Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.11.2016, Az. XII ZB 227/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 2712

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:091116BXIIZB227.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM [X.] [X.]S VOLKES

BESCHLUSS
[X.] 227/15
Verkündet am:

9. November 2016

Küpferle,

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 1603 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3
Zum Umfang einer Erwerbsobliegenheit des Elternteils, der eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht.

[X.], Beschluss vom 9. November 2016 -
[X.] 227/15 -
OLG [X.]

AG Königs [X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2016
durch den
Vorsitzenden
Richter Dose, [X.]
[X.], [X.] und [X.] und die Richterin Dr. Krüger
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Be-schluss des 5. [X.] des [X.] vom 19. Mai 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung

auch über die Kosten des [X.]

an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
I.
Der Antragsteller ist der im Mai 2007 geborene [X.]. Er macht im vorliegenden Verfahren, vertreten durch seinen Vater, gegen die Antragsgegnerin für die [X.] ab Oktober 2011 Kindesunterhalt in Höhe des

nach Altersstufen gestaffelten

Mindestunterhalts
abzüglich des hälftigen Kindergelds geltend.

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Der Antragsteller lebt gemeinsam mit seiner inzwischen volljährigen Schwester im Haushalt des [X.]. Die Ehe der Eltern ist seit dem 6. Dezember 2011 rechtskräftig geschieden.
Die 1964 geborene Antragsgegnerin war als Sozialversicherungs-fachangestellte tätig. Aufgrund einer seit 2009 bestehenden psychischen Er-krankung aus dem depressiven Formenkreis ist sie zu 70% schwerbehindert und bezieht monatlich eine (befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung VBL-R. Die Antragsgegnerin er-bringt Pflegeleistungen für ihre gebrechliche Mutter.
Der Vater des Antragstellers ist angestellter Werkstattleiter und bezieht ein
monatliches
Bruttoeinkommen von mindestens

28.
Dezember 2011 erneut geheiratet. Von seiner neuen Ehefrau lebt er seit Ende 2013 getrennt.
Die Antragsgegnerin hat sich gegenüber dem Unterhaltsbegehren des Antragstellers
vor allem
auf mangelnde Leistungsfähigkeit berufen
und auf eine Ersatzhaftung des [X.] nach § 1603 Abs. 2 Satz 3
BGB verwiesen.
Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zu [X.] verpflichtet. Das [X.] hat die Beschwerde der An-tragsgegnerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zahlungen wegen Unterhaltsvorschussleistungen teilweise an den zuständigen Landkreis
zu leis-ten sind.
Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der An-tragsgegnerin.

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II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen [X.] und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1. Das [X.] hat die Antragsgegnerin als für den Mindestun-terhalt
hinreichend leistungsfähig angesehen. Von ihrem monatlichen
Renten-einkommen von netto zwischen 1.2seien e-nommen werden, dass der Antragsteller durch einen Vorwegabzug der ihm aus anderen Verfahren zustehenden [X.] seinen Min-destunterhalt
teilweise selbst finanziere.
Darüber hinaus seien der Antragsgegnerin
Einkünfte aus einer [X.] unterlassenen stundenweisen Erwerbstätigkeit fiktiv anzurechnen. Die An-tragsgegnerin sei nicht aus gesundheitlichen Gründen in vollem Umfang [X.], sondern

