Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.08.2012, Az. 4 StR 247/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3823

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Gegenstand

Maßregelanordnung der Sicherungsverwahrung: Verwertung getilgter Verurteilungen bei Erstellung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Betroffenen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31. Januar 2012 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen schweren Raubes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des [X.] Erfolg. Im Übrigen ist es aus den in der Zuschrift des [X.] angeführten Gründen offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Die auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3

1. Das [X.] hat seine Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. [X.]gestützt, der bei dem Angeklagten ein "unerhörtes" Risiko für erneute Gewalttätigkeiten gesehen hat. Der Sachverständige hat zur Überprüfung seiner Risikoprognose das Testverfahren [X.] ([X.]) angewendet und dabei im Zusammenhang mit der Bestimmung der Ausprägung der Variablen [X.] (Frühe Gewaltanwendung) und [X.] (Geringes Alter bei der ersten Gewalttat) auf einen Raubüberfall aus einer inzwischen getilgten Verurteilung zurückgegriffen. Darin liegt ein Verstoß gegen das auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung geltende Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 [X.] ([X.], Beschluss vom 27. Juni 2002 - 4 [X.], [X.], 332; Beschluss vom 4. Oktober 2000 - 2 StR 352/00, [X.], 479), weil die Berücksichtigung der früheren Tat zu einer für den Angeklagten ungünstigeren Bewertung der benannten Variablen geführt hat.

4

2. Entgegen der Auffassung des [X.]s kann die Verwertung des Raubüberfalls aus der getilgten Verurteilung nicht auf die Ausnahmeregelung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gestützt werden.

5

Nach dieser Vorschrift darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 [X.] berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist und die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines [X.] von Bedeutung sind. Dadurch soll vermieden werden, dass ein Sachverständiger, der ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstellen hat, zu falschen oder nicht belastbaren Aussagen gelangt, weil er bei der Persönlichkeitsanamnese auf bedeutsame Erkenntnisse verzichten muss, die nur aus den früheren Taten des Betroffenen und dem anschließenden Strafverfahren gewonnen werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 1973 - 2 [X.], NJW 1973, 815; BT-Drucks. VI/1550, S. 23; [X.]/Tolzmann, [X.], 4. Aufl. § 52 Rn. 8). § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.] hebt das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] daher nur für Erkenntnisse (einzelne Feststellungen, Gutachten, Befunde, etc.) aus der getilgten oder tilgungsreifen Verurteilung auf, deren Verwendung für eine tragfähige Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen im konkreten Einzelfall erforderlich ist ([X.]/Tolzmann, aaO; Hase, [X.], § 52 Rn. 3). Auch die Reichweite der [X.] ist an den Normzweck des § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gebunden. Eine zulässig bei der Beurteilung des [X.] berücksichtigte frühere Tat darf daher - obgleich sie mit der Anhörung des Sachverständigen gerichtsbekannt geworden ist - nicht auch an anderer Stelle zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Januar 1990 - 5 StR 568/89, [X.]R [X.] § 51 Verwertungsverbot 2; Beschluss vom 22. Februar 1973 - 2 [X.], NJW 1973, 815).

6

Letzteres ist hier geschehen. Im Testverfahren [X.] bezeichnen die Variablen [X.] und [X.] eigenständig zu gewichtende Prädiktoren, die sich auf die Anamnese beziehen (vgl. [X.], Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S. 110). Die ermittelten Punktwerte fließen unmittelbar in das Gesamtergebnis ein, aus dem sich die Gefährlichkeitsprognose ableitet. Die Bewertung dieser Variablen dient daher nicht dem Zweck, den Geisteszustand des Betroffenen aufzuklären. Da das Testergebnis über die Vernehmung des Sachverständigen in die Risikobeurteilung des [X.]s eingegangen ist, kann der Senat trotz den Ausführungen auf Seite 107 des Urteils nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die [X.] auf diesem Rechtsfehler beruht, zumal das Schwurgewicht dem Sachverständigen die Verfahrensakten und das Bewährungsheft zu der getilgten Vorstrafe "im Hinblick auf die Regelung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.]" zur Verfügung gestellt ([X.]) und es im Urteil nicht zu erkennen gegeben hat, ob es selbst die Gefährlichkeitsprognose auch auf die getilgte Vorstrafe stützt.

7

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.] bei der Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch dann Anwendung findet, wenn der nach § 246a Satz 1 StPO zu vernehmende Sachverständige die getilgte Vorstrafe bei der Frage berücksichtigt hat, ob der Betroffene an einer prognoserelevanten psychischen Erkrankung leidet oder eine entsprechende Persönlichkeitsstörung aufweist. Für die Erörterung von Persönlichkeitsmerkmalen, die einen Hang begründen können, hat der Senat diese Möglichkeit in Erwägung gezogen ([X.], Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 569/04, [X.], 397, 398; enger: Beschluss vom 24. Juni 2010 - 3 StR 69/10).

Mutzbauer                         Roggenbuck                          Franke

                     Quentin                                [X.]

Meta

4 StR 247/12

21.08.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kaiserslautern, 31. Januar 2012, Az: 6035 Js 11449/11 - 4 Ks

§ 51 Abs 1 BZRG, § 52 Abs 1 Nr 2 BZRG, § 66 Abs 3 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.08.2012, Az. 4 StR 247/12 (REWIS RS 2012, 3823)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3823

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