Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04.12.2012, Az. 1 BvL 4/12

1. Senat | REWIS RS 2012, 824

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT GESETZGEBUNG BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) SOZIALRECHT BUNDESSOZIALGERICHT (BSG) ELTERNGELD RICHTER

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unzulässige Richtervorlage zur Vereinbarkeit von § 1 Abs 7 Nr 2 Buchst d BEEG idF vom 19.08.2007 mit Art 3 Abs 1 GG - unzureichende Darlegung einer dauerhaften Bleibeperspektive in Fällen des § 104a Abs 1 S 1 AufenthG


Gründe

1

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist die Frage, ob § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe d des [X.] ([X.]), der Inhaber eines Aufenthaltstitels nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] ([X.]) ausnahmslos von der Gewährung von Elterngeld ausschließt, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

I.

2

1. Die vorgelegte Regelung und die dort in Bezug genommene Vorschrift des § 104a [X.] wurden gleichzeitig als Art. 1 Nr. 82 und als Art. 6 Abs. 8 des Gesetzes vom 19. August 2007 zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] ([X.] 1970 <1990 f., 2008>) eingeführt.

3

Mit der Einführung von § 104a [X.] reagierte der Gesetzgeber auf die sogenannten Kettenduldungen. Nach §§ 55 f. des früher geltenden Ausländergesetzes (Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von [X.] im [X.] vom 9. Juli 1990, [X.] 1354 <1356 ff.>) konnte die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Personen - das heißt von Personen, die einen gültigen Aufenthaltstitel weder besaßen noch beantragt hatten (§ 42 AuslG) - zeitweise ausgesetzt werden, solange eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich war oder [X.] bestanden. Diese Duldung stellte keinen Aufenthaltstitel dar und beendete nicht die Ausreisepflicht. Trotzdem kam es oft zu jahrelang aufeinander folgenden Duldungen. Heute ist die Duldung in § 60a [X.] geregelt.

4

Die mit § 104a [X.] geschaffene sogenannte Altfallregelung sollte "dem Bedürfnis der seit Jahren im [X.] geduldeten und hier integrierten Ausländer nach einer dauerhaften Perspektive in [X.] Rechnung" tragen (vgl. BTDrucks 16/5065, [X.]). Die Vorschrift sah zwei verschiedene [X.] vor: Nach § 104a Abs. 1 Satz 2 [X.] konnte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] erhalten, wer den Lebensunterhalt aufgrund eigener Erwerbstätigkeit zu sichern in der Lage war. Wer den eigenen Lebensunterhalt nur anderweitig oder gar nicht sichern konnte, konnte hingegen einen Titel eigener Art nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] erhalten. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] war bis zum 31. Dezember 2009 befristet und konnte als solche nicht verlängert werden. In den [X.] wurde sie als "Aufenthaltserlaubnis auf Probe" bezeichnet (vgl. BTDrucks 16/5065, S. 202).

5

Gleichzeitig mit Einführung des § 104a [X.] wurde § 1 Abs. 7 [X.] um die hier vorgelegte Vorschrift (Nr. 2 Buchstabe d) erweitert, die die Inhaber des neu geschaffenen Aufenthaltstitels von der Elterngeldberechtigung ausnimmt. Beim Bezug von Elterngeld wurden die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] damit weiterhin wie Geduldete behandelt, die mangels Aufenthaltserlaubnis ebenfalls vom Elterngeld ausgeschlossen sind. Der Ausschluss der Inhaber eines Titels nach § 104a [X.] von [X.] wurde damit begründet, dass diese Aufenthaltserlaubnis nicht zu einem Daueraufenthalt führe (vgl. BTDrucks 16/5065, S. 234).

6

2. § 1 Abs. 7 [X.] in der Fassung vom 19. August 2007 lautet:

7

Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte [X.] ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde

a) nach § 16 oder § 17 des [X.]es erteilt,

b) nach § 18 Abs. 2 des [X.]es erteilt und die Zu-stimmung der [X.] darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

c) nach § 23 Abs. 1 des [X.]es wegen eines [X.] in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des [X.]es erteilt,

d) nach § 104a des [X.]es erteilt oder

3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und

a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im [X.] aufhält und

b) im [X.] berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geld-leistungen nach dem [X.] bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

8

§ 104a [X.] hat folgenden Wortlaut:

9

(1) Einem geduldeten Ausländer soll abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im [X.] aufgehalten hat und er

1. über ausreichenden Wohnraum verfügt,

2. über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus [X.] des [X.] verfügt,

3. bei Kindern im schulpflichtigen Alter den tatsächlichen Schulbesuch nachweist,

4. die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat,

5. keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen hat und diese auch nicht unterstützt und

6. nicht wegen einer im [X.] begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem [X.] oder dem Asylverfahrensgesetz nur von [X.] begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben.

Wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit sichert, wird die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 erteilt. Im Übrigen wird sie nach Satz 1 erteilt; sie gilt als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5; die §§ 9 und 26 Abs. 4 finden keine Anwendung. [...]

[...]

(4) [...] Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.

(5) Die Aufenthaltserlaubnis wird mit einer Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009 erteilt. Sie soll um weitere zwei Jahre als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 verlängert werden, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers bis zum 31. Dezember 2009 überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war oder wenn der Ausländer mindestens seit dem 1. April 2009 seinen Lebensunterhalt nicht nur vorübergehend eigenständig sichert. Für die Zukunft müssen in beiden Fällen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Lebensunterhalt überwiegend gesichert sein wird. [...] § 81 Abs. 4 findet keine Anwendung.

(6) Bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung von Härtefällen von Absatz 5 abgewichen werden. Dies gilt bei

1. Auszubildenden in anerkannten Lehrberufen oder in staatlich geförderten Berufsvorbereitungsmaßnahmen,

2. Familien mit Kindern, die nur vorübergehend auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind,

3. Alleinerziehenden mit Kindern, die vorübergehend auf [X.] angewiesen sind, und denen eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 des [X.] nicht zumutbar ist,

4. erwerbsunfähigen Personen, deren Lebensunterhalt einschließ-lich einer erforderlichen Betreuung und Pflege in sonstiger Weise ohne Leistungen der öffentlichen Hand dauerhaft gesichert ist, es sei denn, die Leistungen beruhen auf Beitragszahlungen,

5. Personen, die am 31. Dezember 2009 das 65. Lebensjahr voll-endet haben, wenn sie in ihrem Herkunftsland keine Familie, dafür aber im [X.] Angehörige (Kinder oder Enkel) mit dauerhaftem Aufenthalt bzw. [X.] Staatsangehörigkeit haben und soweit sichergestellt ist, dass für diesen Personenkreis keine Sozialleistungen in Anspruch genommen werden.

3. Der Anwendungsbereich der vorgelegten Vorschrift ist zeitlich und personell beschränkt. Wegen der Befristung der Titel nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] beschränkte sich auch der Anwendungsbereich der vorgelegten Regelung des § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe d [X.] auf den Zeitraum von August 2007 bis Dezember 2009. Personell war der Anwendungsbereich auf Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] begrenzt. Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] waren hingegen zum Bezug von Elterngeld berechtigt, weil sie als Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] die Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 Nr. 2 [X.] erfüllen und nicht von den [X.] nach § 1 Abs. 7 Buchstabe c oder Buchstabe d [X.] erfasst sind.

II.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hatte erfolglos Elterngeld für das erste Lebensjahr ihrer Tochter beantragt.

Die Klägerin war 1992 im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern aus [X.] nach [X.] eingereist und lebt seitdem ununterbrochen hier. Sie erhielt am 9. Juli 2008 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis, die nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] erteilt wurde. Die Aufenthaltserlaubnis war bis zum 31. Dezember 2009 befristet (§ 104a Abs. 5 [X.]) und berechtigte zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 104a Abs. 4 Satz 2 [X.]). Seit dem 1. Januar 2010 besitzt die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 [X.]. Am 10. November 2008 brachte die ledige Klägerin ihre Tochter zur Welt, die sie allein erzieht.

Die zuständige Behörde wies den [X.] ab, weil die Antragstellerin als Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a [X.] vom Elterngeldbezug ausgeschlossen sei. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen, da nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe d [X.] kein Anspruch darauf bestehe. Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Berufungsgericht ließ jedoch die Revision zu.

Mit ihrer Revision machte die Klägerin geltend, es sei verfassungsrechtlich zweifelhaft, langjährig in [X.] lebende ausländische Staatsangehörige, bei denen absehbar sei, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht mehr ergriffen werden könnten, von Leistungen der Familienhilfe auszuschließen. Spätestens mit Einführung des [X.]es sei, auch im Hinblick auf Art. 8 [X.], absehbar gewesen, dass sie nicht mehr verpflichtet werden könne, die [X.] zu verlassen.

