Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.03.2012, Az. VI ZR 144/11

6. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7732

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Gegenstand

Haftung des Betreibers eines Informationsportals für die Veröffentlichung mittels RSS-Feeds bezogener Nachrichten; Pflicht zur Verhinderung zukünftiger Persönlichkeitsrechtsverletzungen


Leitsatz

1. Der Betreiber eines Informationsportals, der erkennbar fremde Nachrichten anderer Medien (hier: RSS-Feeds) ins Internet stellt, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er ist erst verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt.

2. Weist ein Betroffener den Betreiber eines solchen Informationsportals auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch den Inhalt einer in das Portal eingestellten Nachricht hin, kann der Betreiber des Portals als Störer verpflichtet sein, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 27. Zivilkammer des [X.] vom 3. März 2011 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Streithelferin hat ihre Kosten selbst zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die in [X.] ansässige Beklagte betreibt unter ihrer Internet-Adresse ein deutschsprachiges Informationsportal. In diesem stellt sie Informationen aus Medien zur Verfügung, die sie über sogenannte [X.] bezieht. Diese versorgen ihre Abonnenten ähnlich einem Nachrichtenticker fortlaufend mit kurzen Informationsblöcken, die aus einer Schlagzeile mit kurzem Textanriss und einem Link zur Originalseite bestehen. Der Nutzer kann auf der Internetseite der Beklagten auch Suchbegriffe eingeben und innerhalb des auf dem Portal zur Verfügung stehenden Materials recherchieren.

2

Am 16. Oktober 2009 verbreitete die Beklagte unter dem Titel "[X.] radelt in den Freigang" ein Bildnis, welches Frau [X.] zeigte und heimlich aufgenommen worden war. Das Bild mit dem zugehörigen Artikel stammte aus einem [X.] der Streithelferin, der Inhaltsverantwortlichen für die Website [X.]. Diese hatte das Bildnis und den dazugehörigen Artikel bereits am 13. Oktober 2009 aus dem Netz genommen, nachdem die Kläger, von Frau [X.] beauftragte Rechtsanwälte, eine entsprechende einstweilige Verfügung erwirkt hatten.

3

Im Auftrag von Frau [X.] nahmen die Kläger auch die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch. Diese entfernte daraufhin ebenfalls den Artikel, verweigerte aber die Zahlung der durch die Inanspruchnahme der Kläger entstandenen Rechtsanwaltskosten, welche die Kläger aus abgetretenem Recht von Frau [X.] im vorliegenden Rechtsstreit geltend machen.

4

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hat das [X.] zurückgewiesen. Es hat gegen sein Urteil die Revision zugelassen, weil noch nicht höchstrichterlich geklärt sei, ob den Betreiber eines Informationsportals, der abonnierte [X.]s ungeprüft auf seiner Internetseite veröffentlicht, die Pflicht treffe, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob der [X.] den [X.] noch anbiete, und bei Unterlassung dieser Pflicht deliktisch hafte.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat ebenso wie das erstinstanzliche Gericht eine Haftung der [X.] verneint. Diese habe sich die [X.] inhaltlich nicht zu eigen gemacht, weil es sich bei der Darstellung der mittels RSS-Feed bezogenen Nachrichten um einen automatisierten Prozess handele, bei dem die Beklagte keine Einflussmöglichkeit auf den fremden Inhalt der veröffentlichten Nachrichten habe. Auch unter dem Gesichtspunkt der verschuldensunabhängigen Störerhaftung ergebe sich keine Verantwortlichkeit der [X.], weil sie keine Prüfungspflichten verletzt habe.

II.

6

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

7

1. Die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte, die in jedem Verfahrensabschnitt, auch im Revisionsverfahren, von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - [X.], [X.], 114 Rn. 10 mwN, zur [X.] in [X.] vorgesehen), ist gegeben. Denn die in [X.] ansässige Beklagte hat sich [X.] auf das Verfahren eingelassen (Art. 24 Satz 1 EuGVVO). [X.] der Parteien ist [X.] Recht anwendbar.

