16. Kammer | REWIS RS 2016, 13308
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Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 16.06.2015, Az. 5 Ca 696/15 abgeändert:
Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an den Beklagten 2.930,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.09.2014 zu zahlen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Klägers, Ausbildungsvergütung, die er unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erlangt hat, im Wege der Insolvenzanfechtung an die Masse zurückzugewähren.
Der Kläger absolvierte in der Zeit vom 01. August 2008 bis zum 31. Januar 2012 bei der B GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) eine Ausbildung zum Metallbauer. Die monatliche Ausbildungsvergütung des Klägers betrug nach dem geschlossenen Berufsausbildungsvertrag im ersten Ausbildungsjahr 362,00 €, im zweiten, dritten und vierten Ausbildungsjahr entsprechend 401,20 €, 450,40 € und 495,20 €. Da die Ausbildungsvergütung während des bestehenden Ausbildungsverhältnisses nur unregelmäßig gezahlt worden war, machte der Kläger nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses restliche Vergütungsansprüche gegenüber der Insolvenzschuldnerin geltend. Der vor dem Arbeitsgericht Rheine geführte Rechtsstreit (Az. 1 Ca 206/12) endete mit einem am 19. Oktober 2012 geschlossenen Vergleich, der eine Zahlung der Insolvenzschuldnerin an den Kläger in Höhe von 2.800,00 €, zahlbar bis zum 15. November 2012, vorsah.
Da die Insolvenzschuldnerin bis zum 15. November 2012 nicht zahlte, erwirkte der Kläger unter dem 21. November 2012 ein vorläufiges Zahlungsverbot gemäß § 845 ZPO. Unter dem 03. Dezember 2012 beantragte der Kläger einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, welcher am 27. Dezember 2012 durch das Amtsgericht Tecklenburg erlassen wurde. Unter dem Druck des vorläufigen Zahlungsverbotes und des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erhielt der Kläger aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin am 21. Dezember 2012 eine Zahlung in Höhe von 2.814,39 € und am 28. Januar 2013 zwei weitere Zahlungen in Höhe von 108,20 € und in Höhe von 7,85 €.
Gut zwei Jahre zuvor, nämlich am 07. Oktober 2010 war beim Amtsgericht Münster ein Antrag der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eingegangen. Die Antragstellung erfolgte aufgrund rückständiger Sozialversicherungsbeiträge und Pauschalsteuern einschließlich Säumniszuschlägen und Gebühren für den Zeitraum vom 01. Oktober 2006 bis 30. September 2009 in Höhe von 7.370,92 €. Zuvor durchgeführte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen waren erfolglos geblieben.
Der Insolvenzschuldnerin wurde rechtliches Gehör zu dem Insolvenzantrag gewährt. In der Folgezeit wurde dann regelmäßig über die Höhe der Forderung der Knappschaft-Bahn-See diskutiert. Teilweise erfolgten durch die Insolvenzschuldnerin auch Zahlungen, die jedoch der titulierten Forderung nicht gänzlich entsprachen. Ende des Jahres 2011 betrug die Forderung nach den Ausführungen der Knappschaft-Bahn-See noch 4.760,63 €. Im Jahre 2012 wurde dann regelmäßig sowohl durch die Insolvenzschuldnerin als auch durch die Knappschaft-Bahn-See beim Insolvenzgericht nach dem Sachstand gefragt. Unter dem 08. Januar 2013 teilte die Knappschaft-Bahn-See dem Amtsgericht mit, dass sich die Forderung auf 5.003,64 € belaufe; man bat erneut um Mitteilung des Sachstandes. Weitere Sachstandsanfragen erfolgten in den Jahren 2013 und 2014.
Unter dem 30. April 2014, beim Amtsgericht Münster am 09. Mai 2014 eingegangen, stellte dann das Finanzamt wegen Steuerforderungen in Höhe von 5.226,58 € einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Einen weiteren Antrag stellte schließlich die Insolvenzschuldnerin am 12. August 2014.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 15. September 2014 (Az. 80 IN 26/14) wurde schließlich über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt. Die Eröffnung erfolgte nach dem Beschluss „aufgrund der am 09.05.2014 und am 07.10.2010 bei Gericht eingegangenen Gläubigeranträge sowie des am 12.08.2014 eingegangenen Antrags der Schuldnerin“.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2015 forderte der Beklagte den Kläger auf, den Betrag von 2.930,44 € nebst Zinsen bis zum 13. Februar 2015 auf das eingerichtete Insolvenzmassekonto zurück zu erstatten. Die Zahlungen seien nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 07. Oktober 2010 und unter dem Druck der durchgeführten Zwangsvollstreckung erfolgt; es liege daher eine inkongruente Deckung vor.
