Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2012, Az. VI ZR 108/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 7283

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]
Verkündet am:

17. April 2012

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
[X.] § 199
a)
Im Deliktsrecht ist für den Beginn der Verjährungsfrist bei den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger auf die Kenntnis oder grob fahrlässige [X.] der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen [X.] abzustellen.
b)
Eine dem Sozialversicherungsträger zuzurechnende grob fahrlässige [X.] kann vorliegen, wenn die für den Regress zuständige Organisati-onseinheit ohne weiteres hätte erkennen können, dass ein Regress [X.] sein kann. Sie kommt ferner in Betracht, wenn diese [X.] nicht in geeigneter Weise behördenintern sicherstellt, dass sie frühzeitig von Umständen Kenntnis erhält, die einen Regress begründen können.
c)
Bei der Frage, ob eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im vorge-nannten Sinn gegeben ist, sind die Grundsätze der sekundären Darlegungs-last anwendbar.
[X.], Urteil vom 17. April 2012 -
VI [X.] -
[X.]

[X.]

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2012 durch den Vorsitzenden [X.], die [X.] Zoll und [X.], die [X.]in [X.] und den [X.] Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des [X.] vom 28.
Februar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung auf sie nach §§
116, 119 [X.] übergegangene Schadensersatzansprüche ihres Versicherten aus einem Verkehrsunfall vom 23.
Oktober 1987 geltend, für den der Beklagte allein haftet.
Bei dem
Unfall wurde der Versicherte der Klägerin schwer verletzt. Mitte 1997 wurde deren Leistungsabteilung aufgrund eines von ihm gestellten [X.] auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem Unfall befasst. 1
2
-

3

-

Einen weiteren ([X.] hatte der Versicherte 1994 erlitten. Hinsichtlich dieses Unfalls erfolgte eine Abgabe an das für den Regress zuständige Rechts-referat der Klägerin, nicht jedoch hinsichtlich des im Streitfall relevanten Unfalls. In dem entsprechenden Antrag und in einem weiteren Antrag auf Feststellung von Berufs-
bzw. Erwerbsunfähigkeit wurde aufgrund entsprechender Fragen auf die Unfälle hingewiesen. Von der den Antrag aufnehmenden Gemeinde wurde dem Rentenantrag kein Unfallermittlungsbogen bezüglich des [X.] beigefügt. Einen solchen hat die Klägerin auch nicht angefordert. Auch in nachfolgenden
Schreiben im Rahmen der Rentenverfahren erfolgten Hinweise auf die vorangegangenen Unfälle. Das [X.] der Klägerin wurde über den Unfall vom Jahre 1987 erst
im Februar 2009 informiert, ob-gleich die Klägerin seit 1984 [X.] erlassen hatte, nach denen
die Unterlagen dem [X.] zuzuleiten seien, wenn sich aus einem Renten-antrag, Gutachten oder anderen Vorgängen ergebe, dass ein Anspruchsüber-gang nach §
116 oder §
119 [X.] möglich sei.
Die Klägerin verlangt Ersatz der für ihren Versicherten erbrachten Leis-tungen sowie Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich übergegangener Ansprü-che. Das [X.] hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die dage-gen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewie-sen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
3
-

4

-

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des [X.]
([X.], [X.], 225) sind auf die Klägerin nach §
116 Abs.
1, §
119 [X.] übergegangene Scha-densersatzansprüche wegen erbrachter oder zu erbringender Sozialleistungen infolge des Unfalls aus dem Jahre 1987 spätestens Ende des Jahres 2008 ge-mäß §§
195, 199 Abs.
1 [X.] verjährt.
Eine Verjährung sei nicht bereits nach §
852 [X.] a.F.
vor Inkrafttreten der neuen Verjährungsvorschriften in der seit dem 1.
Januar 2002 geltenden Fassung eingetreten. Nach der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift sei es bei Behörden darauf angekommen, wann der für Regressansprüche zuständige Bedienstete Kenntnis erlangt habe. Dass ein Mitarbeiter der Regressabteilung vor diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Unfall aus dem Jahre 1987 gehabt
oder ein der Kenntnis gleichgestelltes missbräuchliches Sichverschließen vorgelegen habe, sei nicht feststellbar gewesen.
Die Verjährung sei aber nach §
199 Abs.
1 Nr.
2 [X.] n.F.
spätestens Ende 2008 eingetreten. Zwar habe der zuständige Sachbearbeiter der Re-gressabteilung, auf dessen positive Kenntnis es auch nach neuer Rechtslage ankomme, eine solche erst im Jahre 2009 erlangt. Der Klägerin sei aber grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen vorzuwerfen. Die Sachbearbeiter der Leistungsabteilung hätten bereits 1997 Kenntnis davon gehabt, dass der Versicherte 1987
wegen überhöhter Geschwindigkeit
einen Unfall als Beifahrer des Beklagten
erlitten habe. Auch in den Folgejahren seien die Sachbearbeiter der Leistungsabteilung auf den Umstand eines Unfalls mit Fremdverschulden
immer wieder aufmerksam gemacht worden. Sie hätten die Pflicht gehabt, dies an die [X.]. Die grob fahrläs-4
5
6
-

