Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2016, Az. 1 StR 177/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 388

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:201216B1STR177.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 [X.]/16

vom
20. Dezember
2016
[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
________________________

[X.] § 42, § 12a Abs. 1 Satz 1, Satz 2

Eine Strafbarkeit nach § 42 [X.] ist nicht gegeben, wenn im Einbürgerungs-ver-fahren unrichtige oder unvollständige Angaben über inländische Strafverur-teilungen gemacht werden, die gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] bei der [X.] außer Betracht bleiben.

[X.], Beschluss vom 20. Dezember 2016

1 [X.]/16

[X.] München

in der Strafsache
gegen

wegen
Verstoßes gegen § 42 [X.]
-
2
-

hier:
[X.] des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts

München vom 8. März 2016

-
3
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 20. Dezember
2016
be-schlossen:

Eine Strafbarkeit nach § 42 [X.] ist nicht gegeben, wenn im Einbürgerungsverfahren unrichtige oder unvollständige Angaben über inländische [X.] gemacht werden, die ge-mäß § 12a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] bei der Einbürgerung außer Betracht bleiben.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist [X.] Staatsangehöriger. Er stellte am 24. Mai 2012 bei dem [X.] ([X.]) einen [X.]santrag, um neben der [X.] auch die [X.] Staatsangehö-rigkeit zu erhalten. In dem Antrag verschwieg er, dass er durch das [X.] (rechtskräftig) jeweils wegen eines Vergehens nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG am 8. Oktober 2009 und am 14. März 2011 zu Geldstrafen von 25 und 50 Tagessätzen verurteilt worden war.
Das [X.] hat den Angeklagten mit Urteil vom 8. Okto-ber 2015 von dem Vorwurf eines Vergehens nach § 42 [X.] aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Bei der Entscheidung über die Einbürgerung gemäß §
12a Abs. 1 Satz
1 Nr. 2, Satz
2 [X.] blieben Verurteilungen zu Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen außer Betracht, wobei mehrere Verurteilungen zu [X.] zusammenzuzählen seien. Der Angeklagte sei im Inland zu Geldstrafen von insgesamt 75 Tagessätzen verurteilt worden. Daher hätte er diese Vorver-1
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urteilungen im Einbürgerungsantrag nicht angeben müssen. Dies ergebe ein Umkehrschluss aus § 12a Abs. 4 [X.], wonach nur über im Ausland erfolgte Verurteilungen umfassend Auskunft zu geben sei.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft am 8. Oktober 2015 frist-gerecht ([X.] eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das Urteil des [X.] vom 8. Oktober 2015 auf-zuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.
1. Das [X.] will die Revision der Staatsanwalt-schaft als unbegründet verwerfen. Der Wortlaut des § 42 [X.] sehe eine [X.] im Wortlaut dieser Vorschrift noch dem der übrigen Vorschriften sei angelegt, ausschließ-lich die §§
8, 9 und 10 [X.] dafür heranzuziehen, was eine wesentliche Vo-raussetzung der Einbürgerung sei und § 12a [X.] als Ausnahmevorschrift au-ßer Betracht zu lassen. Eine Tatsache, die gemäß § 12a [X.] bei der Einbür-§ 42 [X.] zu werten, verlasse den möglichen Wortsinn.
Auch der Charakter des § 42 [X.] als abstraktes Gefährdungsdelikt er-mögliche eine solche Auslegung nicht. Die Anwendung von § 42 [X.] sei in den Bereichen eröffnet, in denen die verschwiegenen oder unvollständigen Tatsachen Voraussetzungen der Einbürgerung betreffen, die die Verwaltungs-behörde entweder zu einer bestimmten
Entscheidung zwingen oder von ihr ei-ne Ermessensausübung fordern. Ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Be-achtung von [X.] sei ihr im Bereich von § 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 [X.] eingeräumt, in dem des § 12a [X.] nicht. Auch die in § 12a Abs. 4 [X.] normierte Pflicht zur Angabe ausländischer [X.] im Einbürge-3
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rungsantrag hätte keinen erkennbaren Sinn, wenn sich bereits aus § 42 [X.] die strafbewehrte Pflicht ergäbe, unterschiedslos alle [X.] anzu-geben.
2. An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das [X.] durch die Urteile des [X.] vom 12. August 2011

