Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2019, Az. 1 StR 150/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 7610

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Niedrige Beweggründe bei Tötung eines sich abwendenden Ehepartners


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. November 2018 aufgehoben

a) im Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld;

b) soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat das [X.] nicht angeordnet.

2

Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3

Nach den Feststellungen des [X.]s kam es am Abend des 23. November 2017 zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau, dem späteren Tatopfer (im Folgenden: Geschädigte), zu einer verbalen Auseinandersetzung, weil der Angeklagte, der seit 1995 regelmäßig alkoholische – auch hochprozentige – Getränke konsumiert und seit seiner [X.] bis März 2017 nahezu täglich größere Mengen an Alkohol zu sich genommen hatte, entgegen seinem Versprechen, keinen Alkohol mehr zu trinken und sich eine Arbeitsstelle zu suchen, alkoholische Getränke konsumiert hatte und betrunken war. Da die Geschädigte den Alkoholkonsum des Angeklagten und dessen fehlendes Bemühen um einen Arbeitsplatz nicht weiter hinnehmen wollte, teilte sie diesem mit, dass sie sich von ihm trennen wolle, und forderte ihn auf, am nächsten Tag zurück in seine Heimat ([X.]) zurückzukehren und dort eine Alkoholtherapie zu beginnen. Der bereits in der Vergangenheit gegenüber der Geschädigten und dem gemeinsamen ältesten [X.] gewalttätig gewordene Angeklagte beleidigte die Geschädigte im Verlauf der weiteren Auseinandersetzung als „Hure“, drohte ihr damit, ihr „den Schädel zu zertrümmern“, und verlangte von ihr, in ihrer Wohnung in M.    bleiben zu dürfen. Am frühen Morgen des Folgetages bat der Angeklagte die Geschädigte erneut darum, nicht nach [X.] zurückkehren zu müssen; diese beharrte jedoch auf ihrem Entschluss. Als die Geschädigte kurz nach 4.00 Uhr das Haus verließ, um sich auf den Weg zu ihrer Arbeitsstelle zu machen, steckte der über das Verhalten der Geschädigten verärgerte Angeklagte ein Messer mit einer Gesamtlänge von 21,5 cm (Klingenlänge 9,5 cm und [X.] 1,9 cm) in seine [X.] und folgte der Geschädigten, um einen letzten Versuch zu unternehmen, diese umzustimmen. Für den Fall, dass ihm die Geschädigte keine weitere Chance geben würde, wollte er diese mit dem mitgeführten Messer töten.

4

Der Angeklagte holte die Geschädigte auf deren Weg zur U-Bahn-Haltestelle ein und bat sie erneut um eine weitere Chance, wobei er beteuerte, nunmehr „gut zu sein wie ein Stück Brot“. Nachdem die Geschädigte auf ihrem Standpunkt beharrt, sich dann vom Angeklagten abgewandt und ihren Weg zur [X.] fortgesetzt hatte, entschloss sich der Angeklagte, der seinerseits erkannt hatte, dass er die Geschädigte nicht mehr würde umstimmen können, den zuvor gefassten Tötungsentschluss in die Tat umzusetzen. Er zog – bei einer Blutalkoholkonzentration zu dieser [X.] von maximal 1,40 Promille – gegen 4.15 Uhr das mitgeführte Messer aus der [X.], setzte der Geschädigten nach und stach sie mit den Worten „Gut, dann werden wir beide zum Grab gehen“ von [X.] kraftvoll in den Rücken. Die Geschädigte rechnete in diesem Moment nicht mit einem erheblichen Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit oder ihr Leben und war deshalb nicht in der Lage, sich wirkungsvoll gegen den Angriff zu wehren, was der Angeklagte erkannte und bewusst zur Tatbegehung ausnutzte. Die Geschädigte schrie auf, wandte sich überrascht zum Angeklagten um und ging infolge der weiteren vom Angeklagten gegen ihre linke Brust geführten Stiche zu Boden. Der Angeklagte setzte sich sodann auf die auf dem Rücken liegende Geschädigte und stach weiter wuchtig auf deren Brustbereich ein, wobei die Versuche der Geschädigten, die Stiche mit dem linken Arm abzuwehren, erfolglos blieben. Als die Geschädigte regungslos liegen blieb, ließ der Angeklagte von ihr ab. Er warf das Messer in ein angrenzendes Gebüsch, rauchte eine Zigarette und wartete auf die von Zeugen herbeigerufene Polizei.