Mit seiner am 27. Februar 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger im Wege einer negativen Feststellungsklage die Feststellung begehrt, nicht verpflichtet zu sein, an den Beklagten 2.930,44 € zu zahlen. Nachdem der Beklagte Widerklage auf Zahlung des Betrages erhoben hat, hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, sein Rückforderungsanspruch ergebe sich aus §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO. Die Zahlungen vom 21. Dezember 2012 und vom 28. Januar 2013 seien zum einen nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Entscheidend sei hier der Antrag vom 07. Oktober 2010. Zum anderen seien die Zahlungen unter dem Druck des vorläufigen Zahlungsverbotes und des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erfolgt. Bereits hieraus ergebe sich die Inkongruenz. Die Insolvenzschuldnerin sei bereits im Jahre 2010 zahlungsunfähig gewesen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Knappschaft-Bahn-See sei die Schuldnerin bereits seit Monaten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr ordnungsgemäß nachgekommen. Dies zeige sich zum einen darin, dass bereits in den Jahren 2010 und 2011 mit Gerichtsvollziehern Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen wurden, und zum anderen auch darin, dass die Zwangsvollstreckung der Knappschaft-Bahn-See erfolglos blieb. Die Insolvenzschuldnerin habe bereits über Jahre hinweg an fehlender Liquidität gelitten. Zum 31.12.2006 habe sie ein negatives Eigenkapital ausgewiesen. Nur aufgrund eines Rangrücktritts des Gesellschafters habe eine Insolvenzantragspflicht vermieden werden können. Die Zahlungsunfähigkeit habe auch weiter fortbestanden. Während des gesamten Zeitraums zwischen der Antragstellung vom 07. Oktober 2010 bis zur Verfahrenseröffnung habe eine erhebliche Unterdeckung bestanden. Die Insolvenzschuldnerin sei nicht einmal in der Lage gewesen, die fälligen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen zu begleichen; dabei seien die Verbindlichkeiten gegenüber Sozialversicherungsträgern und Finanzamt sowie die Lohn- und Gehaltsansprüche der Mitarbeiter noch nicht berücksichtigt.
Der Beklagte hat beantragt,
den Kläger zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 2.930,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2014 zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dem Beklagten stehe kein Rückforderungsanspruch zu. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Vergleichsabschluss vom 19. Oktober 2012, der die Zahlungen zum 15. November 2012 fällig gestellt habe, sei hier entsprechend den Regeln über ein Bargeschäft jedenfalls keine einfache gesetzliche Wertung zu Lasten des Klägers nach § 131 Abs. 1 InsO geboten. Gegenstand der Forderung seien Ausbildungsvergütungsansprüche des Klägers gewesen, welche unter Berücksichtigung von Art. 12 Abs. 1 GG einen besonders schützenswerten Gegenstand darstellten, da diese auch das Existenzminimum des Klägers sichern sollten.
Mit Urteil vom 16. Juni 2015 hat das Arbeitsgericht die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Schutzzweck des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, welcher die Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger sichern solle, sei nicht tangiert, wenn die Insolvenzantragstellung zum einen knapp vier Jahre vor der tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei und zum anderen die Insolvenzschuldnerin sich in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet habe, dem Kläger sowieso zustehende Ausbildungsvergütung für die geleistete Arbeit zu zahlen. Der Kläger würde so unangemessen benachteiligt, dass es treuwidrig sei, sich im Jahre 2015 auf eine inkongruente Leistung zu berufen. Dies ergebe sich nicht nur aus der zeitlichen Komponente, nämlich dass die Insolvenzantragstellung vier Jahre vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt und die angefochtene Leistung zwei Jahre vor der Eröffnung, sondern auch aus dem besonderen Zweck der Leistung, nämlich die Zahlung einer Ausbildungsvergütung, welche der Höhe nach im unteren Bereich anzusiedeln sei und dem Kläger nicht einmal seine Existenz sichern konnte.