wenn auch mit nicht unerheblichen Einschränkun-gen

durchaus fähig und in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Der Bewilligung einer Rente komme zwar eine starke Indizwirkung für die von der Antragsgegnerin behauptete Erwerbsunfähigkeit zu. Der [X.] dokumentiere damit, dass eine Vermittlung in eine reguläre [X.] nicht ernsthaft erwartet werden könne. Die Feststellung der Erwerbsunfä-higkeit erfolge nach § 43 Abs. 2 Satz 2 [X.] aber schon dann, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung für unbestimmte [X.] nicht in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Darüber, ob die Antragsgegnerin in dem zeitlich begrenzten Umfang von bis zu drei Stunden täglich keiner [X.] nachgehen könne, enthalte der [X.] mithin keine Aus-sage.
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Die Antragsgegnerin habe weder dargetan noch bewiesen, dass es ihr nicht möglich (gewesen) sei, werktäglich mindestens zwei bis
drei Stunden oder jedenfalls bis zum Erreichen der Hinzuverdienstgrenze nach § 96 a Abs. 2 Nr.
2 [X.] einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Sie habe insoweit ihre Erkrankun-gen bzw. gesundheitlichen Beeinträchtigungen, an denen sie leide, im [X.] und nachvollziehbar darstellen und vortragen müssen, inwiefern sich diese auf ihre Erwerbsfähigkeit bzw. auf die Dauer ihrer täglichen Arbeitsfähigkeit auswirkten. Das von ihr vorgetragene psychosomatische Trauma
bzw. die [X.], weil ihr der Antragsteller
im Zuge eines Sorgerechtsverfahrens weg-genommen worden sei, reiche ebenso wenig wie der vorgelegte [X.] aus, um
einen substantiierten Sachvortrag zum vorliegenden Krankheitsbild und den sich hieraus im Erwerbsleben ergebenden Beeinträchti-gungen zu ersetzen. Das von ihr vorgelegte psychiatrische Attest sei nicht aus-sagekräftig. Statt dessen habe sie erklärt, sie pflege ihre Mutter an sechs Tagen in der Woche jeweils drei Stunden, also 18 Stunden in der Woche. Es [X.] daher durchaus realistische Beschäftigungschancen außerhalb eines [X.], nämlich im Rahmen einer Nebentätigkeit von bis zu drei Stunden täglich.
Aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung sei die Antragsgegnerin
in der [X.], auf dem freien Markt eine Teilzeitbeschäftigung für Büroarbeiten zu erhal-ten. Ihr sei es möglich gewesen, während des gesamten streitigen [X.]raums ein Einkommen in Höhe der Hinzuverdienstgrenze von aktuell e-len.
Zur Erfüllung ihrer verschärften
Unterhaltspflicht gegenüber einem minder-jährigen Kind habe sie sich bereits mit Zugang der Zahlungsaufforderung im November 2009 um eine Erwerbstätigkeit bemühen müssen. Es ergäbe sich somit ein erzielbares

2015).
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Der Vater des Antragstellers habe nicht anstelle der Antragsgegnerin
oder in Form einer quotenmäßigen Beteiligung für den Barunterhalt des [X.] aufzukommen, weil er seine Unterhaltspflicht durch die Betreuung des Sohnes erfüllt
habe. Die Antragsgegnerin habe dies zwar bestritten, aber
schon nicht angegeben, von welcher Fremdperson der Antragsteller betreut worden sei bzw. dass der Vater keine nennenswerten Betreuungsleistungen mehr er-bringe.

Der Vater sei auch nicht als anderer leistungsfähiger Verwandter nach §
1603 Abs. 2 Satz 3 BGB zum Barunterhalt verpflichtet. Zwar komme bei ei-nem entsprechenden Einkommensgefälle der Eltern eine solche Verpflichtung des betreuenden Elternteils grundsätzlich in Betracht und sei aufgrund des vom Vater erzielten reinen Nettoeinkommens ei in Erwägung zu ziehen. Die guten Einkommensverhältnisse des [X.] würden allerdings lediglich die ge-steigerte Unterhaltspflicht der Antragsgegnerin nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB und damit eine Beschränkung auf den notwendigen Selbstbehalt zwischen 950

Nettoeinkünfte der Eltern ergebe ersichtlich kein Differenzverhältnis von nahezu 1:3, das erst die Haftung der Antragsgegnerin auf den Barunterhalt insgesamt entfallen ließe.
Deren
Unterhaltspflicht mit den ihren angemessenen Selbstbe-
von einer etwaigen Mithaftung des [X.] ohnehin unberührt. Dass der Vater ein höheres Einkommen erziele, habe die insoweit darlegungs-
und beweis-pflichtige Antragsgegnerin nicht nachgewiesen. Darüber hinaus sei zu [X.], dass eine vollständige oder anteilige Haftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt nur in wenigen Ausnahmefällen in Betracht komme, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil auch bei Zahlung des vollen [X.] seinen angemessenen Selbstbehalt noch verteidigen könne. So liege der 12
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Fall gerade hier. Darüber hinausgehend komme eine Mithaftung des betreuen-den Elternteils nach einer umfassenden Billigkeitsbetrachtung in Frage, die ins-besondere die Übernahme der Kindesbetreuung neben der Erwerbstätigkeit berücksichtigen müsse sowie den Umstand, dass der besser verdienende be-treuende Elternteil das Kind faktisch an seinen gehobenen Lebensverhältnissen bereits teilhaben lasse.
Für eine Mithaftung des [X.] sei im vorliegenden Fall kein Raum.
[X.] habe auch für den Unterhalt der weiteren volljährigen Tochter aufzukom-men. Zudem

