Bundessozialgericht, Urteil vom 11.04.2013, Az. B 2 U 34/11 R

2. Senat | REWIS RS 2013, 6727

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Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Verstoß gegen § 200 Abs 2 SGB 7 - Löschungsanspruch gem § 84 SGB 10 - Pflicht zur Belehrung über Widerspruchsrecht und zur Benennung einer Auswahl an Sachverständigen - Begriff des Gutachtens - sozialgerichtliches Verfahren - BSG-Beschluss gem § 170 Abs 5 SGG - Bindungswirkung)


Leitsatz

1. Eine Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht und zur Benennung einer Auswahl an Sachverständigen trifft den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung lediglich bei der Einholung von Sachverständigengutachten. Sie besteht nicht für Gerichte, die im Rahmen eines Rechtsstreits nach dem SGG solche Gutachten einholen.

2. Ein Beschluss des BSG, der die Entscheidung der Vorinstanz aufhebt und die Sache dorthin zurückverweist, ist eine urteilsgleiche Entscheidung. Sie hat Bindungswirkung allerdings nur für das Gericht und in dem Verfahren, in dem das BSG die Entscheidung getroffen hat.

Tenor

Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. Oktober 2011 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt wurde, die Stellungnahmen des [X.] vom 28.4. und 28.5.2004 aus den Verwaltungsakten zu entfernen. Die Berufung der Klägerin wird auch insoweit zurückgewiesen.

Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Löschung beratungsärztlicher Stellungnahmen und eines Schriftsatzes aus den Verwaltungsakten der [X.], sowie ob sie nach § 44 [X.] einen Anspruch auf Rücknahme der Entscheidung über die Ablehnung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 24.10.2001 hat.

2

Am 24.10.2001 erlitt die Klägerin einen von der [X.] anerkannten Arbeitsunfall, als ihr Fahrzeug auf der Autobahn in einer Linkskurve einen Defekt an der Servolenkung hatte. Sie konnte das Fahrzeug nicht mehr lenken, es jedoch auf einem zufällig in gerader Fahrtrichtung gelegenen Parkplatz anhalten. Die Klägerin zeigte der [X.] das Ereignis als Arbeitsunfall an. Die [X.] stellte durch Verwaltungsakt im Bescheid vom 11.6.2004 das Ereignis als Arbeitsunfall fest. Durch weiteren Verwaltungsakt in diesem Bescheid lehnte sie die Gewährung einer Verletztenrente ab. Der Widerspruch blieb im Widerspruchsbescheid vom 13.8.2004 ohne Erfolg.

3

In dem deswegen angestrengten Rechtsstreit sprach das [X.] der Klägerin unter Anerkennung einer Panikstörung als Unfallfolge mit Urteil vom [X.] ([X.] U 3809/04) eine Rente nach einer MdE um [X.] zu und wies die weitergehende Klage ab. Beide Beteiligten legten Berufung ein. Das [X.] hob mit Urteil vom 21.2.2008 das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klagen insgesamt ab. Das [X.] stützte sich auf das von ihm eingeholte Gutachten des Prof. Dr. Fo. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob das B[X.] mit Beschluss vom 18.11.2008 ([X.] [X.]/08 B) das Urteil des [X.] auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurück. Das Gutachten Prof. Dr. Fo. sei nicht verwertbar, da es in wesentlichen Teilen nicht durch den Sachverständigen selbst, sondern durch den [X.] Arzt erstellt worden sei (Verletzung des § 407a Abs 2 Satz 1 ZPO). In dem wiedereröffneten Berufungsverfahren verblieb das [X.] mit Urteil vom [X.] (L 10 U 5978/08) bei seiner ursprünglichen Entscheidung. Auch gegen dieses Urteil wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die durch Beschluss des [X.] ([X.] U 164/09 B) als unzulässig verworfen wurde.

4

Noch vor Beendigung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde beantragte die Klägerin am [X.] bei der [X.], alle gutachterlichen Stellungnahmen in den Verwaltungsakten zu löschen, namentlich die ihr bekannten Stellungnahmen der [X.]. [X.], [X.] und [X.] Sie beantragte auch, den Bescheid vom 11.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.8.2004 "aufzuheben". Auf diesen Antrag hin entfernte die [X.] die Stellungnahmen des Dr. [X.] vom 13.10.2003 und des Dr. [X.] vom 9.4.2005 aus den Verwaltungsakten.

