Bundessozialgericht, Urteil vom 24.09.2020, Az. B 9 V 3/18 R

9. Senat | REWIS RS 2020, 2365

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopferentschädigung - Kind mit Fetalem Alkoholsyndrom - erheblicher Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft - Schädigung des ungeborenen Kindes - tätlicher Angriff - Beibringung von Gift - Rechtsfeindlichkeit - Strafrechtsakzessorietät - Verwirklichung einer vorsätzlichen Straftat - versuchter Schwangerschaftsabbruch - konkreter Vorsatz - Analogie - Regelungsplan des Gesetzgebers - Verfassungsrecht - Schutz des werdenden Lebens


Leitsatz

Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft stellt nur dann einen tätlichen Angriff auf ihr ungeborenes Kind dar, wenn sie damit einen Schwangerschaftsabbruch versucht.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 30. August 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - [X.]) iVm dem [X.] ([X.]) und um die Anerkennung von Schädigungsfolgen.

2

Die Klägerin wurde am [X.] als Kind einer alkoholkranken Mutter geboren. Der Beklagte erkannte ihr wegen einer globalen Entwicklungsverzögerung bei Alkoholembryopathie ab dem 7.10.2008 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 zu.

3

Den 2009 gestellten Antrag der Klägerin, ihr wegen der Schädigung durch den Alkoholkonsum ihrer leiblichen Mutter in der Schwangerschaft Beschädigtenversorgung zu gewähren, lehnte der Beklagte ab. Es liege kein vorsätzlicher tätlicher Angriff iS des [X.] vor (Bescheid vom 30.4.2009). Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.6.2011).

4

Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom [X.] abgewiesen. Das [X.] diene nur der Entschädigung von Körperschäden nach Gewaltkriminalität; es fehlt an einer Straftat. Das L[X.] hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 30.8.2017 zurückgewiesen. Ihre leibliche Mutter habe auf die Klägerin durch vorgeburtlich fortgesetzte Schädigungshandlungen - den wiederholten und erheblichen Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft - eingewirkt und diese mit bedingtem Vorsatz geschädigt. Darin liege jedoch kein rechtswidriger Angriff. Die Schädigung des ungeborenen Kindes durch Alkoholmissbrauch erfülle keine Normen des Strafgesetzbuchs (StGB). Anhaltspunkte für einen strafbaren versuchten Schwangerschaftsabbruch seien nicht ersichtlich. Ebenso wenig könne die Klägerin sich auf eine dem tätlichen Angriff gleichgestellte Giftbeibringung oder eine erweiterte bzw analoge Anwendung der Regelung über den tätlichen Angriff berufen.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 1 Abs 1 Satz 1 [X.]. Die Leibesfrucht (nasciturus) sei vom Schutzbereich des [X.] umfasst. Es liege auch ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vor. Im Verhalten der Mutter sei ein versuchter Schwangerschaftsabbruch iS des § 218 Abs 4 Satz 1 StGB zu sehen. Zudem weise das [X.] eine planwidrige Regelungslücke auf, die mittels Analogie zu schließen sei. In verfassungskonformer Auslegung des [X.] müsse die gesamte Rechtsordnung einschließlich des zivilen Deliktsrechts betrachtet werden; sie schütze das ungeborene Kind insbesondere auch gegenüber der Mutter.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 30. August 2017 und des [X.] vom 10. Juli 2015 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin eine globale Entwicklungsverzögerung bei Alkoholembryopathie als Schädigungsfolge anzuerkennen sowie eine Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz nach einem Grad der Schädigung von mindestens 50 zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G), weil es an einem tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] und an einer gleichgestellten Giftbeibringung iS des § 1 Abs 2 [X.] 1 [X.] fehlt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 30.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.6.2011 (§ 95 [X.]G), mit dem der Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf [X.] nach den Vorschriften des [X.] dem [X.] und auf Anerkennung einer näher bezeichneten Schädigungsfolge (globale Entwicklungsverzögerung bei Alkoholembryopathie) abgelehnt hat. Diese Ansprüche macht die Klägerin in statthafter Weise mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage geltend (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4, § 56 [X.]G; vgl zur kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage: [X.]surteil vom 15.12.2016 - [X.] V 3/15 R - [X.], 218 = [X.]-3800 § 1 [X.] 23, Rd[X.] 12 mwN; vgl zur kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage: [X.]surteil vom 29.4.2010 - [X.] [X.] - [X.], 91 = [X.]-3800 § 1 [X.] 17, Rd[X.] 23 mwN).

A. Die Revision der Klägerin ist zulässig.

Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden 164 Abs 1 und 2 [X.]G).

B. Die Revision der Klägerin ist aber unbegründet. Das [X.] hat auf der Grundlage seiner den [X.] nach § 163 [X.]G bindenden tatsächlichen Feststellungen die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen; es fehlt an einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] als Grundvoraussetzung für die Gewährung einer [X.] und die Anerkennung von Schädigungsfolgen.

