Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 21.06.1999, Az. 2 Ws 187/99

2. Strafsenat | REWIS RS 1999, 814

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Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Dem Angeschuldigten L wird Rechtsanwalt N aus H als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der in-soweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staats-kasse.

Gründe

G r ü n d e :

Mit der Zustellung der Anklageschrift vom 18. Januar 1999, mit welcher dem Angeschuldigten L sowie fünf weiteren Angeschuldigten ein am 6. Mai 1997 begangener erpresserischer Menschenraub zur Last gelegt wird, richtete der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts Bochum mit Verfügung vom 29. Januar 1999 ein Schreiben an den Angeschuldigten mit der Aufforderung, binnen einer Woche zu den Gerichtsakten mitzuteilen, von welchem Rechtsanwalt er verteidigt werden wolle, andernfalls werde ihm seitens des Gerichts ein Verteidiger beigeordnet. Nachdem sich der Angeschuldigte, dem die Anklageschrift mit dem Anschreiben des Vorsitzenden am 9. Februar 1999 zugestellt worden war, nicht gemeldet hatte, ordnete ihm der Vorsitzende der Strafkammer nach Ablauf der Frist mit Verfügung vom 19. Februar 1999 Rechtsanwalt T d.J. aus C bei.

Mit Schriftsatz vom 5. März 1999 meldete sich sodann Rechtsanwalt N aus H unter Beifügung einer Vollmacht des Angeschul-digten vom 4. März 1999 und bat um Entpflichtung des inzwischen beigeordneten Pflichtverteidigers sowie um seine eigene Beiordnung; für den Fall der Beiordnung kündigte er an, das Wahlmandat niederzulegen. Zur Begründung führte er aus, der Angeschuldigte habe sich bis in die 8. Kalenderwoche - diese endete am Sonntag, dem 28. Februar 1999 - in Thüringen aufgehalten und danach erst das Schreiben vom 9. Februar 1999 sowie die inzwischen erfolgte Beiordnung des Rechtsanwalts T d.J. zur Kenntnis nehmen können. Es bestehe zu Rechtsanwalt N auch ein besonderes Vertrauensverhältnis, da dieser für den - bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getretenen - Angeschuldigten schon in anderen Verfahren tätig gewesen sei.

Mit Beschluß vom 8. März 1999 hat der Vorsitzende der Strafkammer die Entpflichtung von Rechtsanwalt T d.J. sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt N abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Angeschuldigte habe die ihm gesetzte Frist zur Benennung eines Rechtsanwalts verstreichen lassen und hätte für den Fall längerer Abwesenheit dafür Sorge tragen müssen, daß ihn die Post rechtzeitig erreiche. Er habe nach seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 7. Mai 1997 nämlich gewußt, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig sei.

Auf die mit dem Beschluß verbundene Anfrage des Strafkammervorsitzenden hat Rechtsanwalt N mit Schriftsatz vom 16. März 1998 mitgeteilt, daß er den Angeklagten als Wahlverteidiger vertrete.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat sodann mit Beschluß vom 23. März 1999 die Bestellung des Rechtsanwalts T d.J., der am 16. März 1999 die Akten nach Einsichtnahme wieder zurückgesandt hatte, gemäß § 143 StPO zurückgenommen.

Mit seiner durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt N, der erneut klargestellt hat, daß er für den Fall der Beiordnung das Wahl-mandat niederlege, eingelegten Beschwerde wendet sich der Angeschuldigte gegen den Beschluß vom 8. März 1999, soweit die Beiordnung von Rechtsanwalt N abgelehnt worden ist. Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde mit Verfügung vom 19. Mai 1999 nicht abgeholfen.

Die von Rechtsanwalt N ersichtlich für den Angeschuldigten eingelegte Beschwerde ist zulässig (vgl. Senatsbeschluß vom 23. November 1989 in 2 Ws 626/89 = NStZ 1990, 143 = MDR 1990, 461; ferner Beschlüsse des hiesigen 3. Strafsenats in StV 1990, 395; 1989, 242 und 1987, 478). Die von der Generalstaatsanwaltschaft für die Gegenmeinung angeführte Entscheidung des OLG Düsseldorf in StV 1997, 576 betrifft den hier nicht - mehr - vorliegenden Fall der Ablehnung der Rücknahme der bisher weiter bestehenden anderweitigen Pflichtverteidigerbestellung. Ob der vom OLG Düsseldorf vertretenen Rechtsansicht im übrigen beizutreten ist, kann deshalb hier dahinstehen.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Zwar kommt die Auswechslung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich nicht allein deshalb in Frage, weil der Mandant das wünscht, sondern nur dann, wenn dieser darlegt und glaubhaft macht oder sonst ersichtlich ist, daß hierfür ein wichtiger Grund vorliegt, insbesondere das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Verteidiger ohne Verschulden des Mandanten ernsthaft gestört ist. Darüber hinaus wäre eine Pflichtverteidigerbestellung entgegen § 143 StPO auch dann aufrechtzuerhalten, wenn der Angeschuldigte zwar einen anderen Verteidiger bevollmächtigt, jedoch zu befürchten ist, daß dieser Wahlverteidiger sein Mandat alsbald niederlegen wird, um den bisherigen Pflichtverteidiger rechtsmißbräuchlich aus dem Amt zu verdrängen (vgl. KG NStZ 1993, 201; OLG Koblenz, MDR 1986, 604). In einem solchen Falle wäre dann in der Regel auch der frühere Pflichtverteidiger nach seiner Abbestellung wieder erneut zu bestellen (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1982, 298).

