Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28.04.2011, Az. 1 BvL 1/10

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2011, 7192

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Gegenstand

Unzulässige Richtervorlage zur Vereinbarkeit von § 20 Abs 2 Nr 1 HSchulG TH 2007 mit Art 5 Abs 3 GG iVm Art 3 Abs 1 GG - Zuordnung eines außerplanmäßigen Professors zur Gruppe der Hochschullehrer bzw der wissenschaftlichen Mitarbeiter - Unzureichende Auseinandersetzung mit einschlägiger Rspr des BVerfG und der Verwaltungsgerichte - Unzureichend begründeter Ausschluss verfassungskonformer Auslegungsalternativen der vorgelegten Vorschrift


Gründe

1

Die Vorlage des [X.] betrifft die Frage, ob § 20 Abs. 2 Nr. 1 des [X.] ([X.]) in seiner geltenden Fassung vom 21. Dezember 2006 (GVBl [X.] 601) mit der Wissenschaftsfreiheit und mit § 37 Abs. 1 Satz 2 Hochschulrahmengesetz ([X.]) in der Fassung vom 27. Dezember 2004 ([X.]) vereinbar ist.

2

1. In § 20 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 [X.] wird die Vertretung der Hochschulmitglieder in den Gremien wie folgt geregelt:

3

(2) Für die Vertretung in den Gremien bilden

4

1. die Professoren und Juniorprofessoren (Hochschullehrer) die Gruppe der Hochschullehrer,

5

2. die Studierenden die Gruppe der Studierenden,

6

3. die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter sowie die Lehrkräfte für besondere Aufgaben die Gruppe der akademischen Mitarbeiter und

7

4. die Mitarbeiter im technischen und Verwaltungsdienst einschließlich des medizinischen Pflegepersonals und der volljährigen Auszubildenden die Gruppe der sonstigen Mitarbeiter.

8

2. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist seit dem Jahr 1991 unbefristet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einer [X.] Hochschule, beschäftigt und besitzt seit diesem Jahr auch die Lehrbefähigung. [X.] habilitierte er sich und im [X.] wurde ihm die Lehrbefugnis erteilt, verbunden mit dem Recht, die akademische Bezeichnung "Privatdozent" zu führen. [X.] wurde ihm die Befugnis verliehen, die akademische Bezeichnung "außerplanmäßiger Professor" zu führen. Von 2002 bis 2007 leitete er kommissarisch ein Fachgebiet und wurde für diese Zeit mitgliedschaftsrechtlich in der Gruppe der Professoren geführt.

9

Nach Neubesetzung der von ihm vertretenen Professur beantragte der Kläger im Mai 2008, weiterhin der Gruppe der Hochschullehrer zugeordnet zu werden. Die Beklagte lehnte den Antrag ab und der Kläger erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage vor dem vorlegenden Verwaltungsgericht.

3. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem [X.] die Frage vorgelegt,

ob § 20 Abs. 2 Nr. 1 [X.] Hochschulgesetz vom 21. Dezember 2006 (GVBl [X.] 601), geändert durch Art. 2 [X.] vom 16. Juli 2008 ([X.]), durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des [X.] und -zugangsrechts vom 16. Dezember 2008 ([X.]) und durch Gesetz des [X.] Beamtenrechts vom 20. März 2009 ([X.]) mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz und § 37 Abs. 1 Satz 2 Hochschulrahmengesetz vereinbar ist.

a) Das Verwaltungsgericht hält es unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des [X.]s für unvereinbar mit Art. 5 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG, dass habilitierte [X.], die hauptamtlich überwiegend Professorenaufgaben wahrnehmen, der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter zugeordnet werden. Unabhängig von der Abgrenzung der beamtenrechtlichen Vorschriften sei Hochschullehrer der akademische Forscher und Lehrer, der aufgrund der Habilitation oder eines sonstigen [X.] mit der selbständigen Vertretung eines wissenschaftlichen Faches in Forschung und Lehre betraut sei ([X.] 56, 192 <208>). Diesem "materiellen Hochschullehrerbegriff" stehe § 20 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entgegen, wonach nur Professoren und Juniorprofessoren die Gruppe der Hochschullehrer bilden würden.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des [X.] für das [X.] geht das Verwaltungsgericht insoweit davon aus, dass die Gruppenabgrenzung nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut einen ausschließlich dienstrechtlichen Anknüpfungspunkt habe, der für eine funktionsbezogene Grenzziehung keinen Raum lasse ([X.], Urteil vom 28. September 1990 - 15 A 584/87 -, [X.] 1991, [X.] 292 <293>).