5

-

sige Nichtweiterleitung des in ihrer Leistungsabteilung vorhandenen Wissens an die Regressabteilung sei der Klägerin zuzurechnen. Bei der Alternative der grob fahrlässigen Unkenntnis sei nicht allein auf die Regressabteilung
abzustellen, der ein solcher Vorwurf nicht gemacht werden könne, sondern auch auf verjäh-rungsrelevantes Wissen anderer behördeninterner Stellen. Zu den Dienstpflich-ten der Mitarbeiter der Leistungsabteilung habe auch die Weiterleitung von In-formationen zu möglichen Ersatzansprüchen gegen Dritte an die Regressabtei-lung
gehört. Diese Weiterleitung habe trotz der in regelmäßigen Abständen wiederholten [X.] nicht funktioniert, so dass es zu einer Weiterlei-tung der Informationen erst im Jahre 2009 gekommen sei. Dies sei in Anwen-dung des Rechtsgedankens des §
166 Abs.
1 [X.] der Klägerin anzulasten.

II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
[X.] der Auffassung des [X.] kann nach den bisherigen [X.] nicht davon ausgegangen werden, dass
die geltend gemachten Ansprü-che nach
§§
195,
199 Abs.
1 Nr.
2 Fall 2 [X.] verjährt
sind.
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des [X.], dass die im Jahr 1987 entstandenen und auf die Klägerin nach §
116 Abs.
1, §
119 [X.] übergegangenen Schadensersatzansprüche ihres Versicherten, jedenfalls so-weit es das Stammrecht betrifft, beim Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts am 1. Januar 2002 noch nicht verjährt waren. Die Verjährung deliktischer
An-sprüche hatte nach den Feststellungen des [X.] mangels positi-ver Kenntnis der Klägerin im Sinne von §
852 [X.] a.F.
noch nicht begonnen. Da Schadensersatzansprüche, soweit sie kongruente Leistungen des
Sozial-versicherungsträgers
umfassen, bereits im Augenblick ihrer Entstehung mit 7
8
-

6

-

dem Schadensereignis auf die Klägerin übergegangen sind, ist auf deren Kenntnis abzustellen (Senatsurteile
vom 25.
Juni 1996 -
VI
ZR 117/95, [X.]Z 133, 129, 138; vom 2.
Dezember 2003 -
VI
ZR 243/02, [X.], 492, 493; vom 18.
Dezember 2007 -
VI
ZR 278/06, [X.], 513 Rn.
9; [X.], Urteile vom 9.
März 2000 -
III
ZR 198/99, [X.], 1277, 1278; vom 20.
Oktober 2011 -
III
ZR 252/10, NJW 2012, 447 Rn.
12).
2. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Verjährung des [X.] nach dem seit dem 1. Januar 2002 geltenden Verjährungsrecht nicht bejaht werden.
Gemäß Art.
229 §
6 Abs.
1 Satz 1,
Abs.
4 Satz
1 EG[X.] gilt seit dem vorgenannten Zeitpunkt für bis dahin nicht verjährte Schadensersatzansprüche die dreijährige Regelverjährung des §
195 [X.] n.F. Dabei setzt der Beginn der Frist das Vorliegen der subjektiven Vo-raussetzungen des §
199 Abs.
1 Nr.
2 [X.] n.F.
voraus.
a) Nach §
199 Abs.
1 Nr.
2 [X.] beginnt die regelmäßige [X.] von drei Jahren (§
195 [X.]) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Gemäß den vom
Bundesgerichtshof für die Anwendung des §
852 Abs.
1 [X.] a.F.
sowie
des §
199 Abs.
1 Nr.
2 Fall 1
[X.] n.F.
entwickelten Grundsätzen beginnt bei Behörden und öffentlichen Körperschaften die [X.] für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst zu laufen, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des [X.] erlangt; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind
dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, [X.] die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist (Senatsurteile
vom 22.
April 1986 -
VI
ZR 133/85, [X.], 917, 918; vom 12.
Mai 2009 9
10
-