Rechtsgrundlage der geltend gemachten Ansprüche ist § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] (idF des [X.], [X.] 1181) und § 1 Abs 1 Satz 1 iVm § 1 Abs 2 [X.] 1 [X.] (idF des [X.] aaO) iVm den Vorschriften des [X.] (dazu unter 1). Die Klägerin ist von dem persönlichen Anwendungsbereich der Vorschriften erfasst, obwohl sie bereits im Mutterleib vor der Geburt geschädigt wurde (dazu unter 2). Die Anspruchsvoraussetzungen des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] sind indes nicht vollständig erfüllt, weil es dafür an der erforderlichen feindseligen Willensrichtung fehlt (dazu unter 3). Das gilt auch für die Variante der Beibringung von Gift iS von § 1 Abs 2 [X.] 1 [X.] (dazu unter 4). Der Ausschluss der Klägerin von der Versorgung nach dem [X.] begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu unter 5).

1. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des [X.], wer im Geltungsbereich des [X.] infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der Tatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] besteht somit aus den Merkmalen vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff (schädigender Vorgang), Schädigung und Schädigungsfolgen, die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind (vgl zuletzt [X.]surteil vom 15.12.2016 - [X.] V 3/15 R - [X.], 218 = [X.]-3800 § 1 [X.] 23, Rd[X.] 25 ff mwN). Nach § 1 Abs 2 [X.] steht dabei einem tätlichen Angriff iS des Abs 1 insbesondere die vorsätzliche Beibringung von Gift ([X.] 1) gleich; dadurch wird der eng gehaltene Kreis entschädigungsberechtigter Opfer erweitert ([X.]surteil vom 14.2.2001 - [X.] [X.] - B[X.]E 87, 276, 278 f = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 18 S 72 f = juris Rd[X.] 17).

2. Der persönliche Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] ist eröffnet. Zwar setzt der Wortlaut des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] ("Wer ... infolge eines ... Angriffs gegen seine oder eine andere Person") voraus, dass der Geschädigte im Zeitpunkt des Angriffs bereits gelebt hat (vgl § 1 BGB). Die Schädigung der Leibesfrucht vor der Geburt lässt sich nicht mehr unter den Wortlaut dieser Norm fassen (so bereits [X.]surteil vom 16.4.2002 - [X.] [X.] - B[X.]E 89, 199, 202 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 21 [X.]5 = juris Rd[X.] 21). Wie der [X.] jedoch bereits entschieden hat, weist das Gesetz an dieser Stelle eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Rechtsfortbildung durch die analoge Anwendung des § 1 [X.] zu schließen ist (vgl [X.]surteil vom 16.4.2002 - [X.] [X.] - B[X.]E 89, 199, 202 f = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 21 [X.]5 f = juris Rd[X.] 21 ff; vgl für § 1 [X.]: B[X.] Urteil vom 24.10.1962 - 10 RV 583/59 - B[X.]E 18, 55, 60 = [X.] [X.] 64 zu § 1 [X.] S Ca 37 = juris Rd[X.] 20 ff). Gesundheitsstörungen, die auf eine Schädigung vor der Geburt zurückzuführen sind, können danach vom Anwendungsbereich des § 1 [X.] erfasst werden (ebenso [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 6. Aufl 2015, § 1 Rd[X.] 4; Rademacker in [X.], Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012, § 1 [X.] Rd[X.] 14 f mwN).

Der [X.] sieht keine Veranlassung, diesen Rechtsstandpunkt aufzugeben. Zwar hält die Rechtsprechung der Sozialgerichte teilweise entgegen, die bisher vom B[X.] hierzu entschiedenen Fälle könnten nicht auf den Alkoholkonsum der werdenden Mutter übertragen werden, weil dort die schädigenden Handlungen gegen eine Person, nämlich die spätere Mutter oder die Schwangere, gerichtet gewesen seien (so [X.] Niedersachsen-Bremen Urteil vom 26.11.2017 - L 10 VE 40/14 - juris Rd[X.] 25 ff und Urteil vom 14.12.2017 - L 10 VE 45/15 - juris Rd[X.] 33) oder weil von einer biologischen Einheit von der Schwangeren und dem [X.] auszugehen sei (so [X.] Regensburg vom 5.4.2013 - [X.] [X.]). Das [X.] soll indes Opfer von Gewalttaten entschädigen, die der Staat nicht verhindern konnte. Dieser Schutzzweck schließt Personen ein, die zum Zeitpunkt der Gewalttat noch nicht geboren sind, aber nach ihrer Geburt unter den gesundheitlichen Folgen der Gewalttat zu leiden haben ([X.]surteil vom 16.4.2002 - [X.] [X.] - B[X.]E 89, 199, 203 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 21 [X.]6 = juris Rd[X.] 23). Beim [X.] handelt es sich um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben; ihm stehen eigene Rechte zu, auch gegenüber seiner Mutter (vgl [X.] Urteil vom [X.] - 2 [X.], 2 [X.], 2 [X.] - juris Rd[X.] 158, 161).

3. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche jedoch nicht auf § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] stützen. Zwar handelt es sich bei dem Alkoholmissbrauch ihrer leiblichen Mutter um die für einen tätlichen Angriff erforderliche, unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung (dazu unter a) im Sinne dieser Vorschrift. Die dafür zusätzlich erforderliche feindselige Willensrichtung des Angriffs liegt indes nur dann vor, wenn der Alkoholkonsum der Schwangeren die Grenze zum kriminellen Unrecht überschreitet, weil er auf einen versuchten A[X.]ruch der Schwangerschaft nach § 218 Abs 4 Satz 1, § 22 StGB gerichtet ist (dazu unter b). Dafür fehlt nach den Feststellungen des [X.] der erforderliche Tötungsvorsatz der Mutter (dazu unter c).

a) Der [X.] hat für den Begriff "tätlicher Angriff" in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auf eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung abgestellt ([X.]surteil vom 15.12.2016 - [X.] V 3/15 R - [X.], 218 = [X.]-3800 § 1 [X.] 23, Rd[X.] 23; [X.]surteil vom 16.12.2014 - [X.] V 1/13 R - B[X.]E 118, 63 = [X.]-3800 § 1 [X.] 21, Rd[X.] 19; [X.]surteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - B[X.]E 108, 97 = [X.]-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 35). Die Verletzungshandlung im [X.] ist dabei eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt, obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27.8.1974 eines Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, BT-Drucks 7/2506, [X.]; Senatsurteil vom 15.12.2016 - [X.] V 3/15 R - [X.], 218 = [X.]-3800 § 1 [X.] 23, Rd[X.] 23; [X.]surteil vom 16.12.2014 - [X.] V 1/13 R - B[X.]E 118, 63 = [X.]-3800 § 1 [X.] 21, Rd[X.] 19 mwN). Maßgeblich ist die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, den allgemeinen Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinne durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] einzuengen und deshalb für einen solchen Angriff eine Kraftentfaltung gegen eine Person vorauszusetzen ([X.]surteil vom 15.12.2016 - [X.] V 3/15 R - [X.], 218 = [X.]-3800 § 1 [X.] 23, Rd[X.] 23; abweichend zum ärztlichen Eingriff: [X.]surteil vom 29.4.2010 - [X.] [X.] - [X.], 91 = [X.]-3800 § 1 [X.] 17, Rd[X.] 39 ff; für den gewaltlosen sexuellen Missbrauch von Kindern: [X.]surteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - B[X.]E 77, 11, 13 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 7 [X.]8 = juris Rd[X.] 10).

Im Unterschied zu dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] daher in der Regel durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich auf einen anderen ein. Dies setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des [X.] voraus; das [X.] soll auch widerstandsunfähige Opfer von Straftaten schützen ([X.]surteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - B[X.]E 108, 97 = [X.]-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 37). Je gewalttätiger die [X.] gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel sind, desto geringere Anforderungen sind in objektiver Hinsicht an einen tätlichen Angriff zu stellen. Je geringer sich andererseits die physische Einwirkung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, ob durch die Handlung - unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufs - eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand ([X.]surteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - B[X.]E 108, 97 = [X.]-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 39; vgl [X.]surteil vom 16.12.2014 - [X.] V 1/13 R - B[X.]E 118, 63 = [X.]-3800 § 1 [X.] 21, Rd[X.] 23 ff).

Wie das [X.] zutreffend angenommen hat, genügt danach der Alkoholkonsum der leiblichen Mutter in der Schwangerschaft als eine ausreichende Kraftentfaltung im genannten Sinne unmittelbar gegen das ungeborene Kind (vgl ähnlich [X.]surteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - B[X.]E 77, 18, 19 = [X.] 3-3800 § 2 [X.] 3 S 7 = juris Rd[X.] 13 zur Beibringung von lebensgefährlichen Krankheitserregern). Dies gilt umso mehr, als die Klägerin sich im Mutterleib gegen den Alkoholmissbrauch ihrer Mutter nicht zur Wehr setzen konnte. Alkoholkonsum einer Schwangeren führt dem ungeborenen Kind Substanzen zu, die es, wie der Fall der Klägerin zeigt, schwer schädigen können (vgl [X.]/[X.]/[X.], Handbuch Alkohol, Alkoholismus, alkoholbedingte Organschäden, 2. Aufl 2000, 538, 543 ff; vgl S3-Leitlinie - Diagnose der Fetalen [X.], [X.], https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/022-025l_S3_Fetale_Alkoholspektrum-stoerung_Diagnostik_FASD_2016-06.pdf).

b) Die für einen tätlichen Angriff feindselige Willensrichtung auf das ungeborene Kind liegt bei dem Alkoholkonsum einer Schwangeren indes nur dann vor, wenn dieser die Grenze zum kriminellen Unrecht überschreitet, wenn der Alkoholkonsum also zugleich auf einen versuchten A[X.]ruch der Schwangerschaft iS des § 218 Abs 4 Satz 1, § 22 StGB gerichtet ist (dazu unter aa). Das folgt aus Gesetzesgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck des [X.] (dazu unter [X.]). Ein Verhalten, das nur zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen kann, genügt nicht (dazu unter cc).