Einer verfassungskonformen Auslegung stehe nicht nur der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, sondern auch der erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegen. Dies ergebe sich aus § 119 [X.]. Nach dieser Bestimmung würden beim Inkrafttreten des Gesetzes unter anderem die Hochschuldozenten grundsätzlich in ihren bisherigen Dienstverhältnissen verbleiben und es werde klargestellt, dass ihre mitgliedschaftsrechtliche Stellung für die Dauer des laufenden Dienstverhältnisses unverändert bleibe. Dies bedeute, dass Hochschuldozenten der Gruppe der Hochschullehrer zuzuordnen seien ([X.]/2296, [X.]). Auch daraus ergebe sich der dienstrechtliche Bezug der Gruppenzuordnung, da nach der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung des [X.] für die Vertretung in den Gremien die Hochschuldozenten zur Gruppe der Hochschullehrer gerechnet worden seien (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 [X.] a.F.).

Mit Verweis auf die Rechtsprechung des [X.], des [X.] für das [X.] und des [X.] Rheinland-Pfalz legt das Verwaltungsgericht ferner dar, dass kein Zweifel bestehe und es keiner weiteren Darlegung bedürfe, dass der Kläger, der nach wie vor als außerplanmäßiger Professor bei der Beklagten tätig sei, den Begriff des "materiellen Hochschullehrers" erfülle (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1995 - BVerwG 6 C 7.94 -; [X.], Urteil vom 30. März 2001 - 2 A 12196/99 -, NVwZ-RR 2002, [X.] 355 ff.; [X.], a.a.O. und Urteil vom 23. Februar 1995 - 25 A 989/93 -, [X.] 1995, [X.] ff.). Dem habilitierten Kläger sei bereits 1995 die Lehrbefugnis erteilt worden und spätestens mit dem Antrag der zuständigen [X.], dem Kläger die Bezeichnung "außerplanmäßiger Professor" zu verleihen, habe die Hochschule ihm die Befugnis zur selbständigen Vertretung seines Faches in Forschung und Lehre eingeräumt (BVerwG, a.a.O).

b) Zudem stehe § 20 Abs. 2 Nr. 1 [X.] der am "materiellen Hochschullehrerbegriff" orientierten Rahmengesetzgebung in § 37 Abs. 1 Satz 2 [X.] entgegen.

Die Vorlage ist unzulässig.

1. Um den Begründungsanforderungen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] zu genügen, muss das nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift abhängt. Dazu muss es den entscheidungserheblichen Sachverhalt aus sich heraus verständlich schildern (vgl. [X.] 88, 187 <194>) und sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzen (vgl. [X.] 85, 329 <333>; 88, 187 <194>). Letzteres verlangt eine Erörterung der in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen zu den denkbaren Auslegungsmöglichkeiten (vgl. [X.] 85, 329 <333>; 97, 49 <60>; 105, 61 <67>). Der Beschluss muss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und die Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung näher darlegen (vgl. [X.] 85, 329 <333>). Dazu gehört auch die Erörterung einer verfassungskonformen Auslegung, wenn sie nahe liegt (vgl. [X.] 85, 329 <333>; 121, 108 <117>); das vorlegende Gericht muss insoweit vertretbar begründen, dass es eine verfassungskonforme Auslegung der zur Prüfung gestellten Norm nicht für möglich hält (vgl. [X.] 96, 315 <324 f.>; 121, 108 <117>).

2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage nicht.

a) Es ist bereits fraglich, ob ein Begründungsdefizit besteht, soweit das vorlegende Verwaltungsgericht lediglich unter Hinweis auf die Verleihung des Titels "außerplanmäßiger Professor", aber ohne Angaben zu den Anforderungen an diese oder zu den konkret wahrgenommenen Aufgaben annimmt, dass der Kläger die Voraussetzungen eines Hochschullehrers im materiellen Sinne erfüllt, als der er Anspruch darauf hat, der Gruppe der Hochschullehrer und nicht einer anderen Gruppe zugeordnet zu werden (vgl. [X.] 95, 193 <210>).

b) Im Ergebnis kann diese Frage dahingestellt bleiben, weil sich das Verwaltungsgericht jedenfalls nicht ausreichend mit der Rechtslage und mit denkbaren Auslegungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Schrifttum auseinandergesetzt hat. Dass eine verfassungskonforme Auslegung ausgeschlossen ist, begründet es nicht nachvollziehbar.

aa) Das Verwaltungsgericht stützt seine Auffassung, dass die Gruppenabgrenzung nach Maßgabe des § 20 Abs. 2 Nr. 1 [X.] einen ausschließlich dienstrechtlichen Anknüpfungspunkt habe, in erster Linie auf den seiner Auffassung nach eindeutigen Gesetzeswortlaut. Das Verwaltungsgericht teilt jedoch die Gründe, aus denen es den Wortlaut für eindeutig erachtet, nicht mit. Insbesondere zeigt es keine Anhaltspunkte für einen eindeutigen Sprachgebrauch auf, nach dem die in § 20 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 [X.] gebrauchten Begriffe ausnahmslos dienstrechtlich zu verstehen sind. Sollte das Verwaltungsgericht ein solches Verständnis aus den Bestimmungen über das [X.] (§§ 76 ff. [X.]) gewinnen, wäre diese Sichtweise nicht zwingend (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. August 2001 - 1 BvL 6/01 -, NVwZ-RR 2002, [X.] 117 <118>). Diese Regelungen enthalten weder Legaldefinitionen für den Begriff "Professor" noch gehören sie systematisch zu den allgemeinen Bestimmungen des [X.].