5

Durch Verwaltungsakt im Bescheid vom [X.] lehnte die [X.] es ab, den Bescheid vom 11.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.8.2004 zurückzunehmen und ein neues Verwaltungsverfahren einzuleiten. Trotz Löschung der beiden ärztlichen Gutachten bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der genannten [X.]. Die [X.] lehnte es durch weiteren Verwaltungsakt in demselben Bescheid aber ab, weitere ärztliche Stellungnahmen zu löschen. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5.2.2010).

6

Die Klägerin hat Klage zum [X.] erhoben, mit der sie unter Anfechtung dieser [X.] die Zurücknahme der Rentenablehnung (Verwaltungsakt vom 11.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.8.2004), Zahlung einer Rente sowie die Löschung aller beratungsärztlichen Stellungnahmen, insbesondere derjenigen des Dr. [X.] vom 28.4. und 28.5.2004, des Schriftsatzes der [X.] vom [X.] sowie der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. [X.] vom 27.3.2006 begehrte. Das [X.] hat die Klagen durch Gerichtsbescheid vom 11.11.2010 abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, die zu löschenden ärztlichen Stellungnahmen seien unter Verletzung des § 200 Abs 2 [X.]B VII zustande gekommen. Nach Löschung der ärztlichen Stellungnahmen ergebe sich eine neue Tatsachenlage, sodass die [X.] in die Überprüfung der ursprünglichen Verwaltungsakte eintreten müsse. Dieser Anspruch sei auch deshalb gegeben, weil für das vom [X.] im früheren Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Fo. ein Beweisverwertungsverbot bestehe, wie das B[X.] mit Beschluss vom 18.11.2008 entschieden habe. Das [X.] hat mit Urteil vom 28.10.2011 den Bescheid der [X.] vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.2.2010 geändert und die [X.] verpflichtet, auch die Stellungnahmen des Dr. [X.] vom 28.4. und 28.5.2004 aus der Verwaltungsakte zu entfernen. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

7

Die Klägerin und die [X.] haben die vom [X.] zugelassene Revision eingelegt.

8

Die Klägerin macht geltend, sie habe Anspruch auf Löschung der Stellungnahme des Dr. [X.] vom 27.3.2006 und eines Schriftsatzes der [X.] vom [X.], weil ein Verstoß gegen § 200 Abs 2 [X.]B VII vorliege. Außerdem beansprucht sie die Aufhebung der Rentenablehnung im Bescheid vom 11.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.8.2004 auf der Grundlage des § 44 Abs 1 [X.] und Zahlung einer Rente wegen des fraglichen Arbeitsunfalls. [X.] [X.] beruhe auch auf einer Verletzung des § 44 [X.]. Das [X.] lehne einen Anspruch auf Zurücknahme der ablehnenden Entscheidung über eine Rente ab, obwohl aufgrund der zu löschenden ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten eine hinreichende Tatsachengrundlage zur Beurteilung des Rentenanspruchs der Klägerin nicht mehr vorliege. Insbesondere sei das Gutachten des Prof. Dr. Fo. unverwertbar, weil dieses unter Verstoß gegen § 118 Abs 1 [X.]G iVm § 407a Abs 2 ZPO zustande gekommen sei und deshalb einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Die [X.] müsse den Anspruch erneut prüfen und eine Rente zahlen.

9

Die Klägerin beantragt:

        

1.    

[X.] Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28.10.2011 wird abgeändert.

        

2.    

[X.] des [X.] vom 11.11.2010 wird aufgehoben.

        

3.    

Die [X.] wird verurteilt, den Schriftsatz der [X.] vom [X.] sowie die gutachterliche Stellungnahme des Herrn Dr. [X.] vom 27.3.2006 aus den Verwaltungsakten zu entfernen.

        

4.    

Die [X.] wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.2.2010 sowie des Bescheids vom 11.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.8.2004 der Klägerin aufgrund des Arbeitsunfalls vom 24.10.2001 eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Klägerin beantragt weiterhin,
die Revision der [X.] zurückzuweisen.

Die [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] Baden-Württemberg vom 28.10.2011 insoweit aufzuheben, als die [X.] darin verpflichtet wird, die Stellungnahmen des Dr. [X.] vom 28.4.2004 und 28.5.2004 aus der Verwaltungsakte zu entfernen und die Berufung insoweit zurückzuweisen.

