Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.03.2017, Az. 1 BvR 1438/15

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2017, 14250

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) POLITIKER BELEIDIGUNG MEINUNGSFREIHEIT RECHTSEXTREMISMUS NPD

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung der Meinungs- bzw Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 GG) durch strafrechtliche Sanktionierung der Bildveröffentlichung einer prangerartigen, karikierenden öffentlichen Darstellung von Personen - ordnungsgemäße fachgerichtliche Abwägung zwischen Meinungsfreiheit des Äußernden und Persönlichkeitsrecht der Betroffenen


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung. Der Beschwerdeführer veröffentlichte auf "[X.]" den nachfolgend wiedergegebenen Beitrag unter der Überschrift "[X.] ehrt die ,[X.]'".

Das beschauliche Dörfchen [X.] ist mittlerweile international bekannt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwelche sensationslüsternen Touristen oder Presseteams im Ort vorbeischauen, um einmal waschechte Neonazis in freier Wildbahn zu sehen. Viele sind dann überrascht, daß sie dort dann tatsächlich auf ganz normale Familien treffen und sich - anders als z.B. bei einer Großwild-Safari - sogar aus dem Auto trauen können.

Auch der leicht abseits gelegene [X.], in welchem sich zwei lupenreine [X.] mit ihren Katzen eingenistet haben, erlangte mittlerweile traurige Berühmtheit. Dort wohnen … und …, ein zugewandertes Künstlerpärchen aus [X.], die mit ihren neuen Nachbarn einfach nicht klar kommen wollen.

Die beiden sticheln und stänkern seit Jahren, wo und wann es nur geht, gegen den lieben Dorffrieden. Die volkstreue Einstellung der anderen Dorfbewohner ist ihnen ein Dorn im Auge, gern hätten sie es multikultureller. Doch warum sind sie dann überhaupt aus [X.] fortgezogen? Dieses als Zivilcourage und Toleranz mißverstandene Fehlverhalten erweist sich dennoch durchaus als einträgliches Geschäftsmodell.

Die ... haben in den letzten beiden Jahren jeweils fünfstellige Preisgelder irgendwelcher Anti-Rechts-Initiativen oder Stiftungen eingestrichen, u.a. wurden sie mit dem [X.] (5.000 Euro) ausgezeichnet. Selbst beim Bundespräsidenten durften sie schon vorsprechen. Das hält sie selbstverständlich nicht davon ab, weiterhin finanzkräftige Sponsoren für die Unterhaltung ihres Hofes und des maroden [X.] zu suchen. Angeblich soll die [X.] den baufälligen Zaun ersetzen.

Im Dezember 2011 wurden sie vom [X.] und vier norddeutschen Tageszeitungen sogar zu "[X.]" gekürt. Dieser Fakt wurde natürlich auch von der Dorfgemeinschaft gewürdigt.

Gleich am [X.] weist seit einigen Tagen ein neues Schild auf die weitere Attraktion des Dorfes hin. Dem Motiv war ein [X.] vorausgegangen. Die beiden besten Entwürfe sind nun für jedermann sichtbar ausgestellt.

2

Die Seite des in dem Beitrag genannten Schildes, die man beim Verlassen des Ortes sieht, zeigt - nach den fachgerichtlichen Feststellungen - das im Artikel genannte Ehepaar als Karikatur, das um einen Topf mit Gold tanzt - und trägt die Aufschrift "[X.] und die Dreisten bekommen am meisten". Auf der Seite, die man am Ortseingang passiert, sind die karikierten Köpfe der Eheleute abgebildet. Die Köpfe werden von dem Text "Die Dorfgemeinschaft grüßt: Die ,Helden' des Nordens" umrahmt.

3

2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 €. Der Artikel an sich - ohne Verknüpfung mit den Fotos - halte sich noch im Rahmen zulässiger Kritik/Satire. Das Amtsgericht befasst sich dann mit dem Teil des Schildes, auf dem die Abgebildeten als "faul" und "dreist" bezeichnet werden und für dessen Abbildung der Beschwerdeführer als Verbreiter hafte, und begründet ausführlich, weshalb die Meinungsfreiheit hinter den Belangen der persönlichen Ehre zurücktreten muss.

4

3. Das [X.] verwarf die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet unter Verweis auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft, welche das amtsgerichtliche Urteil befürwortet hatte, ergänzt um Ausführungen zur Verbreiterhaftung.

5

4. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG.

6

Die angegriffenen Entscheidungen bewegen sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und verletzen die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht. Die Gerichte haben nachvollziehbar begründet, dass sich der Beschwerdeführer durch die Abbildung der Schilder deren Inhalt zu Eigen gemacht hat. Das Amtsgericht hat zwischen dem Eintrag und den Abbildungen differenziert und den Eintrag zutreffend als zulässige Meinungsäußerung eingeordnet.

7

Hiervon ist die Abbildung des am Ortseingang aufgestellten Schildes, das auf Vorder- und Rückseite Karikaturen des abgebildeten Ehepaares zeigt und dieses auf der Rückseite als "dumm" und "dreist" bezeichnet, zu unterscheiden. Diesbezüglich sind die Gerichte nach Vornahme der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zu dem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gekommen, dass die Belange der persönlichen Ehre der Abgebildeten überwiegen. Der Text auf der Rückseite des Schildes und die Bezeichnung als "dumm" und "dreist" enthält keinerlei spezifische politische Aussage und beschränkt sich ausschließlich darauf, die Abgebildeten menschlich schlecht zu machen. Durch das an prominenter Stelle am Ortseingang aufgestellte Schild und die verzerrte Darstellung werden die Abgebildeten an den Pranger gestellt und aus der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt. Vor diesem situativen Hintergrund und in Verbindung mit der entpolitisierten Aussage ist die Annahme eines Überwiegens der Belange der persönlichen Ehre gut vertretbar und verletzt die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht.

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1438/15

13.03.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Rostock, 12. Januar 2015, Az: 20 RR 111/14, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 185 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.03.2017, Az. 1 BvR 1438/15 (REWIS RS 2017, 14250)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14250

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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