7

-

-
VI
ZR 294/08, [X.], 989 Rn.
12 mwN; vom 15.
März 2011 -
VI
ZR 162/10, [X.], 682 Rn.
11). Sind in einer regressbefugten Behörde meh-rere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig -
nämlich die Leistungsabteilung hinsichtlich der Einstandspflicht gegenüber dem Verletzten und die Regressabteilung bezüglich der Geltendmachung von Schadensersatz-
oder Regressansprüchen gegenüber Dritten
-, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Das Wissen der Bediensteten der Leis-tungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unmaßgeblich und zwar auch dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzu-leiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine schuld-hafte Verursachung des Schadens durch Dritte oder eine Gefährdungshaftung ergeben (vgl. Senatsurteile
vom
11.
Februar 1992 -
VI
ZR 133/91, [X.], 627, 628; vom 15.
März 2011 -
VI
ZR 162/10, [X.], 682 Rn.
11; [X.], Urteile vom 9.
März 2000 -
III
ZR 198/99, [X.], 1277, 1278; vom 20.
Oktober 2011 -
III
ZR 252/10, aaO).
b) Im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber in §
199 Abs.
1 Nr.
2 [X.] n.F.
im Vergleich zur Regelung in §
852 Abs.
1 [X.] a.F.
nunmehr das [X.] Merkmal der grob fahrlässigen Unkenntnis hinzugefügt hat, wird
in Literatur und Rechtsprechung zwar
die vom Berufungsgericht geteilte
Meinung vertreten, dass die bisherige Rechtsprechung zu §
852 Abs.
1 [X.] a.F.
unter Geltung des neuen Rechts nicht mehr fortgeführt werden könne (so z.B. [X.]/[X.], 6.
Aufl., §
199 Rn.
33, 35;
Staudinger/[X.], [X.], Neubearbeitung 2009, §
199 Rn.
59; dahin tendierend auch Pa-landt/Ellenberger, [X.], 71.
Aufl., §
199 Rn.
25; [X.]/Schmidt-Räntsch, [X.], 13.
Aufl., §
199 Rn.
14; zweifelnd Kesseler in Prütting/Wegen/Weinreich, [X.], 6.
Aufl. §
199 Rn.
12; für die Beibehaltung der [X.] 11
-

8

-

sprechen sich dagegen aus: [X.]/[X.] in [X.]/[X.], BeckOK
[X.], §
199 Rn.
35 f.
(Stand Februar 2012);
jurisPK-[X.]/[X.], §
199 Rn.
69
f.
(Stand Januar 2012)). Im Unterschied zur bisherigen [X.] Rechtsprechung (vgl. Senatsurteile
vom 22.
April 1986 -
VI
ZR 133/85, [X.], 917, 918;
vom 11.
Februar 1992 -
VI
ZR 133/91, [X.], 627, 628) beginne die Verjährung auch dann, wenn die fehlende Kenntnis der zu-ständigen Abteilung auf einem den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit rechtferti-genden Organisationsmangel beruhe (vgl. [X.], [X.] 2003, 379, 381; [X.], Urteil vom 31.
August 2010 -
4
U 550/09, juris, Rn.
46 ff.) oder in der Leistungsabteilung eines Sozialversicherungsträgers vorliegende Erkenntnisse
über mögliche Regressansprüche gegen Dritte grob fahrlässig nicht an die zuständige Regressabteilung weitergeleitet würden
(so das Beru-fungsgericht).
c) Diesem rechtlichen Ansatz ist jedoch nicht zu folgen. Selbst
wenn nunmehr grob fahrlässige Unkenntnis die Verjährungsfrist in Lauf setzen kann, hat sich dadurch die Rechtslage nicht dahingehend
geändert, dass in [X.] hinsichtlich einer etwaigen
Verjährung von
Ansprüchen auch auf ein feh-lerhaftes Verhalten von
Mitarbeitern
der Leistungsabteilung, etwa wegen unter-lassener
Initiativen zur Aufklärung des Schadensgeschehens oder einer unter-lassenen Information der Regressabteilung, abzustellen und bei
diesbezügli-cher
Nachlässigkeit eine
grob fahrlässige Unkenntnis der öffentlichen Körper-schaft oder Behörde anzunehmen
wäre (vgl. Senatsurteil vom 28.
Februar 2012 -
VI
ZR 9/11, [X.], Rn.
11
ff.; [X.], Urteil vom 20.
Oktober 2011 -
III
ZR 252/10, NJW 2012, 447
Rn.
18
ff.).
Zwar erfasst §
199 Abs.
1 Nr.
2 [X.], der §
852 Abs.
1 [X.] a.F.
nach-gebildet ist (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.
107), nicht nur deliktische, sondern auch rechtsgeschäftliche Ansprüche und geht das subjektive Merkmal der gro-12
13
-

