Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.11.2015, Az. X ZR 122/13

10. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 2940

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Gegenstand

Pauschalierte Stornoentschädigung des Reiseveranstalters bei Rücktritt von einer Kreuzfahrtreise: Angemessenheitsprüfung unter Ermittlung der gewöhnlichen Möglichkeit anderweitiger Verwendung der Reiseleistungen


Leitsatz

1. Der Reiseveranstalter kann eine Reiseleistung, die Gegenstand eines Reisevertrags sein sollte, von dem der Reisende zurückgetreten ist, nur dann durch die erneute Buchung der gleichen Reiseleistung durch einen anderen Reisenden anderweitig verwenden, wenn er die weitere Nachfrage nach der Reiseleistung ohne den Rücktritt mangels freier Kapazität nicht hätte befriedigen können.

2. Den Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der gewöhnlichen Möglichkeit anderweitiger Verwendung von Reiseleistungen, die Gegenstand stornierter Reiseverträge waren, bilden Erfahrungswerte, die hinreichend verlässlich Auskunft darüber geben, wie sich die typische Nachfrage nach einer diese Reiseleistungen umfassenden Reise darstellt. Wird die Reiseleistung im Rahmen unterschiedlicher Reisen angeboten, darf die Betrachtung weder auf willkürlich gewählte Reiseangebote beschränkt werden, noch ist stets ohne weiteres eine Durchschnittsbetrachtung zulässig. Die Erfahrungswerte müssen vielmehr repräsentativ für die Gesamtheit der Reisen sein, die der Reiseveranstalter in der jeweiligen Kategorie oder Preisklasse anbietet.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das am 4. September 2013 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des [X.] aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist [X.] und bietet unter anderem Kreuzfahrten in den Tarifen   Premium,   [X.] und [X.]an. Sie verwendet Reisebedingungen, die unter Nr. 7.2 für den Fall des Rücktritts des Kunden eine von diesem zu leistende pauschale Entschädigung vorsehen, die nach den jeweiligen Tarifen und dem Tag des Rücktritts gestaffelt ist. Der klagende [X.] beanstandet die Regelung für den Tarif [X.], die im Fall des Rücktritts bis zum 60. Tag vor Reisebeginn eine pauschale Entschädigung pro Person von 50 % (mindestens 50 € pro Person) des Reisepreises vorsieht.

2

Der Tarif [X.]dient der Vermarktung von Reisen zu einem gegenüber den anderen Tarifen stark ermäßigten Preis. Dabei gibt es für die Buchung zwei Varianten. Entweder nennt der Reisende einen ungefähren Reisetermin und überlässt der Beklagten die Wahl von Schiff, Reiseziel und Route oder er bestimmt das (ungefähre) Reiseziel und lässt der Beklagten einen größeren Spielraum bei der Auswahl des Reisetermins. Die Reiseunterlagen mit dem genauen Abfahrtstermin und weiteren Angaben zur Reise erhält der Reisende spätestens 14 Tage vor der Abreise.

3

Das [X.] hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt; das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der für die pauschale Entschädigung festgelegte Vomhundertsatz des Reisepreises übersteige den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden der [X.] und hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass ihr ein typischerweise zu erwartender Durchschnittschaden in Höhe von 50 % des Reisepreises bei Stornierung bis zum 60. Tag vor Reiseantritt entstehe. Sie habe vorgetragen, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge im Zeitraum ab dem 49. Tag vor der geplanten Abreise die zu diesem Zeitpunkt nicht verkauften Reisen - und damit eben auch die stornierten [X.]Reisen - zu etwa 86 % in demselben Tarif oder höherpreisig verkauft werden könnten. Hieraus ergebe sich, dass die Einnahmen aus anderweitiger Verwendung der stornierten Reiseleistung nach dem gewöhnlichen Verlauf sehr viel höher seien als die von der [X.] angesetzten 50 % des Reisepreises und damit der zu erwartende Verlust geringer als 50 % sei. Bereits hieraus sei ersichtlich, dass die Stornopauschale von 50 % selbst unter Berücksichtigung anfallender Verwaltungskosten deutlich überhöht sei. Zwar stehe dem Reiseveranstalter der Anspruch aus § 651i BGB zu, solange keine volle Auslastung vorliege. Die Beklagte müsse sich jedoch entgegenhalten lassen, dass der durch Leerfahrten entstehende Verlust anteilig auf die Buchungsgrade der einzelnen Preissegmente zu verteilen sei.

