Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.04.2006, Az. 4 StR 604/05

4. Strafsenat | REWIS RS 2006, 3930

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 [X.] vom 20. April 2006 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 20. April 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Maatz, Prof. Dr. [X.], [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] [X.]

als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt

als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.]s [X.] vom 22. Juni 2005 wird verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Mona-ten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revi-sion, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. 1 A. 1. Nach den der Verurteilung zu Grunde liegenden Feststellungen der Strafkammer besuchte der Angeklagte während eines Hafturlaubs seine Ehe-frau, die ihm bereits vor Monaten mitgeteilt hatte, dass sie sich von ihm trennen wolle. Sie hielt trotzdem weiter Kontakt zu dem Angeklagten, obwohl sie sich inzwischen [X.] zugewandt, die gemeinsame Wohnung [X.] und eine neue Wohnung bezogen hatte. Beide verabredeten, eine Kirmes zu besuchen. Zuvor wollte die Ehefrau jedoch noch duschen und sich umziehen. Der Angeklagte nutzte diese Gelegenheit, sie in ihrer Wohnung zu bedrängen und unter Anwendung [X.] u.a. den [X.] mit ihr zu erzwingen. 2 - 4 - 2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, dass es zwischen seiner Ehefrau und ihm zu einverständli-chen sexuellen Handlungen gekommen sei. Die Strafkammer hat der Geschä-digten geglaubt, die das Geschehen wie festgestellt geschildert hat. 3 [X.] Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. [X.] Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. 5 1. Die Aufklärungsrüge (Anhörung eines weiteren Sachverständigen, der bekundet hätte, dass auf Grund der - wie festgestellt - "massiven sexuellen Übergriffe" bei der Geschädigten hätten Verletzungen vorliegen müssen) ist unzulässig erhoben, weil das "schriftliche Gutachten" der gehörten Sachver-ständigen ([X.]. 46 bis 53 d.A.: Ärztlicher Untersuchungsbericht) nicht vollständig mitgeteilt wurde. Die insoweit von der Revision in Bezug ge-nommenen Urteilsstellen reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob sich das [X.] hätte gedrängt sehen müssen, einen weiteren Sachverständi-gen anzuhören (vgl. dazu [X.], 45; [X.] StPO 48. Aufl. § 244 Rdn. 81). 6 2. Ohne Erfolg bleibt auch die Beanstandung, das [X.] habe durch die Verlesung von Teilen der Ermittlungsakte betreffend den Zeugen [X.]jun. gegen die §§ 250, 251 StPO verstoßen. 7 a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: 8 - 5 - Der Angeklagte hatte behauptet, die Geschädigte habe nicht nur ihn zu Unrecht belastet, sondern früher auch gegen ihren ehemaligen Freund [X.] unwahre Vorwürfe erhoben. So habe sie [X.]jun. u.a. in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das [X.] zu Unrecht belastet. 9 [X.]jun. wurde im [X.] vom 22. Juni 2005 als Zeuge gehört. Nach seiner Entlassung wurde die Geschädigte vernommen und "im Zuge (ihrer) Vernehmung ... wurden die Ermittlungsakten 200 [X.] erörtert" ([X.]. 247 d.A.). Weiter heißt es in der [X.]: 10 "Nach Anhörung und mit Zustimmung aller Verfahrensbeteilig-ten auf Anordnung des Vorsitzenden: Die Beschuldigtenvernehmung des [X.]vom 10.12.2001 Bl. 13-16 aus der [X.] 200 [X.] soll [X.] werden, § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Die Anordnung wurde ausgeführt." Danach ordnete der Vorsitzende an, dass die Geschädigte unvereidigt bleibt. Sie wurde im allseitigen Einverständnis entlassen und die [X.] wurde geschlossen. 11 Im Urteil ist ausgeführt, dass eine im Rahmen der Hauptverhandlung er-folgte Verlesung von Vernehmungsprotokollen aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft [X.] 22 [gemeint ist: 200] [X.] die Behauptung des Angeklagten, die Geschädigte habe Peter K.