Die [X.] beantragt weiterhin,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

[X.] [X.] beruhe auf einer Verletzung des § 200 Abs 2 [X.]B VII, soweit das [X.] ein Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung für die Stellungnahmen des Dr. [X.] vom 28.4. und 28.5.2004 angenommen habe. Diese könnten in der Verwaltungsakte verbleiben, verwertet und der Entscheidung zugrunde gelegt werden.

Entscheidungsgründe

Die nach Zulassung der Revision durch das [X.] jeweils form- und fristgerecht eingelegten Revisionen der [X.]lägerin und der [X.]n sind zulässig.

Die [X.]lägerin begehrt die Änderung des Urteils des [X.], weil sie mit der Anfechtungs- und Leistungsklage die Entfernung des Schriftsatzes der [X.]n vom [X.] sowie der gutachterlichen Stellungnahme des [X.] vom 27.3.2006 aus den Verwaltungsakten beanspruchen könne (1.). Sie beantragt auch, das Urteil des [X.] im Hinblick auf die Entscheidung über das zweite, in objektiver [X.]lagehäufung (§ 56 [X.]G) verbundene Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsbegehren zu ändern. Die [X.] sei zu verurteilen, unter Aufhebung der Ablehnung einer Rücknahme und unter Verpflichtung zur Zurücknahme des die Rente ablehnenden Bescheids vom 11.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.8.2004, der [X.]lägerin aufgrund des Arbeitsunfalls vom 24.10.2001 eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren (2.). Schließlich begehrt die [X.] mit ihrer Revision die Aufhebung der vom [X.] ausgesprochenen Verpflichtung zur Löschung der ärztlichen Stellungnahmen des [X.] vom 28.4. und 28.5.2004 aus den Verwaltungsakten (3.).

Die Revision der [X.]lägerin ist unbegründet, diejenige der [X.]n ist begründet.

1. [X.] zuletzt noch verfolgte Anfechtungs- und Leistungsbegehren der [X.]lägerin ist hinreichend bestimmt und auch sonst zulässig, in der Sache aber unbegründet. Die [X.]lägerin verfolgt in der Revision nur noch einen Anspruch auf Löschung der Stellungnahme des [X.] vom 27.3.2006 (hierzu unter b) und eines Schriftsatzes der [X.]n vom [X.] (hierzu sogleich unter a).

Die Anträge sind insoweit auch hinreichend bestimmt. Zwar bezieht sich der Antrag der [X.]lägerin nicht auf einzelne Passagen mit [X.] in den streitigen Dokumenten (vgl zu dieser Frage [X.] vom [X.] - B 2 U 17/09 R - [X.] 4-2700 § 200 [X.] Rd[X.]3). Der geltend gemachte Löschungsanspruch nach § 84 [X.]B X würde aber leer laufen, wenn aus einem Dokument - quasi Zeile für Zeile - die beanstandeten [X.] benannt und deren Löschung, Entfernung usw jeweils einzeln beantragt werden müsste. Das verbleibende Dokument wäre zudem ohne Bezug zu einer konkreten Person oder einem konkreten Lebenssachverhalt und deshalb unbrauchbar.

Die [X.]lägerin hat aber keinen Löschungsanspruch. Nach § 84 [X.] sind [X.] zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Die [X.] war zuständig und befugt, über den Löschungsanspruch der [X.]lägerin zu entscheiden. Die "Speicherung" des Gutachtens war zulässig. Die [X.] hat nach den Maßstäben des [X.]schutzes zulässig gehandelt (§ 67c Abs 1 Satz 1 und [X.]), als sie den Schriftsatz vom [X.] und die beratungsärztliche Stellungnahme des [X.] vom 27.3.2006 zur Erfüllung ihrer Aufgaben in die Verwaltungsakte einfügte, denn sie hatte auf Antrag der [X.]lägerin über das Bestehen eines Anspruchs auf Feststellung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 56 [X.]) zu entscheiden (vgl auch [X.] vom [X.] - B 2 U 17/09 R - [X.] 4-2700 § 200 [X.] Rd[X.]3).

