkeit erkennbar Bedeutung haben. Allein der Umstand, dass dieses [X.] zu keinem Straf-
oder Ermittlungsverfahren führte

auf diesen Aspekt stellt die [X.] insgesamt bei der Bewertung des bisherigen Verhaltens ab

wäre nicht notwendig geeignet, dieses Geschehen zu relativieren. [X.] für die Beurteilung krankheitsbedingter Gefährlichkeit sind in erster [X.] zu Tage getretene tatsächliche Verhaltensweisen.

d) Im Übrigen ist bei der Entscheidung über eine Unterbringung vom er-kennenden Gericht allein auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen. Die Überlegungen der [X.] dazu, ob und wann eine Unterbringung zur 14
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Bewährung ausgesetzt werden könnte, sind nach gesetzlicher Konzeption der Strafvollstreckungskammer (§ 463 StPO i.V.m.
§ 462a StPO)
vorbehalten. [X.] hinaus hat die [X.] auch übersehen, dass die [X.]

ohne dass es hier auf Weiteres ankäme

eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären hat, wenn nach ihrer maßgeblichen
Auffassung die weitere Vollstreckung der Maßregel [X.] wäre (§ 67d Abs. 6 Satz 1 StGB). Prognosen über künftige Ent-scheidungen der Strafvollstreckungskammer können nicht Teil der [X.] über eine Unterbringungsanord-nung sein. Dem entspricht im Übrigen, dass der [X.] lediglich mit Rahmen der Vollstreckung einer vom Tatrichter rechtsfehlerfrei angeordneten Unterbringung [X.] Gewicht haben können (vgl. z.B. Beschlüsse vom 25. April 2013

5 [X.] und vom 26. September 2012

5 [X.]/12).

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4. Es mag dahinstehen, ob jeder der aufgezeigten Gesichtspunkte für sich genommen notwendig zur
Aufhebung des Urteils führen müsste. [X.] in ihrer Gesamtschau führen sie dazu, dass die Sache neuer Verhandlung
und Entscheidung bedarf.
Wahl Rothfuß Graf

Jäger Mosbacher
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Meta

1 StR 116/14

21.05.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.05.2014, Az. 1 StR 116/14 (REWIS RS 2014, 5392)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5392

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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