Gegen das ihm am 26. Juni 2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 01. Juli 2015 Berufung eingelegt und diese mit einem am 03. Juli 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens vertritt der Beklagte die Auffassung, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts könne und müsse auf den Insolvenzantrag vom 07. Oktober 2010 abgestellt werden. § 139 Abs. 2 InsO enthalte keine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht. Im Übrigen sei das Prozessgericht an den rechtskräftigen Beschluss über die Insolvenzeröffnung gebunden. Auf den Bargeschäftseinwand nach § 142 InsO könne sich der Kläger nicht berufen, da er zum einen bereits seit Januar 2012 nicht mehr für die Insolvenzschuldnerin tätig gewesen sei und zum anderen ein Fall der inkongruenten Deckung vorliege. Eine einschränkende Auslegung hinsichtlich der Frage des Existenzminimums scheide entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts in Fällen der hier vorliegenden inkongruenten Deckung unter dem Druck der Zwangsvollstreckung aus.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 16.06.2015 – Az. 5 Ca 696/15 – abzuändern und den Kläger widerklagend zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 2.930,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.09.2014 zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Der am 07. Oktober 2010 eingereichte Antrag der Knappschaft-Bahn-See sei zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses und der angefochtenen Zahlungen längst nicht weiter verfolgt worden. Nach der letzten inhaltlichen Äußerung Ende 2011 sei außer Sachstandsanfragen keinerlei Fortgang zu verzeichnen gewesen. Das Insolvenzgericht habe noch nicht einmal Verfügungen oder gar Mitteilungen an die Beteiligten verfasst. Nachdem dann im Jahre 2014 ein weiterer Insolvenzantrag gestellt wurde, sei der Insolvenzantrag aus dem Jahre 2010 lediglich der Einfachheit halber mit einbezogen worden. Im Übrigen habe das Existenzminimum anfechtungsfrei zu bleiben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
A) Die vom Beklagten erhobene Widerklage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Beklagte verlangt im Wege einer abschließenden Gesamtforderung die durch die drei Leistungen der Schuldnerin vom 21. Dezember 2012 und 28. Januar 2013 erlangten Beträge zurück. Es kommt nicht darauf an, wie sich die Beträge auf die einzelnen Vergütungsforderungen des Klägers, die Zinsen und die Vollstreckungskosten verteilen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03. Juli 2014 – 6 AZR 451/12 –, Rn. 10, juris)
B) Die Widerklage ist auch begründet.
I. Nach § 129 Abs. 1 InsO kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO Rechtshandlungen anfechten, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muss gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Anfechtbar ist gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.
§ 131 InsO regelt in Abgrenzung zu § 130 InsO Fälle der sogenannten inkongruenten Deckung. Eine inkongruente Deckung im Sinne des Anfechtungsrechts liegt nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts als auch des Bundesgerichtshofes bereits dann vor, wenn der Schuldner während der „kritischen Zeit“ der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag oder in der Zeit nach Stellung des Insolvenzantrags unter dem Druck unmittelbar drohender Zwangsvollstreckung leistet, um diese zu vermeiden. Unerheblich ist, ob die Zwangsvollstreckung im verfahrensrechtlichen Sinne schon begonnen hatte, als die Leistung des Schuldners erfolgte. Die Inkongruenz wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 6 AZR 466/12 -; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Mai 2011 - 6 AZR 736/09 - Rn. 12; Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Dezember 2003 - IX ZR 199/02 -). Ein die Inkongruenz begründender Druck einer unmittelbaren bevorstehenden Zwangsvollstreckung besteht allerdings noch nicht, wenn der Schuldner nach Zustellung eines Titels die titulierte Forderung erfüllt, ohne dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung zuvor eingeleitet oder angedroht hat (Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Januar 2011 - IX ZR 8/10 -).
II. Vorliegend hat die Schuldnerin die erste der angefochtenen Zahlungen am 21. Dezember 2012 erbracht, und damit erst nach Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbotes vom 21. November 2012 und kurz vor Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses am 27. Dezember 2012. Die Zahlung erfolgte damit offenkundig unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung. Die Schuldnerin musste aufgrund des vom Kläger erwirkten, vorläufigen Zahlungsverbots damit rechnen, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorstand, wenn sie die titulierte Forderung nicht erfüllte. Dies gilt umso mehr, als im Zahlungsverbot ausdrücklich darauf hingewiesen worden war, dass die Pfändung bevorstehe. Die weiteren Zahlungen erfolgte erst nachdem der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bereits erlassen war am 28.01.2013, und damit zu einem Zeitpunkt, in welchem die Zwangsvollstreckung im verfahrensrechtlichen Sinne bereits begonnen hatte. Damit liegen keine freiwilligen Zahlungen, sondern eine Zahlung unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie Zahlungen nach bereits begonnener Zwangsvollstreckung vor. Solche Zahlungen sind nicht insolvenzfest.
