Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2018, Az. 5 StR 517/18

5. Strafsenat | REWIS RS 2018, 563

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Gegenstand

Totschlag: Bedingter Tötungsvorsatz; Fehlen des Willenselements


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 12. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatablauf.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer [X.]stiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das vom [X.] vertreten wird, hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s zündete der Angeklagte im Januar 2018 gegen 20 Uhr in dem von ihm bewohnten Zimmer im ersten Obergeschoss einer Flüchtlingsunterkunft eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ anschließend das Haus. Er wusste, dass sich zu diesem Zeitpunkt mindestens zwei weitere der insgesamt neun Bewohner im Haus aufhielten, und „musste damit rechnen“, dass sich weitere Personen in dem von drei Flüchtlingen bewohnten Dachgeschoss befinden. Wie vom Angeklagten als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen, entwickelte sich - von den übrigen Bewohnern unbemerkt - das Feuer weiter. Zunächst brannte die Matratze. Schließlich griffen die Flammen auf Bettgestell und Schrank, Fußleisten und Teile der Decke über, die eigenständig brannten. Nach dem Zerbersten der Terrassentür schlugen Flammen an das Vordach. Die Rauchgase breiteten sich im gesamten Geschoss aus und beschädigten Türen, Möbel, Decken und Wände. Aufgrund der Schäden in Höhe von ca. 80.000 Euro ist das Haus bis heute unbewohnbar. Einer der Mitbewohner versuchte noch, das Feuer zu löschen, was aber aufgrund der starken Rauchentwicklung nicht gelang. Er und ein weiterer Bewohner erlitten Rauchgasvergiftungen.

3

2. Das [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte zwar die Inbrandsetzung des zu Wohnzwecken benutzten Hauses und die Zufügung der Rauchgasvergiftungen billigend in Kauf genommen habe. Einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat die [X.] hingegen verneint.

II.

4

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist überwiegend begründet.

5

1. Die Staatsanwaltschaft bemängelt zu Recht die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die dem zugrunde liegenden Erwägungen erweisen sich - auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen [X.] (vgl. nur [X.], Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183, 186 mwN) - als rechtfehlerhaft.

6

a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Handlungen liegt nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. [X.] aaO).

7

Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, etwa wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des [X.]) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements, vgl. [X.], Urteil vom 5. Dezember 2017 - 1 StR 416/17, [X.], 206 mwN). Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebensgefährdenden Tuns darf dabei aber nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern muss [X.] sein (vgl. MüKo-StGB/[X.], 3. Aufl., § 212 Rn. 70). Den Motiven des [X.] kommt - anders als bei direktem Vorsatz - bei der Abgrenzung bedingten Tötungsvorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit zudem nur unter bestimmten Umständen Gewicht zu (vgl. [X.] aaO Rn. 65 ff. mwN).

8

Soweit in der Rechtsprechung des [X.] im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (vgl. Nachweise bei [X.], Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, aaO, [X.]), erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes ([X.], aaO). Durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ soll hingegen die Wertung, dass offensichtlich lebensgefährdende Handlungen ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen sind, nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden (vgl. [X.], aaO, [X.]; [X.], Urteil vom 5. Dezember 2017 - 1 StR 416/17 aaO).

9

b) Diesen Maßstäben werden die Ausführungen der [X.] zur Ablehnung eines Tötungsvorsatzes nicht gerecht.

aa) Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit seines Tuns ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut habe. Der Angeklagte habe die Wolldecke um 20 Uhr und damit zu einer Zeit angezündet, zu der er noch nicht damit rechnen musste, dass die anwesenden beiden Zeugen schliefen. Zum anderen habe der Angeklagte lediglich ein Feuerzeug und keinen [X.]beschleuniger verwendet. Weil die konkrete Ausführung der Tat gegen eine hohe und offensichtliche Lebensgefährlichkeit spreche, müsse der Überwindung der Hemmschwelle bei der Tötung von Menschen ein höheres Gewicht zukommen. Gegen die Überwindung dieser Hemmschwelle sprächen insbesondere die Motive des Angeklagten, der sich zur Tatzeit in einer persönlichen Krise befunden habe (Missfallen der Wohnsituation, Belastung der Beziehung zur Mutter, Tod der Großmutter).

bb) Das begegnet durchgreifenden Bedenken.