Im Übrigen hat das [X.] in einem vergleichbaren Fall bereits darauf hingewiesen, dass die Zuordnung eines in der Laufbahn des wissenschaftlichen Dienstes befindlichen Privatdozenten und außerplanmäßigen Professors, der in erheblichem Umfang Lehrveranstaltungen durchführt, zum Begriff des "wissenschaftlichen Mitarbeiters" keineswegs zwingend ist, sondern eher die Subsumtion unter den Begriff "Professor" nahe liegt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. August 2001 - 1 BvL 6/01 -, NVwZ-RR 2002, [X.] 117 <118>; nachfolgend: [X.], Urteil vom 27. Februar 2002 - 6 A 759/00 -, BeckRS 2002, 31056712). Hiermit setzt sich das Verwaltungsgericht ebenso wenig auseinander wie mit anderen vergleichbaren Fällen, in denen Gerichte die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung bejaht haben (vgl. [X.], Urteil vom 29. Februar 1996 - 6 UE 320/95 -, NVwZ-RR 1997, [X.] 170 <171>; [X.], Urteil vom 6. Dezember 2001 - 4 A 4172/99 -, BeckRS 2005, 20993). Auch auf die in der Literatur diskutierten Möglichkeiten zur Auslegung des Professorenbegriffs geht das Verwaltungsgericht nicht ein (vgl. [X.], in: [X.] u.a., Handbuch des Wissenschaftsrechts, Band 1 2. Aufl. 1996, [X.] 334 ff.).

Soweit das Verwaltungsgericht auf die Rechtsprechung des [X.] für das [X.] Bezug nimmt, welches für das entsprechende landesrechtliche Korporationsrecht von einem dienstrechtlichen Professorenbegriff ausgeht (vgl. [X.], Urteil vom 28. September 1990 - 15 A 584/87 -, [X.] 1991, [X.] 292 <293>), entbindet dies nicht von der Darlegung, inwieweit die Rechtslage in [X.] vergleichbar und eine bestimmte Auslegung thüringischer Vorschriften geboten ist. Zudem setzt sich das Verwaltungsgericht nicht damit auseinander, dass das Oberverwaltungsgericht für das [X.] gleichwohl eine verfassungskonforme Lösung unter Rückgriff auf andere Normen des [X.] Hochschulrechts entwickelt hat (vgl. [X.], Urteil vom 28. September 1990 - 15 A 584/87 -, [X.] 1991, [X.] 292 <293 ff.>; so im Ergebnis auch: [X.], Urteil vom 25. März 1997 - 9 S 960/96 -, NVwZ-RR 1998, [X.] 36 <38>).

bb) Das Verwaltungsgericht überzeugt ferner nicht, soweit es davon ausgeht, dass einer verfassungskonformen Auslegung der in § 119 [X.] zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers entgegenstehe. § 119 Satz 2 [X.] besagt, dass bestimmte Personen, die nach Maßgabe des § 119 Satz 1 [X.] nach Abschaffung verschiedener Personalkategorien in ihren bisherigen Dienstverhältnissen verbleiben, für die Vertretung in den Gremien den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe gleichgestellt und dieser Gruppe zugeordnet werden. Zu der entscheidenden Frage, ob darüber hinaus weitere, von der Übergangsregelung nicht betroffene Hochschulmitglieder wie der Kläger nach materiellen Kriterien einer bestimmten Gruppe zugerechnet werden können, trifft § 119 [X.] indes keine Aussage. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Passage der Gesetzesbegründung zu § 119 [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvL 1/10

28.04.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend VG Weimar, 28. Januar 2010, Az: 2 K 1379/08 We, Vorlagebeschluss

Art 100 Abs 1 GG, Art 5 Abs 3 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, §§ 76ff HSchulG TH 2007, § 119 S 1 HSchulG TH 2007, § 119 S 2 HSchulG TH 2007, § 20 Abs 2 Nr 1 HSchulG TH 2007, § 20 Abs 2 Nr 3 HSchulG TH 2007, § 76 HSchulG TH 2007

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28.04.2011, Az. 1 BvL 1/10 (REWIS RS 2011, 7192)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7192

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