9

-

ben Fahrlässigkeit weiter als die Fälle der Versäumung gleichsam auf der Hand liegender Erkenntnismöglichkeiten, die in Anwendung des Rechtsgedankens des §
162 [X.] der positiven Kenntnis bislang gleichgestellt worden sind (vgl. z.B. Senatsurteile vom 18.
Januar 2000 -
VI
ZR 375/98, [X.], 503, 504;
vom 14.
Oktober 2003 -
VI
ZR 379/02, [X.], 123
f.;
vom 28.
November 2006 -
VI
ZR 196/05, [X.], 513 Rn.
8). Indessen lässt sich den Geset-zesmaterialien nicht entnehmen, dass bei arbeitsteiliger Organisation in [X.] und juristischen Personen des öffentlichen Rechts höhere Anforderungen an diese als Gläubiger gestellt werden sollen. Auch wenn
darin von einer Erwei-terung des Merkmals der Kenntniserlangung um die grob fahrlässige Unkennt-nis gesprochen
wird
(vgl. BT-Drucks.
14/6040, S.
108), wird zugleich
auf die "Auflockerungstendenzen" in der bisherigen Rechtsprechung, die bereits [X.] geltende und entsprechend ausgestaltete Vorschrift des §
12 [X.] sowie den Rechtsgedanken des §
277 [X.] hingewiesen (BT-Drucks.
14/6040, aaO). Der Gesetzgeber wollte mithin vor allem die praktischen Ergebnisse der Rechtsprechung zu §
852 [X.] a.F.
nachvollziehen und in §
199 Abs.
1 Nr.
2 [X.] integrieren, aber nicht in die Rechtsprechung zur Frage, ob und in wel-chem Umfang bei bestimmten Personen vorhandenes Wissen der "dahinter stehenden" juristischen Person oder Körperschaft zuzurechnen ist, korrigierend eingreifen. Angesichts dessen kann es
im Ausgangspunkt
auch nach neuem Recht
im Bereich der deliktischen Haftung
bei den hergebrachten Grundsätzen der Wissenszurechnung verbleiben (vgl. Senatsurteil vom 28.
Februar 2012
-
VI
ZR 9/11, [X.], aaO; [X.], Urteil vom 20.
Oktober 2011 -
III
ZR 252/10, aaO, Rn.
21).
d)
Demnach ist entgegen der Auffassung des [X.] auch nach neuem Verjährungsrecht auf die positive Kenntnis oder die grob fahrlässi-ge Unkenntnis der Regressabteilung der Klägerin abzustellen. Dass die Leis-tungsabteilung das bei ihr vorhandene Wissen grob fahrlässig nicht an die [X.]
-

10

-

gressabteilung weiterleitete, genügte nicht, um die Verjährungsfrist nach §
199 Abs.
1 Nr. 2 Fall 2 [X.] in Lauf zu setzen.
aa) Entgegen der Revisionserwiderung sind die von der Klägerin erlas-senen [X.], nach denen die Unterlagen dem [X.] zuzu-leiten waren, wenn sich aus einem Rentenantrag, Gutachten oder anderen [X.] ergab, dass ein Anspruchsübergang nach §
116 oder §
119 SGB
X möglich ist, nicht geeignet, eine vorgelagerte, eigenverantwortliche Prüfung der [X.] durch die Leistungsabteilung -
mit der Folge, dass es auf deren Wissen ankäme
-
zu begründen. Vielmehr ergibt sich daraus, dass ein Vorgang schon dann an die für einen Regress zuständige Stelle weitergeleitet werden sollte, wenn aus der Akte zu erkennen war, dass es sich um einen [X.] oder sonst durch andere Personen verursachten Schadensfall handelte. Die eigentliche Prüfung der Angelegenheit sollte erkennbar den für die Bearbeitung eines Regresses zuständigen Bediensteten vorbehalten sein. Daraus ergab sich keine eigenverantwortliche Bearbeitung von möglichen Regressansprü-chen und keine Verpflichtung der Leistungsabteilung, etwa allgemein weitere Erkundigungen einzuholen (vgl. [X.], Urteil vom 20.
Oktober 2011 -
III
ZR 252/10, aaO, Rn.
14).
[X.]) Der Beurteilung des Senats steht auch nicht die von der Revisions-erwiderung angeführte Entscheidung des [X.] vom 1.
Juli 2010 ([X.] R 67/09 R, [X.] 4-2400 §
24 Nr.
5 Rn.
23) entgegen. Diese betrifft den Verschuldensmaßstab des §
24 Abs.
2 [X.] und die Frage, ob bei [X.] des öffentlichen Rechts das Außerachtlassen ausreichender orga-nisatorischer Vorkehrungen eine unverschuldete Unkenntnis im Sinne dieser Vorschrift darstellen kann. Um einen vergleichbaren Sachverhalt geht es [X.] nicht, so dass sich der Senat zu dieser Entscheidung nicht in Widerspruch setzt (vgl. [X.], Urteil vom 20.
Oktober 2011 -
III
ZR 252/10, aaO Rn.
22).
15
16
-

