Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2011, Az. XII ZB 445/10

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4542

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Gegenstand

Betreuungsverfahren: Fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung als Zulassung der Rechtsbeschwerde


Leitsatz

Eine Rechtmittelbelehrung, die fälschlicherweise darauf hinweist, dass gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde stattfinde, stellt keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 12. August 2010 wird verworfen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die [X.]etroffene und der [X.]eteiligte zu 1 wenden sich gegen die [X.]estellung eines Ergänzungsbetreuers sowie gegen die Anordnung, dass die Prüfung der von dem [X.]eteiligten zu 1 erfolgten Rechnungslegung einem Sachverständigen übertragen worden ist.

2

Durch [X.]eschluss vom 1. August 2008 wurde für die [X.]etroffene eine [X.]etreuung angeordnet und der [X.]eteiligte zu 1 zum [X.]etreuer bestellt. Als Aufgabenkreis wurden Gesundheits- und Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Rechts-, Antrags- und [X.]ehördenangelegenheiten bestimmt. Über eine Aufhebung oder Verlängerung der [X.]etreuung sollte bis zum 1. August 2010 entschieden werden.

3

Durch [X.]eschluss vom 2. Oktober 2009 wurde der [X.]eteiligte zu 2, Rechtsanwalt [X.], zum Gegenbetreuer für den Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt. Mit [X.]eschluss vom 30. März 2010, ergänzt durch [X.]eschluss vom 15. April 2010, wurde er außerdem zum Ergänzungsbetreuer bestellt. Sein Aufgabenkreis umfasst insoweit die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte der [X.]etroffenen in [X.]ezug auf die [X.] Zur [X.]egründung wurde ausgeführt, die Anordnung sei erforderlich, weil der [X.]eteiligte zu 1 aufgrund der [X.]estellung seiner Ehefrau als Geschäftsführerin an der Vertretung der [X.]etroffenen gehindert sei. Durch [X.]eschluss vom 12. Juli 2010 wurde die Prüfung der von dem [X.]eteiligten zu 1 eingereichten Rechnungslegung für den Zeitraum vom 17. Juli 2008 bis zum 16. Juli 2009 einem Sachverständigen übertragen.

4

Gegen die Entscheidungen vom 30. März 2010 und vom 12. Juli 2010 haben die [X.]etroffene und der [X.]eteiligte zu 1 [X.]eschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat den [X.]eschwerden nicht abgeholfen und die Sache dem [X.] zur Entscheidung vorgelegt. Das [X.] hat die [X.]eschwerden aus den Gründen der Nichtabhilfeentscheidungen zurückgewiesen. Der [X.]eschluss enthält am Ende eine - kleiner gedruckte und als solche bezeichnete - Rechtsmittelbelehrung, nach deren erstem Satz gegen die Entscheidung das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum [X.] stattfindet. Die [X.]etroffene und der [X.]eteiligte zu 1 haben Rechtsbeschwerde eingelegt; sie erstreben die Aufhebung der ergangenen Entscheidungen.

II.

5

Die Rechtsbeschwerden sind unzulässig, da sie gemäß § 70 FamFG i.V.m. Art. 111 Abs. 1 [X.] unstatthaft sind.

6

Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde eines [X.]eteiligten statthaft, wenn sie das Rechtsbeschwerdegericht oder das [X.] im ersten Rechtszug in dem [X.]eschluss zugelassen hat. Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen einen [X.]eschluss des [X.] auch ohne Zulassung unter anderem in [X.] zur [X.]estellung eines [X.]etreuers sowie zur Aufhebung einer [X.]etreuung statthaft.

7

1. Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht vor.

8

a) Die Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG, die eine Rechtsbeschwerde auch ohne Zulassung erlaubt, knüpft an die gleichlautende Definition des [X.]egriffs der [X.] in § 271 Nr. 1 und 2 FamFG an. Die dort genannten [X.] sind von besonderer [X.]edeutung, weil durch sie regelmäßig in gravierendem Maße in höchstpersönliche Rechte der [X.]eteiligten eingegriffen wird. Dies wollte der Gesetzgeber mit der Differenzierung in § 271 FamFG deutlich machen. Da er mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG gerade für [X.] mit besonders hoher Eingriffsintensität in höchstpersönliche Rechte der [X.]eteiligten einen zulassungsfreien Zugang zum [X.] schaffen wollte, folgt aus der Verknüpfung der beiden Vorschriften, dass eine Rechtsbeschwerde ohne Zulassung durch das Rechtsbeschwerdegericht in allen Verfahren statthaft ist, die von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfasst werden (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011 - [X.] 364/10 - FamRZ 2011, 632 Rn. 7 und vom 15. September 2010 - [X.] 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 8).

9

[X.] zur [X.]estellung eines [X.]etreuers im Sinne der §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG sind Verfahren nach § 1896 [X.]G[X.]. Dabei kann es sich sowohl um ein Erstverfahren als auch um ein [X.] handeln, für das § 295 Abs. 1 FamFG eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme bestimmt. Die besonders hohe Eingriffsintensität ergibt sich bei diesen Verfahren daraus, dass mit der [X.]estellung des [X.]etreuers zugleich die Anordnung der [X.]etreuung selbst einhergeht. Denn § 1896 [X.]G[X.] unterscheidet nicht zwischen Anordnung der [X.]etreuung einerseits und [X.]estellung eines [X.]etreuers andererseits; vielmehr ist eine Einheitsentscheidung zu treffen (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011 - [X.] 364/10 - FamRZ 2011, 632 Rn. 8 und vom 15. September 2010 - [X.] 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 10).