III. Sowohl die Zustellung der Vorpfändung und des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses als auch die darauf beruhenden Zahlungen sind vorliegend nach der Stellung des maßgeblichen Insolvenzantrags erfolgt.
Maßgeblich ist vorliegend der am 07. Oktober 2010 beim Amtsgericht Münster eingegangene Insolvenzantrag der Knappschaft – Bahn - See.
1. Sind mehrere Eröffnungsanträge gestellt worden, so ist nach § 139 Abs. 2 S. 1 InsO der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich, auch wenn das Verfahren auf Grund eines späteren Antrags eröffnet worden ist. Ein rechtskräftig abgewiesener Antrag wird nach § 139 Abs. 2 S. 2 InsO nur berücksichtigt, wenn er mangels Masse abgewiesen worden ist.
Der erste Antrag war vorliegend der Antrag der Knappschaft – Bahn - See vom 07. Oktober 2010. Dabei kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob der Antrag der Knappschaft Bahn See zum damaligen Zeitpunkt zulässig und begründet war oder ob mangels Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen der Insolvenzeröffnung nicht vorlagen. Der Antrag der Knappschaft – Bahn - See ist nicht abgewiesen worden. Vielmehr ist das Insolvenzverfahren ausweislich des Eröffnungsbeschlusses des Amtsgerichts Münster vom 15. September 2014 - 80 IN 26/14 - aufgrund der am 09.05.2014 und am 07.10.2010 bei Gericht eingegangenen Gläubigeranträge sowie eines am 12.08.2014 eingegangenen Antrags der Schuldnerin eröffnet worden. Wenn der tatsächlich zur Eröffnung führende Antrag - und dies trifft auch auf den am 07. Oktober 2010 eingegangenen Antrag zu - zugleich der früheste ist, ist dieser auch dann für das Anfechtungsverfahren maßgeblich, wenn er unzulässig oder unbegründet gewesen sein sollte. Das Prozessgericht ist nämlich an die rechtskräftige Entscheidung des Insolvenzgerichts gebunden. Der rechtskräftige Beschluss über die Insolvenzeröffnung ist vom Prozessgericht als gültig hinzunehmen; als in dem dafür vorgesehenen Verfahren ergangener hoheitlicher Akt kann dieser gegenüber jedermann Geltung beanspruchen, sofern die Entscheidung nicht ausnahmsweise an einem Mangel leidet, der zur Nichtigkeit führt. Da das Insolvenzgericht die Eröffnung hier - auch - auf den am 07. Oktober 2010 eingegangenen Antrag gestützt hat und Gründe für eine Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses nicht ersichtlich sind, scheidet mithin eine Überprüfung der Zulässigkeit und Begründetheit dieses Antrages im vorliegenden Anfechtungsrechtsstreit aus (vgl. OLG Köln, Urteil vom 31. August 2011 – I-2 U 20/11, 2 U 20/11 –, Rn. 8, juris; Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.02.2004 – IX ZR 135/03 -; MünchKomm/Kirchhof, InsO, 2. Aufl. 2008, § 139 Rn. 10; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl. 2010, § 139 Rn. 4).
2. Da maßgeblicher Insolvenzantrag für den vorliegenden Anfechtungsrechtsstreit demnach der Antrag vom 07. Oktober 2010 ist, hat der Kläger nach Stellung des Insolvenzantrages eine inkongruente Befriedung erhalten. Damit ist der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt.
Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass zwischen dem Insolvenzantrag vom 07. Oktober 2010 und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 15. September 2014 ein Zeitraum von knapp 4 Jahren liegt. Soweit das Arbeitsgericht die Ansicht vertreten hat, bei dieser Konstellation sei der Schutzzweck des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht tangiert, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen.
a) § 139 Abs. 2 InsO enthält nach seinem Wortlaut keine zeitlichen Grenzen und ist daher grundsätzlich zeitlich unbeschränkt anzuwenden. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser hat bereits zu § 30 Nr. 2 KO betont, dass es gleichgültig sei, innerhalb welcher Zeitspanne über den Konkursantrag entschieden und das Verfahren eröffnet werde. Dies gelte auch dann, wenn der Antragsteller ein Ruhen des Verfahrens bewirkt habe oder der Schuldner durch seinen später zurückgenommenen Antrag auf Eröffnung eines Vergleichsverfahrens die Entscheidung über die Eröffnung des Konkursverfahrens verzögert haben sollte (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. Juli 1984 - IX ZR 82/83 -). Diese zur Konkursordnung entwickelten Grundsätze hat der Bundesgerichtshof zutreffend auf die Fallgestaltungen des § 139 Abs. 2 InsO übertragen. Lediglich die Vorschrift des § 139 Abs. 2 S. 2 InsO ist einschränkend dahin ausgelegt worden, dass der erste Antrag nicht mehr maßgeblich sein kann, wenn nach Abweisung dieses Antrags mangels zureichender Masse der Insolvenzgrund behoben worden und später erneut eingetreten ist. Liegt demgegenüber eine einheitliche Insolvenz vor, ist die Vorschrift grundsätzlich zeitlich unbeschränkt anzuwenden (Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 15. November 2007 – IX ZR 212/06 -, Rn. 13, juris).
b) Vorliegend ist bereits aufgrund des rechtskräftigen und vom Prozessgericht im Rahmen des Anfechtungsverfahrens nicht überprüfbaren Eröffnungsbeschlusses des Amtsgerichts Münster vom 15. September 2014 von einer einheitlichen Insolvenz und einer (Mit-) Kausalität des Insolvenzantrages vom 07. Oktober 2010 für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auszugehen. Der Antrag der Knappschaft Bahn See vom 07. Oktober 2010 wurde gerade nicht abgewiesen, sondern hat neben den Anträgen vom 09. Mai 2014 und 12. August 2014 zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt. Daneben wird der hier gegebene Zeitraum von drei bis vier Jahren zwischen den Insolvenzanträgen eindeutig noch von der Vorschrift des § 139 Abs. 2 InsO erfasst (Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 15. November 2007 – IX ZR 212/06 –, Rn. 13, juris; Landgericht Berlin, Urteil vom 12.03.2010 – 4 O 356/09 -, das selbst einen Zeitraum von 10 Jahren für unschädlich hält).
IV. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen hat § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht. Auf die Frage, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses am 19. Oktober 2012 und der anschließenden Einleitung der Zwangsvollstreckung Hinweise auf eine bestehende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bzw. auf den bereits gestellten Insolvenzantrag vom 07. Oktober 2010 hatte, kommt es deshalb nicht an.
V. Ob die §§ 129 ff. InsO bei Rückforderung von Lohnzahlungen, bzw. wie vorliegend bei der Rückforderung von Ausbildungsvergütung verfassungskonform dahin auszulegen sind, dass das Existenzminimum nicht dem Zugriff des Insolvenzverwalters unterliegt, kann offenbleiben. Eine derartige Auslegung scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Fällen der inkongruenten Deckung erheblicher Entgeltrückstände aus (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12 - Rn. 43, juris; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Februar 2014 - 6 AZR 367/13 - Rn. 34, juris; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. März 2014 – 6 AZR 989/12 –, Rn. 43, juris). Zur Begründung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, ein Arbeitnehmer, dem das verdiente Entgelt vor Insolvenzeröffnung nicht mehr gezahlt wird, könne sein Existenzminimum durch staatliche Sozialleistungen bzw. das Insolvenzgeld decken, ohne dass dieses ihm rückwirkend wieder entzogen werden könne. Liegen erhebliche Entgeltrückstände vor, könne er außerordentlich kündigen und ohne Sperrfrist Arbeitslosengeld beziehen. Zudem sei das rückständige Entgelt für die letzten drei Monate vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses über das Insolvenzgeld, das er im Regelfall unproblematisch fristgerecht beantragen könne, gesichert. Ist das Arbeitsverhältnis vor dem Insolvenzereignis bereits beendet, sei für die Berechnung des Drei-Monats-Zeitraums allein die Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich. Wolle der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis (noch) nicht beenden, könne er bei Bedürftigkeit Sozialhilfe in Anspruch nehmen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 –,Rn. 43, juris).
