Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.07.2015, Az. V R 49/14

5. Senat | REWIS RS 2015, 7764

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Gegenstand

Zurückweisung eines Bevollmächtigten - Auslegung eines Verwaltungsakts (hier: Zurückweisungsverfügung) durch Revisionsgericht - Erlass eines Zwischenurteils


Leitsatz

1. NV: Zur Auslegung eines Verwaltungsaktes ist auch das Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts hierzu ausreichen .

2. NV: Betrifft die Zurückweisung eines Bevollmächtigten nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt lediglich das Festsetzungsverfahren, ist es unbeachtlich, dass die Finanzbehörde subjektiv eine Zurückweisung für das gesamte Mandatsverhältnis und für sämtliche künftige Verfahrenshandlungen beabsichtigt hatte .

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Juni 2013 5 [X.]/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Zulässigkeit einer von der [X.]. im Namen der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) erhobenen Klage wegen Umsatzsteuer 2009 (Streitjahr).

2

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer Ltd. (C-Ltd.), die im Inland eine Zweigniederlassung unterhält und Dienstleistungen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung erbringt. Für das Streitjahr gab sie am 14. Dezember 2010 eine Umsatzsteuererklärung ab, die zu einer Vorbehaltsfestsetzung (§ 164 der [X.]bgabenordnung --[X.]O--) führte. [X.]uf Seite 1 des amtlichen Formulars erklärte sie, bei der Erstellung dieser Steuererklärung habe die [X.]. aus [X.] in den [X.] mitgewirkt.

3

Mit Bescheid vom 28. Januar 2011 wies der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) die [X.]. nach § 80 [X.]bs. [X.] "für das [X.] als Bevollmächtigte" zurück, weil sie zur Hilfeleistung in Steuersachen nicht befugt sei. Dabei wies das F[X.] darauf hin, dass alle Verfahrenshandlungen, die die [X.]. trotz dieser Zurückweisung künftig für ihre [X.]uftraggeberin in dem o.g. Verfahren vornehme, ohne steuerliche Wirkung blieben.

4

[X.]m 7. März 2012 änderte das F[X.] die Umsatzsteuerfestsetzung des [X.] zum Nachteil der Klägerin nach § 164 [X.]bs. [X.]. Dagegen erhob die von der [X.]. vertretene Klägerin am 10. [X.]pril 2012 Sprungklage zum Finanzgericht ([X.]), der das F[X.] zugestimmt hat.

5

Das [X.] wies die [X.]. mit Beschluss vom 4. Februar 2013 als Bevollmächtigte nach § 62 [X.]bs. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurück.

6

Nach Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter entschied dieser durch Zwischenurteil vom 20. Juni 2013, dass die Klage zulässig sei. Die vom F[X.] ausgesprochene Zurückweisung für das Verwaltungsverfahren führe nicht zum [X.]usschluss der [X.]. für das Klageverfahren. Die Zurückweisung eines Bevollmächtigten wirke nur für das jeweilige Verfahren und nur für den jeweiligen [X.]. Das Gericht schließe sich der [X.]uffassung des 6. Senats des Niedersächsischen [X.] an, die dieses im Urteil vom 26. November 2009  6 K 530/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 541) vertreten habe. Die Zurückweisung eines Bevollmächtigten nach § 80 [X.]bs. [X.] durch die Finanzbehörde gelte daher nur für das Verwaltungsverfahren.

7

Dagegen richtet sich die Revision des F[X.]. Entgegen dem Urteil des [X.] lasse sich aus der systematischen Stellung des § 80 [X.]O im 3. Teil [X.] keine Einschränkung der Wirkung einer Zurückweisungsverfügung auf das Verwaltungsverfahren entnehmen. Die [X.]uffassung des [X.], wonach unter "Verfahren" nur jeweils kleine Verwaltungsschritte zu verstehen seien, nehme der Vorschrift jede sinnvolle Funktionalität. Eine Einschränkung der Wirkung eines Zurückweisungsbescheids könne auch nicht damit begründet werden, dass der Finanzverwaltung mit einem Untersagungsbescheid nach § 7 [X.]bs. 1 des [X.]) ein wirksames Mittel zur Unterbindung der unbefugten Hilfeleistung zur Verfügung stehe, da es sich hierbei um ein von § 80 [X.]bs. [X.] unabhängiges und völlig eigenständiges Verfahren handle.

