Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.06.2013, Az. 3 B 102/12

3. Senat | REWIS RS 2013, 4818

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Gegenstand

Trunkenheit im Verkehr; Fahrrad; medizinisch-psychologisches Gutachten


Leitsatz

Das Fahrradfahren im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr rechtfertigt nach § 3 Abs. 2 i.V.m § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV (juris: FeV 2010) die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge beizubringen.

Gründe

1

Die Klägerin wendet si[X.]h gegen das ihr gegenüber verhängte Verbot, Fahrzeuge aller Art auf öffentli[X.]hem [X.] zu führen.

2

Die Klägerin wurde dur[X.]h re[X.]htskräftiges Urteil vom 3. Dezember 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,9 Promille im Straßenverkehr Fahrrad gefahren war. Der Aufforderung der Beklagten, ein medizinis[X.]h-psy[X.]hologis[X.]hes Guta[X.]hten über ihre Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge beizubringen, kam sie ni[X.]ht na[X.]h. Infolge dessen untersagte ihr die Beklagte, Fahrzeuge aller Art auf öffentli[X.]hem [X.] zu führen. Ihre na[X.]h erfolglosem Widerspru[X.]hsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgeri[X.]ht abgewiesen; ihre Berufung hat der Verwaltungsgeri[X.]htshof zurü[X.]kgewiesen.

3

Die Bes[X.]hwerde der Klägerin gegen die Ni[X.]htzulassung der Revision in dem Berufungsurteil ist ni[X.]ht begründet. Die Re[X.]htssa[X.]he weist ni[X.]ht die geltend gema[X.]hte grundsätzli[X.]he Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.

4

1. Die Klägerin hält für grundsätzli[X.]h klärungsbedürftig,

ob die Formulierung in § 3 Abs. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV - "finden die Vors[X.]hriften der §§ 11 bis 14 entspre[X.]hend Anwendung" so zu verstehen sei, dass die zuständige Fahrerlaubnisbehörde von einer Person, die beim Fahren mit einem Fahrrad im Straßenverkehr erstmals mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr angetroffen worden sei, gemäß § 3 Abs. 2, § 13 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] FeV die Vorlage eines medizinis[X.]h-psy[X.]hologis[X.]hen Guta[X.]htens zur Überprüfung der Fahreignung verlangen könne, obwohl diese Person ni[X.]ht im Besitz einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen sei und eine sol[X.]he au[X.]h ni[X.]ht erwerben wolle.

5

Da der Klägerin aufgegeben worden ist, ihre Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge medizinis[X.]h-psy[X.]hologis[X.]h klären zu lassen, könnte si[X.]h die von ihr aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren von vornherein au[X.]h nur mit dieser Zielri[X.]htung stellen. Die Beantwortung dieser auf [X.] reduzierten Frage kann jedo[X.]h ni[X.]ht zum Erfolg der Bes[X.]hwerde führen; denn es liegt auf der Hand und bedarf zur Klärung ni[X.]ht der Dur[X.]hführung eines Revisionsverfahrens, dass au[X.]h bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille und mehr die Vorlage eines sol[X.]hen Guta[X.]htens verlangt werden darf.

