Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.05.2014, Az. 1 StR 90/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5435

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Gegenstand

Verminderte Schuldfähigkeit: Erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit infolge Betäubungsmittelabhängigkeit


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 11. November 2013 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 3 Fällen und des Erwerbs von Betäubungsmitteln in 40 Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat keinen Erfolg.

I.

2

1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt:

3

Der bislang unbestrafte Angeklagte arbeitete bis wenige Monate vor seiner im Juni 2013 erfolgten Inhaftierung als Fahrer für verschiedene Firmen. [X.] fing er an, unregelmäßig kleinere Mengen (0,2 Gramm) Heroin zu rauchen, wobei er den [X.] auch wochenweise einstellte. Ab [X.] 2012 kam es zu einer Steigerung des Heroinkonsums. Der Angeklagte rauchte etwa bis März 2013 täglich bis zu ein Gramm Heroin. Aus Angst um seine Gesundheit führte er im Frühjahr 2013 einen [X.] mit Subutex durch. In der Folgezeit rauchte er wieder unregelmäßig kleinere Mengen Heroin. Körperliche Entzugserscheinungen hatte er nach seiner Inhaftierung nicht.

4

Im Februar, Mai und Juni 2013 fuhr der Angeklagte den früheren Mitangeklagten [X.], der über keine Fahrerlaubnis verfügte, nach [X.], wo [X.]     jeweils 100 Gramm Heroin (Wirkstoffgehalt mindestens 16 Prozent) kaufte, um dieses gewinnbringend weiter zu verkaufen. Der Angeklagte, der um den Zweck der Fahrten wusste, erhielt als Belohnung für jede Fahrt entweder 200 Euro Bargeld oder fünf Gramm Heroin zum Eigenkonsum. Im Zeitraum Anfang August 2012 bis Ende Mai 2013 kaufte der Angeklagte mindestens einmal wöchentlich jeweils mindestens ein Gramm Heroingemisch (Wirkstoffgehalt mindestens zehn Prozent) für jeweils 50 Euro zum Eigenkonsum.

5

2. Das [X.] hat dieses Verhalten als drei Taten der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und als 40 Taten des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln gewertet. Die drei [X.] hat es unter Verbrauch des vertypten [X.] jeweils als minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG gewertet und auf [X.] zwischen einem Jahr und zehn Monaten und zwei Jahren erkannt; bei den 40 Erwerbstaten hat es den Strafrahmen § 29 Abs. 1 BtMG entnommen und [X.] von jeweils sechs Monaten verhängt.

6

3. Sachverständig beraten hat die Kammer geprüft, ob der Angeklagte nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Mit dem Sachverständigen ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Angeklagten zwar ein Hang im Sinne von § 64 StGB vorliegt, seine Taten auf diesen Hang zurückgehen und ohne ausreichende Suchtbehandlung weitere ähnliche Taten vom Angeklagten zu erwarten sind. Allerdings hat die Kammer, dem Sachverständigen folgend, die Erfolgsaussichten einer Therapie verneint, weil der Angeklagte jede Therapie kategorisch ablehne und die notwendige [X.] auch im Maßregelvollzug nicht geweckt werden könne.

II.

7

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des geständigen Angeklagten. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

8

1. Die Strafzumessung des [X.]s hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Sie weist insbesondere keine Erörterungsmängel oder Lücken auf. Das [X.] hat zwar nicht ausdrücklich erörtert, ob bei den einzelnen Taten des Angeklagten die Voraussetzungen des vertypten fakultativen Strafmilderungsgrundes einer verminderten Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB vorliegen. Dies erweist sich jedoch nicht als rechtsfehlerhaft.

9

a) Ein sachlich-rechtlicher Erörterungsmangel liegt vor, wenn nach den Urteilsfeststellungen und den dort geschilderten Umständen des Einzelfalls ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines rechtlich beachtlichen Umstands bestehen, so dass sich dessen Erörterung aufdrängt, dies jedoch unterblieben ist (vgl. [X.], Beschluss vom 11. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 342, 344).

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] begründet die Abhängigkeit von Drogen für sich gesehen keine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (vgl. [X.], Beschluss vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, [X.], 519). Deshalb liegt regelmäßig kein Erörterungsmangel vor, wenn bei Straftaten von Drogenabhängigen die Voraussetzungen von § 21 StGB nicht erörtert werden.

