Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.09.2003, Az. 4 StR 173/03

4. Strafsenat | REWIS RS 2003, 1742

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[X.] StR 173/03vom9. September 2003in der [X.] versuchten Totschlags u.a.- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 9. September 2003 gemäß § 349Abs. 4 StPO [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil [X.] [X.] vom 11. Dezember 2002 mit [X.] aufgehoben.2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eineandere [X.] des [X.] zu-rückverwiesen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags [X.] mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen einerhalbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von fünf [X.] und neun Monaten verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen kam [X.] Tattag in [X.] in Anwesenheit "einer Gruppe von mehreren [X.]n"(UA 6) zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem aus [X.] Angeklagten und dem aserbaidschanischen [X.], in deren Verlauf der Angeklagte mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatzdrei Schüsse aus einer Pistole auf den Geschädigten abfeuerte, die diesenlebensgefährlich verletzten.Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mitder er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts [X.] -Die Revision hat mit einer zulässig ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg. [X.] zu Recht, daß die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfah-rens verletzt worden sind (§ 338 Nr. 6 StPO).1. [X.] liegt folgendes Prozeßgeschehenzugrunde:Zu Beginn der Hauptverhandlung noch vor Vernehmung des Angeklag-ten über seine persönlichen Verhältnisse regte der Vorsitzende an, "die arme-nischen Zuschauer von der Teilnahme an der Hauptverhandlung auszuschlie-ßen, da sie möglicherweise als Zeugen in Betracht kommen". Der Sitzungsver-treter der Staatsanwaltschaft stimmte der Anregung zu, während der [X.] "zu dem weitgehenden Ausschluß der Öffentlichkeit" eine gerichtliche Ent-scheidung beantragte. Daraufhin erging folgender [X.] dem Ermittlungsverfahren hat der Geschädigte auf dieFrage, wer in der [X.] gewesen sei, erklärt: 'Alle [X.] aus [X.].' Hieraus und aus den weiteren Zeugen-aussagen zu der Anzahl der am Tatort anwesenden [X.] ergibt sich, daß wesentlich mehr Tatzeugen vorhandensind, als die Anklage aufführt. Da sich erst im Lauf der Be-weisaufnahme klären wird, welche [X.] noch als Zeugenbekannt werden, ist es erforderlich, diese Personengruppevorübergehend aus dem Saal zu weisen".Anschließend verließ - wie durch die vom Senat [X.] einge-holten dienstlichen Äußerungen bestätigt worden ist - eine aus sechs bis achtZuhörern, "die alle nach dem äußeren Erscheinungsbild der [X.] zuzuordnen waren", bestehende Personengruppe geschlossenden Sitzungssaal. Nachdem nach weiteren sieben [X.] -die Beweisaufnahme geschlossen worden war, ordnete, wie das Protokoll aus-weist, der Vorsitzende zu Beginn des folgenden [X.] [X.] der [X.] die Aufhebung des Beschlusses über den [X.] armenischer Zuhörer [X.] Zu Recht macht die Revision geltend, durch diese Verfahrensweisehabe die [X.] ohne zureichenden Grund die [X.] ausgeschlossen und damit den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169[X.]) verletzt. Dieser Grundsatz ist nicht nur dann berührt, wenn die [X.] insg[X.]t ohne gesetzlichen Grund ausgeschlossen wird, [X.] dann, wenn auch nur eine einzige Person in einer nicht dem Gesetz ent-sprechenden Weise aus dem [X.] entfernt wird (st. Rspr.;BGHSt 3, 386, 388; 18, 179, 180; 24, 329, 330). So verhält es sich hier.Daß der Ausschluß der [X.] Zuhörer keine Stütze in den§§ 171 a ff. [X.] findet, die die Voraussetzungen und die Verfahrensweise ei-nes Ausschlusses der Öffentlichkeit regeln, versteht