8

Das F[X.] beantragt,
das angefochtene Zwischenurteil des Niedersächsischen [X.] vom 20. Juni 2013  5 K 95/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
unter [X.]ufhebung des Urteils die Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

9

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die [X.]. sei vom F[X.] im Verwaltungsverfahren zu Unrecht zurückgewiesen worden, da sie im Zeitpunkt ihrer Zurückweisung die Voraussetzungen des § 3a StBerG erfüllt habe; dies werde derzeit u.a. in dem Revisionsverfahren II R 6/14 überprüft. Gerade im Falle einer materiell-rechtlich unzutreffenden Zurückweisung dürften das [X.] und der [X.] ([X.]) nicht an die Zurückweisung der Verwaltungsbehörde gebunden sein. [X.]bgesehen davon regele § 80 [X.]O die Bevollmächtigung ausschließlich im Verwaltungsverfahren. Ob eine Zurückweisung im Verwaltungsverfahren nur für den einzelnen Verwaltungsabschnitt gelte oder nicht, sei im Streitfall irrelevant. Es komme nur darauf an, dass eine Zurückweisung im Verwaltungsverfahren keine Wirkung für das finanzgerichtliche Verfahren habe.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 und Abs. 4 [X.]O). Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klage zulässig ist.

1. Das [X.] war zum Erlass eines Zwischenurteils berechtigt.

a) Nach § 97 [X.]O kann über die Zulässigkeit einer Klage durch Zwischenurteil vorab entschieden werden. Der Begriff "Zulässigkeit einer Klage" ist weit auszulegen; er bezieht sich auf alle für das Klageverfahren erheblichen Sachurteilsvoraussetzungen (vgl. [X.]-Urteil vom 14. März 1985 IV R 1/81, [X.], 223, [X.] 1985, 368) und bedeutet nicht, dass ein Zwischenurteil nur ergehen darf, wenn sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für die betreffende Klage geprüft und bejaht worden sind ([X.]-Urteil in [X.], 223, [X.] 1985, 368).

b) Die Berechtigung eines Prozessbevollmächtigten zur Klageerhebung ist eine Sachurteilsvoraussetzung (vgl. [X.]-Urteil vom 30. November 1988 I R 168/84, [X.], 1, [X.] 1989, 514) und betrifft damit die Zulässigkeit der Klage.

2. Die von der [X.]. im Namen der Klägerin erhobene Klage ist zulässig. Die Klägerin hat sich bei der Klageerhebung wirksam durch die [X.]. als Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 [X.]O). Dem steht weder die Zurückweisung der [X.]. durch das [X.] noch die dem vorausgehende Zurückweisung der [X.]. durch das [X.] entgegen.

a) Mit unanfechtbarem Beschluss vom 4. Februar 2013 hat das [X.] die Prozessbevollmächtigte ([X.].) als Bevollmächtigte zurückgewiesen (§ 62 Abs. 3 [X.]O). Die Zurückweisung wurde mit ihrer Bekanntgabe durch den am 6. Februar 2013 zur Post gegebenen einfachen Brief wirksam.

Nach der gesetzlichen Anordnung in § 62 Abs. 3 Satz 2 [X.]O wirkt der Zurückweisungsbeschluss ex nunc. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten sind und bleiben daher bis zur Bekanntgabe seiner Zurückweisung wirksam. Da die Klageerhebung mit Schriftsatz vom 10. April 2012 und damit fast ein Jahr vor der Bekanntgabe des Zurückweisungsbeschlusses erfolgte, steht diese Zurückweisung einer wirksamen Klageerhebung nicht entgegen.

b) Eine wirksame Klageerhebung durch die [X.]. im Namen der Klägerin konnte auch die Zurückweisungsverfügung des [X.] im Verwaltungsverfahren nicht verhindern. Denn diese ist dahingehend auszulegen, dass sie lediglich das Besteuerungsverfahren zur Umsatzsteuerfestsetzung 2009, nicht aber das Klageverfahren betrifft.