III.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 setzte das [X.] das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 [X.] aus und legte dem [X.] die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe d [X.] zur Entscheidung vor. Das Gericht sei von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift, auf die es für die Entscheidung ankomme, überzeugt.

§ 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe d [X.] verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Vorschrift benachteilige die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a [X.], ohne dass dies durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei.

Es sei zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber das Ziel verfolge, Elterngeld nur ausländischen Eltern zu gewähren, von denen erwartet werden könne, dass sie auf Dauer in [X.] blieben. Es bestehe aber kein plausibler Zusammenhang zwischen dem gesetzgeberischen Ziel, Erziehungsgeld nur Personen mit positiver Bleibeprognose zu gewähren, und dem ausnahmslosen Leistungsausschluss für Inhaber eines Titels nach § 104a [X.]. Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a [X.] könne eine positive Bleibeprognose nicht generell abgesprochen werden. Nach seiner rechtlichen Tragweite und Struktur sei § 104a [X.] so angelegt, dass den ausländischen Staatsangehörigen, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Bestimmung erteilt werde, durchaus die Möglichkeit eines dauernden Aufenthalts in [X.] eröffnet sei. Die gemäß § 104a [X.] erteilte Aufenthaltserlaubnis sei nach Maßgabe der Absätze 5 und 6 einer Verlängerung über den 31. Dezember 2009 hinaus zugänglich. Dabei seien im vorliegenden Zusammenhang insbesondere die Härtefallregelungen in § 104a Abs. 6 [X.] von Bedeutung, die unter anderem Alleinerziehende mit Kindern betreffen. Angesichts dieser gesetzlichen Ausgestaltung und praktischen Handhabung des § 104a [X.] könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift einen hinreichend verfestigten Aufenthaltsstatus von vornherein ausschließe.

B.

Die Vorlage ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Begründung einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG und § 80 Abs. 2 [X.].

I.

Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. [X.] 127, 335 <355 f.>; stRspr). Hierfür muss das vorlegende Gericht in nachvollziehbarer und für das [X.] nachprüfbarer Weise darlegen, dass es bei seiner anstehenden Entscheidung auf die Gültigkeit der Norm ankommt und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der Norm mit der Verfassung überzeugt ist (vgl. [X.] 105, 61 <67>; stRspr).

Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für diese Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar und erschöpfend darlegen (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 4. Juni 2012 - 2 BvL 9/08 -, juris, Rn. 90; stRspr). Dies betrifft sowohl den Sachverhalt, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, als auch die rechtlichen Erwägungen (vgl. [X.] 68, 311 <316>; stRspr). Das vorlegende Gericht muss sich insofern eingehend mit der fachrechtlichen Ausgangslage auseinandersetzen (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 4. Juni 2012 - 2 BvL 9/08 -, juris, Rn. 90; stRspr) und ausführlich darlegen, welche Erwägungen seine rechtliche Würdigung tragen; auf diese Weise wird eine funktionsgerechte Aufgabenteilung zwischen dem verfassungsgerichtlichen Verfahren einerseits und dem fachgerichtlichen Verfahren andererseits gewahrt.

II.

Der Vorlagebeschluss genügt den Anforderungen an die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm nicht. Das [X.] bejaht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, ohne sich hinreichend mit der nach seinen eigenen Prämissen maßgeblichen fachrechtlichen Ausgangslage auseinanderzusetzen.

1. Das vorlegende Gericht sieht das mit der vorgelegten Regelung angestrebte Ziel, den [X.] auf Personen zu beschränken, von denen erwartet werden könne, dass sie auf Dauer in [X.] bleiben werden, im [X.] an Entscheidungen des [X.]s ([X.] 111, 160 ff.; 111, 176 ff.) als verfassungsrechtlich unbedenklichen Differenzierungsgrund an. Dies steht auch im Einklang mit der jüngsten Rechtsprechung des Senats (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 7. Februar 2012 - 1 BvL 14/07 -, NJW 2012, S. 1711 <1713>; [X.], Beschluss des [X.] vom 10. Juli 2012 - 1 BvL 2/10 u.a. -, juris, Rn. 42).

2. Das [X.] hält die vorgelegte Regelung jedoch für verfassungswidrig, weil eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a [X.] keinen Rückschluss auf eine negative Bleibeprognose erlaube. Nach ihrer rechtlichen Tragweite und Struktur sei die Vorschrift des § 104a [X.] vielmehr so angelegt, dass den ausländischen Staatsangehörigen, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Bestimmung erteilt werde, durchaus die Möglichkeit eines dauernden Aufenthalts in [X.] eröffnet sei.

