Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Urkundenverlesung im Strafverfahren: Beruhen eines Urteils auf nicht ergangenen Gerichtsbeschluss über die Verlesung
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Oktober 2014 im Schuldspruch dahin geändert, dass sie im Fall [X.] der Urteilsgründe jeweils nur des Diebstahls schuldig sind; die tateinheitliche Verurteilung wegen Unterschlagung entfällt.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen schweren Raubes in zwei Fällen sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit Unterschlagung zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Angeklagter [X.]), vier Jahren und drei Monaten (Angeklagter R. ) und drei Jahren und sechs Monaten (Angeklagter H. ) verurteilt. Dagegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren jeweils auf die [X.] der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte [X.] beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel haben nur den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringfügigen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].
1. Im Fall [X.] der Urteilsgründe hält der Schuldspruch rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit die Angeklagten tateinheitlich zu der rechtlich zutreffenden Verurteilung wegen Diebstahls auch der Unterschlagung schuldig gesprochen worden sind.
a) Hierzu hat das [X.] festgestellt, dass die Angeklagten und der [X.], der Angestellter bei einer Tankstelle war, übereinkamen, einen Raubüberfall auf die Tankstelle vorzutäuschen. Die den vorgetäuschten Überfall ausführenden Angeklagten [X.]und [X.]entwendeten in erheblichem Umfang Zigaretten aus den Regalen der Tankstelle und nahmen im Einverständnis mit dem Nichtrevidenten die Wechselgeldkasse mit, die 350 € Bargeld enthielt.
b) Zwar ist die Annahme nicht zu beanstanden, dass der [X.], der als Angestellter während der Dauer seiner Schicht verantwortlich für die Wechselgeldkasse war, als Kassenverwalter [X.] an dem in der Kasse befindlichen Bargeld hatte (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 1988 - 3 [X.], [X.]R StGB § 246 Abs. 1 [X.] 1 mwN) und dass deshalb insoweit - anders als hinsichtlich der durch die gleiche Tat erbeuteten Zigaretten - eine Verurteilung wegen Diebstahls mangels Gewahrsamsbruchs nicht in Betracht kommt. Der Verurteilung auch wegen Unterschlagung steht indes die [X.] des § 246 Abs. 1 StGB entgegen, nach der dieser Tatbestand zurücktritt, wenn der Täter sich durch die Tat zugleich auch nach einer anderen Vorschrift strafbar gemacht hat und diese nach der im konkreten Fall anzuwendenden gesetzlichen Strafdrohung eine Höchststrafe von mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht ([X.], Beschluss vom 24. Juli 2014 - 3 [X.], juris Rn. 2). Dies ist hier der Fall, weil die Höchststrafe des durch dieselbe Tat verwirklichten Tatbestands des Diebstahls (an den Zigaretten) gemäß § 242 Abs. 1 StGB fünf Jahre Freiheitsstrafe beträgt.
c) Die Änderung der Schuldsprüche lässt die in diesem Fall verhängten Einzelstrafen unberührt. Das [X.] hat in der Strafzumessung ausdrücklich nicht straferschwerend berücksichtigt, dass die Angeklagten tateinheitlich zu dem Diebstahl noch eine Unterschlagung begangen hätten.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten sind - wie in den [X.] des [X.] dargelegt - unbegründet. Der näheren Erörterung bedarf nur Folgendes:
[X.], mit der der Angeklagte [X.] die Verlesung eines die Nebenklägerin [X.]betreffenden Attests als Verletzung des [X.] rügt, hat keinen Erfolg.
a) Wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat, wird ein Verfahrensfehler nicht bestimmt behauptet, soweit die Revision beanstandet, die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 [X.] hätten nicht vorgelegen. Mit dem [X.], es sei "fraglich, ob vorliegend überhaupt von Einverständnis ausgegangen werden kann", sowie, das Protokoll vermerke zwar, dass die Prozessbeteiligten keine Bedenken gegen die Verlesung erhoben hätten, damit sei dem Erfordernis einer Einverständniserklärung aber nicht Genüge getan, macht der Beschwerdeführer zum einen nicht in bestimmter Weise geltend, dass die erforderlichen Einverständniserklärungen nicht abgegeben worden seien, und rügt zum anderen letztlich nur, dass sich das Einverständnis nicht aus dem Protokoll ergebe. Das genügt zur zulässigen Erhebung der [X.] nicht (LR/[X.]/Cirener, [X.], 26. Aufl., § 251 Rn. 94 mwN).
