Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.07.2011, Az. IV S 11/10

4. Senat | REWIS RS 2011, 5101

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Gegenstand

Wiederholung eines rechtskräftig abgelehnten Aussetzungsantrags auch nach stattgebendem Urteil nicht statthaft


Leitsatz

1. NV: Ist ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom Gericht rechtskräftig abgelehnt worden, kann ein erneutes Aussetzungsbegehren nicht wegen veränderter Umstände darauf gestützt werden, dass zwischenzeitlich ein der Klage stattgebendes, aber angefochtenes Urteil ergangen ist.

2. NV: Ergeht während des gerichtlichen Verfahrens auf Gewährung einer Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung erstmal ein Verwaltungsakt, der dem Antrag teilweise stattgibt, wird dieser Bescheid zum Gegenstand des gerichtlichen Antragsverfahrens.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) ist atypisch stille Gesellschafterin der heutigen [X.] Für das Streitjahr 2000 wurden der Antragstellerin nach Durchführung einer Außenprüfung verrechenbare Verluste in Höhe von … DM zugewiesen und nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gesondert und einheitlich festgestellt. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht ([X.]) Erfolg. Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --[X.]--) hat gegen das Urteil die vom [X.] zugelassene Revision eingelegt, die unter dem [X.]. [X.] beim [X.] ([X.]) anhängig ist.

2

Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids und hat einen entsprechenden Antrag an den [X.] als Gericht der Hauptsache gerichtet. Bereits im Einspruchsverfahren hatte die Antragstellerin zunächst beim [X.] und anschließend beim [X.] die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids über die Feststellung des verrechenbaren Verlusts bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beantragt. Den Antrag hatte das [X.] mit Beschluss vom 8. Juni 2006 abgelehnt und die Beschwerde gegen den Beschluss nicht zugelassen. Nach Ablehnung eines erneuten [X.] wegen neuer Beweismittel durch das [X.] mit Bescheid vom 7. November 2006 stellte die Antragstellerin nach Klageerhebung im Hauptsacheverfahren erneut einen Antrag auf AdV bis einen Monat nach Zustellung des [X.]-Urteils beim [X.], der ebenfalls abgelehnt wurde (Bescheid vom 6. Februar 2007). Im Februar 2008 beantragte die Antragstellerin nochmals beim [X.] die AdV bis einen Monat nach Zustellung des Urteils. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 6. März 2008 abgelehnt. In gleicher Weise lehnte das [X.] einen erneut im Juli 2008 gestellten Antrag auf AdV als unzulässig ab (Beschluss vom 7. Oktober 2008).

3

Mit dem jetzt beim [X.] gestellten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung macht die Antragstellerin geltend, das stattgebende Urteil des [X.] im Hauptsachverfahren sei eine neue Tatsache, die einen erneuten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 6 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) rechtfertige. Aus dem Urteil sei zugleich zu entnehmen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestünden. Aufgrund dessen sei die Vollziehung des Bescheids mit Wirkung vom ersten Tag seiner Vollziehbarkeit an aufzuheben.

4

Die Antragstellerin hat beantragt, die Vollziehung des geänderten Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 15a Abs. 4 EStG für 2000 vom 29. September 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2007 ab Vollziehbarkeit (4. November 2005) aufzuheben.

5

Das [X.] hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

6

Es hält den Antrag für unzulässig, weil die Antragstellerin nach Ergehen des [X.]-Urteils keinen erneuten Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung bei der Behörde gestellt habe. Einem solchen Antrag wäre stattgegeben worden.

7

Auf Anregung des Berichterstatters hat das [X.] mit Bescheid vom 23. März 2011 die Vollziehung des angefochtenen Bescheids ab dem 4. März 2010 bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung des [X.] im Hauptsacheverfahren aufgehoben bzw. ausgesetzt.

8

Beide Verfahrensbeteiligte haben daraufhin erklärt, mit dem Bescheid vom 23. März 2011 habe sich die Hauptsache des Verfahrens nicht erledigt. Das [X.] hält insoweit an seiner Auffassung fest, dass der an den [X.] gerichtete Antrag unzulässig sei. Die Antragstellerin macht geltend, dem Antrag sei nicht vollständig entsprochen worden, weil die Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung ab dem 4. November 2005 begehrt werde.

Entscheidungsgründe

9

II. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung wird abgelehnt.

1. Aufhebung der Vollziehung für den [X.]raum des Revisionsverfahrens

Der Senat betrachtet den Antrag, soweit er sich auf die [X.] seit Ergehen des [X.] erstreckt, als erstmaligen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 [X.]O im jetzigen [X.]. Insoweit liegt keine Wiederholung eines früheren Antrags auf Aufhebung der Vollziehung vor, weil mit den früheren Anträgen jeweils [X.] bis zum Ende des jeweils aktuellen Verfahrensabschnitts beantragt worden war.

