Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.09.2021, Az. 9 AZR 571/20

9. Senat | REWIS RS 2021, 2803

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Gegenstand

bEM - Durchführungsanspruch des Arbeitnehmers?


Leitsatz

§ 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM).

Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 8. Oktober 2020 - 5 [X.]/20 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen [X.] (bEM) hat.

2

Zwischen dem Kläger, der mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, und der beklagten Gemeinde besteht seit dem 3. Juli 2000 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger wurde zunächst im Bereich „Bauhof“ eingesetzt. Mit Wirkung zum 1. Januar 2016 versetzte ihn die Beklagte in den Bereich „[X.]“. [X.] war der Kläger an 122 Arbeitstagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig, im Jahr 2019 vom 1. Januar bis zum 25. August an 86 Arbeitstagen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. August 2019 verlangte der Kläger die Durchführung eines bEM. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 19. August 2019 ab.

3

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe unmittelbar aus § 167 Abs. 2 SGB IX, jedenfalls aber aus § 167 Abs. 2 SGB IX iVm. dem Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) einen Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines bEM, weil er in den Jahren 2018 und 2019 - wie auch in den Folgejahren - jeweils länger als sechs Wochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen sei.

4

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, mit ihm ein bEM gemäß § 167 SGB IX unter Beteiligung des Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung der [X.] sowie unter Beteiligung des Integrationsamts und der Rehabilitationsträger einzuleiten und durchzuführen und mit diesen zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und sein Arbeitsplatz erhalten werden kann.

5

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, § 167 Abs. 2 SGB IX begründe auch in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB keinen [X.] der Arbeitnehmer. Unbeschadet dessen habe sie mit den der Versetzung des [X.] vorangegangenen Gesprächen und der Übertragung der Tätigkeit im Bereich „[X.]“ faktisch ein bEM durchgeführt.

6

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren bestritten, dass bei ihr ein Personalrat gebildet sei. Das [X.] hat die Klage, soweit der Kläger die Durchführung eines bEM verlangt, als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Im Revisionsverfahren hat die Beklagte vorgetragen, die Mitglieder des Personalrats hätten auf einer Personalversammlung am 6. November 2019 ihren Rücktritt erklärt. Ein neuer Personalrat sei in der Zwischenzeit nicht gewählt worden.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das [X.] hat der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht stattgegeben und die Klage abgewiesen.

8

A. Die Klage ist allerdings - entgegen der Entscheidung des [X.]s - insgesamt zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (zu den Anforderungen im Einzelnen vgl. [X.] 3. Dezember 2019 - 9 [X.] - Rn. 10 f. mwN, [X.]E 169, 26). Der Klageantrag ist bei gebotener rechtsschutzgewährender Auslegung (vgl. hierzu [X.] 17. März 2015 - 9 [X.] - Rn. 13 mwN; [X.] Dezember 2015 - IV ZR 28/15 - Rn. 10) auf die Einleitung und Durchführung eines den gesetzlichen Mindestanforderungen entsprechenden bEM gerichtet. Eine weitere Konkretisierung der Durchführungsmaßnahmen kann vom Kläger im Hinblick auf die Besonderheiten des bEM nicht verlangt werden.

9

I. Ein bEM iSv. § 167 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.] ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (vgl. [X.] 20. Mai 2020 - 7 [X.] - Rn. 32 mwN; 22. März 2016 - 1 [X.] - Rn. 11, [X.]E 154, 329; 10. Dezember 2009 - 2 [X.]/08 - Rn. 20). Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden ([X.] 20. November 2014 - 2 [X.] - Rn. 30, [X.]E 150, 117). § 167 Abs. 2 [X.] schreibt weder konkrete Maßnahmen noch einen bestimmten Verfahrensablauf vor. Aus dem Gesetz lassen sich lediglich gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen - mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person - eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Zudem entspricht ein [X.] den gesetzlichen Anforderungen nur, wenn es keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten ausschließt und in ihm die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert werden (vgl. [X.] 20. Mai 2020 - 7 [X.] - Rn. 32 mwN; 19. November 2019 - 1 [X.] - Rn. 30).