seines [X.] teil, so dass diesen höhere finanzielle Belastungen träfen.
Die Beschränkung der Antragsgegnerin auf den angemessenen Selbst-behalt habe nicht zur Folge, dass diese
dem Antragsteller
gegenüber
nicht im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert erwerbspflichtig wäre. Zwar habe der [X.] ausgeführt, das Bestehen eines erheblichen finan-ziellen Ungleichgewichts zulasten des Barunterhaltspflichtigen lasse dessen verschärfte Unterhaltspflicht entfallen. Dies sei jedoch so zu verstehen, dass der Barunterhaltspflichtige lediglich mit Blick auf seine Leistungsfähigkeit wie ein nicht gesteigert Unterhaltspflichtiger zu behandeln sei, ihm also der ange-messene Selbstbehalt verbleiben müsse. Dagegen sei kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, warum der barunterhaltspflichtige Elternteil in den Fäl-len des § 1603 Abs. 2 Satz 3
BGB
nur aufgrund der günstigen finanziellen Lage auf Seiten des anderen Elternteils von seiner verschärften Erwerbsverpflichtung entlastet sein sollte. Zu bedenken sei zudem, dass sich auf [X.] nur derjenige berufen könne, der selbst seinen Obliegenheiten uneinge-schränkt nachkomme.
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2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht
stand.

a) Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei [X.] seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den Unterhalt oh-ne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren.

[X.]) Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen
bestimmt sich in [X.] Linie nach dem von ihm erzielten bzw. nach dem
ihm möglichen und in zu-mutbarer Weise erzielbaren Einkommen
(vgl. Senatsurteil vom 9. Juli 2003

[X.]/00

FamRZ 2003, 1471, 1473). Den Unterhaltspflichtigen trifft grundsätzlich eine Obliegenheit zur vollschichtigen
Erwerbstätigkeit (Senatsbe-schluss vom 10.
Juli
2013

[X.]/12

FamRZ 2013, 1558 Rn. 12
ff.; [X.]/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. §
1 Rn. 736). Erfüllt er seine Erwerbsobliegenheit nicht, ist ihm ein fiktives Einkom-men in Höhe des aus einer
ihm
möglichen und zumutbaren Tätigkeit erzielba-ren Verdienstes
zuzurechnen (Senatsurteil vom 9. Juli 2003

[X.]/00

FamRZ 2003, 1471, 1473; [X.]/[X.] Das Unterhaltsrecht in der fa-milienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 2 Rn.
245).
Die Darlegungs-
und Beweislast für eine mangelnde oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit trägt der Unterhaltspflichtige. Dies gilt ebenfalls
für
ein von ihm geltend gemachtes Fehlen einer realen Beschäftigungschance
([X.] vom 22.
Januar
2014

[X.]/12

FamRZ
2014, 637 Rn.
11 ff. und vom 19.
Juni
2013

[X.] 39/11

FamRZ
2013, 1378 Rn.
18 mwN; [X.] FamRZ 2014, 1977 Rn. 17). Auch bei einem Verstoß gegen seine Er-werbsobliegenheit darf dem Unterhaltspflichtigen allerdings nur ein Einkommen zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist (Se-natsbeschluss vom 19. Juni 2013

[X.] 39/11

FamRZ 2013, 1378 Rn.
18; [X.] FamRZ 2010, 793).
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Für den Unterhalt einsetzbar sind sodann im Rahmen von § 1603 Abs.
1 BGB die erzielten bzw. erzielbaren Beträge, die den angemessenen eigenen Unterhalt des Unterhaltspflichtigen (angemessener Selbstbehalt) übersteigen.
[X.]) Wer sich gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheits-bedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufen will, muss grundsätz-lich Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angeben, und er hat ferner darzulegen, inwieweit die behaupteten ge-sundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken (Senatsbe-schluss vom 10.
Juli
2013

[X.]/12

FamRZ 2013, 1558 Rn. 13; zum Ehegattenunterhalt wegen Krankheit Senatsurteile vom 25. Oktober 2006

XII
ZR 190/03

FamRZ 2007, 200, 201 f. und vom 27. Juni 2001

[X.]/99

FamRZ 2001, 1291, 1292).
(1) Bezieht der Unterhaltspflichtige eine Rente wegen voller
Erwerbsmin-derung gemäß § 43 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 [X.], so setzt dies grundsätzlich
vo-raus, dass er wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare [X.] au-ßerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2
Satz 2 [X.]).
Das zeitliche Leistungsvermögen von täglich drei Stunden entspricht der Grenze für eine Vermittlung
durch die [X.] (§ 138 Abs. 5 Nr.
1 [X.]: 15 Stunden wöchentlich;
vgl. auch § 138 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Nach demselben Maßstab erfolgt auch die Abgrenzung zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.] und der Grundsicherung für [X.] nach dem [X.] (§ 8 Abs. 1
SGB II,
§
41 Abs. 3 SGB XII).