6

Na[X.]h § 3 Abs. 2 FeV finden die Vors[X.]hriften der §§ 11 bis 14 FeV entspre[X.]hende Anwendung, wenn Tatsa[X.]hen die Annahme re[X.]htfertigen, dass der Führer eines Fahrzeuges oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur no[X.]h bedingt geeignet ist. Mit der Anordnung der entspre[X.]henden Anwendung dieser Vors[X.]hriften sollen ni[X.]ht die Voraussetzungen, unter denen na[X.]h § 13 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] FeV ein medizinis[X.]h-psy[X.]hologis[X.]hes Guta[X.]hten beizubringen ist, relativiert werden. Dass die §§ 11 bis 14 FeV ni[X.]ht unmittelbar, sondern nur entspre[X.]hend anwendbar sein sollen, erklärt si[X.]h ebenso wie bei der Verweisung in § 46 Abs. 3 FeV zwanglos daraus, dass unter Abs[X.]hnitt II.2. der Fahrerlaubnis-Verordnung und damit au[X.]h in den §§ 11 bis 14 FeV die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis geregelt werden, während § 3 Abs. 2 FeV die Führer von Fahrzeugen aller Art - also au[X.]h erlaubnisfreier Fahrzeuge - betrifft und § 46 FeV den Inhaber einer Fahrerlaubnis, also jemanden, dem die Fahrerlaubnis bereits erteilt worden ist. Mit der Verweisung auf die §§ 11 bis 14 FeV sollte der Regelungsgehalt dieser Vors[X.]hriften au[X.]h auf diese Fälle erstre[X.]kt werden, allerdings naturgemäß nur insoweit, als sie ihrem Wortlaut na[X.]h anwendbar sind, übertragen auf die hier betroffene Führerin eines Fahrrads also nur insoweit, als die in Bezug genommenen Regelungen ihrem Inhalt na[X.]h ni[X.]ht das Führen eines Kraftfahrzeuges voraussetzen.

7

Der hier maßgebli[X.]he § 13 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] FeV s[X.]hreibt vor, dass ein medizinis[X.]h-psy[X.]hologis[X.]hes Guta[X.]hten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Die Vors[X.]hrift differenziert also ni[X.]ht na[X.]h Fahrzeugarten, so dass sie - wie der [X.] bereits ents[X.]hieden hat - ni[X.]ht das Führen eines Kraftfahrzeuges voraussetzt (Urteil vom 21. Mai 2008 - BVerwG 3 C 32.07 - BVerwGE 131, 163 Rn. 10). Demgemäß gilt die Bestimmung aufgrund der Verweisung in § 3 Abs. 2 FeV au[X.]h für Fahrradfahrer, ohne dass sie eine Fahrerlaubnis beantragt haben oder Inhaber einer sol[X.]hen Erlaubnis sein müssen. Dies gebietet au[X.]h Sinn und Zwe[X.]k der Norm. Die bisher dazu ergangenen Ents[X.]heidungen der Obergeri[X.]hte weisen - mit einer, jedo[X.]h inzwis[X.]hen korrigierten Ausnahme - übereinstimmend und zu Re[X.]ht darauf hin, dass die Teilnahme am Straßenverkehr in erhebli[X.]h alkoholisiertem Zustand mit jedem Fahrzeug eine erhebli[X.]he Gefahr für die Si[X.]herheit des Straßenverkehrs darstellt und der Gesetzgeber diese Eins[X.]hätzung teilt, indem er die Trunkenheitsfahrt mit jedem Fahrzeug in § 316 StGB unter Strafe stellt (so neben dem Berufungsgeri[X.]ht: [X.], Urteil vom 6. Oktober 2010 - 2 B 1076/10 - juris Rn. 10; [X.], Bes[X.]hluss vom 28. Februar 2011 - [X.], OVG 1 M 6.11 - juris Rn. 6; [X.], Bes[X.]hluss vom 31. Januar 2011 - 3 [X.]/10 - juris Rn. 5; [X.], Bes[X.]hluss vom 1. April 2008 - 12 ME 35/08 - juris Rn. 7; inzwis[X.]hen au[X.]h [X.], Urteil vom 17. August 2012 - 10 A 10284/12 - juris Rn. 24f., unter Änderung seiner früheren Re[X.]htspre[X.]hung , soweit - wie hier - eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr errei[X.]ht worden ist). Da eine festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr den Verda[X.]ht eines die Fahreignung auss[X.]hließenden Alkoholmissbrau[X.]hs begründet, muss daher s[X.]hon aus Gründen der Gefahrenabwehr den Eignungszweifeln na[X.]hgegangen werden, glei[X.]hgültig wel[X.]hes Fahrzeug geführt worden ist und unabhängig davon, ob der Fahrzeugführer Inhaber einer Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ist oder eine sol[X.]he Erlaubnis anstrebt. Insoweit finden die Grundre[X.]hte des Betroffenen, auf die si[X.]h die Klägerin in den Vorinstanzen berufen hat, ihre Grenzen in den Re[X.]hten Dritter, insbesondere in dem Re[X.]ht der übrigen Verkehrsteilnehmer auf Leben und körperli[X.]he Unversehrtheit, die zu s[X.]hützen der Staat aufgerufen ist.