7

Ein Vergleich mit [X.] anderer Anbieter sei nicht maßgeblich. Das Gesetz sehe die Verhältnisse, Strukturen und Erfahrungssätze des jeweiligen konkreten Reiseveranstalters als erheblich an. Deshalb könnten branchenübliche Erfahrungssätze nicht generell in gleicher Höhe für alle Mitbewerber gelten.

8

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9

1. Bei der angegriffenen Klausel handelt es sich, wovon das Berufungsgericht zu Recht ausgegangen ist, um eine für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingung, die die Beklagte ihren Vertragspartnern bei Abschluss eines Vertrags stellt (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB).

2. Die Klausel unterliegt nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle.

a) Nach dieser Vorschrift sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen an §§ 308, 309 und § 307 Abs. 1 und 2 BGB zu messen. Dabei ist durch Auslegung zu ermitteln, ob durch die Bestimmung von Rechtsvorschriften, d.h. Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn und allgemeinen Rechtsgrundsätzen, abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden ([X.], Urteil vom 10. Dezember 2013 - [X.], NJW 2014, 1168 = [X.] 2014, 132 Rn. 16, 17; Urteil vom 9. Dezember 2014 - [X.]/12, [X.]Z 203, 335 = [X.] 2015, 135 Rn. 17).

b) Die beanstandete Klausel ergänzt die Vorschrift des § 651i Abs. 3 BGB, indem sie für den Tarif [X.]bei einem Rücktritt bis zum 60. Tag vor Reisebeginn eine Pauschalentschädigung von 50 % des Reisepreises und mindestens 50 € pro Reisenden bestimmt, die vom Gesetz selbst nicht festgelegt wird.

3. Nach § 651i Abs. 3 BGB kann für den Fall, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt, für jede Reiseart unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs ein Vomhundertsatz des Reisepreises als Entschädigung festgesetzt werden. Wenn wie im Streitfall für bestimmte Tarife in einer Reiseart spezielle Entschädigungspauschalen verlangt werden, kann nichts anderes gelten. Die Tarife müssen, ebenso wie die Entschädigungspauschalen bei unterschiedlichen Reisearten, so differenziert werden und die bei einem bestimmten Tarif als gewöhnlich erspart berücksichtigten Aufwendungen und der bei diesem Tarif als gewöhnlich möglich berücksichtigte anderweitige Erwerb so bemessen werden, dass es zumindest in der Regel ausgeschlossen ist, dass die Entschädigung überschritten wird, die nach § 651i Abs. 2 BGB zu zahlen wäre ([X.]Z 203, 335 Rn. 40). An die sachliche Rechtfertigung des verlangten Vomhundertsatzes des Reisepreises für die konkrete Reise, zu dessen Zahlung der Reisende, der von seinem gesetzlichen Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht hat, verpflichtet sein soll, dürfen dabei nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden ([X.]Z 203, 335 Rn. 41). Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass der Reiseveranstalter im Streitfall darlegen und beweisen muss, welche Aufwendungen gewöhnlich erspart werden und welche anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten der Reiseleistungen gewöhnlich bestehen, wenn der Reisende von einer Reise der gebuchten Art zurücktritt ([X.], Urteil vom 9. Dezember 2014 - [X.], [X.] 2015, 144 Rn. 31).

4. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, aus dem von der [X.] vorgebrachten Zahlenmaterial folge, dass diese durch die erneute Vermarktung von Reiseleistungen, die bereits Gegenstand einer - spätestens 60 Tage vor Reisebeginn durch Rücktritt vom Reisevertrag "stornierten" - Buchung im Tarif [X.]waren, durchschnittlich mehr als 50 % des Reisepreises nach diesem Tarif erwirtschaften könne, dass die vorgetragenen Zahlen "im Gegenteil" sehr viel höhere Einnahmen aus anderweitiger Verwendung der stornierten Reiseleistung ergäben.