(4) 1 Ss 268/11 (170/11) und vom 2. Dezember 2015

(5) 161 Ss 231/15 (46/15) gehindert.
Der 4. Strafsenat des [X.] vertritt in seinem Urteil vom 12.
August 2011 die Auffassung, falsche Angaben zu Vorstrafen seien auch dann nach § 42 [X.] strafbar, wenn die Vorstrafen unterhalb der Bagatellgren-e-

außer Betracht bleiben müssen.
§ 42 [X.] sei

wie auch § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] und § 98 [X.]-vertriebenengesetz ([X.])

ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Als solches setze die Vorschrift keinen Taterfolg voraus. Sie verlange also nicht, dass die falschen Angaben im konkreten Fall geeignet waren, die Entscheidung der Be-hörde zu beeinflussen. Dieser Auslegung stehe nicht entgegen, dass § 42 [X.] ausdrücklich, anders als § 98 [X.] und
§ 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.], vo-raussetze, dass sich die falschen Angaben auf eine "wesentliche" [X.] bezögen. Dieses Tatbestandsmerkmal dahin zu verste-einer anderen Einbürgerungsentscheidung geführt hätten, würde der Vorschrift entgegen dem Willen des Gesetzgebers den Charakter eines abstrakten Ge-fährdungsdelikts nehmen und die ihr zugedachte Funktion, das Verwaltungs-verfahren im Interesse materiell richtiger Entscheidungen gegen Falschanga-6
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ben abzusichern und das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die materielle Rich-tigkeit der Verwaltungsentscheidung zu schützen, entwerten. Mit diesem [X.] habe der Gesetzgeber lediglich klarstellen wollen, dass nicht jede falsche Angabe den Schutzzweck des § 42 [X.] berühre; deshalb seien lediglich Angaben zu Umständen, die generell unbeachtlich für das Verwal-tungsverfahren seien, von einer Strafbarkeit gemäß § 42 [X.] ausgenommen.
Straffreiheit sei eine wesentliche Voraussetzung für die Einbürgerung. Die Behörde habe daher die Vorstrafen des Antragstellers vollständig zu [X.], um eine materiell richtige Einbürgerungsentscheidung treffen zu können. Wichtiges [X.] seien neben dem Auszug aus dem Strafregister die Angaben des Antragstellers in seinem Einbürgerungsantrag. [X.] Angaben des Antragstellers zu seinen Vorstrafen seien unerlässlich, um die abstrakte Gefahr einer falschen Einbürgerungsentscheidung ausschließen zu können; denn der [X.] könne lückenhaft sein, weil die Mitteilung einer Verurteilung an die Registerbehörde fehlerhaft unterblieben oder noch nicht erfolgt sei, weil das Urteil erst kurz vor der Anforderung des [X.] rechtskräftig geworden sei.
Der 5. Strafsenat des [X.] schloss sich mit Urteil vom [X.] dem 4. Strafsenat des [X.] an und führte ergänzend aus, dass die Straffreiheit eine wesentliche Voraussetzung für die Einbürgerung sei,
zeigte