jun. in diesem Verfahren zu [X.] - 6 - recht belastet, nicht bestätigt, sondern widerlegt habe, [X.] alle wesentlichen Angaben der (Geschädigten) in diesem Verfahren von [X.]jun. bestätigt worden (seien)fi. b) Die Revision macht geltend: 13 aa) Die Voraussetzungen der vom [X.] herangezogenen [X.] (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO) hätten nicht vorgelegen, weil nach dieser Bestimmung die Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung der Niederschrift über seine frühere richterliche Vernehmung nur ersetzt werden dürfe, wenn der Zeuge verstorben oder in Geisteskrankheit verfallen oder wenn sein Aufenthalt nicht zu ermitteln sei. Der Strafkammer sei aber die ladungsfä-hige Anschrift des zuvor vernommenen Zeugen [X.] bekannt gewesen. Er hätte daher gemäß § 250 StPO erneut persönlich gehört werden müssen. 14 [X.]) Die ursprüngliche Fassung des Protokolls habe den Zusatz, "dass [X.] zugestimmt haben sollen", nicht enthalten; die [X.] sei vielmehr insoweit handschriftlich ergänzt worden. Eine Genehmigung dieser Protokollergänzung bzw. [X.]berichtigung fehle. Eine Zu-stimmung aller Verfahrensbeteiligten könne daher "nicht festgestellt" werden. 15 [X.]) [X.] Protokolle nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO seien nur richter-liche Vernehmungsprotokolle. Verlesen worden sei aber eine polizeiliche [X.] im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens. 16 [X.]) Die Verlesung sei nicht durch einen Gerichtsbeschluss, sondern auf Grund einer Anordnung des Vorsitzenden erfolgt. Der Beschluss müsse im [X.] - 7 - rigen so genau begründet sein, dass eine rechtliche Nachprüfbarkeit möglich ist. Dies sei bei der Anordnung des Vorsitzenden nicht der Fall gewesen. [X.]) Das Gericht hätte - trotz der Verlesung - im Rahmen seiner [X.] [X.] persönlich hören müssen, und zwar selbst dann, [X.] die Prozessbeteiligten mit der Verlesung – einverstanden (waren) –, insbesondere wenn die Vernehmungsschrift ersichtlich ungenau oder unklar oder die [X.] das alleinige Beweismittel istfi. Hier habe die [X.] "trotz der kurzfristigen Kenntnis der Akte von einer eingehenden Prüfung und ggf. erneuten Ladung oder Vernehmung des bekannten Zeugen [X.] abgesehen". 18 Das Urteil beruhe auf den Verfahrensfehlern, weil die fehlerhaft [X.] Beschuldigtenvernehmung zu Lasten des Angeklagten verwendet worden sei und fidie erneute Vernehmung des Zeugen [X.]jun. den Inhalt der [X.] bzw. deren Feststellungen aus dem Verfahren widerlegt [X.]) Die Einwendungen der Revision greifen nicht durch: 20 aa) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO beziehe sich nur auf frühere richterliche Vernehmungen, die zudem nur verlesen werden dürften, wenn der Zeuge verstorben oder in Geisteskrankheit verfallen oder wenn sein Aufenthalt nicht zu ermitteln ist ([X.] [X.], [X.]), beruft er sich auf die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr aktuelle Gesetzeslage vor dem 1. September 2004. Durch Art. 3 Nr. 12 des 1. Justiz-modernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 ([X.] 2198) wurde die Vor-schrift mit Wirkung vom 1. September 2004 dahingehend neu gefasst, dass die 21 - 8 - Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung einer (auch polizeilichen) [X.] über eine Vernehmung ersetzt werden kann, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. [X.]) Die Rüge [X.] b [X.] (eine Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten könne nach dem Protokoll "nicht festgestellt" werden) ist unzulässig; denn die Revision kann nicht auf einen möglichen Mangel des [X.] hier: dessen nicht genehmigte Berichtigung - gestützt werden (vgl. [X.] aaO § 273 Rdn. 36, § 344 Rdn. 26 m.w.[X.]). Auf einem Fehler des Protokolls kann das Ur-teil nicht beruhen ([X.]St 7, 162, 163). Die Revision behauptet nicht, dass die Zustimmung nicht erteilt worden ist. 22 [X.]) Die Beanstandungen [X.] b [X.] und [X.] (es sei kein begründeter Ge-richtsbeschluss ergangen; die Aufklärungspflicht habe eine erneute Verneh-mung des Zeugen geboten) haben ebenfalls keinen Erfolg: 23 Grundsätzlich begründet es allerdings die Revision, wenn der nach § 251 Abs. 4 StPO geforderte Gerichtsbeschluss nicht ergangen ist (vgl. [X.], 283; 1993, 144). Der Beschluss dient der Unterrichtung der [X.] über den Grund der Verlesung und der eindeutigen Bestimmung des Umfangs der Verlesung. Bei