a) Der Reiseveranstalter kann eine Reiseleistung, die Gegenstand eines Reisevertrags sein sollte, nur dann durch die erneute Buchung der gleichen Reiseleistung durch einen anderen Reisenden anderweitig verwenden, wenn er die weitere Nachfrage nach der Reiseleistung ohne den Rücktritt mangels freier Kapazität nicht hätte befriedigen können (vgl. [X.].[X.], 6. Aufl. § 651i Rn. 13). Andernfalls würde das Ziel der Vorschrift des § 651i Abs. 2 und 3 BGB verfehlt, die angemessene Entschädigung, die der Reiseveranstalter anstelle des Reisepreises verlangen kann, nur dann und nur insoweit gegenüber dem Reisepreis zu reduzieren, als Aufwendungen erspart werden, die dem mit der Ausführung des [X.] zu erzielenden Erlös als Kosten gegenübergestanden hätten, oder als an die Stelle des Zahlungsanspruchs gegen den Reisenden, der vom Vertrag zurückgetreten ist, der Zahlungsanspruch gegen einen anderen Reisenden getreten ist. Hiervon kann nicht gesprochen werden, wenn der Reiseveranstalter diesen Anspruch ebenso erworben hätte, wäre der Rücktritt nicht erfolgt.

b) Aus dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Vortrag der [X.] folgt nicht, dass diese Reiseleistungen, die im Tarif [X.]gebucht waren, nach Rücktritt vom Reisevertrag anderweitig in demselben oder gar in einem höherpreisigen Tarif verwenden konnte.

aa) Die Beklagte hat nach einem Hinweis des Berufungsgerichts Zahlen für das Geschäftsjahr 2012 vorgetragen. Danach standen ab dem 49. Tag vor Reisebeginn, dem durchschnittlichen Rücktrittstag im Tarif [X.], unter Einschluss infolge von Stornierungen wieder freigewordener Kabinen insgesamt 60.073 freie Kabinen zur Verfügung, von denen 2.440 (etwa 4 %) in der [X.], 36.989 (etwa 62 %) in der Preisklasse [X.] und 12.242 (etwa 20 %) in der Preisklasse [X.]abgesetzt werden konnten. Von den verbleibenden 8.402 Kabinen (etwa 14 %) wurden 6.490 (etwa 11 %) zu nochmals ermäßigten Sonderkonditionen an Betriebsangehörige und Reisebüromitarbeiter abgegeben und blieben 1.912 (etwa 3 %) endgültig frei.

bb) Aus diesen Zahlen kann nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, abgeleitet werden, "die stornierten [X.]Reisen" würden zu etwa 86 % in derselben Preisklasse oder höherpreisig erneut abgesetzt. Denn dabei bliebe unberücksichtigt, dass die Reisebuchungen ab dem 49. Tag nicht mit den von der [X.] vorgetragenen Prozentsätzen den "stornierten [X.]Reisen" als jeweilige anderweitige Verwendung zugerechnet werden können.

Die Buchung im Tarif [X.]ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass der Reisende mit der Buchung keinen Anspruch auf Beförderung mit einem bestimmten Schiff und Unterbringung in einer bestimmten Kabine erwirbt. Der Tarif [X.]dient der flexiblen "Zuweisung" von Buchungen zu einem möglichst späten Zeitpunkt, zu dem die Beklagte relativ genaue Kenntnis darüber hat, wie viele Reisende für eine Kreuzfahrt mit einem bestimmten Schiff zu einem bestimmten Zeitpunkt einen der Tarife [X.] und [X.] entweder bereits gebucht haben oder voraussichtlich noch buchen werden. Sie kann daher im Rahmen der ihr durch die Buchungen im Tarif [X.]eröffneten Möglichkeiten einer stärkeren Nachfrage nach Kabinen im Tarif [X.] oder [X.] auf einem bestimmten Schiff dadurch Rechnung tragen, dass sie Passagiere, die den Tarif [X.]gebucht haben, vorzugsweise mit einem anderen Schiff befördert, bei dem die Nachfrage nicht so stark angezogen hat. Die Beklagte kann ferner mit der Vergabe von Kabinen zu Sonderkonditionen so lange abwarten, bis sich abzeichnet, dass diese Kabinen ansonsten endgültig frei bleiben werden. Schließlich kann sie das Angebot im Tarif [X.]in der Schlussphase der Vermarktung drosseln oder für bestimmte Reisen auch ganz einstellen, wenn das Buchungsverhalten darauf hindeutet, dass ein höherer Anteil an Kabinen als erwartet in den Tarifen [X.] oder [X.] abgesetzt werden kann und die Flexibilität in der Zuweisung, die der Tarif [X.]ermöglicht, und der Verzicht auf die Abgabe zu Sonderkonditionen mutmaßlich nicht ausreichen, diese Nachfrage vollständig zu bedienen. Es entspricht betriebswirtschaftlicher Vernunft, diese Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen, um die Schiffe so weit wie möglich auszulasten und dabei einen möglichst hohen Deckungsbeitrag zu erwirtschaften.