aa) Der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] setzt nach ständiger Rechtsprechung - über den natürlichen Vorsatz des [X.] bezogen auf die [X.] hinaus - eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Für diese ist nicht die innere Einstellung des [X.] maßgebend, sondern die Rechtsfeindlichkeit des [X.], die vor allem als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz verstanden wird (vgl zuletzt nur [X.]surteil vom 15.12.2016 - [X.] V 3/15 R - [X.], 218 = [X.]-3800 § 1 [X.] 23, Rd[X.] 23). Dieses Tatbestandsmerkmal schließt Handlungen vom Kreis entschädigungspflichtiger Ursachen aus, die zwar gesellschaftlich missbilligtes Verhalten darstellen, die aber die Schwelle zum kriminellen Unrecht nicht überschreiten ([X.]surteil vom 14.2.2001 - [X.] [X.] - B[X.]E 87, 276, 278, 279 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 18 S 72, 73 = juris Rd[X.] 15, 19; [X.]surteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - B[X.]E 108, 97 = [X.]-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 62 mwN). Der Täter muss demnach gegenüber dem Opfer nicht feindselig eingestellt sein; es genügt, wenn sein Verhalten auf Rechtsbruch gerichtet ist und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen lässt (vgl [X.]surteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - juris Rd[X.] 10). Maßgeblich ist die objektive Sicht eines vernünftigen Dritten ([X.]surteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.] - B[X.]E 108, 97 = [X.]-3800 § 1 [X.] 18, Rd[X.] 32, 38). Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit zeigt sich durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat ([X.]surteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.], aaO, Rd[X.] 52 mwN). Ohne das so verstandene Merkmal der Rechtsfeindlichkeit würden im Opferentschädigungsrecht [X.] drohen und die für die Bewertung des [X.] maßgebende normative Grenze ihre klaren Konturen verlieren ([X.]surteil vom 7.4.2011 - [X.] [X.], aaO, Rd[X.] 64).

Der Alkoholkonsum einer Mutter während der Schwangerschaft ist daher nur dann als Handlung in [X.] iS des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] relevant, wenn er die Grenze zum kriminellen Unrecht überschreitet (so im Ergebnis auch: [X.] Niedersachsen-Bremen Urteil vom 26.11.2017 - L 10 VE 40/14 - juris Rd[X.] 23; [X.] Nordrhein-Westfalen Urteil vom 27.1.2017 - L 13 VG 11/16 - juris Rd[X.] 26, 33 ff; [X.] Düsseldorf Urteil vom 8.12.2015 - S 1 VG 83/14 - juris Rd[X.] 35 ff; [X.], NZ[X.]017, 680; [X.], jurisPR-[X.] 21/2015 [X.] 5; [X.] 2009, 252 f).

Indes existiert in [X.] kein allgemeines gesetzliches und erst recht kein strafbewehrtes Alkoholverbot für Schwangere. Vielmehr geht die gesetzliche Grundentscheidung des StGB dahin, dass pränatale Einwirkungen auf die Leibesfrucht, die sich nach der Geburt auswirken, straflos bleiben ([X.], StGB, 67. Aufl 2020, Rd[X.] 8 Vor §§ 211-217 mwN). Für ungeborenes Leben hat der Gesetzgeber im Strafrecht keinen mit §§ 223 ff StGB vergleichbaren Schutz vor vorsätzlichen oder fahrlässigen Schädigungen der körperlichen Integrität vorgesehen. Die Schutzwirkung der [X.] (§§ 211 ff und §§ 223 ff StGB) beginnt erst mit der Geburt des Menschen, während Einwirkungen auf die Leibesfrucht nur über die Bestimmungen des strafbaren Schwangerschaftsa[X.]ruchs (§§ 218 ff StGB) mit Strafe bewährt sind ([X.] Beschluss vom 2.11.2007 - 2 StR 336/07 - juris Rd[X.] 13 sowie [X.] in: [X.]/[X.], StGB [X.] Kommentar, 12. Aufl 2018, § 223 Rd[X.] 18). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in strafrechtlicher Hinsicht aus einem erheblichen und regelmäßigen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft der Mutter eine Garantenstellung erwachsen kann, die sie etwa dazu verpflichten kann eine Geburt nicht ohne ärztlichen Beistand durchzuführen (vgl [X.] Urteil vom 12.11.2009 - 4 StR 227/09 - juris Rd[X.] 20). Nur wenn daher die Mutter eines ungeborenen Kindes mit ihrem Alkoholkonsum im Einzelfall ausnahmsweise eine strafbare Vorsatztat begangen hat, besteht die nach dem [X.] erforderliche feindselige Willensrichtung. Als eine solche strafbare Vorsatztat kommt im Rahmen der strafrechtlichen Systematik allein ein versuchter Schwangerschaftsa[X.]ruch infrage (§ 218 Abs 4 Satz 1, § 22 StGB), also eine versuchte, aber erfolglose Einwirkung auf die Leibesfrucht mit dem Ziel, sie im Mutterleib zu töten oder eine lebensunfähige Frühgeburt herbeizuführen (vgl [X.] Beschluss vom 2.11.2007 - 2 StR 336/07 - juris Rd[X.] 17; [X.], StGB 67. Aufl 2020, § 218 Rd[X.] 5).

