Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.10.2019, Az. B 1 KR 66/18 B

1. Senat | REWIS RS 2019, 2699

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Gegenstand

Krankenversicherung - Genehmigungsfiktion - Rechtsmissbrauch


Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 5. Juni 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Versorgung mit Hautstraffungsoperationen an Oberarmen, [X.] und Oberschenkeln sowie 4767,14 Euro Kostenerstattung für die bereits durchgeführten Hautstraffungsoperationen bei den Vorinstanzen erfolgreich gewesen: Das [X.] hat ausgeführt, die Klägerin habe diese Ansprüche kraft Genehmigungsfiktion. Die Klägerin habe die beantragten Leistungen auf Grundlage der aktenkundigen Atteste ihrer behandelnden Ärzte subjektiv für erforderlich halten dürfen. Die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten medizinischen Gutachten hätten zwar für die Beklagte eine positive Beweislage herbeigeführt, aber keinen Einfluss auf die subjektive Erforderlichkeit nach § 13 Abs 3a [X.] [X.]. Die Genehmigungsfiktion könne nicht den vom Gesetzgeber gewollten Effekt erzielen, wenn sie in ihren Auswirkungen durch eine nachträgliche Beweiserhebung ausgehebelt werden könnte. Im Übrigen sei die Klägerin auch nach der Begutachtung durch Dr. L. weiterhin von der medizinischen Erforderlichkeit ausgegangen, was der Antrag nach § 109 [X.] im November 2014 zeige ([X.]-Urteil vom 5.6.2018).

2

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Urteil.

3

II. Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 [X.] [X.] zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] [X.] abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.), der Divergenz (dazu 2.) und des [X.] (dazu 3.).

4

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB [X.]-1500 § 160a [X.]1 [X.]8; [X.]-4100 § 111 [X.] f; [X.]-2500 § 240 [X.] f mwN). Die Beklagte richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.

5

a) Dies gilt zum einen, soweit sie als Rechtsfrage formuliert:

        

"Darf ein Versicherter noch von der 'subjektiven Erforderlichkeit' der beantragten Leistungen im Sinne des § 13 Abs. 3a [X.] ausgehen, wenn vor dem Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung nach § 13 Abs. 3a [X.] oder vor der Inanspruchnahme einer Sachleistung nach § 13 Abs. 3a [X.] ein Gerichtsgutachten oder ein Gutachten nach § 109 [X.] vorliegt, welches die Erforderlichkeit und Notwendigkeit der beantragten Leistungen widerlegt und damit den Empfehlungen der behandelnden Ärzte widerspricht?“

6

Der erkennende Senat lässt offen, ob die Beklagte damit eine grundsätzliche Rechtsfrage hinreichend klar formuliert oder lediglich die Rechtsanwendung im vorliegenden Einzelfall rügt. Jedenfalls legt sie die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt ist" (vgl zB [X.] vom 21.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - Juris RdNr 7 mwN). Die Beklagte weist selbst auf die stRspr des erkennenden Senats hin, wonach die Regelung der Genehmigungsfiktion nicht zu Rechtsmissbrauch einladen soll (vgl statt vieler grundlegend [X.], 40 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]6). Das betrifft zum einen objektiv Leistungen, die offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der [X.] liegen, sodass die Genehmigungsfiktion Leistungsgrenzen des [X.]-Leistungskatalogs überwinden würde, die jedem Versicherten klar sein müssen (vgl ebenda). Es betrifft zum anderen Leistungen, bei denen es rechtsmissbräuchlich wäre, wenn der Berechtigte sie subjektiv für erforderlich hält (vgl ebenda). Leistungen, die der Berechtigte ohne Rechtsmissbrauch subjektiv für erforderlich halten darf, unterfallen dagegen der Genehmigungsfiktion. Die Beklagte legt nicht dar, wieso noch Klärungsbedarf auf der Grundlage dieser Rspr bestehen sollte. Ob der Berechtigte Leistungen ohne Rechtsmissbrauch subjektiv für erforderlich halten darf, richtet sich stets nach allen Umständen des Einzelfalls. Die Beklagte legt auch nicht dar, wieso der Senat in einem Revisionsverfahren hierzu über einen Rechtssatz zu entscheiden hätte, der über den Einzelfall hinausreicht. Sie legt im Übrigen schon nicht schlüssig dar, wieso es rechtsmissbräuchlich sein könnte, wenn ein Versicherter, bei dem das [X.] zB weder festgestellt hat, dass er in der Beweiswürdigung divergierender medizinischer Fachgutachten fachkundig und geschult ist, noch dass er spezifische medizinische Kenntnisse hat, aus seiner laienhaften Sicht bei voneinander abweichenden Gutachten dem ihm günstigen folgt. Auch eine Umdeutung der erhobenen Grundsatzrüge in eine Divergenzrüge kommt bei diesem Vorbringen nicht in Betracht.

7

b) Die Beklagte legt die Entscheidungserheblichkeit der weiteren von ihr formulierten Rechtsfrage nicht dar:

        

"Ist vom Umfang einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a [X.] eine privatärztliche Honorarvereinbarung auf eine Chefarztbehandlung umfasst, wenn der Antrag des Versicherten lediglich auf stationäre Leistungen in einem [X.], abzurechnen über DRG-Sätze, lautet?"