Kollegialgerichten - wie hier [X.] soll er zudem unter Beachtung der Aufklärungspflicht die Meinungsbildung des gesamten Gerichts, und nicht nur des Vorsitzenden, über das einzuschlagende Verfahren sicher-stellen und insbesondere den Schöffen im Hinblick auf den Grundsatz der Un-mittelbarkeit den Ausnahmecharakter der Verlesung deutlich machen. [X.] ist insoweit, ob die (erneute) persönliche Vernehmung des Zeugen 24 - 9 - zur weiteren Aufklärung erforderlich ist oder ob die Verlesung der Niederschrift genügt (vgl. [X.], 261). Das Urteil kann auf dem nicht ergangenen Gerichtsbeschluss beruhen, wenn sich den Verfahrensbeteiligten der Grund der Verlesung nicht erschlossen hat und damit die der Anordnung der Verlesung zu Grunde liegenden Erwägun-gen rechtlich nicht überprüfbar sind (vgl. [X.]R StPO § 251 Abs. 4 [X.] 1, 3, 4; § 251 Abs. 4 S. 1 Anordnung 1) bzw. das Gericht die [X.] (im Gegensatz zum Vorsitzenden) möglicherweise ver-neint hätte (vgl. [X.], Beschluss vom 25. September 1979 [X.] 5 StR 531/79). 25 (1) Soweit die [X.] und Überprüfungsfunktion des § 251 Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO betroffen ist, beruht das Urteil ersichtlich nicht auf dem fehlenden Beschluss; denn der Grund und der Umfang der Verlesung waren klar [X.] nämlich die Einführung der Beschuldigtenvernehmung des Zeugen [X.]jun. in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung mit allgemeinem Einverständnis (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Ob es (daneben) geboten war, den Vernehmungsbeamten und/oder den damaligen Beschuldig-ten [X.] dazu als Zeugen zu hören, war eine Frage der gerichtlichen Auf-klärungspflicht (vgl. dazu [X.], 283; [X.]R StPO § 251 Abs. 4 Ge-richtsbeschluss 4). 26 (2) Zur Prüfung der Frage, ob ein Beruhen des Urteils auf dem [X.] Gerichtsbeschluss nicht auszuschließen ist, weil das Gericht unter Beach-tung von Aufklärungsgesichtspunkten anders entschieden hätte als der Vorsit-zende allein [X.] es insbesondere statt der Verlesung der Beschuldigtenverneh-mung den Zeugen [X.] jun. (nochmals) gehört hätte, ist die Kenntnis des Inhalts der verlesenen Niederschrift sowie der vorangegangenen Aussage des 27 - 10 - Zeugen [X.] jun. erforderlich; denn daraus kann sich ohne weiteres er-schließen, dass die (nochmalige) Vernehmung des Zeugen fern lag. Da die Re-vision den Wortlaut oder zumindest den wesentlichen Inhalt der verlesenen Niederschrift und den Inhalt der Zeugenaussage nicht mitteilt, kann der Senat die Beruhensfrage nicht prüfen. Das gilt auch, wenn die Rüge in eine Aufklä-rungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) umgedeutet würde. Die Rüge ist insoweit nicht zulässig erhoben (vgl. [X.] NStZ 1998, 369 [zu § 338 Nr. 8 StPO], [X.] in [X.], StPO 25. Aufl. § 251 Rdn. 103). [X.] Auch die Sachrüge bleibt erfolglos. 28 Die vom [X.] getroffenen Feststellungen tragen den Schuld-spruch und den Strafausspruch. 29 Soweit die Revision geltend macht, die Beweiswürdigung sei wider-sprüchlich, "zu pauschal" und lückenhaft, setzt sie ihre eigenen Wertungen an die Stelle der Würdigung durch den Tatrichter. Damit kann sie im [X.] nicht gehört werden. Entsprechendes gilt für die vom Beschwerdeführer erhobenen Beanstandungen zur Strafzumessung. Das [X.] musste nicht sämtliche Strafzumessungsgründe, sondern nur die für die Strafe bestim-menden Umstände angeben (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); das hat es getan. Dass es im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen zu Lasten des [X.] gewertet habe, er habe bereits vor oder bei Betreten der Wohnung der Geschädigten einen Vergewaltigungsvorsatz gehabt, ist dem Urteil - entge-gen der Auffassung der Revision - nicht zu entnehmen. In den Strafzumes-sungsgründen ist lediglich zu Lasten des Angeklagten gewertet worden, dass er die Tat während einer Strafhaft begangen und er das Vertrauen des [X.], das ihn arglos in die Wohnung mitgenommen hatte, grob missbraucht und für 30 - 11 - sich ausgenutzt hat. Das entspricht den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellun-gen. Tepperwien Maatz [X.] [X.] [X.]

Meta

4 StR 604/05

20.04.2006

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.04.2006, Az. 4 StR 604/05 (REWIS RS 2006, 3930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 3930

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