Eine rechtlich erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa wenn langjähriger Betäubungsmittelmissbrauch zu schwersten Persönlichkeitsänderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, oder unter Umständen, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rauschs verübt (vgl. [X.], aaO mwN). In Ausnahmefällen kann auch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen, die der Angeklagte schon einmal als äußerst unangenehm („intensivst" oder „grausamst") erlitten hat, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit führen ([X.], Urteil vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, [X.], 53, 54 f. Rn. 27, 36 mwN; [X.], Urteil vom 20. August 2013 - 5 StR 36/13, [X.], 346, 347). Nur wenn solche besonderen Umstände vorliegen, drängt sich die Erörterung der Voraussetzungen von § 21 StGB auf, so dass ein Erörterungsmangel vorliegen kann, wenn solche Erwägungen unterbleiben.

b) Derartige besondere Umstände enthalten die Urteilsfeststellungen nicht. Der Angeklagte ist bislang nicht straffällig geworden und hat bis wenige Monate vor seiner Verhaftung regelmäßig gearbeitet.

Bei der Prüfung der Voraussetzungen von § 64 StGB legt die Kammer zwar dar, dass der Angeklagte gegenüber dem Sachverständigen geäußert hat, er habe im Tatzeitraum „Entzugserscheinungen in Form von ausgeprägten Gelenkschmerzen verspürt", wenn ihm kein Heroin zur Verfügung gestanden habe, und er habe deshalb regelmäßig weiterkonsumiert. Daraus und aus der [X.]häufigkeit folgert der Sachverständige (und mit ihm das [X.]), beim Angeklagten sei eine „beginnend eingeschränkte Kontrollfähigkeit hinsichtlich des Opiatkonsums", ein „Opiatabhängigkeitssyndrom", mithin ein Hang im Sinne von § 64 StGB festzustellen.

Damit belegen die Urteilsfeststellungen jedoch nur die Voraussetzungen einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten, die sich bei Opiaten - wie im vorliegenden Fall - typischerweise gerade wegen der Vermeidung als unangenehm erlebter Entzugserscheinungen entwickelt. Über die genannten Folgen der Betäubungsmittelabhängigkeit hinaus schildert das Urteil keine als „grausamst" oder „intensivst" zuvor erlebten und deshalb bei Tatbegehung akut befürchteten Entzugserscheinungen. Weil die Abhängigkeit von Heroin nicht per se zur Einschränkung der Steuerungsfähigkeit hinsichtlich des Erwerbs von Heroinmengen zum Eigenverbrauch führt (vgl. [X.], Urteil vom 17. Mai 1989 -2 [X.], [X.]R StGB § 21 BtM-Auswirkungen 6; vgl. auch [X.], Urteil vom 10. September 2003 - 1 [X.], [X.]R StGB § 21 BtM-Auswirkungen 14), bedurfte es deshalb keiner Erörterung der Frage, ob die Voraussetzungen von § 21 StGB vorliegen.

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht zu beanstanden, dass das [X.] den Angeklagten nicht in einer Entziehungsanstalt untergebracht hat. Das [X.] hat den rechtlichen Maßstab der Anwendung von § 64 StGB zutreffend erkannt und ist sachverständig beraten auf tragfähiger Grundlage zu der Überzeugung gelangt, dass eine Therapie aufgrund der kategorischen Weigerung des Angeklagten, sich therapieren zu lassen, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Dabei hat die Kammer unter Einbeziehung der durch den Sachverständigen vermittelten Erkenntnisse auch hinreichend dargelegt, dass aufgrund der verfestigten Einstellung des Angeklagten im Maßregelvollzug seine [X.] nicht geweckt werden kann. Soweit der [X.] die Erfolgsaussichten einer Therapie unter Hinweis auf Ausführungen im schriftlichen Sachverständigengutachten anders einschätzt als das Gericht, kann er mit diesem urteilsfremden Vorbringen im Rahmen der Sachrüge nicht gehört werden.

3. Die vom [X.] beantragte Ergänzung und Präzisierung des Schuldspruchs durch Einfügung der Worte „vorsätzlich" und „unerlaubt" hält der [X.] nicht für geboten. Weil nach § 15 StGB zunächst nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, fahrlässiges lediglich dann, wenn es ausdrücklich mit Strafe bedroht ist, muss der Zusatz vorsätzlicher Tatbegehung hier nicht in die Urteilsformel aufgenommen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Juli 1992 - 3 StR 61/92, [X.], 546; Beschluss vom 3. Mai 2002 - 2 [X.]). Dass es sich bei Straftaten nach dem BtMG um einen „unerlaubten" Umgang mit Betäubungsmitteln handelt, versteht sich von selbst und bedarf deshalb nicht der Tenorierung, auch wenn eine solche üblich und unschädlich ist.

Raum                     [X.]                              Graf

              [X.]                          [X.]

Meta

1 StR 90/14

20.05.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mosbach, 11. November 2013, Az: 1 KLs 13 Js 7494/13

§ 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG, § 29a Abs 2 BtMG, § 21 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.05.2014, Az. 1 StR 90/14 (REWIS RS 2014, 5435)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5435

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