Der persönliche Strafausschließungsgrund des § 218 Abs 4 Satz 2 StGB steht dieser Annahme einer feindseligen Willensrichtung durch einen vorsätzlichen versuchten Schwangerschaftsa[X.]ruch nicht entgegen. Der versuchte Schwangerschaftsa[X.]ruch bleibt in strafrechtlicher Hinsicht Unrecht, obwohl § 218 Abs 4 Satz 2 StGB die Schwangere - im Unterschied zu etwaigen Teilnehmern der Tat - insoweit privilegiert ([X.] in: [X.]/[X.], StGB [X.] Kommentar, 12. Aufl 2018, § 218 Rd[X.] 50 mwN; vgl auch [X.] Urteil vom [X.] - 2 [X.], 2 [X.], 2 [X.] - juris Rd[X.] 161 ff; [X.] Urteil vom 25.2.1975 - 1 [X.] ua - juris Rd[X.] 174 ff). Allgemein braucht der Täter für einen tätlichen Angriff nicht strafrechtlich wegen einer Vorsatztat verurteilt worden zu sein (vgl etwa [X.]surteil vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] - juris Rd[X.] 15; [X.]surteil vom 18.4.2001 - [X.] [X.] R - B[X.]E 88, 96, 98 = [X.] 3-3800 § 2 [X.] 10 S 44 f = juris Rd[X.] 14; BT-Drucks 7/2506 [X.]).

[X.]) Die Gesetzessystematik, die Gesetzgebungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck des [X.] sprechen ebenfalls dafür, die Entschädigungsansprüche der durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft geschädigten Kinder auf Fälle des versuchten Schwangerschaftsa[X.]ruchs zu begrenzen.

Das [X.] ist systematisch an das Strafrecht angelehnt; zugrunde liegt die Erwägung, dass den Staat eine besondere Verantwortung für Personen trifft, die durch eine Gewalttat oder eine gleichgestellte Tat geschädigt werden. [X.] der Staat seine ureigene Schutzaufgabe, die Bürger vor Gewalttätern zu schützen, so trifft ihn eine Verantwortung für die Entschädigung der Opfer ([X.]surteil vom 18.11.2015 - [X.] V 1/14 R - B[X.]E 120, 89 = [X.]-3800 § 1 [X.] 22, Rd[X.] 15; [X.]surteil vom 16.12.2014 - [X.] V 1/13 R - B[X.]E 118, 63 = [X.]-3800 § 1 [X.] 21, Rd[X.] 28). Entschädigt werden sollen aber nicht alle Opfer von Straftaten, sondern nur solche von Gewaltkriminalität, weil diese die öffentliche Ordnung besonders empfindlich stören, sowie gleichgestellte Personengruppen. Der Gesetzgeber wollte das [X.] nicht als "allgemeine Volksversicherung" ausgestalten (BT-Drucks 7/2506, [X.]), die alle Verletzungsrisiken durch das Handeln Dritter abdeckt ([X.]surteil vom 14.2.2001 - [X.] [X.] - B[X.]E 87, 276, 278 f = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 18 S 71 f, 72 f = juris Rd[X.] 14, 17).

Demgegenüber hat der Gesetzgeber die Vernachlässigung der Sorgfaltspflichten, die der Schwangeren gegenüber dem künftigen Kind obliegen, wie etwa Alkoholmissbrauch, schuldhafte Infektionen, Ernährungsfehler und gefährliche Lebensweisen, bewusst nicht mit Strafe bedroht. Einen strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Kindes vor der eigenen Mutter im Schwangerschaftsverlauf, der über die §§ 218 ff StGB hinausgeht, hat er weder für durchführbar noch für rechtspolitisch tragbar gehalten (vgl dazu: [X.] Urteil vom [X.] - juris Rd[X.] 8 ff; [X.] ua in: [X.]/[X.], StGB [X.] Kommentar, 12. Aufl 2018, Vorbemerkung zu § 211 Rd[X.] 8 f). Daher wurde ein Diskussionsentwurf des [X.] vom 29.4.1986 eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen (abgedruckt in [X.]/Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl 1991, [X.] ff) nicht aufgegriffen.

Schäden für das ungeborene Kind durch Alkoholkonsum der Schwangeren soll vielmehr ein präventiver Ansatz aus verbesserter Aufklärung, Beratung und Diagnostik abwenden (Drogen- und Suchtbericht 2019 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung [X.] ff; Antwort der Bundesregierung vom [X.] auf die Kleine Anfrage zu [X.], BT-Drucks 19/6794, [X.] ff). Insbesondere soll in der Bevölkerung die Botschaft "Kein Alkohol in der Schwangerschaft!" umfassend kommuniziert und zur "[X.] Norm" werden (vgl BT-Drucks 19/6794 [X.]), also gerade nicht zu einem strafrechtlich sanktionierten Verbot.