b) Zulässig ist die Beanstandung aber insoweit erhoben, dass ein Verstoß gegen § 251 Abs. 4 Satz 1 [X.] vorliegt, weil das [X.] die (einverständliche) Verlesung des Attests nicht durch einen Gerichtsbeschluss angeordnet hat. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil indes nicht. Insoweit gilt:
Der Beschluss im Sinne von § 251 Abs. 4 Satz 1 [X.] dient der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten über den Grund der Verlesung und der eindeutigen Bestimmung ihres Umfangs. Entscheidet - wie hier - ein Kollegialgericht, soll er zudem unter Beachtung der Aufklärungspflicht die Meinungsbildung des gesamten Gerichts und nicht nur des Vorsitzenden über das einzuschlagende Verfahren sicherstellen und insbesondere den Schöffen im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit den Ausnahmecharakter der Verlesung deutlich machen. Entscheidend ist insoweit, ob die persönliche Vernehmung des Zeugen zur weiteren Aufklärung erforderlich ist oder ob die Verlesung der Niederschrift genügt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2011 - 4 StR 583/10, [X.]R [X.] § 251 Abs. 4 Gerichtsbeschluss 6 mwN).
Das Beruhen eines Urteils auf einem nicht ergangenen oder nicht begründeten Gerichtsbeschluss kann ausscheiden, wenn den Verfahrensbeteiligten Grund und Umfang der Verlesung bekannt und damit die der Anordnung der Verlesung zu Grunde liegenden Erwägungen rechtlich überprüfbar sind ([X.] aaO). Wird die Verlesung lediglich durch den Vorsitzenden angeordnet, muss hinzukommen, dass die persönliche Vernehmung der Person, von der die Erklärung stammt, nicht zur weiteren Aufklärung hätte beitragen können (LR/[X.]/Cirener, aaO, § 251 Rn. 81 mwN; [X.], Urteil vom 21. September 2000 - 1 [X.], juris Rn. 6).
Hier übergab der Beistand der Nebenklägerin das Attest im Kontext mit dem [X.], das letztlich im Verzicht aller Verfahrensbeteiligten auf die Vernehmung der Nebenklägerin als Zeugin mündete. In diesem Zusammenhang stellte der Nebenklagevertreter auch den Antrag auf Verlesung des Attests, gegen den ausweislich des Protokolls von den Verteidigern keine Bedenken erhoben wurden. Danach konnte als Verlesungsgrund nur ein Einverständnis im Sinne von § 251 Abs. 1 Nr. 1 [X.] in Betracht kommen; eine Verlesung nach § 256 Abs. 1 [X.] schied ersichtlich aus. Auch über den Umfang der Verlesung konnte angesichts der überschaubaren Länge des Attests keine Unklarheit bestehen. Der [X.] kann zudem ausschließen, dass es durch die Vernehmung der Ärztin der Nebenklägerin, die das Attest nur zwei Tage vor dem [X.], an dem es verlesen worden ist, ausgestellt hatte, mit Blick auf das Beweisthema - aktuelle Beschwerden der Nebenklägerin und Wiederherstellung ihrer teilweisen Arbeitsfähigkeit nach einer durch den Überfall ausgelösten posttraumatischen Belastungsstörung - zu einer weiteren Aufklärung gekommen wäre.
Soweit die Revision im Rahmen der von ihr erhobenen - wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat, unzulässigen - Aufklärungsrüge geltend macht, die Ärztin hätte nähere Angaben zu einer bei der Nebenklägerin bestehenden Vorerkrankung machen können, führt das zu keiner anderen Bewertung: Dass die Nebenklägerin bereits vor dem Überfall in psychologischer Behandlung war, hat die [X.] ausdrücklich festgestellt. Diesen Umstand hat das [X.] im Rahmen der Strafzumessung auch zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigt. Der [X.] schließt deshalb aus, dass die [X.], hätte sie die Ärztin zur Vorerkrankung der Nebenklägerin vernommen, im Fall [X.] der Urteilsgründe eine mildere Einzelstrafe gegen den Beschwerdeführer verhängt hätte.
Becker Pfister Mayer
Gericke Spaniol
Meta
09.06.2015
Bundesgerichtshof 3. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Stade, 9. Oktober 2014, Az: 1301 KLs 4/14
§ 251 Abs 1 Nr 1 StPO, § 251 Abs 4 S 1 StPO
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2015, Az. 3 StR 113/15 (REWIS RS 2015, 10157)
Papierfundstellen: REWIS RS 2015, 10157
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
3 StR 113/15 (Bundesgerichtshof)
1 StR 45/01 (Bundesgerichtshof)
3 StR 315/11 (Bundesgerichtshof)
Strafverfahren: Anforderungen an die Revisionsbegründung bei Rüge eines Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz
3 StR 227/14 (Bundesgerichtshof)
3 StR 227/14 (Bundesgerichtshof)
Diebstahl: Abgrenzung zur Unterschlagung bei Entwendung aus einer von mehreren Unternehmen genutzten Lagerhalle