(§ 10 Abs. 1 Satz
1 Nr. 5 [X.])
und ). In beiden Vorschriften sei als Einbürgerungsvoraussetzung die Straffreiheit genannt. Zwar blieben Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen gemäß §
12a Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 [X.] bei der Einbürgerung außer Betracht. Jedoch verlöre die Frage nach der Straffrei-heit als Voraussetzung einer Einbürgerung und die Antwort hierauf nicht 9
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dadurch ihre Bedeutung, dass im Einzelfall ausnahmsweise strafrechtliche Ver-urteilungen nach § 12a Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 [X.] bei der Entscheidung durch die Einbürgerungsbehörde unberücksichtigt bleiben müssten; denn nach der Gesetzessystematik handele es sich bei § 12a Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 [X.]
ledig-lich um eine Ausnahmevorschrift, die den normierten Grundsatz,
dass ein [X.] nicht einzubürgern ist, der wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Stra-fe verurteilt worden ist, nicht infrage stelle.
§ 10 Abs. 1 Satz
1 Nr. 5 [X.] statuiere den Grundsatz, dass Ausländer, die wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden sind, kei-nen Anspruch auf Einbürgerung haben. §
12a Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 und Nr. 3 [X.] mache eine Ausnahme, indem es die sog. Bagatellgrenzen konkretisiere und anordne, dass Verurteilungen von bis zu 90 Tagessätzen Geldstrafe
oder drei Monaten Freiheitsstrafe bei der Einbürgerung außer [X.] bleiben. § 12a Abs. 1 Satz
3 [X.] lasse eine weitere Ausnahme zu, indem sie noch eine Ein-zelfallprüfung ermögliche, wenn die Grenze geringfügig überschritten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2012

5 C 5/11, juris Rn. 17). Dementsprechend sei zunächst stets zu prüfen, ob die Einbürgerungsvoraussetzung der Straffrei-heit gegeben sei; nur im Falle der Verneinung schließe sich die Prüfung an, ob eine Verurteilung nach §
12a Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 [X.]
unbeachtlich sein kön-ne.
Dieses Verständnis von § 42 [X.] sei auch den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/10528, [X.] 11; BT-Drucks. 16/10695, [X.]) zu entnehmen.
Da der nachträglich eingefügte § 42 [X.]

wie § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] und §
98 [X.]

das Verwaltungsverfahren gegenüber Falschangaben durch eine strafrechtliche Ahndung habe absichern sollen, widerspräche es dem [X.], ihn enger als die beiden anderen Vorschriften auszulegen. Zu § 95 11
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Abs. 2 Nr. 2 [X.] habe der [X.] ausdrücklich entschieden, dass der objektive Tatbestand schon dann erfüllt sei, wenn die richtige Anwen-dung des materiellen Aufenthaltsrechts wegen der Falschangaben abstrakt [X.] sei ([X.], Beschluss vom 2. September 2009

5 [X.], [X.]St
54, 140). Eine solche abstrakte

vom konkreten Fall losgelöste

Gefährdung sei im Anwendungsbereich von § 42 [X.] zu bejahen, wenn die [X.]sbehörde über die in § 8 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 1 Satz
1 Nr. 5 [X.] [X.] getäuscht werde.
3. Das [X.] hat deshalb die Sache mit Beschluss vom 8. März 2016 gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG
dem [X.] zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

gsverfahren unrichtige oder unvollständige Angaben über inländische [X.] macht, die gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 und Satz
2 [X.] bei der Einbür-

4. Der [X.] hat sich der Rechtsauffassung des [X.] angeschlossen und beantragt zu beschließen:
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n-richtige oder unvollständige Angaben über inländische Strafverurteilun-gen macht, die gemäß § 12a Abs. 1 [X.]
1 und [X.]
2 [X.] bei der Einbür-

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II.
Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 GVG
sind gegeben.
Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Das [X.] kann die Revision der Staatsanwaltschaft nicht wie [X.] als unbegründet verwerfen, ohne von der Rechtsansicht des Kammer-gerichts abzuweichen.
III.

Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus der [X.] ersichtlich.
Wer im Einbürgerungsverfahren unrichtige oder unvollständige Angaben über inländische [X.] macht, die gemäß § 12a Abs. 1 Satz
1 und Satz
2 [X.] bei der Einbürgerung außer Betracht bleiben, ist nicht nach § 42 [X.] strafbar. Dies folgt bereits aus dem verfassungsrechtlichen Bestimmt-heitsgebot, aber auch aus dem Wortlaut der Vorschrift, ihrer Entstehungsge-schichte, ihrem Gesetzeszweck und der Gesetzessystematik.
§ 42 [X.] bestimmt: Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben zu [X.] Voraussetzungen der Einbürgerung macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine Einbürgerung zu erschleichen.
1. Art.
103 Abs. 2 GG verbietet nicht nur eine gewohnheitsrechtliche
oder rückwirkende Strafbegründung, sondern enthält für die Gesetzgebung ein 15
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striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Recht-sprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie ([X.] Rspr.;
vgl. [X.], Beschluss vom 6. Mai 1987, 2 [X.], [X.]E 75, 329, 340). Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verlangt, dass die Strafnorm die Vo-raussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreibt, dass Tragweite und An-wendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Ausle-gung ermitteln lassen. Der Wortlaut ist so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraus-sehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht ([X.], Beschlüsse vom 23.
Juni 2010

2 [X.], 2 [X.], 2 [X.], [X.]E 126, 170, 195
und vom 19. März 2007

2 BvR 2273/06, [X.], 1666). Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt ein Verbot analoger Straf-begründung. Ausgeschlossen ist jede Rechtsanwendung, die

[X.]

über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Inter-pretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen i[X.] Im Bereich des materiellen Strafrechts markiert der grundsätzlich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Gegenwart zu bestimmende mögliche Wortsinn des [X.]es die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung ([X.] Rspr.;
vgl. [X.], Urteil vom 20. März 2002

2 [X.], [X.]E 105, 135, 152 ff. und Beschluss vom 18. September 2006

2 BvR 2126/05, [X.], 1193; [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober 2006

1 StR 384/06, [X.], 524, 525
und vom 2. Februar 2006

4 [X.]/05,
[X.]St 50, 370, 372;
Urteil vom 7.
Oktober 2003

1 [X.], [X.]St 48, 354, 357). Dementsprechend
darf die Auslegung der Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe ge-stellte Verhalten bezeichnet hat, nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird ([X.] Rspr.;
vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2010

2 [X.], 2 [X.], -
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2
[X.], [X.]E 126, 170, 195 mwN). Hierzu würde aber das Normver-ständnis des [X.] führen.
2. Nach dem Wortlaut von § 42 [X.] macht sich nur der strafbar, der unrichtige oder unv

Synonymen http//www.duden.de/rechtschreibung/wesentlich). Bereits der Wort-r-gerung" lässt eine Auslegung nicht zu, die auf jeglichen Bedeutungsgehalt der Angaben für die Einbürgerungsentscheidung verzichtet. Das Tatbestands-

die Beschaffenheit der Sache, des Vorgangs oder Zustands, auf das es sich bezieht. Hier ist es dem Substantiv und dient nach seinem Wortsinn dazu, den Bedeutungsgehalt der Angaben für

[X.] des [X.] wäre jedenfalls bei einem Verständnis der Norm überschritten, bei dem letztlich allein maßgebend ist, dass überhaupt un-richtige oder unvollständige Angaben gemacht wurden. Wesentliche Voraus-setzungen der Einbürgerung sind aber solche, die für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Einbürgerung von entscheidender Bedeutung, mithin entscheidungserheblich sind. Vorstrafen unterhalb der Bagatellgrenze des §
12a Abs. 1 [X.] sind das aber nicht. Sie haben bei der Einbürgerungs-entscheidung zwingend außer Betracht zu bleiben und sind für das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens ohne Belang. Sie sind unwesentlich im Sinne des §
42
[X.] und daher auch nicht geeignet, eine abstrakte Gefährdung des ge-21
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schützten Rechtsguts auszulösen (vgl. [X.] in: [X.], Ausländerrecht, 2.
Aufl. 2016, Rn. 7 zu § 42; hierzu auch [X.], Urteil vom 20. Juni 2016