8

2. Au[X.]h die weitere von der Klägerin aufgeworfene Frage,

ob die Anwendung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] FeV auf eine Person, die beim Fahren mit einem Fahrrad im Straßenverkehr erstmals mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr angetroffen worden sei, ohne dass diese Person im Besitz einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge sei und eine sol[X.]he au[X.]h ni[X.]ht erwerben wolle, zu einer unzulässigen Unglei[X.]hbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG gegenüber Fahrern von [X.] und Rollern führe, weil letztere zwar den Vors[X.]hriften für den Fußgängerverkehr gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] unterlägen, jedo[X.]h in der Fahrerlaubnis Verordnung keine dem § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] entspre[X.]hende eins[X.]hränkende Regelung vorhanden sei und die zuständigen [X.] tatsä[X.]hli[X.]h die Regelungen der Fahrerlaubnis-Verordnung ni[X.]ht auf die Fahrer von [X.] und Rollern anwendeten,

re[X.]htfertigt ni[X.]ht die Zulassung der Revision, weil sie - selbst wenn sie zu bejahen wäre - der Revision offenkundig ni[X.]ht zum Erfolg verhelfen könnte und daher in einem Revisionsverfahren ni[X.]ht beantwortet werden müsste.

9

Da Roller und [X.] na[X.]h § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] keine Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung sind und für den Verkehr mit diesen Fortbewegungsmitteln die Vors[X.]hriften für den Fußgängerverkehr entspre[X.]hend gelten, hat der Verwaltungsgeri[X.]htshof insoweit § 3 Abs. 2 FeV zu Re[X.]ht für unanwendbar erklärt; denn es liegt auf der Hand, dass der Fahrzeugbegriff der Straßenverkehrsordnung derselbe ist, wie der der - ebenfalls dem Straßenverkehrsre[X.]ht zugehörigen - Fahrerlaubnis-Verordnung. Daraus folgt zuglei[X.]h, dass § 13 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] FeV auf Personen, die si[X.]h dieser Fortbewegungsmittel bedienen, keine Anwendung findet.

Ob darin - wie die Klägerin geklärt wissen mö[X.]hte - eine ni[X.]ht zu re[X.]htfertigende und daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Unglei[X.]hbehandlung gegenüber Fahrradfahrern liegt, könnte in einem Revisionsverfahren dahingestellt bleiben; denn selbst wenn die Benutzung dieser Fortbewegungsmittel in alkoholisiertem Zustand verglei[X.]hbare Gefahren für den Straßenverkehr begründen sollte, würde das ni[X.]ht dazu führen, dass die zur Wahrung der Verkehrssi[X.]herheit vorgenommene Bes[X.]hränkung der Re[X.]hte von Fahrradfahrern re[X.]htswidrig wäre, sondern allenfalls dazu, dass die in Rede stehenden Regelungen auf die Benutzer sol[X.]her Fortbewegungsmittel erstre[X.]kt werden müssten.

Meta

3 B 102/12

20.06.2013

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 1. Oktober 2012, Az: 11 BV 12.771, Urteil

§ 3 Abs 2 FeV 2010, § 13 S 1 Nr 2 Buchst c FeV 2010, § 46 FeV 2010, § 24 Abs 1 StVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.06.2013, Az. 3 B 102/12 (REWIS RS 2013, 4818)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4818

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