Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.10.2011, Az. V B 15/11

5. Senat | REWIS RS 2011, 2127

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Umfang und Grenzen der richterlichen Hinweispflicht - Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt Klärungsfähigkeit voraus - Fehlerhafte Ablehnung einer Wiedereinsetzung als Verfahrensmangel - Keine Wiedereinsetzung wegen Irrtum


Leitsatz

NV: Der Vorsitzende Richter hat nach § 76 Abs. 2 FGO im Rahmen seiner Prozessförderungspflichten darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Die Grenze richterlicher Hilfe verläuft dort, wo der Richter, statt auf die äußere "Fassung" des Antrags hinzuwirken, über das Klagebegehren inhaltlich disponiert .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt die Wiederaufnahme eines vor dem Finanzgericht ([[X.].]) unter dem [[X.].]. [X.] geführten Klageverfahrens, das mit Urteil vom 27. November 2008 rechtskräftig abgeschlossen wurde. Gegenstand des Verfahrens waren u.a. die im Klageverfahren ergangenen Bescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) über die Umsatzsteuer für die Jahre 2005 und 2006 vom 25. Juni 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. November 2008. Die Zustellung des Urteils erfolgte am 18. Dezember 2008 an den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin.

2

Mit der am 3. Februar 2010 beim [[X.].] eingegangenen Klageschrift beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Liquidator der Klägerin erst am 10. März 2009 Kenntnis von dem Urteil erlangt habe. [X.] Urkunden, die erst am 12. März 2009 vom [X.] an den Liquidator herausgegeben worden seien, habe die Klägerin irrtümlich im Verfahren [X.] vorgelegt, in dem sich die Klägerin mit am 11. Dezember 2008 beim [[X.].] eingegangener Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 4. November 2008 gewandt habe. Der Irrtum sei erst in der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2010 beseitigt worden.

3

Das [[X.].] hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin habe die Klagefrist gemäß § 134 der Finanzgerichtsordnung ([[X.].]O) i.V.m. § 586 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht eingehalten. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da die Voraussetzungen nicht vorlägen.

4

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [[X.].]O) und Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [[X.].]O) geltend.

5

Das [X.] ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

6

[X.] Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

1. Die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) liegt nicht vor.

8

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 10. Februar 2005 [X.]/04, [X.], 1116). Daran fehlt es hier. Die von der Klägerin sinngemäß aufgeworfene Frage, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn die Versäumung der Frist des § 134 [X.]O i.V.m. § 586 Abs. 1 ZPO auf einer Verletzung der Hinweispflicht des [X.] nach § 76 Abs. 2 [X.]O beruht, ist bereits nicht klärungsfähig.

9

Eine Rechtsfrage ist nur klärungsfähig, wenn sie nach den für den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) in dem erstrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre und deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 28. Mai 2009 [X.]/08,[X.]/NV 2009, 1657, und vom 4. Mai 2011 [X.]/10, nicht veröffentlicht). Die von der Klägerin gestellte Frage nach einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch kann im angestrebten Revisionsverfahren nicht entschieden werden, da es bereits an der geltend gemachten Pflichtverletzung des [X.] fehlt.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin war es nicht Aufgabe des [X.], im Rahmen eines Klageverfahrens nach § 40 [X.]O auf die Möglichkeit einer Restitutionsklage gemäß § 134 [X.]O i.V.m. § 580 ZPO hinzuweisen. Zwar hat der Vorsitzende im Rahmen seiner richterlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten u.a. darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg der Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit der Kläger, zumal in [X.], scheitern (vgl. [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 [X.]O Rz 97). Das Gericht ist deshalb gehalten, durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozessziel am wirksamsten und einfachsten erreicht werden kann. Aufgabe des Gerichts ist es jedoch nicht, Rechtsrat und Rechtsauskunft zu geben und neue, weiter gehende Prozessziele anzuregen (vgl. [X.]-Urteil vom 28. November 1991 [X.], [X.]/NV 1992, 609, unter [X.] 2. a; [X.]-Beschluss vom 5. Mai 2000 [X.]/00, [X.]/NV 2000, 1349). Die Grenze richterlicher Hilfe verläuft dort, wo der [X.], statt auf die äußere "Fassung" des Antrags hinzuwirken, über das Klagebegehren inhaltlich disponiert (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 76 Rz 56).