1 [X.] 8 Ss 65/16 und [X.], [X.], 746, 753 f., [X.] bei Bestehen eines Einbürgerungsanspruchs).
3. Die Entstehungsgeschichte und der dieser zu entnehmende [X.] der Vorschrift bestätigen dies.
§ 42 [X.] wurde durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des [X.] vom 5. Februar 2009 auf Vorschlag des [X.]-rats, Täuschungsverhalten in staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren straf-rechtlich zu ahnden, mit Wirkung zum 12. Februar 2009 eingeführt.
Der
ursprüngliche Gesetzentwurf der [X.]regierung enthielt keine Strafnorm. Sein Anliegen war es vor allem, eine Rücknahme rechtswidriger Einbürgerungsentscheidungen zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 16/10528, [X.]
6).
Der [X.]rat schlug in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf als Ergänzung der

fachspezifischen die Schaf-fung einer Strafvorschrift vor, die
sich an § 95 Abs. 2 Nr. 2 des Aufenthaltsge-setzes ([X.]) orientierte, nach der unrichtige oder unvollständige Angaben zum Zwecke der Beschaffung eines Aufenthaltstitels strafbewehrt sind. Es [X.] ein Bedürfnis, auch im Einbürgerungsverfahren falsche Angaben unter Strafe zu stellen; denn mit der Einbürgerung würden sämtliche den [X.]n Staatsangehörigen zustehenden staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten [X.] oder bestätigt. Diesen Statusentscheidungen komme im Hinblick auf die damit verbundenen Rechtsfolgen eine besondere Bedeutung zu. Es wäre ein Wertungswiderspruch, falsche Angaben zur Erlangung eines ausländerrechtli-24
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chen Aufenthaltstitels oder einer Anerkennung im Asylverfahren unter Strafe zu stellen, nicht jedoch falsche Angaben zur Erlangung der weitergehenden Rech-te, die mit dem Erwerb der [X.]n Staatsangehörigkeit verbunden seien (vgl. Anlage 3 zu BT-Drucks. 16/10528).
Die [X.]regierung stimmte dieser Auffassung zu, befürwortete jedoch eine Strafvorschrift, die sich nicht an § 95 Abs. 2 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes n-lehnt, da
es sich hier um einen mit der erschlichenen Einbürgerung eher ver-n-richtige Angaben mache, um z.B. eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 [X.] zu erhalten, erwerbe über § 7 [X.] mit Ausstellung der Spätaus-siedlerbescheinigung die [X.] Staatsangehörigkeit. Bei § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] (BT-Drucks. 16/10528, [X.]).

Die Norm wurde in der von der [X.]regierung vorgeschlagenen Form Gesetz.
Tatsächlich weisen § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] und § 98 [X.] (§ 72 [X.] aF) gravierende Unterschiede auf.
§ 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] stellt bereits die Unterbreitung unrichtiger oder unvollständiger Angaben unter Strafe, auch wenn sie nicht geeignet sind, die Ausstellung der Urkunde zu bewirken, aber
für das Verfahren allgemein von Bedeutung sind
und damit grundsätzlich zur Verschaffung eines unrechtmäßi-gen Aufenthaltstitels bzw. einer Duldung führen können, mithin die richtige An-wendung des materiellen Aufenthaltsrechts wegen der Falschangaben abstrakt gefährdet i[X.]
Eine Strafbarkeit tritt sogar dann ein, wenn trotz der falschen oder 28
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unvollständigen Angaben ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels [X.]
(vgl. [X.], Urteil vom 24. Oktober 2007