Der [X.] hat bereits mit Urteil vom [X.] (aaO) infrage gestellt, ob § 200 Abs 2 [X.] trotz seines Wortlauts, der eine solche Rechtsfolge nicht ausdrücklich vorsieht, so ausgelegt werden kann, dass die Vorschrift die Unzulässigkeit der Speicherung eines Gutachtens hinreichend bestimmt anordnet ([X.] aaO Rd[X.]7 f). Diese Frage muss weiterhin nicht beantwortet werden, denn im vorliegenden Fall lagen schon jeweils die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 200 Abs 2 [X.] für eine Unzulässigkeit der Speicherung nicht vor.

a) Ein Anspruch auf Löschung des Schriftsatzes der [X.]n vom [X.] besteht nicht.

Eine Verletzung des § 200 Abs 2 [X.] durch Erstellung oder Einreichung des Schriftsatzes eines Beteiligten bei Gericht scheidet schon im Ansatz aus. Die Regelung statuiert für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Rechtspflichten lediglich bei der Einholung von Gutachten. Ein solches liegt aber nicht in dem Schriftsatz der [X.]n vom [X.]. Der damalige Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der [X.]n hat im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens auf Veranlassung des [X.] den Schriftsatz vom [X.] - ua zu medizinischen Fragen - beim [X.] eingereicht. Stellungnahmen eines Beteiligten - auch wenn sie wie hier durch ein gesetzlich zuständiges Organ, im Rahmen von Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren abgegeben werden - sind keine Gutachten. Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Schriftsatz teilweise [X.] enthält und enthalten muss.

Der Schriftsatz ist auch nicht aufgrund einer denkbaren Fernwirkung eines [X.] zu entfernen, denn die mögliche Fernwirkung eines [X.] betrifft nur (weitere) Beweismittel ("weiteres Beweismittel", so [X.] vom 5.2.2008 - [X.] U 8/07 R - [X.]E 100, 25 = [X.] 4-2700 § 200 [X.], [X.]), nicht aber das bloße Vorbringen eines Beteiligten im Prozess.

b) Auch ein Anspruch auf Löschung der ärztlichen Stellungnahme des [X.] vom 27.3.2006 besteht nicht, weil auch diese kein Gutachten iS des § 200 Abs 2 [X.] ist.

Das [X.] hat - insoweit für den [X.] bindend (§ 163 [X.]G) - festgestellt, dass die Stellungnahme des [X.] vom 27.3.2006 zwölf Seiten umfasst und sich im Einzelnen mit dem vom [X.] eingeholten Gutachten des Dr. He. vom [X.] auseinandersetzt. Inhaltlich stellt sich die Stellungnahme von [X.] danach als fachärztliche, kritische Bewertung des Gutachtens des Dr. He. dar, die nicht überwiegend von eigenen Auswertungen der Akten und eigenen Schlussfolgerungen geprägt ist. Auf der Grundlage dieser vom [X.] getroffenen und nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen hat das [X.] zu Recht den rechtlichen Schluss gezogen, dass die streitige beratungsärztliche Stellungnahme nicht die Merkmale eines Gutachtens iS des § 200 Abs 2 [X.] erfüllt.

"Nach ihrem Wortlaut und dem [X.] mit den §§ 67 ff [X.]B X gilt die zitierte Vorschrift (gemeint ist § 200 Abs 2 [X.]) für Gutachten, die der Unfallversicherungsträger zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben in Auftrag gibt. Der Begriff des Gutachtens wird im Gesetz selber nicht definiert. Dem allgemeinen Sprachverständnis folgend fällt darunter nicht jedwede Äußerung oder Stellungnahme eines medizinischen oder technischen Sachverständigen zu einzelnen Aspekten des Verfahrensgegenstandes, sondern nur die umfassende wissenschaftliche Bearbeitung einer im konkreten Fall relevanten fachlichen Fragestellung durch den Sachverständigen" (so wörtlich [X.] vom 5.2.2008 - [X.] U 8/07 R - [X.]E 100, 25 = [X.] 4-2700 § 200 [X.], Rd[X.]6, s auch aaO Rd[X.]9, 26). Ein Gutachten liegt nur vor, wenn die Beantwortung der Fragen durch einen externen Sachverständigen, dh durch eine Person erfolgt, die dem Unfallversicherungsträger nicht angehört und mit diesem auch keinen Dienst- oder Beratungsvertrag abgeschlossen hat ([X.] aaO Rd[X.]9; so auch [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 200 Rd[X.]7).