Diese Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts sind im Ergebnis auch auf Ausbildungsverhältnisse zu übertragen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es einem Auszubildenden, zumal wenn er kurz vor Abschluss seiner Ausbildung steht, regelmäßig unzumutbar sein wird, sein Ausbildungsverhältnis aufgrund der ausbleibenden Vergütungszahlungen außerordentlich zu kündigen. Dadurch würde der Auszubildende den erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung und damit seinen ganzen weiteren beruflichen Werdegang gefährden. Der Druck, das Ausbildungsverhältnis trotz ausbleibender Vergütungszahlungen fortzusetzen, ist dadurch deutlich höher als in einem Arbeitsverhältnis. Eine Kündigung wird meist nur in Betracht kommen, wenn der Auszubildende einen anderen Ausbildungsbetrieb gefunden hat, in welchem er die begonnene Ausbildung zeitnah fortführen kann. Gleichwohl steht auch einem Auszubildenden zumindest die Möglichkeit offen, das Ausbildungsverhältnis (zunächst) fortzusetzen und bei Bedürftigkeit Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Offenbar ist es auch dem Kläger vorliegend gelungen, während des bestehenden Ausbildungsverhältnisses das Existenzminimum trotz der ausbleibenden Vergütungszahlungen zu sichern. Hierfür spricht zumindest, dass er seine Vergütungsansprüche nicht zeitnah, sondern erst nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses geltend gemacht und die entsprechenden Zahlungen erst knapp ein Jahr nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses erhalten hat.
VI. Die Frage, für welche Ausbildungszeiträume die Gegenleistungen vom 28. Dezember 2012 und 28. Januar 2013 erbracht wurden, kann auf sich beruhen.
1. Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO scheidet bereits deshalb aus, weil die Zahlungen nicht aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten, sondern unter dem Druck der Zwangsvollstreckung mit der Folge inkongruenter Befriedigung geleistet wurden (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 6 AZR 466/12 - Rn. 38 f).
2. Im Übrigen ist ein Bargeschäft nur anzunehmen, wenn der Schuldner aufgrund einer Vereinbarung mit dem Anfechtungsgegner im engen zeitlichen Zusammenhang mit seiner Leistung eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht grundsätzlich ein Bargeschäft anzunehmen, wenn der Arbeitgeber in der Krise Arbeitsentgelt für vom Arbeitnehmer in den vorhergehenden drei Monaten erbrachte Arbeitsleistungen zahlt (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Oktober 2011 - 6 AZR 262/10 -). Diese zeitliche Grenze ist vorliegend auf alle Fälle weit überschritten, da das Ausbildungsverhältnis des Klägers bereits am 31. Januar 2012 geendet hat, während die streitgegenständlichen Zahlungen erst im Dezember 2012 bzw. im Januar 2013 erfolgt sind.
VII. Der Zinsanspruch folgt aus § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Zinslauf beginnt allerdings nicht, wie beantragt und versehentlich auch tenoriert, bereits am Tag der Insolvenzeröffnung, sondern erst am Folgetag und damit am 16. September 2015. Die Verzinsungspflicht beginnt nach § 187 Abs. 1 BGB erst mit dem Folgetag der Fälligkeit (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. September 2013 - 9 AZR 9/12 -; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 –, Rn. 40, juris)
Die Kammer hat im Hinblick auf die entscheidungserheblichen Fragen, ob die Regelung des § 139 Abs. 2 InsO einer zeitlichen Grenze unterliegt und ob bei Ausbildungsverhältnissen anders als bei Arbeitsverhältnissen auch im Falle einer inkongruenten Deckung eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 129 ff InsO dahingehend, dass das Existenzminimum nicht dem Zugriff des Insolvenzverwalters liegt, in Betracht kommt, die Revision zugelassen.
Meta
08.04.2016
Landesarbeitsgericht Hamm 16. Kammer
Urteil
Sachgebiet: Sa
Zitiervorschlag: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 08.04.2016, Az. 16 Sa 944/15 (REWIS RS 2016, 13308)
Papierfundstellen: REWIS RS 2016, 13308
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
5 Ca 696/15 (Arbeitsgericht Rheine)
6 AZR 511/16 (Bundesarbeitsgericht)
Insolvenzanfechtung - Auszubildender - Existenzminimum
16 Sa 852/16 (Landesarbeitsgericht Hamm)
8 Ca 228/16 (Arbeitsgericht Dortmund)
27 U 46/03 (Oberlandesgericht Hamm)
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