11

-

III.
Der Klageanspruch könnte aber aus einem anderen Grund verjährt sein. Die Klägerin könnte nach §§
195, 199 Abs.
1 [X.] zur Verjährung führende Kenntnis im Sinne des §
199 Abs.
1 Nr.
2 [X.] erlangt haben, weil sie sich die grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der Regressabteilung zurechnen lassen muss. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Ge-legenheit, unter diesem neuen rechtlichen Gesichtspunkt Feststellungen zu tref-fen.
1. [X.] fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kennt-nis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (st. Rspr.; vgl. Se-natsurteile vom 10.
Februar 2009 -
VI
ZR 28/08,
[X.], 558 Rn.
34;
vom 17.
Februar 2009 -
VI
ZR 86/08,
[X.], 839 Rn.
10;
vom 10.
November 2009 -
VI
ZR 247/08, [X.], 214 Rn.
13). Ihm muss ein schwerer Oblie-genheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vor-geworfen werden können (Senatsurteil vom 10.
November 2009 -
VI
ZR 247/08, aaO mwN; vgl. auch BT-Drucks. 14/6040, S.
108).
Dies kann
nach den jeweili-gen Umständen des Einzelfalls
auch dann vorliegen, wenn
eine Wissenszu-rechnung wegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Geschädigten durch
ein "Verschließen der Augen" vor einer sich geradezu aufdrängenden Kenntnis
im Sinne der Rechtsprechung zu §
852 Abs.
1 [X.] a.F.
noch nicht gegeben ist.
a) Die Obliegenheiten der Regressabteilung des Trägers der Sozialversi-cherung ergeben
sich aus deren Aufgabe. Der Regressabteilung ist die Durch-setzung der nach den §§
116, 119 [X.] übergegangenen Schadensersatzan-17
18
19
-

12

-

sprüche übertragen. Sie hat diese Ansprüche im [X.] an die Leistungen, die der Träger der Sozialversicherung dem geschädigten Versicherten gewährt hat, zügig zu verfolgen. Dazu hat sie insbesondere ihr zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Re-gressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Ferner ist es Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise zu sichern, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten.
b) Erhält
die Regressabteilung aufgrund einer nachlässigen Handhabung der
vorbeschriebenen Obliegenheiten nicht in angemessener Zeit Kenntnis von einer Regressmöglichkeit, kann das
im Einzelfall
als
eine dem Träger der Sozi-alversicherung nach §
199 Abs.
1 Nr.
2 Fall 2 [X.] zuzurechnende grob fahr-lässige Unkenntnis zu werten sein.
So kann
eine grob fahrlässige Unkenntnis der Behörde etwa zuzurechnen sein, wenn ein Mitarbeiter der Regressabteilung aus ihm zugeleiteten Unterlagen in einer anderen Angelegenheit ohne weiteres hätte erkennen können, dass die Möglichkeit eines Regresses
in einem weite-ren Schadensfall
in Betracht kommt, und er die Frage des Rückgriffes auf sich beruhen lässt, ohne die gebotene Klärung der für den Rückgriff erforderlichen Umstände zu veranlassen.
Danach
kommt im Streitfall die Zurechnung der
grob fahrlässigen
[X.] eines Mitarbeiters der Regressabteilung in Betracht.
Nach den nicht angegriffenen
Feststellungen des [X.]
erfolgte
hinsichtlich des Arbeitsunfalls des bei der Klägerin Versicherten im Jahre 1994 eine Abgabe an das für einen Regress zuständige [X.].
In dem Antrag
hieß es
bei der Frage nach einer Fremdverursachung: "Ja", "Verkehrsunfall v. 23.10.1987 und Arbeitsunfall vom 13.09.1994". Zudem war bei der Frage, ob Schadensersatz-ansprüche geltend gemacht worden sind, angekreuzt "Ja". Dies hat das Beru-20
21
-