Die nach diesen rechtlichen [X.]riterien nicht die Qualität eines Gutachtens iS des § 200 Abs 2 [X.] erreichende Stellungnahme des [X.] unterliegt auch nicht kraft Fernwirkung einem Beweisverwertungsverbot, denn [X.] nimmt nicht auf ein anderes Gutachten Bezug, das seinerseits wegen Verstoßes gegen eine Pflicht aus § 200 Abs 2 [X.] unverwertbar wäre. Der [X.] kann deshalb aus Anlass dieses Falles auch nicht entscheiden (vgl schon [X.] vom 18.1.2011 - [X.] U 5/10 R - [X.] 4-2700 § 200 [X.] Rd[X.]5 f), ob ein im Falle der Verletzung des § 200 Abs 2 Alt 1 [X.] bestehendes Beweisverwertungsverbot für ein Gutachten eine Fernwirkung auf andere Beweismittel entfaltet, die das unverwertbare Beweismittel ihrerseits wiedergeben oder hierzu Stellung nehmen (kritisch dazu [X.] aaO; bejahend aber [X.] vom 5.2.2008 - [X.] U 8/07 R - [X.]E 100, 25 = [X.] 4-2700 § 200 [X.], Rd[X.] 62 f).

Denn auch das Gutachten des Dr. He., mit dem sich [X.] in seiner beanstandeten Stellungnahme auseinandersetzte, unterliegt keinem Beweisverwertungsverbot nach § 200 Abs 2 [X.]. Eine Verletzung des § 200 Abs 2 [X.] liegt nicht vor, weil nicht ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der allein Adressat der Pflichten dieser Regelung ist, das Gutachten des Dr. He. in Auftrag gegeben hat. Bei diesem Gutachten handelt es sich um ein Gerichtsgutachten, das nach Maßgabe der §§ 118 f [X.]G iVm §§ 402 f ZPO eingeholt wurde. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ihrerseits sind nicht verpflichtet, vor Erteilung eines [X.] die Beteiligten über ein Auswahlrecht oder ein Widerspruchsrecht zu belehren. Von dem vorliegenden Sachverhalt sind aber die [X.]onstellationen zu unterscheiden, in denen ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung während eines Rechtsstreits selbst Aufträge für Gutachten vergibt. In diesen Fällen sind die Vorgaben des § 200 Abs 2 [X.] wiederum zu beachten (dazu [X.] vom 5.2.2008 - [X.] U 8/07 R - [X.]E 100, 25 = [X.] 4-2700 § 200 [X.]).

Das auf Löschung eines Schriftsatzes und einer ärztlichen Stellungnahme gerichtete Revisionsbegehren der [X.]lägerin ist mithin unbegründet.

2. Soweit die [X.]lägerin mit der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl zur Zulässigkeit dieser [X.]ombination von [X.]lagen: [X.] in [X.] 2009, 193, 196; Baumeister in jurisP[X.]-[X.]B X, § 44 Rd[X.]54) die Beseitigung des ablehnenden Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.2.2010 sowie die Zurücknahme der Rentenablehnung im Verwaltungsakt vom 11.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.8.2004 (Ausgangsbescheid) und Zahlung einer Rente begehrt, ist ihre Revision ebenfalls unbegründet.

Es liegen keine Anhaltspunkte iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X dafür vor, dass bei Erlass des [X.] das Recht unrichtig angewandt wurde. Auch hat sich nicht ergeben, dass die [X.] seinerzeit von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich (inzwischen) als unrichtig erwiesen hat.

