Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2016, Az. 1 StR 358/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1236

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Gegenstand

Unterlassene Gesamtstrafenbildung: Absehen von der Einbeziehung nicht erledigter Geldstrafen; Anforderungen an die Urteilsbegründung bei selbstständiger Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. März 2016 aufgehoben, soweit von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen worden ist.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der Geldstrafen aus einem Urteil und einem Strafbefehl des [X.] hat es gemäß § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat lediglich in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die erhobenen Verfahrensbeanstandungen dringen aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen nicht durch.

3

2. Zum Schuldspruch, zum Ausspruch über die für die verfahrensgegenständliche Tat verhängte [X.] und zur Anordnung der Sicherungsverwahrung hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

4

Soweit das [X.] hinsichtlich der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 12. März 2015 von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen hat, ist das Urteil ebenfalls rechtsfehlerfrei. Denn die Voraussetzungen für die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe sind für diese Strafe nicht gegeben. Ihr liegt eine am 2. Januar 2015 begangene [X.] zugrunde, die mit der Freiheitsstrafe für die am 10. April 2013 verübte verfahrensgegenständliche Tat nicht gesamtstrafenfähig ist, weil ein Berufungsurteil des [X.]s Stuttgart vom 22. Januar 2014 Zäsurwirkung entfaltet. Die Zäsurwirkung einer auf Geldstrafe lautenden unerledigten Vorverurteilung entfällt nicht, wenn in der neuen oder einer früheren Gesamtstrafenentscheidung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Einbeziehung abgesehen wurde (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 12. August 1998 - 3 StR 537/97, [X.]St 44, 179, 184; [X.], StGB, 64. Aufl., § 55 Rn. 9a).

5

3. Soweit das [X.] die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 55 Abs. 1 StGB mit den [X.], die der Gesamtgeldstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 12. August 2013 zugrunde lagen, nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgelehnt hat, hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Sache ist daher zu neuer rechtsfehlerfreier Ermessensausübung an das [X.] zurückzuverweisen.

6

a) Ob beim Zusammentreffen einer [X.] mit [X.] eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird oder eine Geldstrafe oder Gesamtgeldstrafe selbstständig neben der Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl. [X.], Urteil vom 17. Januar 1989 - 1 [X.], [X.]R StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung 1; Beschluss vom 3. Dezember 2007 - 5 [X.], [X.], 27). Dabei hat das Gericht unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zu prüfen, ob eher eine längere Gesamtfreiheitsstrafe oder eine kürzere Freiheitsstrafe neben einer Geldstrafe den [X.] entspricht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 - 4 StR 486/14, [X.], 334 und vom 11. Juni 2002 - 1 [X.], [X.], 264; [X.], StGB, 3. Aufl., § 53 Rn. 14). Aus Wortlaut und Systematik des § 53 Abs. 2 StGB ergibt sich, dass die selbstständige Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe die Ausnahme bildet (vgl. [X.] aaO Rn. 13); sie bedarf daher - anders als der Regelfall der Gesamtstrafenbildung (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 1 [X.], [X.], 19) - regelmäßig besonderer Begründung (vgl. [X.], StGB, 64. Aufl., § 53 Rn. 5 mwN).

7

b) Die Erwägungen des [X.]s im Rahmen der Ermessensausübung zu §§ 55, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8