1
StR 189/07;
Beschlüsse vom 2. September 2009

5 [X.], [X.]St 54,
140, 146 und vom 30. Mai 2013

5 StR 130/13, [X.]St
58, 262 ff.;
Urteil vom 22. Juli 2015

2 StR 389/13, [X.], 419, 420).
Nach § 98 [X.] in der Fassung ab 10. August 2007
(§ 72 [X.] aF) mit Erschleichung von Vergünstigungen

wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben tatsächlicher Art macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen Rechte oder Vergünstigungen, die Spätaussiedlern vorbe-halten sind, zu erschleichen. Das
Merkmal der Wesentlichkeit enthält diese Vorschrift nicht.
Nach der amtlichen Begründung zum Entwurf des [X.] sollte mit §
72
[X.] die unberechtigte Erschleichung von Betreuungsmaßnahmen mit Rücksicht auf die zum Teil erheblichen Vergünstigungen, die Vertriebenen und [X.] eingeräumt werden, und die damit im Zusammenhang stehenden Lasten für die Gesamtheit der Bevölkerung unter Strafe gestellt werden (BT-Drucks. 1/2872 [X.]
40). Ein Hinweis darauf, dass auch die Benut-zung eines Täuschungsmittels bei Bestehen eines Anspruchs strafrechtlich ver-folgt werden
sollte, findet sich in der amtlichen Begründung nicht.

Dementsprechend hat der [X.] mit Urteil vom 18. Oktober 1978 (2 [X.], [X.]St 28, 155, 160) entschieden, dass eine Strafbarkeit dann nicht in Betracht komme, wenn ein Antragsteller zwar unrichtige Angaben mache, auf die damit erstrebten Leistungen aber tatsächlich ein Anspruch [X.]. Der Wortlaut des § 98 [X.]
sei insoweit eindeutig. Bestraft werden soll derjenige, der Rechte oder Vergünstigungen erschleichen will, die Vertriebenen 32
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oder [X.] vorbehalten sind. Hätte der Gesetzgeber auch die Benutzung unrichtiger oder unvollständiger Angaben unter Strafe stellen wollen unabhängig davon, ob dem Täter die Rechte und Vergünstigungen nach dem [X.] wirklich zustehen, hätte er den Wortlaut des § 98 [X.]
anders fassen müssen.
Da sich der Gesetzgeber bei der Fassung des § 42 [X.] ausdrücklich an § 98 [X.] und nicht an § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] orientiert hat, können die zu § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] entwickelten Grundsätze für die Auslegung von § 42 [X.]
nicht herangezogen werden. Mit der ausdrücklichen Orientie-rung an § 98 [X.] hat sich der Gesetzgeber für eine [X.] der unrichtigen oder unvollständigen Angaben für die [X.] und
gegen eine generelle Bestrafung von
Falschangaben ausge-sprochen.
4. Auch die systematische Auslegung spricht dafür, dass falsche Anga-ben zu unterhalb der Bagatellgrenze des § 12a [X.] liegenden Vorstrafen bei der Prüfung einer Strafbarkeit nach § 42 [X.] unbeachtlich sind.
§ 42 [X.] wurde zeitgleich mit § 35 [X.] durch das Gesetz zur Ände-rung des [X.] ([X.]ÄndG) vom 12. Februar 2009 eingeführt (vgl. [X.] I 2009, 158 f.).
§ 35 Abs. 1 [X.] bestimmt, dass eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der [X.]n [X.] nur zurückgenommen werden kann, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrich-tige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen 35
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sind, erwirkt worden i[X.] Diese Vorschrift enthält also ebenfalls das Merkmal der Wesentlichkeit.
Die Vorschrift geht auf das Urteil des [X.] vom 24. Mai 2006 (2 [X.], [X.]E 116, 24 ff.) zurück und ist lex specialis zu § 48 der [X.] des [X.] und der Länder (vgl. BT-Drucks. 16/10528, [X.]
6, 7; Oberhäuser in: [X.], Ausländerrecht, 2.
Aufl. 2016, Rn.
1 zu § 35 [X.]).
Das [X.]verfassungsgericht erklärte in diesem Urteil, das die [X.] einer erschlichenen Einbürgerung zum Gegenstand hatte, die Verwal-tungsverfahrensgesetze des [X.] und der Länder böten eine ausreichende erschlichenen Einbürgerung erfolge. [X.] sah das [X.]verfassungsgericht jedoch im Hinblick auf die zeitliche Reichweite der Rücknehmbarkeit der Einbürgerungsentscheidung und im Hinblick auf die Betroffenheit weiterer Personen, die auf der Grundlage oder im [X.] mit der erschlichenen Einbürgerung ebenfalls die [X.] Staatsangehö-rigkeit erlangt haben, ohne dass sie selbst an der Täuschung beteiligt gewesen wären.
Die Begründung zur Änderung des [X.] führt insoweit aus, der Gesetzentwurf trage diesem Urteil durch eine spezialgesetzli-che Regelung der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte im [X.]sgesetz (§§ 17, 35) Rechnung, soweit die Rücknahme zum Verlust der [X.]n Staatsangehörigkeit führe und Art.
16 Abs. 1 GG berühre. Die neue Regelung des § 35 [X.] beschränke sich auf durch arglistige Täuschung, [X.] oder Bestechung erwirkte Entscheidungen und solche, die durch bewusst unrichtige oder unvollständige, für den Antrag wesentliche Angaben erwirkt 39
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wurden und entspräche den Regelungen des § 48 Abs. 2 Satz
3 Nr. 1 und 2 des [X.]s (BT-Drucks. 16/10528, [X.] 6).
§ 48 Abs. 2 [X.] ermöglicht es, unter bestimmten Voraussetzungen einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen und schließt in § 48 Abs. 2 Satz
3 Nr. 2 ein schutzwürdiges Vertrauen des [X.] aus, wenn dieser den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren.
Wesentlich in diesem Sinne sind Angaben, die für die gesetzlichen [X.] und die gebotenen Ermessenserwägungen von Bedeutung sind. Die Vorschrift greift ein, wenn der Begünstigte entscheidungserhebliche Umstände verschweigt ([X.], Urteil
vom 25.
November 1996

