Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.09.2012, Az. VI ZR 223/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3152

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI ZR 223/11
Verkündet am:

18. September 2012

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die
mündliche Verhandlung vom 18. September
2012 durch den Vorsitzenden [X.], [X.] und [X.], die Richterin Diederichsen
und den Richter Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5.
Zivilsenats des Oberlandes-gerichts [X.]
vom 25.
Juli 2011 wird auf Kosten der [X.] zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die
Klägerin
verlangt
von der
in der [X.] ansässigen [X.]
Scha-densersatz wegen des Erwerbs von Beteiligungen an der [X.].
Nach Eingang der Klage am 5. Juni
2006
hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des [X.]s
durch
Verfügung vom 6. Juli
2006
in Zusammenhang mit der Zustellung nach §
183 ZPO angeordnet, dass der [X.] im Hinblick auf das angeordnete schriftliche Vorverfahren eine Notfrist von drei Wochen zur Anzeige der [X.] gesetzt werde und dass sie innerhalb dieser Frist gemäß §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO ei-nen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen
der Zustellung von Schriftstü-cken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der [X.]
hat der [X.] hingewiesen.
Diese Verfügung
und
die Klageschrift
sind der [X.] am 24.
August
2006
nach Maßgabe des [X.] über die Zu-1
2
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3

-

stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil-
und Handelssachen vom 15.
November 1965 ([X.] 1977 II S.
1452, 1453; im Folgenden [X.]) zugestellt worden. Am 26. September 2006
hat das [X.] die Beklagte durch Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren antragsge-mäß
bis auf einen Teil des [X.] verurteilt und die Einspruchsfrist auf drei Wochen festgesetzt. Das Versäumnisurteil ist am 2. Oktober 2006 unter der Anschrift der [X.] zur Post aufgegeben worden. Am 10. Februar 2011
erfolgte eine erneute Zustellung an die
Beklagte
im förmlichen [X.]. Am 3.
März
2011
hat die Beklagte Einspruch dagegen eingelegt. Mit Urteil vom 21.
April 2011
hat das [X.] den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht [X.]. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil und die
Urteile
des [X.]s vom 21. April
2011 und 26. September 2006
aufzuheben und die Klage abzuweisen, [X.], den Rechtsstreit
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Land-gericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das [X.] habe den [X.] gegen das Versäumnisurteil zu Recht gemäß §
341 Abs.
1 Satz
2 ZPO als unzulässig verworfen, weil er nicht rechtzeitig eingelegt worden sei.
Nach §
184 Abs.
2 Satz
1 ZPO gelte das Versäumnisurteil zwei Wochen nach der Aufgabe zur Post als
am 16.
Oktober 2006
zugestellt. Daher sei die auf drei Wochen festgesetzte Einspruchsfrist bereits bei Einlegung des Ein-3
4
-

4

-

spruchs am 3. März 2011 abgelaufen
gewesen. Die Regelungen in §
184 ZPO seien weder verfassungswidrig noch verletze ihre Anwendung das [X.]
oder das [X.], das ohnehin durch den Beitritt beider [X.] zum [X.] zurücktrete. Die Zustellung nach §
184 ZPO stelle keinen Fall der Auslandszustellung dar, sondern eine fingierte Form der Zustel-lung im Inland. Sowohl die Klageschrift als auch die vom Vorsitzenden getroffe-ne Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nach §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO seien im förmlichen Verfahren ordnungsgemäß zugestellt worden.
Die Anordnung nach §
184 ZPO
erfordere
nicht zwingend die Form eines
Gerichtsbeschlusses. Es
genüge die Anordnung des Vorsitzenden. Das Zustel-lungsreformgesetz vom 25.
Juni 2001 ([X.]
I S.
1206), durch das §
184 ZPO an die Stelle des §
174 Abs.
1 ZPO a.F. getreten ist, habe lediglich die in §
20 Nr.
7 RPflG vorgesehene Zuständigkeitsübertragung auf den Rechtspfleger aufgehoben; ein Wille des Gesetzgebers, den gesamten Spruchkörper mit der Entscheidung zu befassen, lasse die Gesetzesbegründung hingegen nicht er-kennen. Da die
formelle Verfahrensführung in der Zivilprozessordnung
dem
Vorsitzenden übertragen sei, hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft, wenn davon abgewichen werden sollte.
Der Vorsitzende habe auch sein Er-messen bei der Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, nicht fehlerhaft ausgeübt. Der tatsächliche Geschehensablauf zeige, dass die Zustellung durch die Fiktion des §
184 Abs.
2 ZPO wesentlich be-schleunigt werde. Nach der Erstverfügung am 6. Juli 2006 seien bis zur Zustel-lung in der [X.] am 24.
August 2006 sieben Wochen vergangen.
Die Ausführung der Zustellung durch Aufgabe zur Post sei ordnungsge-mäß in die Wege geleitet und aktenmäßig dokumentiert worden. Die Urkunds-beamtin der Geschäftsstelle habe am 2. Oktober 2006 einen Vermerk darüber 5
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gefertigt, dass das Versäumnisurteil unter der Anschrift der [X.] dem mit der Zustellung beauftragten Postunternehmen übergeben wurde, das die Über-nahme der Sendung quittiert habe. Die Klägerin habe die nochmalige Zustel-lung des Versäumnisurteils nicht rechtsmissbräuchlich bewirkt, um die Vollstre-ckungsvoraussetzungen herbeizuschaffen, ohne der [X.] die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Die zweite Zustellung habe die bereits verstri-chene Einspruchsfrist nicht erneut in Lauf setzen können.
Sie habe nur den Charakter einer zusätzlichen Bestätigung oder besonderen Dokumentation.
Zwar bringe die Zustellung durch Aufgabe zur Post die Gefahr mit sich, dass das zuzustellende Schriftstück erst nach Ablauf der fiktiven [X.] übermittelt werde oder gar den Empfänger nie erreiche. Dies behaupte die [X.] aber nicht. Dass sie nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt habe, beruhe nicht auf der Form der Zustellung, sondern auf ihrem eigenen Entschluss. Im Übrigen habe die Beklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
nicht im Hinblick darauf beantragt, dass sie erst durch die zweite Zustellung von der [X.] erfahren habe.
Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung von Amts we-gen lägen nicht vor.