II. Der Kläger trägt mit der Fassung des Klageantrags dem Gestaltungsspielraum Rechnung, den die gesetzliche Regelung dem Arbeitgeber einräumt (vgl. [X.] 22. März 2016 - 1 [X.] - Rn. 11, [X.]E 154, 329; 10. Dezember 2009 - 2 [X.] - Rn. 18 mwN), indem er der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und Zweckbestimmungen des bEM die Auswahl der Einleitungs- und Durchführungsmaßnahmen überlässt. Soweit im Klageantrag die zu beteiligenden Stellen genannt sind, orientiert sich der Kläger am Wortlaut von § 167 Abs. 2 [X.]. In Bezug auf die Beteiligung der Rehabilitationsträger ist der Antrag iSe. „ggf.“ zu verstehen, denn nach § 167 Abs. 2 [X.]tz 4 [X.] sind vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger nur hinzuzuziehen, wenn Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen. Vor Beginn des bEM ist dies nicht absehbar. Der Klageantrag ist auch, soweit der Kläger die Beteiligung des Personalrats verlangt, hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Frage, ob bei der Beklagten ein Personalrat existiert, ist hierfür ohne Bedeutung.

B. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines bEM.

I. Der Kläger kann die Klageforderung nicht auf § 167 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.] stützen. Dies ergibt die Auslegung der Bestimmung.

1. Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte [X.]e des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven [X.]ens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Der Wortlaut gibt nicht immer hinreichende Hinweise auf den [X.]en des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte [X.] deutlich. Für die Beantwortung der Frage, welche [X.] dem Gesetz zugrunde liegt, kommt den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine Indizwirkung zu (vgl. [X.] 19. März 2013 - 2 [X.] ua. - Rn. 66, [X.]E 133, 168; [X.] 21. August 2019 - 7 [X.] - Rn. 14, [X.]E 167, 341; 21. Dezember 2016 - 5 [X.] - Rn. 20 mwN, [X.]E 157, 356).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen begründet § 167 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.], auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm erfüllt sind (vgl. hierzu [X.] 20. Mai 2020 - 7 [X.] - Rn. 30 mwN), keinen [X.] der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines bEM (ebenso Boecken RdA 2012, 212, 215; aA mit unterschiedlichen Begründungsansätzen [X.]/[X.] 21. Aufl. [X.] § 167 Rn. 5; [X.] [X.] nach § 84 Abs. 2 [X.] ([X.]) unter besonderer Berücksichtigung des Datenschutzes 2018 S. 71 ff.; [X.] in Plagemann [X.] [X.] Sozialrecht 5. Aufl. § 20 Rn. 35 f.). Dieses Ergebnis steht mit dem Wortlaut von § 167 Abs. 2 [X.] im Einklang und entspricht der Systematik der Bestimmung, wie der von Kapitel 3 Teil 2 des [X.].

a) Nach § 167 Abs. 2 [X.]tz 7 [X.] können die zuständige Interessenvertretung iSd. § 176 [X.], bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, die nach § 167 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.] gebotene Klärung verlangen. Sie wachen nach § 167 Abs. 2 [X.]tz 8 [X.] darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Entsprechende Rechte und Aufgaben sieht die gesetzliche Regelung für die betroffenen Arbeitnehmer nicht vor. Dem Gesetzgeber war damit nicht nur bewusst, dass die - notfalls gerichtliche - Durchsetzung des bEM einen Anspruch iSv. § 194 Abs. 1 BGB voraussetzt, dh. das Recht von einem anderen [X.] oder Unterlassen zu verlangen. Die Regelungssystematik lässt zudem darauf schließen, dass § 167 Abs. 2 [X.]tz 7 [X.] [X.] in Kauf genommen hat, die entstehen könnten, weil die tatsächliche Einleitung und Durchführung des bEM rechtlich nicht durch einen [X.] des Arbeitnehmers abgesichert ist.