25 A 1950/96, NVwZ-RR 1997, 585, 587; [X.] in:
Stelkens/Bonk/[X.], [X.], 8.
Aufl. 2014, Rn. 154 zu § 48 [X.]).

r-waltungsakts unrichtige bzw. unvollständige Angaben zu entscheidungserhebli-chen Tatsachen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das [X.], Urteil vom 17. März 2016

19 A 2330/11; Oberhäuser in: [X.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 29 zu § 35 [X.]).

fische Rücknah--Drucks. 16/10528, [X.] 11). Sie steht daher mit ihr in einem systematischen Zu-sammenhang, der es nahelegt, das in [X.] und als Begrenzung der Strafbarkeit von unrichtigen oder unvollständigen Angaben.
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Das Argument des [X.], §§ 10 Abs. 1 Satz
1 Nr. 5 und § 8 Abs.
1 Nr. 2 [X.] belegten im Verhältnis zu § 12a Abs. 1 [X.], dass das [X.] die Unbescholtenheit als
solche als wesentliche Voraussetzung der [X.] ansehe, geht fehl. Zwischen § 10 Abs. 1 Satz
1 Nr. 5,
§ 8 Abs. 1 Nr.
2 [X.] und § 12a [X.] besteht kein Regel-Ausnahme-Verhältnis. § 12a [X.] ist keine eng auszulegende Ausnahmevorschrift zum Unbescholtenheits-erfordernis, sondern legt fest, welche strafrechtlichen Verfehlungen zu [X.] Staatsangehörigkeitsrecht, Rn. 2 zu § 12a [X.]; [X.] in: [X.], [X.]recht, 2.
Aufl. 2016, Rn. 1 zu § 12a [X.]).
Raum Graf Jäger

Radtke

Fischer
46

Meta

1 StR 177/16

20.12.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2016, Az. 1 StR 177/16 (REWIS RS 2016, 388)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 388

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