Dementsprechend sind Kinder mit einem Fetalen Alkoholsyndrom auch nicht als Leistungsberechtigte in das [X.] ([X.]B XIV) aufgenommen worden, obwohl das Gesetz die Ansprüche von (durch erhebliche Vernachlässigung) geschädigten Kindern erweitert hat (§ 14 Abs 1 [X.] 5 [X.]B XIV in der ab 1.1.2024 geltenden Fassung des [X.] vom 12.12.2019, [X.] 2652). Dem Gesetzgeber ist die Problematik der Schädigung von Ungeborenen durch Alkohol während der Schwangerschaft bereits seit langem bekannt (Czerner, [X.] 2010, 220 mwN; BT-Drucks 19/6794, [X.]), trotzdem hat er es beim begrenzten Schutz ungeborener Kinder im [X.] wie im Strafrecht belassen. Diese Erwägungen schließen gleichzeitig eine planwidrige Lücke im Regelungsplan des Gesetzgebers und damit eine Analogie zu § 1 [X.] aus, die einen Anspruch der Klägerin aufgrund ihrer Schädigung durch den Alkoholkonsum der leiblichen Mutter während der Schwangerschaft begründen könnte.

cc) Aus den oben genannten Gründen reicht es für einen Anspruch auf Opferentschädigung schließlich nicht aus, wenn das Handeln eines [X.] lediglich einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch begründet oder gegen subjektive Rechte eines Kindes gerichtet ist, ohne die Grenze des strafbaren Unrechts zu überschreiten (aA [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 6. Aufl 2015, § 1 Rd[X.] 27; [X.], [X.] 2017, 134, 140). Denn wie gezeigt erfordert die Anknüpfung des [X.] an das Strafrecht, dass das Verhalten des [X.] zumindest auf ein kriminelles Unrecht im Sinne des Strafrechts gerichtet ist ([X.]surteil vom 14.2.2001 - [X.] [X.] - B[X.]E 87, 276, 278 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 18 S 72 = juris Rd[X.] 15).

c) [X.] hat durch ihren Alkoholkonsum keine strafbare Vorsatztat in Form eines versuchten Schwangerschaftsa[X.]ruchs iS des § 218 Abs 4, § 22 StGB begangen. Sie hat damit nicht in feindseliger Willensrichtung gehandelt und deshalb keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.] auf ihre Tochter unternommen. Das ergibt sich aus den Feststellungen des [X.], die den [X.] nach § 163 [X.]G binden.

Wie das angefochtene Urteil ausführt, hat die Mutter der Klägerin während ihrer Schwangerschaft wiederholt Alkohol in erheblichen Mengen zu sich genommen; die Klägerin hat dadurch erhebliche gesundheitliche Schäden in Gestalt eines Fetalen [X.] mit globaler Entwicklungsverzögerung erlitten. Wie das [X.] weiter festgestellt hat, wusste die leibliche Mutter der Klägerin um die schädliche Wirkung des Alkohols für das ungeborene Kind und hat sie in Kauf genommen. Trotzdem ist das [X.] zu dem Schluss gekommen, es lägen keine Anhaltspunkte für einen versuchten Schwangerschaftsa[X.]ruch iS des § 218 Abs 4, § 22 StGB vor. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

Die Tathandlung des Schwangerschaftsa[X.]ruchs kann darin bestehen, das Ungeborene im Mutterleib zu töten oder eine Frühgeburt im Stadium der Lebensunfähigkeit herbeizuführen ([X.] in: [X.] Kommentar zum StGB, 3. Aufl 2017, § 218 Rd[X.] 14 mwN; s dazu auch oben [X.]). Für einen versuchten Schwangerschaftsa[X.]ruch muss der Täter sich Tatumstände vorstellen, bei deren Verwirklichung der Tatbestand der Abtreibung erfüllt wäre; sein Wille muss auf die Vollendung der Tat gerichtet sein (§ 22 StGB). Eine so weitreichende Vorstellung der leiblichen Mutter der Klägerin hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Das gilt insbesondere für einen zumindest bedingten, auf vollendete Tötung gerichteten Vorsatz.

Bedingt vorsätzlich handelt ein Täter, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ihn ferner billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet ([X.] Urteil vom [X.] - 4 StR 558/11 - juris Rd[X.] 26 mwN; [X.]surteil vom [X.] - [X.] [X.] R - B[X.]E 81, 288, 291 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 12 S 44 f = juris Rd[X.] 15 jeweils mwN). Das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes ist umso eher zu bejahen, je wahrscheinlicher eine Todesfolge durch eine gefährliche (Gewalt-)Handlung ist; maßgeblich ist vor allem, ob und wie offensichtlich die Lebensgefährlichkeit der Handlung für den Täter ist (Mößner, Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision, 2011, [X.] mwN). Steht nicht die Gefährlichkeit einer einzelnen Handlung in Rede, sondern ein längerer Prozess, dann erfordert bedingter Vorsatz die geistige Vorwegnahme seines möglichen Endes (vgl [X.] Beschluss vom 3.12.1997 - 3 StR 569/97 - juris Rd[X.] 3).

Was das Willenselement des bedingten Vorsatzes angeht, steht vor dem Tötungsvorsatz eine viel höhere Hemmschwelle als vor dem [X.] oder Verletzungsvorsatz [X.]/[X.] in: Kindhäuser/[X.]/Paeffgen, StGB, 5. Aufl 2017, § 212 Rd[X.] 10 mwN zur ständigen Rechtsprechung des [X.]; zum Alkoholeinfluss vgl [X.] Beschluss vom [X.] - 4 StR 448/19 - Rd[X.] 5 mwN). Die Tötung des eigenen Kindes zu billigen oder zumindest billigend in Kauf zu nehmen, erfordert naturgemäß sogar die Überschreitung höchster Hemmschwellen (vgl [X.] Urteil vom 17.6.2015 - 5 StR 75/15 - juris Rd[X.] 8; [X.] Beschluss vom [X.] - 5 StR 320/06 - juris Rd[X.] 9; [X.]/[X.] aaO).