b) Die Systematik des [X.] bestätigt dieses Verständnis. Kapitel 3 des Teils 3 des [X.] unterscheidet zwischen sonstigen Pflichten der Arbeitgeber und Rechten der (schwerbehinderten) Arbeitnehmer und bringt damit zum Ausdruck, dass nicht jeder Pflicht des Arbeitgebers ein entsprechender Anspruch bzw. ein entsprechendes Recht des Arbeitnehmers gegenübersteht. [X.] das Gesetz den Arbeitnehmern Ansprüche ein, werden diese ausdrücklich als solche bezeichnet, wie zB in § 164 Abs. 4 [X.] (vgl. [X.] 26. November 2020 - 8 [X.] - Rn. 45; zum aus § 81 Abs. 4 [X.]tz 1 [X.] aF folgenden Wiedereingliederungsanspruch schwerbehinderter Menschen vgl. [X.] 16. Mai 2019 - 8 [X.] - Rn. 22, [X.]E 166, 379). Dies ist in § 167 Abs. 2 [X.] nicht geschehen.

c) Ein von der Gesetzessystematik abweichendes Auslegungsergebnis kann aus den Gesetzesmaterialen (vgl. [X.]. 15/2318 S. 22) nicht abgeleitet werden. Diese verhalten sich nicht zu der Frage, ob § 167 Abs. 2 [X.] einen [X.] des Arbeitnehmers begründet.

d) Die Richtlinie 2000/78/[X.] und die [X.] ([X.]), die integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung (vgl. [X.] 11. September 2019 - [X.]/18 - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 39; 1. Dezember 2016 - [X.]/15 - [[X.]] Rn. 40) ist und damit zugleich des - ggf. unionsrechtskonform [X.] - [X.] Rechts ([X.]Rspr. vgl. nur [X.] 27. August 2020 - 8 [X.] - Rn. 50; [X.] 4. November 2015 - 7 [X.] - Rn. 27, [X.]E 153, 187), gebieten - soweit die Voraussetzungen eines bEM bei Menschen mit Behinderungen erfüllt sind - kein abweichendes Verständnis von § 167 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.].

aa) Nach Art. 5 [X.]tz 1 der Richtlinie 2000/78/[X.] haben die Mitgliedstaaten angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, was nach Art. 5 [X.]tz 2 der Richtlinie 2000/78/[X.] bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat, um Menschen mit Behinderung ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten (vgl. [X.] 21. April 2016 - 8 [X.] - Rn. 20, [X.]E 155, 61). Nach Art. 27 Abs. 1 [X.]tz 2 Buch[X.]i der [X.] haben die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden.

(1) Ausgehend von der Legaldefinition in Art. 2 Unterabs. 4 der [X.] sind „angemessene Vorkehrungen“ notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können (zum Begriff „angemessene Vorkehrungen“ vgl. [X.] 11. September 2019 - [X.]/18 - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 64 f.; 4. Juli 2013 - [X.]/11 - [Kommission/[X.]] Rn. 59; 11. April 2013 - [X.]/11 ua. - [[X.], auch genannt „Ring, [X.]“] Rn. 49, 55; vgl. auch ausf. [X.] 21. April 2016 - 8 [X.] - Rn. 19 ff., [X.]E 155, 61). Das bEM stellt keine angemessene Vorkehrung iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/[X.] oder von Art. 27 Abs. 1 [X.]tz 2 Buch[X.]i iVm. Art. 2 Unterabs. 3 und Unterabs. 4 [X.] dar (aA [X.] in Plagemann [X.] [X.] Sozialrecht 5. Aufl. § 20 Rn. 10), sondern ist lediglich eine Verfahrensregelung zur Klärung von Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (vgl. [X.] 19. November 2019 - 1 [X.] - Rn. 25).

(2) Weder die Richtlinie 2000/78/[X.] noch die Bestimmungen der [X.] verlangen ein bestimmtes Verfahren zur Ermittlung angemessener Vorkehrungen (vgl. zur Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.] [X.] 22. Januar 2020 - 7 [X.] - Rn. 44, [X.]E 169, 267; zum Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 [X.] aF [X.] 21. April 2016 - 8 [X.] - Rn. 23 ff., [X.]E 155, 61). Fehlt es an einer unionsrechtlichen Regelung des Verfahrens der Rechtsdurchsetzung, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs entsprechend dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten [X.]che der innerstaatlichen Rechtsordnung, die Verfahrensmodalitäten auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten (vgl. nur [X.] 19. Juni 2014 - [X.]/12 bis [X.]/12, [X.]/12 und [X.]/12 - Rn. 112; 8. Juli 2010 - [X.]/09 - [[X.]] Rn. 24 f. mwN; [X.] 27. Oktober 2020 - 9 [X.] - Rn. 20 mwN).