5

Die Geschädigte, die 24 Stichverletzungen erlitten hatte, verstarb trotz [X.] um 6.26 Uhr infolge der ihr vom Angeklagten zugefügten Verletzungen an Verbluten nach innen und außen.

II.

6

Der Schuldspruch wegen Mordes und daher auch die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand, weil das [X.] rechtsfehlerfrei das Vorliegen des [X.] der Heimtücke angenommen hat. Allerdings begegnet die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch soweit eine Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist, hat das Urteil keinen Bestand.

7

1. Das [X.] hat die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld des Angeklagten (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB) insbesondere auf die Annahme gestützt, dass der Angeklagte bei der Tötung seiner Ehefrau zwei Mordmerkmale aus unterschiedlichen Gruppen des § 211 Abs. 2 StGB – dasjenige der Heimtücke und das der niedrigen Beweggründe – verwirklicht habe. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Annahme niedriger Beweggründe nicht rechtsfehlerfrei ist.

8

a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das [X.] allerdings zunächst davon ausgegangen, dass Beweggründe dann niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, d.h. in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind ([X.], Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 [X.] Rn. 10 mwN), und dass Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung niedrige Beweggründe sein können, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des [X.] sind ([X.], Urteil vom 28. November 2018 – 5 StR 379/18 Rn. 16; Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 [X.] Rn. 20). [X.] indes das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren ([X.], Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 [X.] Rn. 20). Auch die Tötung des [X.], der sich vom Täter abwenden will oder abgewendet hat, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden (siehe nur [X.], Urteile vom 21. Februar 2018 – 1 [X.] Rn. 10 mwN und vom 25. Juli 2006 – 5 [X.] Rn. 20; Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 [X.] Rn. 20). Gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden ([X.], Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 [X.] Rn. 10 mwN; Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 [X.] Rn. 20).

9

b) Anders als das [X.] meint, kommt es danach für die Beurteilung, ob eine Tötung des zur Trennung entschlossenen [X.] auf niedrigen Beweggründen beruht, weder maßgeblich darauf an, ob der Täter tatsachenfundiert auf den Fortbestand der Verbindung zum Opfer vertrauen durfte, noch darauf, wie der Zustand der Beziehung war, ob sich das Tatopfer aus nachvollziehbaren Gründen zur Trennung entschlossen hat, ob der Täter seinerseits maßgeblich verantwortlich für eine etwaige Zerrüttung der Partnerschaft war und ob er – dies ist ohnehin stets der Fall – „die Trennungsentscheidung“ des Partners „hinzunehmen“ hatte (a.A. MüKo/[X.], StGB, 3. Aufl., § 211 Rn. 105). Derartige Erwägungen sind zwar für die entscheidende Frage, ob die – stets als verwerflich anzusehende – vorsätzliche und rechtswidrige Tötung eines Menschen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehrt, nicht ohne jede Bedeutung; allein der Umstand, dass sich die Trennung des Partners wegen des Vorverhaltens des [X.] und des Zustands der Beziehung als „völlig normaler Prozess“ darstellt und (daher) von diesem hinzunehmen ist, ist aber nicht geeignet, die Tötung des Partners, die wie jede vorsätzliche und rechtswidrige Tötung verwerflich ist, als völlig unbegreiflich erscheinen zu lassen.

c) Ungeachtet dessen, dass bereits der vom [X.] zugrunde gelegte rechtliche Maßstab durchgreifenden Bedenken unterliegt, trägt die Gesamtschau der vom [X.] getroffenen Feststellungen zu der handlungsleitenden Verärgerung des Angeklagten über das Verhalten der Geschädigten die Annahme niedriger Beweggründe nicht. Denn das [X.] hat seine Annahme, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt, im Wesentlichen darauf gestützt, dass dieser wegen seines Verhaltens die Zerrüttung der Ehe allein zu verantworten habe, weshalb er die Trennungsentscheidung der Geschädigten habe hinnehmen müssen.