Das [X.] legt nicht hinreichend dar, woraus es diese Interpretation von § 104a [X.] ableitet. Es legt auch nicht dar, dass die Betroffenen aus tatsächlichen Gründen voraussichtlich dauerhaft in [X.] bleiben werden.

a) Das [X.] hatte bereits früher im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Kindergeld, Erziehungsgeld und Elterngeld die Bleibeperspektiven ausländischer Staatsangehöriger mit befristeten Aufenthaltstiteln zu beurteilen. Dabei hat es zur Bewertung der Aussagekraft des jeweiligen Aufenthaltsstatus sowohl rechtliche als auch tatsächliche Erwägungen herangezogen.

So hat es festgestellt, die nach dem damals geltenden Ausländergesetz erteilte [X.] allein eigne sich nicht als Grundlage einer negativen Prognose über die Dauer des Aufenthalts in [X.] und damit auch nicht als Abgrenzungskriterium bei der Gewährung von Kinder- und Erziehungsgeld, weil die für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels maßgeblichen Gründe nicht typischerweise von nur vorübergehender Natur seien. Der Wegfall und der Zeitpunkt des Wegfalls des [X.] seien ungewiss. Diesem Umstand habe auch der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er die Möglichkeit eröffnet habe, die [X.] zu einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (§ 35 Abs. 1 Satz 1 AuslG) oder zu einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) werden zu lassen. Insofern stelle die [X.] eine mögliche Vorstufe zum Daueraufenthalt dar (vgl. [X.] 111, 160 <174 f.>; 111, 176 <185>). Auch ausländische Staatsangehörige, die über einen befristeten Aufenthaltstitel verfügen, können demnach im kinder-, erziehungs- und elterngeldrechtlichen Sinne einen verfestigten Aufenthaltsstatus innehaben (vgl. [X.] 111, 160 <174>; 111, 176 <185>; [X.], Beschluss des [X.] vom 10. Juli 2012 - 1 BvL 2/10 u.a. -, juris, Rn. 45).

Dabei kann sich eine positive Aufenthaltsprognose auch aus den tatsächlichen Umständen des Aufenthalts ergeben. Das [X.] hat zwischenzeitlich ausdrücklich klargestellt, dass bei der Prognose der Aufenthaltsdauer neben der Ausgestaltung des jeweiligen Aufenthaltsstatus auch dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen ist (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 u.a. -, juris, Rn. 101). Eine positive Bleibeprognose ist daher durch einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus nicht ausgeschlossen, sofern die tatsächlichen Umstände typischerweise gleichwohl einen Daueraufenthalt erwarten lassen.

b) Zur tatsächlichen Aufenthaltsperspektive der von der vorgelegten Norm Betroffenen hat sich das [X.] nicht geäußert. Zwar hat es ohne nähere Erläuterung die "praktische Handhabung" des § 104a [X.] angesprochen, hat jedoch im Dunkeln gelassen, was es damit meint und welche Schlüsse sich daraus seiner Ansicht nach für die Aufenthaltsperspektive der Betroffenen ziehen lassen. Es hat auch nicht ausgeführt, dass den Betreffenden in tatsächlicher Hinsicht eine aus anderen Gründen dauerhafte Bleibeperspektive erwächst. Vielmehr hat es die Annahme einer dauerhaften Bleibeperspektive allein mit der rechtlichen Ausgestaltung des Aufenthaltsstatus begründet. Daran ist die Vorlage zu messen.

c) Dass die Betroffenen mit der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] einen im elterngeldrechtlichen Sinne verfestigten Aufenthaltsstatus innehaben, hat das [X.] nicht näher dargelegt.

aa) Ob die Einschätzung des [X.]s zutrifft, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] sei nach rechtlicher Tragweite und Struktur der Norm darauf angelegt, Personen, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift erteilt wird, die Möglichkeit eines dauernden Aufenthalts in [X.] zu eröffnen, lässt sich anhand der insoweit sehr knapp gehaltenen Ausführungen im Vorlagebeschluss nicht beurteilen. Angesichts seiner allein am rechtlichen Status ansetzenden Beurteilung hätte sich das vorlegende Gericht genauer mit der einfachrechtlichen Ausgestaltung des durch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] begründeten Aufenthaltsstatus befassen müssen. Es ist nicht Aufgabe des [X.]s, die fachrechtlichen Prämissen der verfassungsrechtlichen Beurteilung einer vorgelegten Norm aufzuklären. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die einfachgesetzliche Rechtslage nicht mit einem Blick erfassen lässt, sondern - wie hier - von einem komplexen Ineinandergreifen verschiedener Vorschriften des [X.] geprägt ist.

