2. Senat | REWIS RS 2010, 1796
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Gesamtergebnis des Verfahrens - Berücksichtigung der Akten durch das FG - Ernsthaftigkeit einer Gegenleistung bei "symbolischem" Kaufpreis
1. NV: Das FG hat gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO den Inhalt der ihm vorliegenden Akten einschließlich des Vorbringens der Beteiligten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Diese Pflicht wird verletzt, wenn das FG einen bestimmten Tatsachenvortrag erkennbar unberücksichtigt lässt, obwohl dieser auf der Basis seiner materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserheblich sein kann .
2. NV: Einem Kaufpreis von 1 DM/Euro ist nicht generell die Eigenschaft als ernsthaft vereinbarte Gegenleistung i.S.d. § 8 Abs. 1 GrEStG abzusprechen. Von einem "symbolischen" Kaufpreis, bei dem sich die Bemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GrEStG bestimmt, kann nicht gesprochen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen sich die Ernsthaftigkeit dieser Kaufpreisvereinbarung ergibt .
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Grundstücksentwicklungsgesellschaft, erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 5. November 2002 von einer Bank im Gemeindegebiet der Stadt [X.]gelegene Wege- und Stellplatzflächen; der Kaufpreis betrug 1 €. Diese Grundstücksflächen gehörten zu einem Baugebiet, das durch einen privaten Erschließungsträger erschlossen werden sollte. Bezüglich der erworbenen Grundstücke war in einem Schreiben an [X.]vom 24. September 2002 bestätigt worden, dass die Bank die im Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsflächen ausgewiesenen Flächen zu einem späteren Zeitpunkt gegen Zahlung eines Kaufpreises von 1 € lastenfrei an [X.]übertragen werde. Durch notariell beurkundeten [X.]übertrug die Klägerin nach durchgeführter Erschließung näher bezeichnete Grundstücksflächen an S; der Kaufpreis betrug ebenfalls 1 €.
Durch Bescheid vom 20. Juni 2003, geändert durch Bescheid vom 4. März 2010, setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin für den Erwerbsvorgang vom 5. November 2002 Grunderwerbsteuer in Höhe von 24.412 € fest. Bemessungsgrundlage war gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der gesondert festgestellte Bedarfswert der erworbenen Grundstücke von 697.500 €.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen, unter denen gemäß Erlass des Finanzministeriums des [X.]vom 1. Oktober 1998 (GrESt-Kartei OFD Koblenz § 8 [X.]Karte 1) für die unentgeltliche Übertragung von Grundstücken mit Erschließungsanlagen auf Gebietskörperschaften der Wertansatz 0 DM/€ beträgt, seien vorliegend nicht erfüllt.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels.
II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein von der Klägerin geltend gemachter Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) vor, auf dem die angefochtene Entscheidung des [X.]beruhen kann. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das [X.]seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) gewonnen hat.
1. Das [X.]ist gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet, sich bei seiner Entscheidung auf das Gesamtergebnis des Verfahrens zu stützen. Dazu hat das [X.]den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (Beschlüsse des [X.]--BFH-- vom 14. November 2001 II B 29/00, [X.]2002, 512; vom 22. Juli 2004 II B 26/03, [X.]2004, 1546; von [X.]in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 96 Rz 8, m.w.N.). Dabei gehört zum Akteninhalt u.a. das Vorbringen der Beteiligten (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 379, [X.]1979, 162). Das [X.]muss in seinem Urteil zwar nicht auf jede Einzelheit des Sachverhalts und des Beteiligtenvortrags ausdrücklich eingehen ([X.]vom 7. Juli 2004 X B 63/03, [X.]2004, 1653, 1654, m.w.N.). Es verletzt jedoch seine Pflicht zur vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs, wenn es einen bestimmten Tatsachenvortrag erkennbar unberücksichtigt lässt, obwohl dieser auf der Basis seiner materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserheblich sein kann ([X.]vom 21. Dezember 2004 I B 128/04, [X.]2005, 994; vom 24. Juli 2006 VIII B 233/05, [X.]2006, 2110).
Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben.