aa) Maßgebend für die Auslegung eines Verwaltungsakts ist der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte ([X.]-Urteile vom 21. Juli 2011 II R 6/10, [X.], 474, [X.] 2011, 906, sowie vom 15. April 2010 V R 11/09, [X.], 1830). Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, was die Finanzbehörde erklären wollte oder wie ein außen stehender Dritter den Verwaltungsakt auffassen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf ([X.]-Urteil vom 11. Juli 2006 VIII R 10/05, [X.], 18, [X.] 2007, 96).

bb) Zur Auslegung ist auch das Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des [X.] hierzu ausreichen ([X.]-Urteil vom 24. August 2005 II R 16/02, [X.], 515, [X.] 2006, 369). Der [X.] ist dabei nicht an die Auslegung eines Bescheids durch das [X.] gebunden ([X.]-Urteil in [X.], 18, [X.] 2007, 96).

cc) Im Streitfall ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der streitgegenständlichen Verfügung, dass das [X.] die [X.]. lediglich für einen Teil des Verwaltungsverfahrens zurückgewiesen hat. Anlass hierfür war das Mitwirken der [X.]. bei der Erstellung der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2009 der Klägerin. Im Hinblick darauf wies das [X.] die [X.]. für das "[X.]" als Bevollmächtigte zurück. Bei der Bestimmung des Umfangs der Zurückweisung bezieht sich das [X.] offensichtlich auf die in der Abgabenordnung angelegte Unterscheidung zwischen Ermittlungs-, Besteuerungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und Rechtsbehelfsverfahren. Das Festsetzungsverfahren ist Teil des Besteuerungsverfahrens und im ersten Unterabschnitt des dritten Abschnitts geregelt (§§ 155 bis 178a [X.]). Einer lediglich auf das Festsetzungsverfahren beschränkten Auslegung steht der Hinweis des [X.] in der Zurückweisungsverfügung ("Alle Verfahrenshandlungen, die die [X.]. trotz dieser Zurückweisung künftig für ihre Auftraggeberin in dem oben genannten Verfahren vornimmt, bleiben ohne steuerliche Wirkung") nicht entgegen. Damit wird im Wesentlichen die in § 80 Abs. 8 Satz 2 [X.] geregelte Rechtsfolge einer Zurückweisungsverfügung wiedergegeben, nicht aber deren Umfang erweitert. Vielmehr bestätigt die ausdrückliche Bezugnahme auf das "oben genannte Verfahren" die Geltung lediglich für die [X.] 2009. Soweit die Rechtsfolge laut Zurückweisungsverfügung für alle künftig vorgenommenen Verfahrenshandlungen der [X.]. eintreten soll, wird damit lediglich verdeutlicht, dass die im Rahmen der [X.] 2009 künftig erfolgenden Verfahrenshandlungen betroffen sind. Dabei handelt es sich etwa um Anträge auf abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen (§ 163 [X.]), Änderungsanträge von Vorbehaltsfestsetzungen (§ 164 [X.]) oder Anträge auf Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden (§§ 172 ff. [X.]).

Soweit das [X.] im finanzgerichtlichen Verfahren und der Revisionsbegründung davon ausgeht, dass die Zurückweisung das Mandatsverhältnis insgesamt und sämtliche künftigen Verfahrenshandlungen des unbefugt Tätigen nach seiner Zurückweisung für einen bestimmten Auftraggeber betreffen sollte, berührt dies nicht den objektiven, sondern nur den subjektiv gewollten Inhalt der Zurückweisungsverfügung, der im Wortlaut der Verfügung nicht zum Ausdruck kommt und daher bei der Auslegung unbeachtlich bleibt.

3. Die Revision des [X.] ist auch insoweit unbegründet, als es hilfsweise die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung an das [X.] beantragt. Denn die Frage einer Zurückverweisung stellt sich nur bei einer --im Streitfall nicht [X.] rechtsfehlerhaften Vorentscheidung.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 49/14

22.07.2015

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 20. Juni 2013, Az: 5 K 95/12, Zwischenurteil

§ 62 Abs 2 S 1 FGO, § 62 Abs 3 FGO, § 97 FGO, § 80 Abs 5 AO, § 80 Abs 8 S 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.07.2015, Az. V R 49/14 (REWIS RS 2015, 7764)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7764

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