bb) Insbesondere hätte sich das vorlegende Gericht damit befassen müssen, ob es die für den Elterngeldbezug relevante Bleibeprognose beeinflusst, dass § 104a Abs. 1 Satz 3 3. Halbsatz [X.] die Erteilung der unbefristeten Niederlassungserlaubnis (§ 26 Abs. 4 [X.]) an Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] ausdrücklich ausschließt. Dies unterscheidet die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] von den in § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe c [X.] genannten - elterngeldrechtlich vorteilhaften - Aufenthaltstiteln, auf deren Grundlage nach § 9 und § 26 Abs. 4 [X.] eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt werden kann. § 104a Abs. 1 Satz 3 3. Halbsatz [X.] findet in der Vorlage weder ausdrücklich noch sinngemäß Berücksichtigung.

cc) Es fehlt auch an genaueren Darlegungen zur Möglichkeit der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.]. Gerade, weil § 104a Abs. 1 Satz 3 3. Halbsatz [X.] einen direkten Übergang in eine unbefristete Niederlassungserlaubnis ausschließt, hätte die Regelung der Verlängerungsmöglichkeiten über die mit der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] verbundene rechtliche Aufenthaltsperspektive Aufschluss geben können.

Die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 [X.] war bis zum 31. Dezember 2009 befristet und konnte als solche nicht verlängert werden. Auch dies unterscheidet sie von den in § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe c [X.] genannten Aufenthaltstiteln, die nach § 26 Abs. 1 und 2 [X.] verlängert werden können. Zwar erwähnt der Vorlagebeschluss § 104a Abs. 5 und 6 [X.], wonach eine Verlängerung als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 [X.] um zwei Jahre möglich war. Es finden sich jedoch keine näheren Ausführungen dazu, unter welchen Voraussetzungen eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 5 und 6 [X.] erteilt werden konnte. Auch der für die Dauerperspektive relevanten Frage nach weiteren Verlängerungsmöglichkeiten ist das [X.] nicht nachgegangen. Ferner fehlt es an einer Erläuterung der Möglichkeiten, aufgrund der nach § 104a Abs. 5 und 6 [X.] erteilten [X.] eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 [X.] zu erhalten. Schließlich bleibt unaufgeklärt, welche rechtliche oder tatsächliche Bleibeperspektive Personen haben, die die Voraussetzungen des § 104a Abs. 5 und 6 [X.] nicht erfüllten und darum nach dem 31. Dezember 2009 möglicherweise wieder in den Status der Duldung (§ 60a [X.]) zurückgefallen sind.

Meta

1 BvL 4/12

04.12.2012

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend BSG, 15. Dezember 2011, Az: B 10 EG 15/10 R, Vorlagebeschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 100 Abs 1 S 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 104a Abs 1 S 1 AufenthG 2004, § 1 Abs 7 Nr 2 Buchst d BEEG vom 19.08.2007

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04.12.2012, Az. 1 BvL 4/12 (REWIS RS 2012, 824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 824 BVerfGE 132, 360-371 REWIS RS 2012, 824

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 10 EG 1/13 R (Bundessozialgericht)

(Anspruch auf Elterngeld - nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer - Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" nach § 104a AufenthG …


B 10 EG 15/10 R (Bundessozialgericht)

(Vorlagebeschluss an das BVerfG - Bundeselterngeld - Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs 7 Nr 2 …


1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL 3/11 (Bundesverfassungsgericht)

Arbeitsmarktintegration als Voraussetzung des Anspruchs bestimmter ausländischer Staatsangehöriger auf Elterngeld bzw Erziehungsgeld kein hinreichendes Differenzierungskriterium, …


B 10 EG 9/09 R (Bundessozialgericht)

(Vorlagebeschluss an das BVerfG - Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - § 1 Abs 7 Nr 2 …


2 BvL 11/14, 2 BvL 12/14 (Bundesverfassungsgericht)

Richtervorlagen zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nichtfreizügigkeitsberechtigter Ausländer vom Kindergeldbezug (§ 62 Abs 2 EStG 2006) …


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.