13

-

fungsgericht nicht unter dem Gesichtspunkt einer grob fahrlässigen Unkenntnis eines Mitarbeiters der Regressabteilung bewertet, sondern nur unter dem Ge-sichtspunkt der Zurechnung wegen der unterbliebenen Weiterleitung durch die Leistungsabteilung.

c) Als grob fahrlässige Unkenntnis kann weiter zu werten sein, dass
die
Mitarbeiter der Regressabteilung des Sozialversicherungsträgers erkennen mussten, dass [X.] notwendig sind oder vorhandene [X.] von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam.
Um
solche, den Regress gefährdende Fallgestaltungen zu vermeiden,
ist es
naturgemäß
Aufgabe der Regressabteilung, darauf hinzuwirken, dass
eine zeitnahe
Information sichergestellt wird.

2.
Bei
der Frage, ob
dem Träger der Sozialversicherung -
hier
der Kläge-rin
-
die grob fahrlässige Unkenntnis
eines Mitarbeiters der Regressabteilung zuzurechnen ist,
sind an die Darlegungslast des sich auf Verjährung [X.] verklagten
Regressschuldners
regelmäßig
nur geringe Anforderungen zu stellen. Es
liegen nämlich regelmäßig Vorgänge zugrunde, die sich im Wahr-nehmungsbereich des klagenden Sozialversicherungsträgers abgespielt haben, dessen internen
Geschäftsgang
der beklagte
Schadensersatzpflichtige nicht kennen kann. Sofern etwa wegen des langen Zeitablaufs, der Nichtbeachtung von Anweisungen zur Unterrichtung der Regressabteilung oder anderer Um-stände eine geringen Anforderungen entsprechende Substantiierung seitens des Beklagten erfolgt ist, wird es mithin nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast (vgl. Senatsurteile vom 17.
März 1987 -
VI
ZR 282/85, [X.]Z 100, 190, 195
f.; vom 14.
Juni 2005 -
VI
ZR 179/04, [X.]Z 163, 209, 214 mwN)
regelmäßig Sache des
klagenden Trägers der Sozialversicherung
sein, [X.] der internen Organisation und der internen Abläufe darzulegen.
22
23
-

14

-

3. Die Sache ist
mithin
zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen

563 Abs.
1 ZPO). Dabei wird es [X.] entsprechend der Rüge der Revisionserwiderung auch prüfen müs-sen, ob das für den Regress zuständige [X.] schon vor Ende 2005 Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hat und der Beweisantritt der Klä-gerin durch den Zeugen M. erheblich ist.
Zudem wird das Berufungsgericht Ge-legenheit haben, die von der Revisionserwiderung geltend gemachte Verjäh-rung einzelner Ansprüche nach §
197 [X.] a.F.
zu prüfen (vgl.
dazu
Senatsur-teile vom 26.
Februar 2002 -
VI
ZR 288/00, [X.], 996, 997; vom 10.
Januar 2012 -
VI
ZR 96/11, [X.], 372
Rn.
14
ff., jeweils mwN).

Galke
Zoll
[X.]

[X.]
Stöhr

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung
vom 30.11.2010 -
2 O 479/09 -

[X.], Entscheidung vom 28.02.2011 -
6 [X.] -

24

Meta

VI ZR 108/11

17.04.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.04.2012, Az. VI ZR 108/11 (REWIS RS 2012, 7283)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7283

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Regress des Sozialversicherungsträgers: Beginn der Verjährungsfrist


III ZR 252/10 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 9/11 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 1177/20 (Bundesgerichtshof)

Verjährung bezüglich des übergangenen Anspruchs auf Arbeitslosengeld und Kosten der beruflichen Rehabilitation; fahrlässige Unkenntnis von …


III ZR 252/10 (Bundesgerichtshof)

Beginn der Verjährungsfrist für deliktsrechtliche Ansprüche: Grob fahrlässige Unkenntnis von Behörden mit arbeitsteiliger Organisation in …


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VI ZR 108/11

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