bb) Das nationale Recht gewährleistet bei dem dargelegten Verständnis von § 167 Abs. 2 [X.] eine äquivalente und hinreichend effektive Umsetzung der Vorgaben von Art. 5 [X.]tz 1 der Richtlinie 2000/78/[X.] und Art. 27 Abs. 1 [X.]tz 2 Buch[X.]i [X.].

(1) § 167 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.] weist dem Arbeitgeber die Initiativlast zur Durchführung des bEM zu ([X.]Rspr. vgl. nur [X.] 20. November 2014 - 2 [X.] - Rn. 31, [X.]E 150, 117; 7. Februar 2012 - 1 [X.] - Rn. 9, [X.]E 140, 350).

(2) Wird der Arbeitgeber seiner Initiativlast nicht gerecht und ist der Arbeitnehmer aus diesem Grund nicht in der Lage, Beschäftigungsmöglichkeiten iSv. § 164 Abs. 4 [X.]tz 1 Nr. 1 [X.] und Möglichkeiten aufzuzeigen, Arbeitsstätten und Arbeitsplätze sowie die Arbeitsorganisation [X.] zu gestalten (§ 164 Abs. 4 [X.]tz 1 Nr. 4 und Nr. 5 [X.]), kann sich der Arbeitgeber zur Abwehr des Beschäftigungsverlangens des Arbeitnehmers (vgl. hierzu [X.] 3. Dezember 2019 - 9 [X.] - Rn. 17, [X.]E 169, 26) oder zur Begründung einer Kündigung nicht darauf beschränken vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den Arbeitnehmer und es gebe keine Arbeitsplätze, die dieser mit seinem Leistungsvermögen ausfüllen könne, oder es sei mit einer Verringerung von Fehlzeiten nicht zu rechnen (vgl. hierzu [X.] 25. April 2018 - 2 [X.] - Rn. 51, [X.]E 162, 327). Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer bereits genannte Alternativen zu würdigen. Erst nach einem solchen Vortrag ist es [X.]che des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst seine (Weiter)Beschäftigung oder Hilfen zur Verringerung von Fehlzeiten vorstellt (vgl. [X.] 26. Februar 2020 - 7 [X.] - Rn. 30 mwN). Nur wenn auch die Durchführung eines bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können, ist sein Fehlen unschädlich. [X.] sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, das Arbeitsverhältnis bzw. die Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten (vgl. [X.] 26. Februar 2020 - 7 [X.] - Rn. 31 mwN; zum Schutz von Menschen mit „Einfachbehinderung“ bzw. von Menschen mit Behinderung außerhalb des Anwendungsbereichs des [X.] vgl. [X.] 19. Dezember 2013 - 6 [X.]/12 - Rn. 50 ff., [X.]E 147, 60).

cc) Ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Die vorliegend maßgeblichen unionsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt (vgl. [X.] 11. September 2019 - [X.]/18 - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 64; 4. Juli 2013 - [X.]/11 - [Kommission/[X.]] Rn. 59; 11. April 2013 - [X.]/11 ua. - [[X.], auch genannt „Ring, [X.]“] Rn. 49, 54, 55; 19. Juni 2014 - [X.]/12 bis [X.]/12, [X.]/12 und [X.]/12 - Rn. 112; 8. Juli 2010 - [X.]/09 - [[X.]] Rn. 24 f. mwN).