Das [X.] lässt bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes schon außer Betracht, dass nicht nur das erste Ober-, sondern auch das Dachgeschoss von mehreren Personen bewohnt wurde (von denen tatsächlich auch eine anwesend war). Warum der Angeklagte nur „damit rechnen musste, dass sich weitere Personen auch im ausgebauten Dachgeschoss aufhalten“ ([X.]), wird in den Urteilsgründen weder belegt noch ausgeführt. Hat er aber damit gerechnet, dass sich dort Menschen befinden, so hätte das [X.] in die [X.] auch die vom Angeklagten erkannten und gebilligten Folgen für diese einbeziehen müssen. Hierzu bestand schon deshalb Anlass, weil nicht nur die Tür zur Wohnung des Angeklagten, sondern auch die Treppe zum Dachgeschoss - und damit ersichtlich der Fluchtweg der [X.] - aus Holz bestand und - bei weitergehendem [X.] - nicht nur Einrichtungsgegenstände, sondern auch Teile der Decke selbständig brannten.

Worauf das Vertrauen des Angeklagten basierte, seine ebenfalls im ersten Obergeschoss lebenden Mitbewohner würden zwar möglicherweise durch Rauchgase vergiftet, aber durch den [X.] nicht getötet, erschließt sich aus den Urteilsgründen zudem nicht hinreichend. Das einzige Indiz hierfür ist die Uhrzeit der [X.]legung, wobei den Urteilsgründen allerdings nicht ohne weiteres zu entnehmen ist, inwieweit die räumlichen und persönlichen Verhältnisse ein frühzeitiges gefahrminderndes Entdecken des [X.]es ermöglicht haben könnten (vgl. etwa zum Vertrauen in die Warnfunktion eines [X.]melders [X.], Urteil vom 11. Juni 2013 - 5 [X.], [X.], 277).

Dass der Angeklagte seine Wolldecke in leicht entflammbarer Umgebung in [X.] setzte und nicht zusätzlich noch einen [X.]beschleuniger verwendete, vermag - wie der [X.] zu Recht ausgeführt hat - ein solches Vertrauen nicht zu begründen. Zudem nimmt dieses Vorgehen der [X.]legung nicht die hohe Gefährlichkeit für das Leben der davon betroffenen Menschen; zu Recht hat deshalb auch das [X.] festgestellt - ohne allerdings § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu erörtern -, dass der Angeklagte durch sein Vorgehen konkret das Leben der im ersten Obergeschoss anwesenden Hausbewohner gefährdete. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Erwägung der Kammer, bei einem solchen Tatbild müsse der „höheren Hemmschwelle bei Tötungsdelikten“ entscheidendes Gewicht zukommen, gegen deren Überwindung die Motivlage des Angeklagten spreche, als nicht tragfähig.

2. Vom aufgezeigten Rechtsfehler betroffen sind die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); diejenigen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Insoweit bleibt der Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt.

3. Die Prüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben (§ 301 StPO).

Mutzbauer     

        

König     

        

[X.]

        

Mosbacher     

        

Köhler     

        

Meta

5 StR 517/18

12.12.2018

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Saarbrücken, 12. Juni 2018, Az: 3 Ks 1/18

§ 15 StGB, § 212 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2018, Az. 5 StR 517/18 (REWIS RS 2018, 563)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 563


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 5 StR 93/20

Bundesgerichtshof, 5 StR 93/20, 14.04.2020.


Az. 5 StR 517/18

Bundesgerichtshof, 5 StR 517/18, 12.12.2018.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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