Erfüllt der Unterhaltspflichtige die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, so ergibt sich daraus
mithin, dass er nicht drei Stun-20
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den oder mehr arbeitstäglich erwerbstätig sein kann und dass er einer Vermitt-lung durch die [X.] nicht zur Verfügung steht. Eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten,
etwa im Geringverdienerbereich,
ergibt sich daraus indessen noch nicht. Das stimmt mit der
vom Gesetz für Renten wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe
vorgesehenen [X.] nach § 96 a Abs. 2 Nr. 2 [X.]
(entsprechend der Geringverdienertä-tigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV; überein.
(2) Dementsprechend trägt der Unterhaltspflichtige nicht nur die Darle-gungs-
und Beweislast dafür, dass er keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag, sondern auch dafür, dass dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäf-tigung (sog. Mini-Job) gilt (vgl. Senatsbeschluss vom 18.
Januar
2012

XII
ZR
178/09

FamRZ 2012, 517 Rn. 30 ff. zur Erwerbsobliegenheit des [X.] Ehegatten).
Das gilt
entgegen der Auffassung des [X.]s und der Rechtsbeschwerde bereits im Rahmen der Leistungsfähigkeit
nach §
1603 Abs.
1 BGB. Denn dem Unterhaltspflichtigen
obliegt die Ausschöpfung seiner Leistungsfähigkeit auch
außerhalb der
gesteigerten
Unterhaltspflicht nach §
1603 Abs. 2 BGB bereits im Rahmen seiner allgemeinen Verpflichtung nach §
1603 Abs. 1 BGB. Das von der Rechtsbeschwerde
zitierte Senatsurteil vom 12.
Januar
2011 ([X.]Z 188, 50 = FamRZ 2011, 454) besagt nichts anderes. Es betrifft das Erreichen der Regelaltersgrenze, das die Erwerbsobliegenheit im Rahmen von § 1603 Abs. 1
BGB
entfallen lässt.
Dass Bezieher von [X.] im Einzelfall eher und in größerem Umfang zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage sein können als Bezieher von Renten wegen Erwerbsminderung, ändert nichts an der bewussten Grenzziehung durch den Gesetzgeber, die auch im Unterhaltsrecht zu beachten ist (vgl. § 1571 BGB).
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Zwar kann der Unterhaltspflichtige bei Vorliegen der Voraussetzungen einer
Rente wegen voller Erwerbsminderung zur Erlangung einer entsprechen-den Beschäftigung nicht auf die Vermittlung der [X.] zurückgrei-fen. Das schließt indessen seine Erwerbsobliegenheit nicht aus. Denn er ist ohnedies gehalten, sich auch durch eigene Initiative über
Stellenangebote zu informieren und sich um geeignete Stellen zu bewerben. Dementsprechend genügt der Unterhaltspflichtige
nach der Rechtsprechung
des Senats auch in anderen Fällen allein durch die Meldung als arbeitsuchend nicht seiner Er-werbsobliegenheit
(Senatsurteile vom 31.
Mai
2000

XII ZR 119/98

FamRZ
2000, 1358, 1359
und
vom 18.
Januar
2012

XII ZR
178/09

FamRZ 2012, 517
Rn. 30
für den unterhaltsberechtigten Ehegatten; [X.]/Dose Das Unter-haltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. §
1 Rn. 782).