II. Ein Anspruch des [X.] auf Einleitung und Durchführung eines bEM ergibt sich, wie vom [X.]s zutreffend entschieden, auch nicht aus dem Gebot der Rücksichtnahme (vgl. hierzu [X.] 3. Dezember 2019 - 9 [X.] - Rn. 21, [X.]E 169, 36; 21. Februar 2017 - 1 [X.] - Rn. 16, [X.]E 158, 148) als vertragliche [X.]npflicht aus § 241 Abs. 2 BGB iVm. § 167 Abs. 2 [X.] ([X.] 13. November 2014 - 15 [X.] 979/14 - Rn. 34; [X.] Arbeitsrechtliche Kernfragen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements in der betrieblichen Praxis S. 103 ff.) oder einer Konkretisierung der Schutzpflichten des Arbeitgebers aus § 618 BGB (Schils [X.] im Sinne des § 84 Abs. 2 [X.] 2009 S. 220 ff.). Der Ableitung eines [X.]s auf Einleitung und Durchführung eines bEM aus § 241 Abs. 2 BGB oder § 618 BGB steht der in der Gesetzessystematik zum Ausdruck kommende objektivierte [X.]e des Gesetzgebers entgegen, den betroffenen Arbeitnehmern mit § 167 Abs. 2 [X.]tz 1 [X.] keinen klagbaren Anspruch einzuräumen.

1. Der Gesetzgeber hat mit § 167 Abs. 2 [X.] eine spezialgesetzliche Regelung geschaffen, die das bEM als dialogisches, kooperatives und [X.] (vgl. zu § 84 Abs. 2 [X.] aF [X.] 16. Mai 2019 - 8 [X.] - Rn. 44, [X.]E 166, 379; [X.] in LPK-[X.] 5. Aufl. § 167 Rn. 32 ff.) etabliert und zugleich die Rechte und Pflichten der Beteiligten innerhalb dieses Verfahrens abschließend regelt. Die allgemeinen Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB und die Schutzpflichten aus § 618 BGB können es zwar gebieten, dass der Arbeitgeber Maßnahmen ergreift, um Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen, mit dem Ziel, die Beschäftigung des Arbeitnehmers zu sichern (vgl. zur [X.] Beschäftigung [X.] 3. Dezember 2019 - 9 [X.] - Rn. 22, [X.]E 169, 26; 22. August 2018 - 5 [X.] - Rn. 21; zur Berücksichtigung gesundheitlicher Einschränkungen im Rahmen des Weisungsrechts vgl. [X.] 14. Oktober 2020 - 5 [X.] - Rn. 30; 28. Juni 2017 - 5 [X.] - Rn. 36). Von diesen Einzelmaßnahmen ist jedoch das in § 167 Abs. 2 [X.] zusammengefasste und spezialgesetzlich abschließend geregelte Klärungsverfahren zu unterscheiden.

2. Die Gerichte müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren, nur den in § 167 Abs. 2 [X.]tz 7 [X.] genannten Stellen, nicht aber den betroffenen Arbeitnehmern einen Anspruch auf Einleitung und Durchführung des bEM einzuräumen. Die Grenzen zulässiger Auslegung und richterlicher Rechtsfortbildung (vgl. hierzu [X.] 6. Juni 2018 - 1 [X.], 1 BvR 1375/14 - Rn. 72 ff., [X.]E 149, 126) wären überschritten, würde aus dem Gebot der Rücksichtnahme bzw. der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers eine Rechtsfolge abgeleitet, die der Gesetzgeber mit § 167 Abs. 2 [X.] bewusst ausgeschlossen hat.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

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    Stietzel    

                 

Meta

9 AZR 571/20

07.09.2021

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Würzburg, 28. Januar 2020, Az: 2 Ca 1068/19, Urteil

§ 167 Abs 2 S 1 SGB 9 2018, § 167 Abs 2 S 7 SGB 9 2018, § 176 SGB 9 2018, Art 5 EGRL 78/2000, Art 27 Abs 1 S 2 Buchst i UNBehRÜbk, Art 2 UAbs 3 UNBehRÜbk, Art 2 UAbs 4 UNBehRÜbk, § 164 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB 9 2018, § 164 Abs 4 S 1 Nr 4 SGB 9 2018, § 164 Abs 4 S 1 Nr 5 SGB 9 2018, § 241 Abs 2 BGB, § 618 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.09.2021, Az. 9 AZR 571/20 (REWIS RS 2021, 2803)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2803 NJW 2022, 1697 REWIS RS 2021, 2803


Verfahrensgang

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Az. 9 AZR 571/20

Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 571/20, 07.09.2021.


Az. 2 Ca 1068/19

ArbG Würzburg, 2 Ca 1068/19, 28.01.2020.


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