Für den [X.]raum des Revisionsverfahrens ist das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin durch Erledigung der Hauptsache entfallen. Denn insoweit entspricht der Bescheid vom 23. März 2011 in vollem Umfang dem Begehren der Antragstellerin. Er betrifft die Aufhebung der Vollziehung ab dem 4. März 2010 (Datum des [X.]), erstreckt sich also auf den gesamten [X.]raum des Revisionsverfahrens. Mit dem Wegfall des [X.] ist der Antrag der Antragstellerin unzulässig geworden; er ist deshalb aus diesem Grund abzulehnen.

2. Aufhebung der Vollziehung für den [X.]raum vom 4. November 2005 bis zum 3. März 2011

a) Der Bescheid vom 23. März 2011 ist in analoger Anwendung des § 68 [X.]O zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Wird ein angefochtener Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (§ 68 Satz 1 [X.]O). Über ihren auf Anfechtungsbegehren bezogenen Wortlaut hinaus wird diese Regelung analog auf Verpflichtungsanträge angewendet ([X.]-Urteil vom 5. Juli 1991 [X.], [X.], 143, [X.] 1991, 854); sie gilt insbesondere auch im Verfahren auf [X.] nach § 69 [X.]O (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 5. November 1971 IV R 242/70, [X.], 546, [X.] 1972, 218; [X.] vom 17. März 2009 [X.], juris). Dementsprechend tritt nicht nur ein geänderter Bescheid über die [X.] an die Stelle eines angefochtenen Aussetzungsbescheids, sondern es wird auch ein im Antragsverfahren erstmals erlassener, aber nach Ansicht des Antragstellers unzureichender Bescheid über die [X.] zum Gegenstand des Antragsverfahrens. Das Antragsbegehren richtet sich dann auf Änderung des Bescheids und weiter gehende [X.].

b) Der Antrag ist insoweit unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O nicht vorliegen.

aa) Ist ein Steuerverwaltungsakt Gegenstand eines Klageverfahrens, so kann das Gericht der Hauptsache nach § 69 Abs. 3 Satz 1 [X.]O dessen Vollziehung unter bestimmten Umständen aussetzen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen worden, so kann das Gericht außerdem die erfolgte Vollziehung aufheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 [X.]O). Gericht der Hauptsache ist der [X.], wenn der angefochtene Verwaltungsakt Gegenstand eines beim [X.] anhängigen Verfahrens ist (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 23. Januar 1985 [X.], [X.]/NV 1987, 385, und vom 14. August 1997 [X.]/97, [X.]/NV 1998, 68).

Die gerichtliche Entscheidung über einen Antrag auf [X.] erwächst nicht in materieller Rechtskraft (s. etwa [X.] vom 10. August 1978 [X.]/77, [X.]E 125, 356, [X.] 1978, 584). Das Gericht der Hauptsache kann daher einen einmal ergangenen Beschluss jederzeit ändern oder aufheben (§ 69 Abs. 6 Satz 1 [X.]O). Die Beteiligten können die Aufhebung oder Änderung jedoch nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O). Dadurch wird verhindert, dass sich das Gericht wiederholt mit denselben Aussetzungsbegehren befassen muss. Diese Einschränkung gilt erst recht in der Revisionsinstanz; andernfalls könnte durch wiederholte [X.] die Vorschrift des § 128 Abs. 3 [X.]O unterlaufen werden, nach der die Beschwerde gegen die Entscheidung des [X.] über den Antrag auf [X.] nur statthaft ist, wenn das [X.] sie zugelassen hat ([X.] vom 17. Oktober 2001 IV S 2/01, [X.]/NV 2002, 218, m.w.N.; [X.] in Beermann/[X.], [X.]O § 69 Rz 331.1).

bb) Die hiernach zu fordernden Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines wiederholten Antrags auf [X.] liegen im Streitfall nicht vor. Das [X.] hat mehrfach frühere [X.] der Antragstellerin rechtskräftig abgelehnt. Seither sind keine veränderten Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 [X.]O eingetreten. Das finanzgerichtliche Urteil selbst ist in Bezug auf zurückliegende [X.]räume kein solcher Umstand. Dies gilt nicht nur im Fall eines klageabweisenden und vom Antragsteller mit einer Revision angefochtenen Urteils ([X.] vom 2. Juni 2005 [X.], [X.]/NV 2005, 1834), sondern auch in dem hier gegebenen Fall, dass das Urteil zugunsten des Antragstellers ausgefallen ist und vom [X.] mit der Revision angefochten wird.

Meta

IV S 11/10

05.07.2011

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

§ 69 Abs 6 S 2 FGO, § 68 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.07.2011, Az. IV S 11/10 (REWIS RS 2011, 5101)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5101

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