2. Nach der --zutreffenden-- materiell-rechtlichen Auffassung des [X.]kann einem Kaufpreis von 1 DM/€ nicht generell die Eigenschaft als Gegenleistung i.S. des § 8 Abs. 1 [X.]abgesprochen werden. Von einem nicht als Gegenleistung anzusehenden "symbolischen" Kaufpreis, bei dem sich die Bemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]bestimmt, kann nicht gesprochen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen sich die Ernsthaftigkeit dieser Kaufpreisvereinbarung ergibt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1994 II R 9/92, BFHE 176, 456, [X.]1995, 268; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl., § 8 Rz 35).
Die Klägerin hat dazu im Einspruchsverfahren (Schriftsätze vom 14. Juli 2003 und 30. September 2005) vorgetragen, sie sei dazu verpflichtet, der [X.]die Wege- und Verkehrsflächen nach erfolgter Bebauung lastenfrei wieder für 1 € zu übertragen. Der Wert dieser Flächen habe für sie --die [X.]demnach tatsächlich 1 € betragen.
Ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.]ist dieses Vorbringen der Klägerin geeignet, den im [X.]vereinbarten Kaufpreis von 1 € als ernsthaft vereinbart zu beurteilen. Das [X.]hat dieses entscheidungserhebliche Vorbringen jedoch unberücksichtigt gelassen und nur ausgeführt, die Klägerseite habe "lediglich ganz allgemeine Ausführungen gemacht, die belegen sollen, dass für die Klägerin keine besondere Werthaltigkeit gegeben gewesen sein sollte". Die Entscheidungserheblichkeit des Vorbringens der Klägerin konnte das [X.]auch nicht mit der Begründung ausschließen, die Klägerin habe im gerichtlichen Verfahren (Schriftsatz vom 1. April 2009) selbst auf einen lediglich "symbolischen Preis" hingewiesen. Dieses Vorbringen der Klägerin bezog sich ausschließlich auf die Übertragung der hier fraglichen Grundstücksflächen auf [X.]gemäß Vertrag vom 5. Juni 2009. Überdies fehlt auch jeder Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin mit ihrer Ausdrucksweise die von ihr geltend gemachte Ernstlichkeit der Kaufpreisvereinbarung im [X.]habe einschränken oder gar aufgeben wollen. Soweit schließlich das [X.]eine Bindungswirkung der im Schreiben der Bank vom 24. September 2002 an [X.]angekündigten späteren Übertragung der hier fraglichen Grundstücksflächen gegen Zahlung eines Kaufpreises von 1 € verneint hat, beschränkte sich die rechtliche Prüfung des [X.]allein auf die Anwendbarkeit des Erlasses des [X.]vom 1. Oktober 1998 (a.a.O.). Eine Prüfung der vorliegend entscheidungserheblichen Frage, ob der vereinbarte Kaufpreis von 1 € unter Berücksichtigung einer zumindest gegebenen Absicht der Klägerin zu einer solchen Weiterübertragung als ernstlich vereinbart angesehen und deshalb gemäß § 8 Abs. 1 [X.]als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer zugrunde gelegt werden kann, ist unterblieben.
3. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.]zurückzuverweisen. Das [X.]hat die erforderlichen Feststellungen dazu zu treffen, ob der Kaufpreis im [X.]ernsthaft vereinbart wurde. Dabei wird das [X.]auch zu prüfen haben, ob die Gesamtheit oder lediglich Teilflächen der in diesem Vertrag veräußerten Grundstücke zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Kaufpreis von 1 € an [X.]übertragen werden sollten.
Meta
02.11.2010
Beschluss
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 15. April 2010, Az: 4 K 1070/06, Urteil
§ 96 Abs 1 S 1 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 8 Abs 1 GrEStG 1997, § 8 Abs 2 S 1 Nr 1 GrEStG 1997
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.11.2010, Az. II B 61/10 (REWIS RS 2010, 1796)
Papierfundstellen: REWIS RS 2010, 1796
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Leistungen Dritter als grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung
(Im wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 17.05.2017 II R 7/15 - Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer bei …
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer bei einem weiteren Flächenerwerb nach dem AusglLeistG
Berücksichtigung der Instandhaltungsrückstellung bei der Grunderwerbsteuer
Grunderwerbsteuer - Gegenleistung
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