8

Die Beklagte legt nicht dar, warum sich diese Rechtsfrage auf Grundlage der nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen, bindenden (§ 163 [X.]) Feststellungen des [X.] stellt. Sie setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, wieso der erkennende Senat sich in einem Revisionsverfahren mit dieser Frage befassen könnte, obwohl sich auch nach dem Vorbringen der Beklagten aus den bindenden Feststellungen des [X.] keine Beschränkung des Antrags der Klägerin auf eine nach [X.]n abzurechnende Leistung ergibt.

9

2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des [X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB [X.] vom 19.9.2007 - [X.] KR 52/07 B - Juris RdNr 6) und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht ([X.] vom [X.] - [X.] KR 21/07 B - Juris RdNr 9). Erforderlich ist, dass das [X.] bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB [X.] vom 15.1.2007 - [X.] KR 149/06 B - RdNr 4; [X.]-1500 § 160 [X.]6 S 44 f mwN). Die Beklagte genügt diesen Anforderungen nicht. Sie bezeichnet schon keinen in der [X.]-Entscheidung formulierten abstrakten Rechtssatz.

Hat das [X.] einen abweichenden entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz nicht ausdrücklich formuliert, sondern nur implizit zugrunde gelegt, genügt es, dass der Beschwerdeführer darlegt, dass das [X.] von einer Entscheidung ua des [X.] abgewichen ist, indem es einen der höchstrichterlichen Rspr widersprechenden abstrakten Rechtssatz nur sinngemäß und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet entwickelt hat. In einem solchen Fall muss der Beschwerdeführer jedoch darlegen, dass sich aus den Ausführungen des Berufungsurteils unzweifelhaft der sinngemäß zugrunde gelegte abstrakte Rechtssatz schlüssig ableiten lässt, den das [X.] als solchen auch tatsächlich vertreten wollte (vgl [X.] vom [X.] - [X.] KR 29/16 B - Juris RdNr 17 mwN). Daran fehlt es. Die Beklagte geht schon nicht darauf ein, dass das [X.] unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 11.7.2017 - [X.] KR 1/17 R ([X.] [X.]-2500 § 13 [X.]) entschieden hat, dass die Klägerin "aus der Honorarvereinbarung zur Zahlung zivilrechtlich verpflichtet war".

3. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.] und § 128 Abs 1 S 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB [X.] § 160a [X.], 24, 36). Daran fehlt es.

Die Beklagte rügt, das [X.] sei "dem Beweisantrag" nicht nachgekommen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5.6.2018 habe sie beantragt, die Rechnung von [X.] vom 22.7.2014 auf ihre Richtigkeit - im Hinblick auf eine vermutete Doppelabrechnung der Bauchdeckenstraffung mit Faszienduplikatur und Nabelreposition - zu überprüfen. Das konkrete Wort "Beweisantrag" habe sie zwar nicht in das Protokoll aufnehmen lassen, dennoch ergebe sich aus der Darstellung des [X.], dass zur [X.] bestanden habe.

Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 [X.] stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des [X.] wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr, vgl zB [X.] vom 20.7.2010 - [X.] KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; [X.] vom 1.3.2011 - [X.] KR 112/10 B - Juris Rd[X.] mwN; [X.] vom 14.10.2016 - [X.] KR 59/16 B - Juris RdNr 5). Hierzu gehört die Darlegung, dass ein anwaltlich oder - wie hier - sonst rechtskundig vertretener Beteiligter im Verfahren formelle Beweisanträge gestellt hat, die er vor der abschließenden Entscheidung des [X.] bei den Schlussanträgen zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB [X.] vom 14.6.2005 - [X.] KR 38/04 B - Juris RdNr 5; [X.] vom 25.10.2017 - [X.] KR 18/17 B - Juris RdNr 7). Ist ein Prozessbeteiligter rechtskundig vertreten, gilt sein schriftsätzlich während des Verfahrens gestellter Beweisantrag nur dann als bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, wenn er als solcher zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wiederholt oder im Urteil des [X.] erwähnt wird (stRspr, vgl zB [X.] [X.]-1500 § 160 [X.] RdNr 11 mwN). Der Tatsacheninstanz soll dadurch nämlich vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl [X.] § 160 [X.]; [X.] vom 10.4.2006 - [X.] KR 47/05 B - Juris RdNr 9 mwN; [X.] vom [X.] - [X.] KR 111/12 B - RdNr 8).

Der erkennende Senat muss nicht entscheiden, ob die Beklagte den dargestellten Darlegungsanforderungen an das Stellen oder Aufrechterhalten eines förmlichen Beweisantrags, insbesondere etwa der genauen Angabe des [X.] mit ihrem Hinweis auf weiteren Aufklärungsbedarf zur [X.] genügt. Jedenfalls gibt die Beklagte nicht die Rechtsauffassung des [X.] wieder, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen. Sie geht auch nicht darauf ein, dass die inhaltliche Richtigkeit der Abrechnung nach der Rechtsauffassung des [X.] für den Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung nicht relevant war. Vielmehr legt sie lediglich ihre abweichende Ansicht dar und stellt Vermutungen über hypothetische Erwägungen des Berufungsgerichts an.

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]).

5. [X.] beruht auf § 193 [X.].

Meta

B 1 KR 66/18 B

11.10.2019

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG München, 1. September 2016, Az: S 3 KR 590/14, Urteil

§ 13 Abs 3a SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.10.2019, Az. B 1 KR 66/18 B (REWIS RS 2019, 2699)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2699

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