Zu Recht macht daher die Revision geltend, dass der höhere Preis, den die Beklagte ab dem 49. Tag vor Reisebeginn dadurch erzielt, dass sie eine Kabine nicht zu Sonderkonditionen abgeben oder unbesetzt lassen muss, sondern sie in den Preisklassen [X.], [X.] oder [X.]absetzen kann, den Verlust, den sie durch den Rücktritt von einer [X.]Reise erleidet, nur dann kompensieren oder gar - wie das Berufungsgericht angenommen hat - überkompensieren könnte, wenn der [X.] jene Absatzgeschäfte ohne die Stornierung im Tarif [X.]gebuchter Reisen ganz oder teilweise nicht möglich gewesen wären. Dies hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt. Der revisionsrechtlichen Beurteilung ist daher das Vorbringen der [X.] zugrunde zu legen, dass die Anzahl der durch Rücktritt von im Tarif [X.]abgeschlossenen Reiseverträgen wieder frei gewordenen Kreuzfahrtplätze hinter der Zahl der Plätze zurückbleibt, die entweder endgültig frei bleiben oder nur noch zu Sonderkonditionen absetzbar sind.

III. Das Berufungsurteil kann hiernach keinen Bestand haben. Da das Berufungsgericht keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, in welcher Höhe der [X.] nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge durch die Kündigung von im Tarif [X.]gebuchten Reisen ein Deckungsbetrag entgeht, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für die erneute Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Den Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der gewöhnlichen Möglichkeit anderweitiger Verwendung von Reiseleistungen, die Gegenstand stornierter Reiseverträge waren, bilden Erfahrungswerte, die hinreichend verlässlich Auskunft darüber geben, wie sich die typische Nachfrage nach einer diese Reiseleistungen umfassenden Reise darstellt. Dabei widerspräche es zwar dem Sinn einer Entschädigungspauschale, jede einzelne Reise für sich zu betrachten. Wird die Reiseleistung (hier: ein Platz auf einem Kreuzfahrtschiff) im Rahmen unterschiedlicher Reisen angeboten, darf die Betrachtung aber andererseits weder auf willkürlich gewählte einzelne Reiseangebote beschränkt werden, noch ist stets ohne weiteres eine Durchschnittsbetrachtung zulässig. Die Erfahrungswerte müssen vielmehr repräsentativ für die Gesamtheit der Reisen sein, die der Reiseveranstalter in der jeweiligen Kategorie oder Preisklasse anbietet (vgl. [X.]Z 203, 335 Rn. 32). Die Anforderungen an ein repräsentatives Reiseprofil lassen sich dabei nicht abstrakt definieren, sondern sind im Einzelfall vom Tatrichter unter Berücksichtigung des Interesses des Reiseveranstalters an einem praktisch handhabbaren Maßstab und des Interesses des Reisenden, nicht mit einer für die von ihm gebuchte Reise nicht angemessenen Pauschale belastet zu werden, zu bestimmen. Ergeben sich innerhalb der Kategorie oder Preisklasse (hier dem Tarif [X.]) bei einer sinnvollen Gruppierung (etwa nach Saison oder Zielgebiet) deutliche Unterschiede in der Wiederverwertbarkeit der Reiseleistung oder in dem durch diese Wiederverwertung zu erzielenden Erlös, ist im Zweifel eine Differenzierung zwischen jenen Gruppen geboten.

2. Das Berufungsgericht wird daher zu prüfen haben, ob die verfügbaren Kapazitäten bei den von der [X.] im Tarif [X.]vermarkteten Reisen erheblichen Schwankungen, etwa je nach Reiseregion oder Zeitpunkt der Reise, unterliegen, so dass die Beklagte trotz der [X.], die ihr bei Reisenden der Preisklassen [X.] und [X.]eröffnet ist, nicht durchweg die Möglichkeit hat, die Nachfrage nach Reisen in den Kategorien [X.], [X.] und [X.]vollständig zu bedienen, ohne auf stornierte Plätze zurückzugreifen. Das Berufungsgericht wird der [X.] Gelegenheit zu näherem Vortrag dazu zu geben haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich das Verhältnis zwischen Buchungsnachfrage und zur Verfügung stehenden Kapazitäten nach Reiseregion, Reisezeit oder sonstigen Kriterien unterscheidet.