So liegt der Fall angesichts seiner Besonderheiten hier jedoch nicht.

Zwar soll gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 StPO der Verteidiger möglichst aus der Zahl der bei dem zuständigen Gericht zugelassenen Rechtsanwälte ausgewählt werden. Diese Regel ist jedoch nicht uneingeschränkt anzuwenden. Nach § 142 Abs. 1 S. 3 StPO soll einem Angeschuldigten möglichst der von ihm als der Anwalt seines Vertrauens bezeichnete Rechtsanwalt als Verteidiger beigeordnet werden. Diesem Umstand kommt in der Regel besondere Bedeutung zu (vgl. BGH StV 1997, 564; OLG Hamm StV 1989, 242 und 1987, 478). Im vorliegenden Fall kann um so eher aus diesem Gesichtspunkt von der Regel des § 142 Abs. 1 S. 1 StPO abgewichen werden, als der vom Angeschuldigten bezeichnete Rechtsanwalt N in H, einer Nachbarstadt von C, dem Sitz des erkennenden Gerichtes, niedergelassen ist und der Angeschuldigte zudem in F, also neben den Städten H und C, wohnt. Es ist deshalb auch nicht zu erwarten, daß durch seine Beiordnung ins Gewicht fallende Mehrkosten für die Staatskasse entstehen, zumal mit Rechtsanwalt T d.J. bis zu dessen Entpflichtung eine Kontakt-aufnahme mit dem Angeschuldigten offensichtlich nicht statt-gefunden hatte (vgl. auch OLG Nürnberg NStZ 1997, 51). Demgemäß war dem mitgeteilten Vertrauensverhältnis, das zwischen dem Angeschuldigten und dem von ihm benannten Rechtsanwalt N besteht, so großes Gewicht beizumessen, daß hier die Beiordnung dieses Rechtsanwalts geboten ist.

Dem Angeschuldigten kann nämlich hier nicht entgegengehalten werden, er müsse deswegen die Beiordnung eines von ihm nicht benannten Rechtsanwalts hinnehmen, weil er nicht fristgemäß einen Anwalt seines Vertrauens bezeichnet habe. Nachdem der Angeschuldigte im Mai 1997 unmittelbar nach der ihm zur Last gelegten Tat verantwortlich vernommen worden war und er sodann

- soweit dies den vorliegenden Akten entnommen werden kann - über mehr als eineinhalb Jahre nichts von der Sache gehört hat, kann es ihm nicht zum Nachteil gereichen, daß er für rund drei Wochen nicht an seinem Wohnort anwesend war und in dieser Zeit keine Vorsorge dafür getroffen hatte, daß ihn dort eingehende Post unverzüglich erreicht. Da er sich nach seiner Rückkehr und Kenntnis von dem an ihn gerichteten Schreiben unverzüglich an Rechtsanwalt N gewandt hat, kann dessen Verhalten vorliegend auch nicht als rechtsmißbräuchliches Hineindrängen in ein anderes Mandatsverhältnis mit den oben aufgezeigten Rechtsfolgen angesehen werden, zumal dem inzwischen beigeordneten Pflichtverteidiger bis zu diesem Zeitpunkt weder die Akten bekannt waren noch irgendein Kontakt zum Angeschuldigten hergestellt war.

Der angefochtene Beschluß war daher im angefochtenen Umfang mit der sich aus entsprechender Anwendung der §§ 473, 467 StPO ergebenden Kostenfolge aufzuheben und Rechtsanwalt N dem Angeschuldigten als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO beizuordnen.

Meta

2 Ws 187/99

21.06.1999

Oberlandesgericht Hamm 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: Ws

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 21.06.1999, Az. 2 Ws 187/99 (REWIS RS 1999, 814)

Papier­fundstellen: REWIS RS 1999, 814

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