2. Auch die Entscheidung des [X.]s über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das [X.] hat das Vorliegen eines Hanges des Angeklagten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso wie den daneben nach § 64 StGB für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderlichen symptomatischen Zusammenhang (vgl. [X.], Beschluss vom 21. März 2019 – 3 [X.] Rn. 13 f. mwN) und die Gefahrenprognose rechtsfehlerfrei bejaht, demgegenüber aber ohne tragfähige Begründung angenommen, dass es trotz der vom Angeklagten signalisierten Bereitschaft zur Mitwirkung an einer Maßregel nach § 64 StGB und des Umstands, dass bislang noch kein vergleichbarer Therapieversuch unternommen wurde, an der erforderlichen Erfolgsaussicht fehle. Hierbei hat es maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte, obwohl er sich bereits seit ca. eineinhalb Jahren in der [X.] aufhalte, über keinerlei Deutschkenntnisse und auch keine ausreichenden Kenntnisse der [X.] und der [X.] verfüge. Dass er die für eine erfolgreiche Teilnahme an einer Maßregel nach § 64 StGB erforderlichen Sprachkenntnisse bis zum Beginn der Maßregel erwerbe, sei nicht anzunehmen, da ein [X.] eines Teiles der Freiheitsstrafe vor dem Maßregelvollzug bei lebenslanger Freiheitsstrafe nicht erfolge. Nach dem Zweck des § 64 StGB könne im Übrigen bei ausreisepflichtigen sprachunkundigen Ausländern von einer Unterbringung abgesehen werden. Vorliegend sei eine Behandlung des Angeklagten im Maßregelvollzug schon deshalb nicht sinnvoll, weil eine spätere Integration des Angeklagten in [X.] nicht zu erwarten sei, weil dieser weder der [X.] mächtig sei noch über berufliche oder familiäre Verbindungen in [X.] verfüge und dem Angeklagten zudem die Ausweisung konkret drohe.

b) Diese Begründung des [X.]s ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an Feststellungen dazu fehlt, dass der Angeklagte vollziehbar ausreisepflichtig ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Juni 2018 – 1 [X.] Rn. 10 und vom 17. Juli 2018 – 4 [X.] Rn. 8).

Zudem hat das [X.] nicht in den Blick genommen, ob eine Überstellung des Angeklagten gemäß Art. 68 [X.], § 71 [X.] nach [X.] zum Vollzug der Maßregel in Betracht kommen könnte, sofern dort entsprechende Einrichtungen existieren ([X.], Beschlüsse vom 13. Juni 2018 – 1 [X.] Rn. 13 und vom 10. Juli 2012 – 2 [X.] Rn. 15; vgl. auch [X.] in: [X.]/Pollähne, [X.], 4. Aufl. 2018, Rn. L 200).

3. Die zugehörigen Feststellungen sind von den zur Aufhebung des Urteils führenden [X.] nicht betroffen, weil es sich hierbei um bloße [X.] handelt. Sie bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann – insbesondere zu den Beweggründen und zur Erfolgsaussicht einer Unterbringung – ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht mit den bisherigen in Widerspruch stehen.

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Hohoff     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 150/19

07.05.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 16. November 2018, Az: 124 Js 216143/19 - 1 Ks

§ 211 Abs 2 Alt 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2019, Az. 1 StR 150/19 (REWIS RS 2019, 7610)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7610

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 284/22 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Mord: Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe; Vorliegen eines Motivbündels; Strafrahmenverschiebung


1 StR 422/18 (Bundesgerichtshof)

Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe: Tötung eines ehemaligen Intimpartners nach der Trennung


5 StR 479/22 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Mord: Niedriger Beweggrund bei versuchter Tötung des Lebenspartners


6 StR 23/22 (Bundesgerichtshof)

Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe: Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe; Annahme niedriger Beweggründe bei einer …


1 StR 399/22 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.