Einen solchen weitreichenden bedingten Tötungsvorsatz ihrer Mutter gegen die Klägerin hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Wie das angefochtene Urteil ausführt, wusste ihre Mutter nur, dass ihr Alkoholkonsum "nicht gut für die Gesundheit" des ungeborenen Kindes war und dieses "schädigen" würde (Wissenselement). Das Berufungsgericht hat somit einen bedingten Verletzungsvorsatz bejaht, den wesentlich weiterreichenden, zumindest bedingten Vorsatz, durch den [X.] von Alkohol ihre ungeborene Tochter zu töten, aber verneint. Zwar hat die Mutter der Klägerin bei ihrer Vernehmung vor dem [X.] ihrem Alkoholkonsum die Schuld am plötzlichen Kindstod eines im Jahr 2000 geborenen und im Jahr 2002 gestorbenen älteren Bruders der Klägerin gegeben. Der Vater der Klägerin hat dem [X.] von der Frühgeburt einer weiteren Tochter berichtet, die nach zwei Tagen verstorben sei. Daraus brauchte das [X.] im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung aber nicht zwingend zu schließen, dass die Mutter nunmehr über die Schädigung hinaus den Tod der ungeborenen Klägerin infolge ihres Alkoholkonsums als möglich und nicht ganz fernliegend angesehen hätte.

Noch weniger hat das Berufungsgericht irgendwelche Indizien dafür festgestellt, dass die Mutter der Klägerin über deren Schädigung hinaus ihren Tod im Rechtssinne gebilligt und dafür die entgegenstehende höchste natürliche Hemmschwelle von Eltern bei der Tötung ihres Kindes überwunden hätte (Wollenselement). Vielmehr hat nach seinen Feststellungen umgekehrt der Tod des älteren Bruders der Klägerin, also die Trauer um ein verlorenes Kind, gerade zum Alkoholkonsum ihrer Mutter beigetragen.

Seine knappen, im Ergebnis aber noch ausreichenden tatsächlichen Feststellungen, mit denen das [X.] in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, binden den [X.] nach § 163 [X.]G. Denn die Klägerin hat dagegen keine Verfahrensrügen erhoben; insbesondere hat sie keinen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 103 Satz 1 [X.]G gerügt (vgl [X.]surteil vom 12.9.2019 - [X.] V 2/18 R - B[X.]E 129, 87 = [X.]-7190 § 4 [X.] 1 = juris Rd[X.] 31 mwN). Sie hält dem [X.] lediglich entgegen, der fortgesetzte und "wohl noch" steuerbare Alkoholmissbrauch der Mutter der Klägerin stelle angesichts der Schädigung älterer Geschwister durch Alkohol durchaus einen Versuch des Schwangerschaftsa[X.]ruchs dar, weil diese um die schädlichen Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs gewusst habe. Die allgemeine Kenntnis von einer möglichen schädigenden Wirkung von Alkohol unterscheidet sich aber maßgeblich von der konkreten Vorstellung, das Ungeborene durch Alkoholkonsum zu töten. Was das Wissenselement des Vorsatzes angeht, versucht die Prozessbevollmächtigte der Klägerin letztlich nur, ihre eigene Interpretation des Sachverhalts an die Stelle der Feststellungen des [X.] zu setzen. Mit der Verneinung des Wollenselements des Vorsatzes durch das [X.] setzt sie sich überhaupt nicht auseinander. Damit kann sie die Bindungskraft der Feststellungen und die Beweiswürdigung des [X.] nicht erschüttern.

4. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche schließlich auch nicht auf § 1 Abs 1 Satz 1 iVm § 1 Abs 2 [X.] 1 [X.] stützen, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 [X.] nicht erfüllt sind. Das Merkmal der Beibringung von Gift ist § 224 Abs 1 [X.] 1 StGB (bzw § 229 Abs 1 StGB aF) nachgebildet; es erfasst aufgrund der Gesetzessystematik und des Gesetzeszwecks nur strafrechtlich relevante Handlungen. Denn die Vorschrift will "Straftaten" mit einem tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 [X.] gleichstellen, die zur Tötung oder Verletzung eines Menschen führen können und nach allgemeiner Auffassung als Gewalttaten angesehen werden, weil die möglichen schweren Tatfolgen die Vergiftung so stark in die Nähe der Gewaltkriminalität rücken, dass die Einbeziehung in die Entschädigungsregelung geboten erscheint (BT-Drucks 7/2506, [X.]). Wie das [X.] indes zutreffend angenommen hat, ist das Verhalten der leiblichen Mutter der Klägerin nicht als strafbares Unrecht anzusehen; weshalb es die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 [X.] 1 [X.] ebenfalls nicht erfüllt.