sich von selbst. Die Be-fugnis des Gerichts, die [X.] Zuhörer aus dem Sitzungssaal zu [X.], ergibt sich auch nicht aus § 58 Abs. 1 StPO. Aus Sinn und Zweck die-ser Vorschrift, nach der Zeugen einzeln und in Abwesenheit der später zu [X.] zu vernehmen sind, hat der [X.] den Grundsatzabgeleitet, daß es zulässig ist, Personen zum Verlassen des [X.], sobald mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß sie als Zeugen [X.] kommen (vgl. BGHSt 3, 386, 388; [X.], 163). Dabei stehtbei der Entscheidung über die Frage, ob ein Zuhörer als Zeuge in [X.] und ob er deswegen den Sitzungssaal zu verlassen hat, dem für dieEntscheidung zuständigen Vorsitzenden ebenso wie dem gegen dessen Ent-- 5 -scheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO angerufenen Gericht ein Beurteilungs-spielraum zu, der nur dann überschritten wird, wenn der Ausschluß eines [X.] auf sachwidrigen Erwägungen beruht ([X.] aaO und [X.] 338 Nr. 6 Zuhörer 7).In diesem Sinne war der Ausschluß sämtlicher anwesender armenischerZuhörer sachwidrig. Denn Voraussetzung für einen zulässigen Ausschluß [X.] von der weiteren Teilnahme an der Hauptverhandlung ist stets, daßdas Gericht tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat, daß jeder einzelne von [X.] Betroffene Sachdienliches zur Aufklärung beitragen kann und [X.] als potentieller Zeuge in Betracht kommt. Hierfür genügt es nicht, daß [X.] seiner Entscheidung lediglich ein Gruppenmerkmal (etwa Rasse, Ge-schlecht, Körpergröße, Haarfarbe, Beruf oder - wie hier - die Volkszugehörig-keit) zugrundelegt, das auf weiter in Betracht kommende Zeugen zutrifft. [X.] nicht unterschiedslos alle anwesenden Zuhörer, die dieses Gruppenmerk-mal aufweisen, aus dem Sitzungssaal verweisen, ohne sich zuvor, etwa [X.] Befragung der übrigen Verfahrensbeteiligten, Zeugen - hier nament-lich des noch am selben Tage vernommenen Geschädigten - und der [X.] Zuhörer selbst zu vergewissern, wer tatsächlich als Zeuge in [X.]. Ohne diese notwendige Individualisierung überläßt es das Gericht [X.], ob sich unter den von dem Ausschluß betroffenen Zuhörern überhaupt -und gegebenenfalls welche - Personen befinden, die ernsthaft als Zeugen [X.] kommen.Diesen Anforderungen wird die Verfahrensweise des [X.] auchunter Berücksichtigung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (vgl. hierzu [X.] aaO) nicht gerecht. Nach den vom Senat eingeholten dienstlichen [X.] 6 -rungen bestanden für das Gericht zum Zeitpunkt des Ausschlusses der Zuhö-rer keine Hinweise, daß über die in der Anklage genannten Zeugen hinaus dieVernehmung weiterer armenischer Zeugen beantragt werden würde (was danntatsächlich auch bis zum Schluß der Beweisaufnahme nicht der Fall war). [X.] und informatorische Befragung der anwesenden [X.]Zuhörer hat nicht stattgefunden. Der Identifizierung hätte es aber schon [X.] bedurft, um herauszufinden, welche Zuhörer überhaupt aus [X.]stammten. Schon deshalb läßt sich der Ausschluß der g[X.]ten anwesenden[X.] Personengruppe auch nicht mit dem Hinweis des Gerichts [X.], der Geschädigte habe im Ermittlungsverfahren gegenüber der [X.] Frage nach bei der Tat anwesenden weiteren Personen mit "alle [X.]aus [X.]" beantwortet. Hinzu kommt, daß die so protokollierte Antwort er-sichtlich nicht wörtlich zu nehmen war.3. Der aufgezeigte Verstoß gegen den [X.] ist ab-soluter Revisionsgrund (§ 338 Nr. 6 StPO), so daß schon deshalb das ange-fochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwie-sen werden muß.Tepperwien Maatz Kuckein Athing Sost-Scheible

Meta

4 StR 173/03

09.09.2003

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.09.2003, Az. 4 StR 173/03 (REWIS RS 2003, 1742)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 1742

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