Das [X.] geht bereits von einem falschen rechtlichen Ausgangspunkt aus, indem es die im Strafbefehl des [X.] vom 12. März 2015 verhängte Geldstrafe für einbeziehungsfähig hält, obwohl insoweit im Hinblick auf eine Zäsur die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB für eine Gesamtstrafenbildung nicht gegeben sind. Im Hinblick auf alle rechtskräftigen Geldstrafen aus früheren Verurteilungen hält es zudem für angemessen, deshalb eine (Gesamt-)Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe von acht Jahren gesondert zu belassen, weil in den mit Geldstrafe geahndeten Verfehlungen, die jeweils während der Strafhaft begangen wurden, die fehlende Bereitschaft des Angeklagten zum Ausdruck komme, sich an Regeln zu halten oder die Ehre anderer Personen zu respektieren ([X.] f.). Hierbei übersieht das [X.], dass auch die verfahrensgegenständliche Tat während der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) und damit ebenfalls während einer Verwahrung des Angeklagten in einer Anstalt aufgrund strafgerichtlicher Anordnung begangen worden ist. Das Ziel, den Angeklagten - gegen den es neben der Verhängung einer Freiheitsstrafe von acht Jahren auch noch die Sicherungsverwahrung angeordnet hat - auch am Vermögen zu strafen, verfolgt das [X.] im Rahmen seiner Ermessensausübung ersichtlich nicht. Vielmehr führt es an, dass für die nicht einbezogenen Geldstrafen die Vollstreckung von [X.] (§ 43 StGB) geplant sei ([X.]). Im Ergebnis geht das [X.], indem es die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe (§ 55 StGB) ablehnt, davon aus, dass sich durch die Nichteinbeziehung der Geldstrafen in eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB die [X.] gegenüber einer nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erhöht, weil die Geldstrafen nicht eingebracht werden können. Eine nachvollziehbare, unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen an den [X.] ausgerichtete Begründung der Ermessensentscheidung, unter Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe abzusehen, liegt darin nicht. Der [X.] kann angesichts der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls nicht ausschließen, dass der Angeklagte hierdurch ausnahmsweise beschwert ist (vgl. auch [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 4 StR 486/14, [X.], 187). Die Sache ist daher zu neuer Ermessensausübung, ob gemäß §§ 55, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der bereits rechtskräftigen [X.] abgesehen wird, an das [X.] zurückzuverweisen.

9

c) Das Verschlechterungsverbot steht dem hier nicht entgegen.

aa) Allerdings kann im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO die Entscheidung des Tatrichters, gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe gesondert zu belassen, grundsätzlich nicht mehr korrigiert werden, wenn - wie hier - nur der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt hat. Denn die Freiheitsstrafe ist im Verhältnis zur Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen. Durch die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe verbundene Einbeziehung einer Geldstrafe erleidet ein Angeklagter regelmäßig gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten Urteils eine Verschlechterung ([X.], Beschluss vom 11. Februar 1988 - 4 [X.], [X.]St 35, 208, 212; vgl. auch [X.], Beschlüsse vom 22. März 1995 - 2 StR 700/94; vom 6. Dezember 1989 - 3 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Geldstrafe 3 und vom 4. August 1976 - 2 [X.] bei [X.] 1977, 109; KG, Beschluss vom 22. August 2002, [X.], 207).

bb) Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, in denen bereits zum Urteilszeitpunkt die Vollstreckung der nicht einbezogenen Geldstrafen als [X.] (§ 43 StGB) geplant ist (zu den Möglichkeiten, im Rahmen der Strafvollstreckung von der Vollstreckung einer Geldstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe abzusehen, vgl. §§ 459d, 459f StPO), verstieße indes die nachträgliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der [X.] gemäß § 55 Abs. 1 StGB ausnahmsweise nicht gegen das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO. Der [X.] ist daher nicht gehindert, das Urteil aufzuheben, soweit das [X.] gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen hat, und die Sache zu neuer rechtsfehlerfreier Ausübung des Ermessens an das [X.] zurückzuverweisen.

cc) Die Feststellungen haben Bestand; sie sind von dem hier allein vorliegenden Rechtsfehler bei der Ermessensausübung nicht betroffen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Raum     

       

Graf     

       

Jäger 

       

Radtke     

       

[X.]     

       

Meta

1 StR 358/16

07.12.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Tübingen, 7. März 2016, Az: 2 KLs 22 Js 6995/13

§ 53 Abs 2 S 2 StGB, § 55 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2016, Az. 1 StR 358/16 (REWIS RS 2016, 1236)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1236

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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