8

2. Für das Revisionsverfahren ist mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass die über das Portal der [X.] zugänglich gemachte Bildberichterstattung unter dem Titel "[X.] radelt in den Freigang" das Persönlichkeitsrecht von [X.] beeinträchtigte. Das Berufungsgericht hat jedoch mit Recht einen Unterlassungsanspruch von [X.] gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB, §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, welcher Voraussetzung für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten wäre, verneint.

9

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend mit dem Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Haftungsbeschränkung des § 10 Satz 1 TMG nicht für Unterlassungsansprüche gilt (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 27. März 2007 - [X.], [X.], 1004 Rn. 7 - Meinungsforum; vom 30. Juni 2009 - [X.], [X.], 1417 Rn. 17 - Domainverpächter; vom 25. Oktober 2011 - [X.], aaO Rn. 19; [X.], Urteile vom 19. April 2007 - [X.], [X.] 172, 119 Rn. 19 - [X.]; vom 22. Juli 2010 - I ZR 139/08, [X.], 152 Rn. 26 - Kinderhochstühle im [X.]).

b) Die Beklagte haftet nicht deshalb auf Unterlassung, weil sie durch die beanstandete Berichterstattung selbst unzulässig in das Persönlichkeitsrecht von [X.] eingegriffen hätte. Denn die Beklagte hat die Meldung nicht selbst verfasst und sie sich auch nicht zu eigen gemacht.

aa) Maßgeblich für die Frage, ob sich der Anbieter die auf seinem [X.]portal eingestellten Inhalte, die er nicht selbst geschaffen hat, zu eigen macht, ist eine objektive Sicht auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände, wobei insbesondere die Frage der inhaltlichen redaktionellen Kontrolle der fremden Inhalte und die Art der Präsentation von Bedeutung sind. Ein [X.] liegt regelmäßig vor, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint. Auch lediglich undistanziert wiedergegebene Äußerungen Dritter können dem Vertreiber zugerechnet werden, wenn er sie sich zu Eigen gemacht hat. Ob dies der Fall ist, ist jedoch mit der im Interesse der Meinungsfreiheit und zum Schutz der Presse gebotenen Zurückhaltung zu prüfen. Schon aus der äußeren Form der [X.] kann sich ergeben, dass lediglich eine fremde Äußerung ohne eigene Wertung oder Stellungnahme mitgeteilt wird. Dies ist beispielsweise bei dem Abdruck einer Presseschau der Fall (vgl. [X.] NJW 2004, 590, 591; [X.], 1706, 1709; Senatsurteil vom 17. November 2009 - [X.], [X.], 220 Rn. 11 mwN). Im Streitfall liegt es vergleichbar.

bb) Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Amtsgerichts wird im Streitfall eine redaktionelle Kontrolle nicht durchgeführt; vielmehr ist der beanstandete Feed automatisiert im Rahmen eines bestehenden Abonnementvertrages zwischen der [X.] und der Streithelferin ungeprüft übernommen worden.

Die auf der Website der [X.] dargestellten Inhalte sind auch als fremd gekennzeichnet worden, indem sich direkt unter der Überschrift der Verweis auf die Ursprungs- bzw. Zielseite - hier: "[X.]" - befindet. Dadurch wird dem Leser hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei dem Artikel nicht um eine eigene Berichterstattung der [X.], sondern um eine fremde Nachricht - hier: der Streithelferin - handelt.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte als Betreiberin des Informationsportals eine inhaltliche Verantwortung für die veröffentlichten Nachrichten Dritter übernehmen wollte, finden sich nicht. Die [X.]seite der [X.] war nach den unangegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen als Informationsportal ausgestaltet, welches keine eigenen Inhalte enthielt, sondern mit Hilfe sogenannter RSS-Feeds Schlagzeilen aus Medien und Blogs wiedergab und jeweils einen Link zu dem entsprechenden Ursprungsartikel bereit hielt. In dem [X.] wies die Beklagte insofern unter anderem darauf hin, dass "alle Artikel und grafischen Elemente, so wie sie sind, ... weiterverbreitet werden".

