Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2012, Az. IX ZB 313/11

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5117

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Gegenstand

Zwangsvollstreckungsverbot für den Gläubiger einer Forderung aus unerlaubter Handlung während der Wohlverhaltensphase


Leitsatz

Während der Dauer der Wohlverhaltensphase kann ein Insolvenzgläubiger von Ansprüchen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung auch in den Vorrechtsbereich für solche Forderungen nicht vollstrecken.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 31. August 2011 wird auf Kosten der Gläubiger zurückgewiesen.

Der Wert des [X.] wird auf 1.745,76 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer sind Gläubiger in dem am 27. November 2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das mit Beschluss vom 30. November 2010 in die Wohlverhaltensphase des [X.] überführt worden ist. Sie haben eine ausgenommene Forderung im Sinne des § 302 Nr. 1 [X.] angemeldet, wegen derer sie den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt haben, mit dem Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldner gepfändet werden sollten, soweit diese nicht an die Treuhänderin abgetreten worden sind. Nachdem das Vollstreckungsgericht zunächst den gemäß § 850f Abs. 2 ZPO monatlich pfändungsfreien Betrag mit Beschluss vom 26. Januar 2011 auf 700 € festgesetzt hatte, hat die Richterin auf Erinnerung des Schuldners den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben und den Antrag auf seinen Erlass zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubiger ist erfolglos geblieben. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihren Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem sie in der Wohlverhaltensphase des [X.] in den [X.] des § 850f Abs. 2 ZPO vollstrecken wollen, weiter.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat ([X.], Beschluss vom 5. Februar 2004 - [X.], Z[X.] 2004, 391, 392; vom 17. Februar 2004 - [X.] 306/03, Z[X.] 2004, 441). Die auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

3

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu Recht aufgehoben und den Antrag der Gläubiger zurückgewiesen, denn die Pfändung sei unzulässig, weil das [X.] des § 294 Abs. 1 [X.] uneingeschränkt für alle Insolvenzgläubiger gelte. Sämtliche Insolvenzgläubiger einschließlich der Unterhalts- und [X.] müssten in der [X.] die gleichen Befriedigungsmöglichkeiten haben, eine Ausnahme von dem [X.] komme deshalb nicht in Betracht. Der Rechtsgedanke des § 302 Nr. 1 [X.] stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Aus der Vorschrift ergebe sich, dass eine Privilegierung der [X.] erst nach Ende der Wohlverhaltensphase eintreten solle.

4

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

5

a) Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum gilt das [X.] des § 294 Abs. 1 [X.] auch für solche Gläubiger, deren Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde ([X.], [X.]E 132, 125 Rn. 23 zu § 850d ZPO; LG Leipzig, [X.], 603; [X.], Beschluss vom 18. April 2012 - 5 [X.], Rn. 25 f; [X.], [X.], 55, 56; FK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 294 Rn. 11; [X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, [X.], § 294 Rn. 2; Graf-Schlicker/[X.], [X.], 2. Aufl., § 294 Rn. 2; [X.]/[X.]-Streck, 4. Aufl., § 294 Rn. 3; HK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 294 Rn. 3; [X.] in Kübler/Prütting/Bork, [X.] 2008, § 294 Rn. 2 c; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 294 Rn. 5).

6

b) Der [X.] hat die Frage, ob § 294 Abs. 1 [X.] auch die Vollstreckung von Gläubigern ausgenommener Forderung in den [X.] des § 850f Abs. 2 ZPO während des Laufs der Wohlverhaltensphase ausschließt, bislang zwar nicht ausdrücklich entschieden. Zweck des [X.]s des § 294 Abs. 1 [X.] ist es, den Neuerwerb des Schuldners, der nicht gemäß § 287 Abs. 2 [X.] an den Treuhänder abgetreten oder an diesen gemäß § 295 [X.] herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger zu entziehen ([X.], Urteil vom 21. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 163, 391, 396 f; Beschluss vom 13. Juli 2006 - [X.] 288/03, Z[X.] 2006, 872 Rn. 9). Dies gilt auch im Hinblick auf Gläubiger, deren Forderung aus einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, die sie im Verfahren mit diesem Privileg angemeldet haben. Zwar soll ihre Forderung von der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden, sondern nach Erteilung der Restschuldbefreiung weiter durchsetzbar sein. Dieses Privileg bezieht sich aber nur auf die insolvenzrechtliche Nachhaftung, ohne dem Gläubiger schon innerhalb des Insolvenz- oder [X.] eine Sonderstellung zuzuweisen ([X.], Beschluss vom 27. September 2007 - [X.] 16/06, Z[X.] 2007, 1226 Rn. 12 mwN).