b) Nach den genannten Maßstäben hat die Antragsgegnerin
nicht darge-legt, dass sie zu einer Erwerbstätigkeit im vom [X.]
zugrunde gelegten Umfang nicht in der Lage ist. Die Einkommensermittlung des Oberlan-desgerichts leidet hingegen daran, dass der verweigerte Abzug wegen Pfän-dungen nicht auf tragfähigen Erwägungen beruht.
[X.]) Durch die Berufung auf den Bezug einer Rente wegen voll geminder-ter Erwerbsfähigkeit hat die Antragsgegnerin
allerdings hinreichend dargelegt, dass sie zu einer voll-
oder teilschichtigen Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist. Dass ihr darüber hinausgehend auch eine Tätigkeit im reduzierten Umfang von arbeitstäglich bis zu drei Stunden möglich ist, wird davon aber noch nicht aus-geschlossen. Auch der von ihr vorgelegte Schwerbehindertenausweis mit ei-nem Grad der Behinderung von 70% rechtfertigt einen solchen Schluss nicht. Damit hat die Antragsgegnerin weder Art und Umfang der behaupteten ge-sundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angegeben noch in
nachvoll-26
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12
-
ziehbarer Form dargelegt, inwieweit ihre gesundheitlichen Störungen sich auf ihre
Erwerbsfähigkeit auswirken.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde
musste das Oberlan-desgericht
darauf auch nicht

nochmals

hinweisen. Das [X.]
hat die Antragsgegnerin
vielmehr darauf hingewiesen, dass
ihr bisheriger Sach-vortrag zur vollständigen Erwerbsunfähigkeit nicht ausreichend sei.
Die An-tragsgegnerin
hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass es Kindes (des Antragstellers) wegen Depressionen krankgeschrieben sei und zudem Bluthochdruck habe. Außerdem habe sie
Dem [X.]
ist darin zuzustimmen, dass eine voll-ständige Erwerbsunfähigkeit auch für eine Geringverdienertätigkeit damit nicht dargelegt ist. Das [X.]
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin
im Umfang von 18 Wochenstunden Pflegeleistungen an ihre Mutter erbringt, was zusätzlich für ihre Erwerbsfähigkeit im Rahmen einer [X.] spricht.
Abgesehen davon, dass die behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit auch für eine stundenweise Geringverdienertätigkeit von vornherein durch die Antragsgegnerin
darzulegen und zu beweisen war, hatte das [X.]
durch den gegebenen Hinweis seiner Pflicht aus § 139 ZPO
genügt und musste den Hinweis nicht wiederholen
oder erneuern, da die Antragsgegnerin
hinrei-chende Veranlassung zu einem erschöpfenden Sachvortrag hatte. Mangels hinreichenden Sachvortrags spielt es auch keine Rolle, dass der Vortrag

wie von der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird

von Seiten des [X.] nicht (ausdrücklich) bestritten worden ist.

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Die von der Antragsgegnerin
geleistete Pflege der Mutter entbindet sie nicht von der sie im Rahmen des Kindesunterhalts treffenden Erwerbsobliegen-heit. Der Antragsteller
geht der Mutter der Antragsgegnerin
im Rang vor (§ 1609 Nr. 1, 6 BGB; vgl. Senatsbeschluss vom 9.
März
2016

[X.] 693/14

FamRZ 2016, 887
Rn. 22). Auch die für weitergeleitetes Pflegegeld geltende Anrechnungsregelung des § 13 Abs. 6 Nr. 1 SGB XI erlaubt keinen Rück-schluss auf einen Vorrang der Pflegetätigkeit vor der im Interesse des Kindes gebotenen Erwerbstätigkeit.
Zu beachten ist vielmehr, dass das [X.] vor allem die Fälle abdecken soll, in denen das Pflegegeld an eine
Pfle-geperson
weitergeleitet wird, die unterhaltsrechtlich nicht erwerbsverpflichtet ist oder die die Pflege neben ihrer Erwerbstätigkeit leistet
(vgl. Senatsurteil vom 1.
März 2006

[X.]

FamRZ 2006, 846, 848; BT-Drucks. 14/580 S.
5).

Das [X.] hat der Antragsgegnerin ein beispielsweise durch Bürotätigkeiten
o-nat zugerechnet. Das ist von der Rechtsbeschwerde insoweit nicht angegriffen worden und begegnet [X.] auch sonst keinen durchgrei-fenden Bedenken.
[X.]) Hinsichtlich der abgelehnten Abzüge wegen Pfändungen entbehrt der angefochtene Beschluss indessen einer tragfähigen Begründung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats gilt

außerhalb der [X.] Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB

der allgemeine Grund-satz, dass Ansprüchen Unterhaltsberechtigter kein allgemeiner Vorrang vor an-deren Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen zukommt. Andererseits dürfen diese Verbindlichkeiten auch nicht ohne Rücksicht auf die [X.] getilgt werden. Vielmehr bedarf es eines Ausgleichs der Belange von Unter-31
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haltsgläubiger, Unterhaltsschuldner und [X.]. Ob eine Verbindlichkeit im Einzelfall zu berücksichtigen ist, kann danach nur im Rahmen einer umfas-senden Interessenabwägung nach billigem Ermessen entschieden werden. In-soweit sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats insbesondere der Zweck der Verbindlichkeiten, der [X.]punkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhalts-schuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten von Bedeutung, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013