Unter diesen Umständen reicht entgegen der Auffassung der Revision im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung allein die Tatsache, dass die Beklagte die Medien, von denen sie mittels eines Abonnementvertrages die RSS-Feeds bezog, vorausgewählt hatte, nicht aus, um einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des "[X.]s" zu begründen.

c) Die Beklagte haftet auch nicht deshalb auf Unterlassung, weil sie die beanstandete Meldung auf ihrem Informationsportal zum Abruf bereitgestellt und dadurch verbreitet hat. Das Berufungsgericht hat unter diesem Gesichtspunkt eine Haftung der [X.] als Störer mit Recht verneint.

aa) Unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Störerhaftung ist verpflichtet, wer, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2011 - [X.], aaO; vom 30. Juni 2009 - [X.], aaO Rn. 13 f. - Domainverpächter, jeweils mwN). Diese Voraussetzungen könnten bei der [X.] erfüllt sein. Denn sie betrieb ein Informationsportal, stellte dort RSS-Feeds für die Nutzer bereit und ermöglichte deren Abruf über das [X.]. Dadurch trug sie willentlich und adäquat kausal zur Verbreitung der hier zu prüfenden (Bild-) Berichterstattung bei, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht von [X.] beeinträchtigen konnte.

bb) Die Störerhaftung in der Form der Verbreiterhaftung darf jedoch nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Denn zu dem von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten [X.] kann die Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung auch dann zählen, wenn der Mitteilende sich diese weder zu eigen macht noch sie in eine eigene Stellungnahme einbindet, sondern die fremde Äußerung lediglich verbreitet (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 - [X.], [X.], 220 Rn. 13 mwN; [X.]E 85, 1, 22; [X.], [X.], 1706). Eine Haftung des Verbreiters fremder Nachrichten als Störer setzt deshalb die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfungspflichten, voraus; deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch [X.] nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, eine Prüfung zuzumuten ist (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2011 - [X.], aaO Rn. 22 und vom 30. Juni 2009 - [X.], aaO Rn. 18 - Domainverpächter, jeweils mwN).

cc) Der Betreiber eines Informationsportals, der wie die Beklagte erkennbar fremde Nachrichten anderer Medien und Blogs ins [X.] stellt, ist danach grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beiträge vor der [X.] auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Das würde den Betrieb des dem Informationsinteresse der Mediennutzer dienenden, auf schnelle und aktuelle Information ausgerichteten Informationsportals unzuträglich hemmen. Den Betreiber eines Informationsportals trifft deshalb erst dann eine Prüfpflicht, wenn er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. [X.] ein Betroffener den Betreiber eines Informationsportals auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch den Inhalt einer in das Portal eingestellten Nachricht hin, kann der Betreiber des Portals als Störer verpflichtet sein, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - [X.], aaO Rn. 24 - [X.] und vom 30. Juni 2009 - [X.], aaO Rn. 27 - Domainverpächter).

dd) Im Streitfall hat die Beklagte, nachdem sie von den Klägern auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts ihrer Mandantin durch die Streithelferin hingewiesen worden ist, die beanstandete Berichterstattung aus ihrem Angebot genommen. Infolgedessen ist sie nicht zur Störerin geworden und war auch keinem Unterlassungsanspruch ausgesetzt.

Soweit die Revision meint, die Beklagte habe es im Rahmen ihrer Prüfungspflichten versäumt, durch eine vertragliche Vereinbarung mit den [X.] zu treffen, dass sie informiert werde, wenn ein bezogener RSS-Feed wegen einer geltend gemachten Rechtsverletzung aus dem Netz genommen worden ist, zeigt sie diesbezüglich keinen übergangenen instanzgerichtlichen Sachvortrag der Kläger auf.

[X.]                                 Wellner                                 Diederichsen

                    Pauge                                    [X.]

Meta

VI ZR 144/11

27.03.2012

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Berlin, 3. März 2011, Az: 27 S 23/10

§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 BGB, § 22 KunstUrhG, § 23 KunstUrhG, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.03.2012, Az. VI ZR 144/11 (REWIS RS 2012, 7732)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7732

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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