II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher
Überprüfung stand.
1. Das [X.]
hatte
auf den Einspruch der [X.] gegen das Versäumnisurteil gemäß §
341 Abs.
1 Satz
1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der ordnungsgemäßen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat, musste der Einspruch gemäß §
341 Abs.
1 Satz
2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnis-7
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6

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urteils verworfen werden ([X.], Beschluss vom 5.
März 2007 -
II
ZB
4/06, NJW-RR 2007, 1363 Rn.
9
ff.; [X.]/Pukall, ZPO, 4.
Aufl., §
341 Rn.
1).

2. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anordnung, einen Zustel-lungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden der zuständigen Zivilkammer des [X.]s für wirksam erachtet. Dass die Anordnung nach §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO vom Vorsitzenden alleine und nicht vom entsprechen-den Spruchkörper getroffen worden ist, berührt jedenfalls nicht deren [X.].
a) Die Frage der Kompetenz für die Anordnung ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Einigkeit besteht zunächst insoweit, dass in originären Einzelrichtersachen (§
348 Abs.
1 Satz
1 ZPO) die Anordnung nach §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO der Einzelrichter trifft, der als Prozessgericht vollständig an die Stelle des Kollegiums tritt (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
April 2011 -
5
U 26/11, BeckRS 2011, 26882; [X.], Urteil vom 10.
August 2011 -
8
U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Ist für den Rechtsstreit ein Kollegialgericht zuständig, sieht eine Auffassung die Anordnung durch den für Verfahren und Entscheidung zuständigen Spruchkörper als Wirksamkeitsvoraussetzung an (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
März 2009 -
14
W 27/09, NJW-RR 2010, 285; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 70.
Aufl., §
184 Rn.
8; [X.]/Eichele, ZPO, 4.
Aufl., §
184 Rn.
2;
Zimmermann, ZPO, 9.
Aufl., §
184 Rn.
1;
Zöller/Stöber, ZPO, 29.
Aufl., §
184 Rn.
3). Die Gegenauf-fassung hält auch den Vorsitzenden für zuständig (Hüßtege in [X.], ZPO, 32.
Aufl., §
184 Rn.
3; [X.], 3.
Aufl., §
184 Rn.
7; [X.] in [X.]/Schütze, 3.
Aufl., §
184 Rn.
43; [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
184 Rn.
5; Kessen in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3.
Aufl., §
184 Rn.
2), zumindest sei die von ihm allein getroffene Anordnung wirksam ([X.], Ur-9
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7