[X.]/12

FamRZ 2013, 1558 Rn.
19 mwN).
Das [X.] hat die vom Amtsgericht noch gebilligten Abzüge abgelehnt, weil nicht hingenommen werden könne, dass der Antragsteller durch einen Vorwegabzug der ihm aus anderen Verfahren zustehenden Kostenerstat-tungsansprüche seinen Mindestunterhalt
teilweise selbst finanziere. Dagegen rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass es sich nicht um [X.], sondern seines [X.] handele. Es fehlt mithin bereits an einer hinreichenden Abwägung der Belange der Beteiligten des [X.] und des ([X.], so dass nicht ausge-schlossen werden kann, dass ein Abzug gerechtfertigt ist.
3. Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben, weil nicht aus-geschlossen ist, dass die Pfändungen zu berücksichtigen sind und dies zu einer für den Mindestunterhalt
eingeschränkten Leistungsfähigkeit führen kann. Da hierfür weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung in der Sache verwehrt.
4. Für das weitere Verfahren ist darauf hinzuweisen, dass die Unter-haltspflicht der Antragsgegnerin aufgrund der bisherigen Einkommensermittlung 35
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auch im Hinblick auf die Erwerbsobliegenheit und das der Antragsgegnerin in-soweit zugerechnete fiktive Einkommen nicht auf
einer sie treffenden gesteiger-ten Unterhaltspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 BGB beruht. Da die Antragsgegnerin
danach ihren angemessenen Selbstbehalt nicht anzugreifen braucht, käme es bei im Ergebnis übereinstimmender Einkommensermittlung nicht darauf an, ob
durch den Vater des Antragstellers als anderen unterhaltspflichtigen Verwand-ten im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB das Eingreifen einer gesteigerten Unterhaltspflicht ausgeschlossen würde. Dass das [X.] auf der bisherigen Grundlage auch eine Mithaftung des [X.] aufgrund § 1606 Abs.
3 BGB nicht angenommen hat, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats
(Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013

[X.]/12

FamRZ 2013, 1558
Rn. 26 ff.). Das [X.] ist
insoweit zutreffend davon [X.], dass der Vater seine Unterhaltspflicht grundsätzlich durch die Betreu-ung des Kindes erfüllt hat. In welchem konkreten Umfang er das Kind persön-lich betreut oder er sich der Hilfe Dritter bedient hat, spielt hierfür keine ent-scheidende Rolle, weil er als allein sorgeberechtigter Elternteil zweifelsfrei die [X.] für den Antragsteller trägt und getragen hat.
Sollte das [X.] nunmehr zu einer Abziehbarkeit der [X.] Beträge gelangen, so wäre erneut zu prüfen, ob der angemessene Selbstbehalt der Antragsgegnerin gewahrt wäre und verneinendenfalls in wel-chem Umfang die gesteigerte Unterhaltspflicht durch eine Unterhaltspflicht des
[X.]
als weiterer
unterhaltspflichtiger
Verwandter
nach § 1603 Abs. 2 Satz
3 BGB entfällt. Hierbei wäre neben den

von der Antragsgegnerin darzulegen-den

Einkommens-
und Vermögensverhältnissen des [X.] allerdings auch dessen Betreuungsleistung zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 10.
Juli 2013

[X.]/12

FamRZ 2013, 1558 Rn. 26).

38
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16
-
Schließlich wird das [X.] im Hinblick auf die Zahlung an den Träger der [X.] zu beachten haben, dass der [X.] und nicht

wie vom [X.] tituliert

auf den Landkreis übergeht.
Dose

[X.]

Nedden-Boeger

[X.]

Krüger
Vorinstanzen:
AG Königs [X.], Entscheidung vom 26.05.2014 -
10 [X.]/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 19.05.2015 -
3 UF 72/14 -

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Meta

XII ZB 227/15

09.11.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.11.2016, Az. XII ZB 227/15 (REWIS RS 2016, 2712)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2712

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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