Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2019, Az. 4 StR 260/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 1296

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Gegenstand

Revision im Strafverfahren wegen Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Tötung: Aufhebung des Strafausspruchs wegen eines Zirkelschlusses in der Beweiswürdigung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2018, soweit es den Angeklagten betrifft, im Strafausspruch aufgehoben. Die Feststellungen bleiben aufrechterhalten mit Ausnahme der Feststellungen zu der vom Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrenen, die Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h übersteigenden Geschwindigkeit und zu dem nach Wahrnehmung des Geschädigten zur Verfügung stehenden Anhalteweg, die jeweils aufgehoben werden.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein des Angeklagten eingezogen und für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis eine Sperre von zwei Jahren verhängt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der nicht näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils kann nicht bestehen bleiben, weil das [X.] zum Nachteil des Angeklagten nicht ausschließbar von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist. Die [X.] hat im Rahmen der Strafzumessung unter anderem strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte mit der von ihm bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrenen Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 93 km/h die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 [X.] innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um fast das Doppelte überschritten und darüber hinaus auch gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 [X.] verstoßen habe. Die Beweiswürdigung des [X.]s, die der Feststellung der angenommenen Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 93 km/h zu Grunde liegt, hält indes unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen [X.] (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, [X.]St 29, 18, 20 f. [X.]; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. [X.]) einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

3

1. Die [X.] hat - sachverständig beraten - auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h sowie unter Berücksichtigung der nach den glaubhaften Bekundungen des Angeklagten und seines Beifahrers vor der Kollision noch erfolgten Bremsung des Fahrzeugs eine vom Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrene Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 93 km/h ermittelt. Ausgehend von der festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit, der ermittelten Ausgangsgeschwindigkeit bei Wahrnehmung des Geschädigten und der angenommenen Bremsverzögerung hat sie des Weiteren den nach der Wahrnehmung des Geschädigten für den Angeklagten zur Verfügung stehenden Anhalteweg auf 49,17 Meter berechnet. Sodann hat sie aus dem Anhalteweg von 49,17 Metern und der Ausgangsgeschwindigkeit von 93 km/h gefolgert, dass der Angeklagte bei Wahrnehmung des Geschädigten noch zwei Sekunden Zeit hatte, den Unfall zu vermeiden.

4

Bei ihren Schlussfolgerungen hat die [X.] aber übersehen, dass die Hochrechnung der vor der Bremsung gefahrenen Ausgangsgeschwindigkeit aus der feststehenden Kollisionsgeschwindigkeit von Ausmaß und Dauer der vor der Kollision noch erfolgten Bremsung abhängt und der Sachverständige bei seiner vom [X.] übernommenen Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit von einer [X.] von zwei Sekunden abzüglich einer Vorbremszeit von einer Sekunde ausgegangen ist. Indem das [X.] bei der Berechnung der vor der Bremsung gefahrenen Geschwindigkeit einen Berechnungsparameter - die [X.] von zwei Sekunden - berücksichtigt hat, den es seinerseits unter Heranziehung der erst noch zu belegenden Ausgangsgeschwindigkeit ermittelt hat, ist ihm ein Zirkelschluss unterlaufen (vgl. hierzu Joerden, Logik im Recht, 3. Aufl., Seite 316; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 261 Rn. 44c [X.]; [X.] in SK-[X.], 5. Aufl., § 337 Rn. 139 f. [X.]; vgl. auch [X.], Urteil vom 19. Januar 1999 - 1 [X.], NJW 1999, 1562, 1564). Dies hat zur Folge, dass die Annahme der [X.], der Angeklagte sei bei Wahrnehmung des Geschädigten erheblich schneller als bei der nachfolgenden Kollision - d. h. mit einer die Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h deutlich übersteigenden Geschwindigkeit - gefahren, einer tragfähigen Beweisgrundlage entbehrt.

5

2. Dieser Fehler bei der Beweiswürdigung stellt den Schuldspruch des angefochtenen Urteils nicht in Frage. Denn weder die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB noch der Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichter vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs durch falsches Überholen gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB beruhen auf der Annahme einer die Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h übersteigenden Ausgangsgeschwindigkeit des Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten.

6

3. Das Fehlen einer tragfähigen Begründung für die festgestellte Ausgangsgeschwindigkeit von 93 km/h berührt indessen den vom [X.] angenommenen Schuldumfang und entzieht daher dem Strafausspruch die Grundlage.

7

Auf Grund des Fehlers bei der Berechnung der vom Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrenen Geschwindigkeit ist der von der [X.] neben zahlreichen weiteren Sorgfaltspflichtverletzungen bejahte und bei der Strafzumessung erschwerend berücksichtigte Verstoß des Angeklagten gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 [X.] nicht belegt. Zudem hat das [X.] ebenfalls strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 [X.] um fast das Doppelte überschritten hat. Der [X.] vermag auch angesichts der massiven anderweitigen Sorgfaltspflichtverletzungen des Angeklagten und der an sich maßvoll bemessenen Freiheitsstrafe von drei Jahren nicht auszuschließen, dass sich der Fehler bei der Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit im Rahmen der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.

8

4. Der Strafausspruch kann mithin keinen Bestand haben. Der [X.] hebt die Feststellungen zu der vom Angeklagten bei Wahrnehmung des Geschädigten gefahrenen Geschwindigkeit, soweit diese die Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h überstieg, sowie die Feststellungen zu dem für den Angeklagten nach der Wahrnehmung des Geschädigten zur Verfügung stehenden Anhalteweg auf. Die sonstigen, jeweils rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird auf der Grundlage der nunmehr bindend festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit von 75 km/h die vom Angeklagten vor der Bremsung gefahrene Ausgangsgeschwindigkeit zu ermitteln haben.

[X.]     

        

Roggenbuck     

        

Cierniak

        

Bender     

        

Feilcke     

        

Meta

4 StR 260/19

21.11.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mönchengladbach, 18. Dezember 2018, Az: 22 KLs 16/18

§ 261 StPO, § 267 StPO, § 353 StPO, § 222 StGB, § 315c StGB, § 3 Abs 1 S 4 StVO, § 3 Abs 3 Nr 1 StVO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2019, Az. 4 StR 260/19 (REWIS RS 2019, 1296)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1296

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