Begehrt der Kläger die Aufhebung bzw. Änderung eines Steuerbescheids und wendet sich nicht gegen ein bereits rechtskräftiges Urteil des [X.], so begründet § 76 Abs. 2 [X.]O nach den Verhältnissen des Streitfalls demnach keine Pflicht des Gerichts, eine Änderung des Klagebegehrens von einer Anfechtungs- bzw. [X.] hin zu einer Restitutionsklage anzuregen. Ein solcher Hinweis müsste zudem vor Ablauf der Notfrist eines Monats gemäß § 586 Abs. 1 ZPO erfolgen. Dies würde insbesondere auch im Hinblick auf den in § 586 Abs. 2 und 3 ZPO geregelten Fristbeginn eine Überspannung der richterlichen Fürsorge- und Hinweispflichten bedeuten.

2. Das [X.] hat bei seiner Entscheidung durch [X.] auch nicht [X.] gehandelt.

a) Zwar stellt es nach ständiger Rechtsprechung des [X.] einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch [X.] entschieden wird (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 25. März 2011 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 1006; vom 3. November 2010 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 295; vom 25. August 2010 [X.]/10 (PKH), [X.]/NV 2011, 49). Als Verfahrensmangel kann daher auch die fehlerhafte Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gerügt werden (Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 78).

b) Das [X.] hat jedoch zu Recht entschieden, dass eine Wiedereinsetzung gemäß § 56 [X.]O in die versäumte Klagefrist nach § 134 [X.]O i.V.m. § 586 ZPO nicht in Betracht kommt, da die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten.

"Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Wegen unverschuldeten [X.] kann nach ständiger Rechtsprechung des [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gewährt werden, wenn sich der Irrtum auf die Frist selbst oder die Form der Fristwahrung bezieht. Irrtümer über das Wesen einer Ausschlussfrist oder über materielles Recht begründen dagegen eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht ([X.]-Urteil vom 29. November 2006 [X.], [X.]/NV 2007, 861; [X.]-Beschluss vom 12. Juni 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1626). Ebenso wenig rechtfertigen Irrtümer, die sich auf das Verhältnis mehrerer Verfahren zueinander beziehen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ([X.]-Urteil vom 14. März 1989 VIII R 295/84, [X.]/NV 1989, 754; [X.]-Beschluss vom 8. Mai 1996 [X.]/95, [X.]/NV 1996, 771).

Meta

V B 15/11

20.10.2011

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 20. Januar 2011, Az: 14 K 549/10, Urteil

§ 76 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 118 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 134 FGO, § 586 Abs 1 ZPO, § 56 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.10.2011, Az. V B 15/11 (REWIS RS 2011, 2127)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2127

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI B 5/15 (Bundesfinanzhof)

NZB gegen FG-Urteil, mit dem eine Restitutionsklage abgewiesen wurde - Anforderung an eine Wiederaufnahmeklage


X S 22/15 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Fünfjahresfrist bei Wiederaufnahme des Verfahrens: Beginn mit Rechtskraft des Urteils, keine Verlängerung, keine Wiedereinsetzung


X B 114/09 (Bundesfinanzhof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei mangelnden Sprachkenntnissen und Rechtskenntnissen


III S 4/11 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Prozesskostenhilfe - Abweisung einer Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig - Erschütterung der Vermutung …


IV B 33/10 (Bundesfinanzhof)

Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde bei Benennung anderer als der tatsächlich vorliegenden Zulassungsgründe - Rüge eines zu …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.