3. Das Berufungsgericht wird ferner zu berücksichtigen haben, dass Erfahrungswerte zum zu erwartenden Buchungsverhalten auch in zeitlicher Hinsicht repräsentativ sein müssen. Die Zahlen eines einzelnen Geschäftsjahrs, wie sie die Beklagte vorgetragen hat, sind als Grundlage für die anzustellende Prognose allenfalls dann geeignet, wenn aufgrund besonderer Umstände damit gerechnet werden kann, dass zwischen einzelnen Geschäftsjahren keine nennenswerten Schwankungen auftreten. Sind solche Umstände nicht festzustellen, ist es grundsätzlich geboten, einen längeren Zeitraum zu betrachten, der Aufschluss darüber gibt, ob die Nachfrage in den einzelnen Jahren wesentlichen Schwankungen unterliegt, wobei es in der Regel ausreichen wird, die Entwicklung in den letzten drei Geschäftsjahren darzulegen, zu denen die erforderlichen Zahlen vorliegen. Das Berufungsgericht wird der [X.] auch insoweit Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags zu geben haben.

4. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beklagte gewöhnlich in der Lage ist, die gesamte Nachfrage nach   Reisen - oder gegebenenfalls die gesamte Nachfrage nach einer gesondert zu betrachtenden Kategorie von   Reisen - in den drei in Rede stehenden Preisklassen [X.] [X.] und [X.]ohne Rückgriff auf durch Rücktritt vom Reisevertrag wieder frei gewordene Kapazitäten zu bedienen, wird zunächst die Gesamtzahl aller Stornierungen zu betrachten sein.

a) Ist diese geringer als die Summe aus der Zahl der Buchungen zu Sonderkonditionen und der Zahl der freigebliebenen Plätze, wird dies den Schluss zulassen, dass die Beklagte mit der Wiederverwertung von Reiseleistungen allenfalls denjenigen Betrag erzielen kann, den sie für eine Buchung zu Sonderkonditionen berechnet und der nach dem Vortrag der [X.] weniger als 50 % des Reisepreises in der Preisklasse [X.]beträgt.

b) Liegt die Gesamtzahl der Stornierungen über diesem Wert, kommt hingegen in Betracht, dass die Erlöse, die die Beklagte gewöhnlich durch anderweitige Nutzung wieder frei gewordener Kapazitäten erzielen kann, höher sind. In diesem Fall dürfen diese Erlöse nicht willkürlich bestimmten Reiseverträgen zugeordnet werden. Vielmehr wird dem Umstand Rechnung zu tragen sein, dass die Wahrscheinlichkeit, Reiseleistungen anderweitig verwerten zu können, typischerweise umso höher ist, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt des Rücktritts und dem Reisebeginn verbleibt. Dies wird etwa dadurch geschehen können, dass die Beklagte Stornierungen entsprechend der in der Klausel vorgesehenen Staffelung nach Kabinenkategorien und [X.] zu Gruppen zusammenfasst und Buchungen, die rechnerisch nur aufgrund von Stornierungen möglich waren, entsprechend dieser Staffelung den einzelnen Gruppen zuordnet. Demgemäß wären die durch anderweitige Nutzung von Kapazitäten erzielten Erlöse zunächst denjenigen Stornierungen zuzuordnen, die mindestens 60 Tage vor Reisebeginn erfolgt sind, und etwaige weitere Erlöse aus anderweitiger Verwertung von Reiseleistungen bei der jeweils nächsten Gruppe von Stornierungen anzurechnen.

Meier-Beck                          Grabinski                         Bacher

                     [X.]

Meta

X ZR 122/13

03.11.2015

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Rostock, 4. September 2013, Az: 2 U 7/13, Urteil

§ 307 BGB, §§ 307ff BGB, § 651i Abs 2 BGB, § 651i Abs 3 BGB, § 286 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.11.2015, Az. X ZR 122/13 (REWIS RS 2015, 2940)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 1508 WM 2016, 1357 REWIS RS 2015, 2940


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 122/13

Bundesgerichtshof, X ZR 122/13, 03.11.2015.


Az. 2 U 7/13

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 2 U 7/13, 15.05.2013.


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