7

Nach diesen Grundsätzen ist es ausgeschlossen, dass der Gläubiger einer ausgenommenen Forderung bereits während des Laufs der Wohlverhaltensphase in den [X.] des § 850f Abs. 2 ZPO vollstreckt. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 302 Nr. 1 [X.] geht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdebegründung nicht dahin, im Fall des Fehlens konkurrierender [X.] nicht dem Schuldner, sondern dem Gläubiger der ausgenommenen Forderung die im Rahmen des § 850f Abs. 2 ZPO pfändbaren Einkünfte zuzuweisen. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr, ohne damit Art. 14 Abs. 1 GG zu verletzen, für die Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger während des Laufs der Wohlverhaltensphase entschieden. Dies schließt an den Zuschnitt des [X.]s während der Dauer des Verfahrens nach § 89 Abs. 2 [X.] an, dessen Satz 2 keine [X.] privilegiert, die an dem Verfahren teilnehmen ([X.], Beschluss vom 27. September 2007, aaO Rn. 10). Art. 14 Abs. 1 GG wird insofern Rechnung getragen, als Gläubiger ausgenommener Forderungen bei entsprechender Anmeldung und Feststellung ihres Anspruchs nach Erteilung der Restschuldbefreiung die Möglichkeit haben, weiter in das Vermögen des Schuldners zu vollstrecken.

8

c) Die Entscheidung des [X.]s zur Unwirksamkeit einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachten Pfändung der fortlaufenden Bezüge des Schuldners für die Dauer des Insolvenzverfahrens und eines sich daran möglicherweise anschließenden [X.] ([X.], Beschluss vom 24. März 2011 - [X.] 217/08, Z[X.] 2011, 812) hat hierauf keinen Einfluss. Die zeitlich beschränkte Unwirksamkeit der Pfändung bezieht sich nach der genannten Entscheidung gerade auch auf die Dauer der Wohlverhaltensphase des [X.]. Der Pfändungsschutz besteht also auch in dieser Phase weiter, so dass die Entscheidung im Einklang mit dem Ausschluss von Vollstreckungen von Insolvenzgläubigern während dieses Zeitraums steht. Das Pfändungspfandrecht soll nach dem Beschluss (aaO, Rn. 10, 14) erst dann wieder aufleben, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Restschuldbefreiung versagt wird. Zuvor kommt die Geltendmachung von Rechten aus dem Pfändungspfandrecht nicht in Betracht.

9

d) Auch das Urteil des [X.]s vom 18. November 2010 ([X.], Z[X.] 2011, 102), wonach die Klage eines Gläubigers auf Zinszahlung seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dessen Aufhebung während der [X.] ungeachtet einer möglichen späteren Restschuldbefreiung des Schuldners zulässig ist, führt zu keiner anderen Wertung. Hieraus ergibt sich nicht, dass die Vollstreckung eines Insolvenzgläubigers wegen einer ausgenommenen Forderung in den [X.] des § 850f Abs. 2 [X.] während der Dauer der Wohlverhaltensphase zulässig ist. Nach dieser Entscheidung steht das [X.] des § 294 Abs. 1 [X.] vielmehr nur der Zulässigkeit der Klageerhebung, die eine spätere Zwangsvollstreckung vorbereitet, nicht entgegen ([X.], aaO Rn. 8 f; [X.], Z[X.] 2005, 1113, 1114). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers schon in der [X.] zulässig ist.

3. Die nicht näher begründete Rüge, das Beschwerdegericht hätte das Verfahren wegen eines Antrags der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung aussetzen müssen, greift nicht durch. Zwar führt die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 299 [X.] zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung. Kommt es hierzu, hat der Gläubiger aber die Möglichkeit, aufgrund veränderter Sachlage einen neuen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu beantragen. [X.] ist die Entscheidung über die Versagung der Restschuldbefreiung deshalb nicht. Im Übrigen sind die Vorschriften über die Aussetzung (§§ 148 ff ZPO) auf das grundsätzlich eilbedürftige, auf eine rasche Befriedigung der Gläubiger angelegte Insolvenzverfahren nach der Rechtsprechung des [X.]s auch nicht entsprechend anwendbar ([X.], Beschluss vom 27. Juli 2006 - [X.] 15/06, [X.], 642 Rn. 5).

Vill                              Raebel                              Lohmann

                Pape                              Möhring

Meta

IX ZB 313/11

28.06.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Münster, 31. August 2011, Az: 5 T 373/11

§ 294 Abs 1 InsO, § 302 Nr 1 InsO, § 850f Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2012, Az. IX ZB 313/11 (REWIS RS 2012, 5117)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5117

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