Demgegenüber liegt nach der Rechtsprechung des Senats kein Anwendungsfall der §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG vor, wenn - wie hier mit [X.]eschluss vom 30. März 2010 geschehen – isoliert die [X.]estellung eines Ergänzungsbetreuers gemäß §§ 1899 Abs. 4, 1908 i, 1795 Abs. 1, 1796 [X.]G[X.] angeordnet worden ist (Senatsbeschluss vom 25. Mai 2011  [X.] 283/10 - zur Veröffentlichung bestimmt). Deshalb findet die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gegen einen [X.]eschluss des [X.] in solchen Verfahren nicht statt.

b) Auch bei der mit [X.]eschluss vom 12. Juli 2010 angeordneten Prüfung der Rechnungslegung durch einen Sachverständigen handelt es sich nicht um ein Verfahren nach § 1896 [X.]G[X.] und damit nicht um eine [X.]etreuungssache zur [X.]estellung eines [X.]etreuers. Davon geht auch die Rechtsbeschwerde aus.

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das [X.] die Rechtsbeschwerde auch nicht zugelassen.

a) Die Rechtsbeschwerde macht geltend: Die [X.], die die [X.]eschwerdeentscheidung erlassen hätten, hätten die Rechtsmittelbelehrung unterschrieben, die zum Inhalt habe, dass gegen den vom [X.]eschwerdegericht erlassenen [X.]eschluss das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum [X.] stattfindet. Die [X.]elehrung sei nicht auf die Entscheidung über die [X.]estellung eines Ergänzungspflegers beschränkt worden. Da bezüglich des [X.]eschlusses über die Prüfung der Rechnungslegung eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht eröffnet sei, liege in der Rechtsmittelbelehrung insofern die konkludente Zulassung der Rechtsbeschwerde.

b) Damit vermag die Rechtsbeschwerde nicht durchzudringen.

aa) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde hat nach § 70 Abs. 1 FamFG in dem [X.]eschluss zu erfolgen, mit dem das [X.]eschwerdegericht über die [X.]eschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung oder das [X.] in erster Instanz entschieden hat. Dabei kann die Zulassung in der Entscheidungsformel oder in den Gründen ausgesprochen werden ([X.]/[X.] FamFG 16. Aufl. § 70 Rn. 36; [X.]/[X.] 3. Aufl. § 543 Rn. 29 f.). [X.] hat die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung (hier: des § 70 Abs. 2 FamFG) erfüllt sind, sowie eine Entschließung über die Zulassung.

bb) Eine unzutreffend erteilte Rechtsmittelbelehrung kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht ersetzen. Sie dient nicht der Ergänzung oder Interpretation der Entscheidung, sondern allein der Information der [X.]eteiligten über bestehende Rechtsmittel (vgl. § 39 FamFG). Durch eine insofern unrichtige Angabe wird deshalb ein unstatthaftes Rechtsmittel nicht statthaft ([X.] [X.]eschluss vom 21. Februar 2007 - [X.]([X.]) 86/06 - NJW-RR 2007, 1071 Rn. 9; [X.]AGE 102, 213, 218). In der Rechtsprechung der [X.]e ([X.] 2009, 114, 115; [X.] FamRZ 2010, 908 f.; OLG Schleswig FamRZ 2008, 75, 76; [X.] [X.] 2005, 205, 206; [X.] FamRZ 2000, 302; [X.]ayObLG [X.]ayObLGZ 2000, 318 - juris Rn. 9 ff. und [X.], 70 f.) sowie im Schrifttum ([X.]/[X.] aaO § 70 Rn. 39; [X.]/[X.] aaO § 39 FamFG Rn. 10; [X.]/[X.]/[X.] FamFG § 39 Rn. 5; [X.] in [X.]eckOK FamFG § 39 Rn. 26) wird das, soweit ersichtlich, nicht anders beurteilt. Dabei gilt diese [X.]ewertung auch dann, wenn die Rechtsmittelbelehrung als [X.]estandteil des [X.]eschlusses durch die Unterschriften der erkennenden [X.] gedeckt ist ([X.] 2009, 114, 115; [X.]ayObLG [X.]ayObLGZ 2000, 318 - juris Rn. 10). Hierdurch ändert sich der Charakter als bloße [X.]elehrung über das für statthaft gehaltene Rechtsmittel nicht. Eine Willensentschließung im Sinne einer Zulassungsentscheidung kann daraus nicht entnommen werden.

c) Danach ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das [X.] die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat. In der Entscheidungsformel ist dies nicht erfolgt; gesonderte Gründe weist der angefochtene [X.]eschluss nicht auf. Die Rechtsmittelbelehrung ist durch eine kleinere Schrift erkennbar von dem übrigen Text abgesetzt. [X.]ei ihr handelt es sich nicht um die gesetzlich vorgesehene Einzelfallentscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde, sondern - entsprechend der Überschrift "Rechtsmittelbelehrung" - um Angaben zu der nach Auffassung des [X.]s bestehenden Rechtsmittelmöglichkeit. Enthalten aber weder Tenor noch Gründe einen Hinweis auf die Zulassung der Rechtsbeschwerde, ist diese nicht zugelassen worden ([X.]/[X.] aaO § 543 Rn. 31 mwN; Musielak/[X.]all ZPO 8. Aufl. § 543 Rn. 14).

Hahne                                           [X.]Klinkhammer

                     Schilling                                                     Nedden-[X.]oeger

Meta

XII ZB 445/10

20.07.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hannover, 12. August 2010, Az: 2 T 61/10, Beschluss

§ 70 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2011, Az. XII ZB 445/10 (REWIS RS 2011, 4542)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4542

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