Entgegen der Auffassung der [X.]lägerin unterliegt das Gutachten des Prof. Dr. Fo. jedenfalls in diesem (neuen) Verfahren nicht kraft Bindungswirkung gemäß § 170 Abs 5 [X.]G einem Verwertungsverbot. Zwar hat der [X.] mit Beschluss vom 18.11.2008 ([X.] [X.]/08 B) das Urteil eines anderen [X.]s des [X.] aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen. Das [X.] hat dabei entschieden, das Gutachten des Prof. Dr. Fo. sei gemäß § 407a Abs 2 ZPO unverwertbar. Der [X.] nach § 160a Abs 5 [X.]G ist eine urteilsgleiche Entscheidung, welche Bindungswirkung hat (s § 170 Abs 5 [X.]G; dazu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 10. Aufl 2012, § 160a Rd[X.]9d [X.]). Allerdings besteht die Bindungswirkung des Beschlusses gemäß § 170 Abs 5 iVm Abs 2 Satz 2 [X.]G nur gegenüber dem Gericht, an das das [X.] im anhängigen Rechtsstreit zurückverwiesen hat. Dieses Gericht ist bei "seiner Entscheidung" an die rechtliche Beurteilung des [X.] gebunden. Dagegen ist ein anderer [X.] des [X.], der - wie hier - in einem späteren Rechtsstreit wegen eines Löschungsanspruchs nach § 200 Abs 2 [X.] und eines Anspruchs nach § 44 [X.]B X mit der Sache befasst war, nicht an die rechtliche Beurteilung des [X.] aus dem früheren Verfahren gebunden. Die Vorinstanz konnte hier aufgrund der inzwischen gewonnenen Erkenntnisse nach Maßgabe des § 128 Abs 1 [X.]G darüber entscheiden, ob das Gutachten des Prof. Dr. Fo. verwertbar ist, ohne an die Rechtsauffassung des [X.] aus dem vorherigen Verfahren gebunden zu sein.

Doch auch selbst wenn man zu Gunsten der [X.]lägerin unterstellen wollte, dass das Gutachten des Prof. Dr. Fo. unverwertbar ist, besteht dennoch kein Anspruch auf Zurücknahme des [X.] nach § 44 Abs 1 Satz 1 Alt 2 [X.]B X und Zahlung einer Rente.

Die Unverwertbarkeit einer oder mehrerer unter vielen Berichten, Stellungnahmen und Gutachten indiziert einen Anspruch auf Rücknahme der die Rente ablehnenden Entscheidung nicht. Denn bei Prüfung eines Anspruchs auf [X.] ist nicht entscheidungserheblich, ob ein Sachverständigengutachten verwertbar ist oder nicht, sondern ob zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beim [X.] (zum maßgeblichen Zeitpunkt einer Verpflichtungs- und Leistungsklage vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 10. Aufl 2012, § 54 Rd[X.]4) Erkenntnisse vorliegen, die die damaligen tatsächlichen Annahmen der [X.]n im Jahre 2004 hinsichtlich des Vorliegens oder [X.] psychischer Unfallfolgen als unrichtig erscheinen lassen.

Auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel, zu denen auch die von [X.]lägern vorgelegten Äußerungen von Hausärzten und Fachärzten ([X.] vom 18.1.2011 - [X.] U 5/10 R - [X.] 4-2700 § 200 [X.]) sowie von Unfallversicherungsträgern vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahmen zählen (vgl Thüringer [X.] vom [X.]), hat das [X.] zu Recht entschieden, dass die [X.] im Jahr 2004 nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Das [X.] hat sich ausführlich mit dem Vorbringen der [X.]lägerin auseinandergesetzt und zur Verwertbarkeit des Gutachtens Prof. Dr. Fo. im Einzelnen argumentiert. Es hat aber gestützt auf das Vorerkrankungsverzeichnis der [X.]lägerin sowie die umfangreich beigezogenen Befunde und Aussagen behandelnder Ärzte sowie die eingeholten anderen Gutachten auch den [X.] iS des § 163 [X.]G bindend festgestellt, dass die [X.]lägerin nach dem Abklingen der durch den Unfall hervorgerufenen akuten Belastungssituation nicht mehr zusätzlich psychisch belastet war und ist.

3. Auf die Revision der [X.]n ist ihre Verurteilung durch das [X.], die Stellungnahmen des [X.] vom 28.4. und 28.5.2004 zu löschen, aufzuheben und die Entscheidung des [X.] dahingehend abzuändern, dass die Berufung der [X.]lägerin auch insoweit zurückgewiesen wird.

Allerdings hat das [X.] keine Feststellungen dazu getroffen, welche tatsächlichen Umstände die Stellungnahmen des [X.] kennzeichnen, sodass der [X.] auf dieser Grundlage nicht prüfen konnte, ob diese als "Gutachten" iS des § 200 Abs 2 [X.] anzusehen sind und deshalb einem Beweisverwertungsverbot unterliegen können. Das [X.] hat seine Entscheidung nur auf die Begründung gestützt, dass die [X.] einen Löschungsanspruch der [X.]lägerin bezogen auf die "gutachtlichen Äußerungen" des [X.] vom 13.10.2003 anerkannt habe und daher nicht ersichtlich sei, weshalb nicht auch die Stellungnahmen vom 28.4. und 28.5.2004 "ohne weiteres" zu entfernen seien. Dem ist nicht zu folgen.