5. Das Verfassungsrecht gebietet keine weitergehende Auslegung des § 1 Abs 1 Satz 1 [X.]. Die vom [X.] gefundene Auslegung verstößt weder gegen Art 2 Abs 2 Satz 1 [X.] (dazu unter a) noch gegen Art 3 Abs 1 [X.] (dazu unter b).

a) Ein Anspruch der Klägerin auf Opferentschädigung lässt sich nicht mit einer grundrechtskonformen Auslegung aufgrund von Art 2 Abs 2 Satz 1 [X.] begründen. Zwar schützt Art 2 Abs 2 Satz 1 [X.] auch das werdende Leben im Mutterleib vor der Mutter ([X.] Urteil vom [X.] - 2 [X.], 2 [X.], 2 [X.] - juris Rd[X.] 157 ff; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 16. Aufl 2020, Art 2 Rd[X.] 82 mwN). Jedoch berühren die Regelungen des [X.] die körperliche Unversehrtheit der Klägerin nicht. Ein Entschädigungsanspruch nach diesem Gesetz könnte eingetretene Schäden durch einen Angriff iS des § 1 [X.] nicht ungeschehen machen. Aus demselben Grund vermag die aus Art 2 Abs 2 Satz 1 [X.] folgende Pflicht des Staates, das menschliche Leben zu schützen, keinen Anspruch der Klägerin nach dem [X.] zu begründen. Das Gesetz ist vielmehr nur darauf ausgerichtet, den Opfern von Gewalttaten einen Ausgleich für Schäden zukommen zu lassen, die bereits eingetreten sind. Ohnehin hat Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten einen weiten Spielraum ([X.] in [X.]/[X.], [X.], 16. Aufl 2020, Art 2 Rd[X.] 92 mwN). Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber unter Beachtung des [X.] seine Pflicht zum Schutz ungeborenen Lebens durch präventive Maßnahmen zu erfüllen versucht; insbesondere ist er nicht verpflichtet, die gleichen Maßnahmen strafrechtlicher Art zum Schutz des ungeborenen Lebens zu ergreifen, wie er sie zur Sicherung des geborenen Lebens für zweckdienlich und geboten erachtet (vgl [X.] Urteil vom 25.2.1975 - 1 [X.] ua - juris Rd[X.] 159, 173). Bedingt durch das Tatbestandsmerkmal der feindseligen Willensrichtung reicht der Schutz des [X.] grundsätzlich nicht weiter als derjenige des Strafrechts und unterliegt deshalb im Verhältnis der leiblichen Mutter zu ihrem ungeborenen Kind denselben Beschränkungen (s dazu unter 3. b). [X.] gestellt wird die Klägerin dadurch nicht. Wegen ihrer Schädigung ist bei ihr ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt worden, der Ansprüche und Vergünstigungen in einer Vielzahl von bundes-, landes-, kommunalrechtlichen und anderen Bestimmungen eröffnet (vgl [X.]surteil vom 24.4.2008 - [X.]/9a [X.] 8/06 R - [X.]-3250 § 69 [X.] 8 Rd[X.] 16 mwN). Zudem hat sie seit 2011 Leistungen der Pflegeversicherung bezogen.

b) Der Ausschluss der Klägerin vor der Versorgung nach dem [X.] verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 [X.], der die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz gebietet. Der Gesetzgeber verletzt das Gleichbehandlungsgebot, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (zum [X.]: [X.] Beschluss vom 9.11.2004 - 1 BvR 684/98 - [X.]E 112, 50, 67 = [X.]-3800 § 1 [X.] 7 Rd[X.] 55 = juris Rd[X.] 56). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Auch wenn die Klägerin - etwa im Vergleich zu Kindern, die erst während der Stillphase durch den Alkoholkonsum ihrer Mutter geschädigt werden - ungleich behandelt wird, so ist dies im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers dennoch durch Sachgründe gerechtfertigt, weil die Schädigung der Klägerin nicht ohne [X.] dem Anwendungsbereich des [X.] zugeordnet werden kann. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des [X.] im Hinblick auf die Struktur des [X.] maßgeblich darauf abstellt, ob die Schädigung eines ungeborenen Kindes durch kriminelles Unrecht erfolgte oder nicht (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 762/85 - [X.]E 75, 348 = [X.] 2200 § 555a [X.] 3 = juris Rd[X.] 38). Anderenfalls käme es zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Ausweitung des Schutzsystems des [X.] auf Handlungen, bei denen es an einem tätlichen Angriff fehlt ([X.]surteil vom 16.12.2014 - [X.] V 1/13 R - B[X.]E 118, 63 = [X.]-3800 § 1 [X.] 21, Rd[X.] 32).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 9 V 3/18 R

24.09.2020

Bundessozialgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: V

vorgehend SG Magdeburg, 10. Juli 2015, Az: S 14 VE 18/11, Urteil

§ 1 Abs 1 S 1 OEG, § 1 Abs 2 Nr 1 OEG, § 218 Abs 1 S 1 StGB, § 218 Abs 4 S 1 StGB, § 218 Abs 4 S 2 StGB, § 22 StGB, § 15 StGB, § 14 Abs 1 Nr 5 SGB 14, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.09.2020, Az. B 9 V 3/18 R (REWIS RS 2020, 2365)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2365

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4 StR 558/11

4 StR 448/19

5 StR 75/15

1 BvR 684/98

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