Die Anerkennung eines Löschungsanspruchs für die ärztliche Stellungnahme des [X.] vom 13.10.2003 durch die [X.] bezieht sich nicht ipso jure auf alle Äußerungen, die dieser Arzt als "Beratungsarzt der [X.]n" zu welchen Fragen und zu welchem Zeitpunkt auch immer abgegeben hat. Wenn überhaupt, kann § 200 Abs 2 [X.] eine Unzulässigkeit der Datenspeicherung nur begründen, wenn [X.] im Auftrag der [X.]n zwei "Gutachten" erstattet hätte (vgl [X.] vom 5.2.2008 - [X.] U 8/07 R - [X.]E 100, 25 = [X.] 4-2700 § 200 [X.], Rd[X.]6).

Wie bereits ausgeführt - vgl oben 1b) - sind an den Begriff des Gutachtens iS des § 200 Abs 2 [X.] hohe Anforderungen zu stellen. Das [X.] hat insoweit lediglich festgestellt, dass [X.] die Stellungnahmen vom 28.4. und 28.5.2004 als Beratungsarzt der [X.]n abgegeben hat. Zu Umfang und Inhalt der Stellungnahmen hat es aber keine Feststellungen getroffen. Der [X.] hat daher aus Gründen der Prozessökonomie ([X.] in Hk-[X.]G, 4. Aufl 2012, § 163 Rd[X.]2) den Inhalt der Urkunden, so wie er sich aus den Verwaltungsakten ergibt, in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten unstreitig gestellt (zu dieser Möglichkeit: [X.]rasney/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, [X.]ap IX, Rd[X.]10; vgl auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 10. Aufl 2012, § 163 Rd[X.] 5d). Dabei hat sich Folgendes ergeben:

Die Stellungnahme des [X.] vom 28.4.2004 umfasst ca eine Seite an Text und beantwortete "aktenmäßig" eine Frage zu dem Entlassungsbericht der Psychosomatischen Fachklinik [X.], in der die [X.]lägerin behandelt worden war. Die Stellungnahme vom 28.5.2004 umfasst nur wenige Zeilen und beantwortete eine ergänzende Frage zur [X.]ostenträgerschaft für diese Maßnahme. Beide Stellungnahmen beziehen sich weder auf Gutachten anderer Ärzte noch erwähnt [X.] seine Stellungnahme vom 13.10.2003.

Die Stellungnahmen stellen sich inhaltlich damit weder als Gutachten gemäß § 200 Abs 2 [X.] dar, noch handelt es sich um Ergänzungen zu dem gelöschten Gutachten vom 13.10.2003. Da § 200 Abs 2 [X.] schon seinen tatbestandlichen Voraussetzungen nach nicht anwendbar ist, kann die Vorschrift die Unzulässigkeit der Speicherung der streitigen beratungsärztlichen Stellungnahmen nicht begründen.

Die Unzulässigkeit der Speicherung dieser Stellungnahmen kann auch nicht aus einer möglichen Fernwirkung eines [X.] abgeleitet werden. Ein Beweisverwertungsverbot für den in den Stellungnahmen angesprochenen Bericht einer Psychosomatischen Fachklinik kommt nicht in Betracht, weil es sich auch bei dem Entlassungsbericht einer [X.]linik, in der der oder die Versicherte behandelt wurde, nicht um ein Gutachten iS des § 200 Abs 2 [X.] handelt.

Die Revision der [X.]n hatte daher Erfolg.

4. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 34/11 R

11.04.2013

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Karlsruhe, 11. November 2010, Az: S 3 U 914/10, Urteil

§ 200 Abs 2 SGB 7, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 67 SGB 10, §§ 67ff SGB 10, § 84 Abs 2 SGB 10, § 54 Abs 1 SGG, § 118 Abs 1 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 170 Abs 5 SGG, § 170 Abs 2 S 2 SGG, § 407a Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 11.04.2013, Az. B 2 U 34/11 R (REWIS RS 2013, 6727)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6727

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 U 17/09

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