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teil vom 16.
Dezember 2010 -
18
U 55/10, [X.], 1068, 1069). Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu.
[X.]) Zwar erfolgt nach dem Wortlaut des §
183 Abs.
1 Satz
2 ZPO die Auslandszustellung auf Ersuchen des "Vorsitzenden des [X.]", wo-hingegen §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO die Anordnung, einen Zustellungsbevoll-mächtigten zu benennen,
dem "Gericht" überträgt. Hieraus folgt jedoch noch nicht zwingend, dass in letzterem Fall nur ein vom zuständigen Spruchkörper gefasster Beschluss die Zustellung wirksam anordnet. Beide Regelungen ge-hen auf Vorschriften zurück, die früher nicht in einem unmittelbaren [X.] standen. So geht die Formulierung des geltenden §
183 Abs.
1 Satz
2 ZPO, wonach der "Vorsitzende des [X.]" handelt, auf §
183 Abs.
1 Nr.
2 ZPO in der Fassung des [X.] vom 25.
Juni 2001 zurück. Die dortige Formulierung entspricht inhaltlich §
199 ZPO in seiner bis zum Inkrafttreten des [X.] geltenden Fassung (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S.
23). Nach dieser Vorschrift erfolgte eine im Ausland zu be-wirkende Zustellung mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden St[X.]tes oder des in diesem St[X.]t residierenden Konsuls oder Gesandten des [X.]; dass der "Vorsitzende des [X.]" das Ersuchen verfasst, war damals also noch nicht ausdrücklich geregelt.
Was die Zuständigkeit des "Gerichts" in §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO für die Anordnung der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten betrifft, orientier-te sich der Gesetzgeber an §
174 ZPO in der bis zum Inkrafttreten des [X.] geltenden Fassung. In dieser Vorschrift, die weitgehend auf der Regelung des §
160 ZPO in der Fassung vom 30.
Januar 1877 ([X.]. 1877, S.
83) beruhte, war von
einer Zuständigkeit des "Gerichts" die Rede. [X.] der Wortlaut des §
184 Abs.
1 Satz
1 ZPO, wonach das "Gericht"
anordnen kann, dass die im Ausland ansässige [X.] einen Zustellungsbevollmächtigten 11
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zu benennen hat, steht mithin
noch nicht der Wirksamkeit der
Anordnung des Vorsitzenden entgegen.
bb) Dass unter dem vom Gesetzeswortlaut vorgegebenen Begriff "[X.]" nicht immer alle Mitglieder eines Spruchkörpers zu verstehen sind, son-dern auch eine Wahrnehmung der Aufgabe durch den Vorsitzenden gemeint sein kann, ergibt sich aus den Regelungen zur Zuständigkeit der für die Vorbe-reitung der mündlichen Verhandlung zu treffenden Maßnahmen nach §
273 ZPO. Nach §
273 Abs.
1 ZPO veranlasst diese das "Gericht". Aus §
273 Abs.
2 ZPO folgt aber, dass der "Vorsitzende oder ein von ihm bestimmtes Mitglied des [X.]" die Maßnahmen ergreift. Typischerweise ist der [X.] für die die mündliche Verhandlung vorbereitenden Maßnahmen zustän-dig. Dazu passt nicht, dass die Anordnung,
einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, die häufig
in die vorbereitende Phase des Prozesses fallen wird, ausschließlich in die funktionelle Zuständigkeit des Spruchkörpers fallen soll. Für eine ausschließliche Zuständigkeit des Kollegialgerichts spricht auch nicht entscheidend, dass das [X.] für bestimmte Aufgaben die Zustän-digkeitsverteilung zwischen Vorsitzendem und Spruchkörper ausdrücklich re-gelt. So weist §
168 Abs.
2 ZPO die Befugnis, einen Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde mit einer Zustellung zu beauftragen, ausdrücklich dem "Vorsitzenden des [X.] oder einem von ihm bestimmten Mitglied" zu. Andere Normen regeln die funktionelle Zuständigkeit wiederum nicht aus-drücklich. Beispielsweise sieht §
166 Abs.
2 ZPO die Möglichkeit vor, dass das "Gericht"
die Zustellung solcher Dokumente anordnet, deren Zustellung nicht von Gesetzes wegen erforderlich ist. §
270 Satz
1 ZPO schreibt die formlose Mitteilung von Schriftsätzen, die keine Sachanträge enthalten, vor, wenn nicht das "Gericht"
die Zustellung anordnet. In den beiden letztgenannten Fällen ent-scheidet aber regelmäßig der Vorsitzende durch eine Verfügung (vgl. [X.] in 13
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9

-

[X.], ZPO, 22.
Aufl., §
166 Rn.
4; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 3.
Aufl., §
166 Rn.
52).
cc) Der Gesetzgeber des am 1.
Juli 2002 in [X.] getretenen Zustellungs-reformgesetzes vom 25.
Juni 2001 ([X.]
I S.
1206) hat sich mit der hier in [X.] stehenden Frage der funktionellen Zuständigkeit des Vorsitzenden oder aller Mitglieder des [X.] nicht befasst. Er hat die in §
20 Nr.
7 RPflG a.F. vorgesehene Übertragung der Aufgabe auf den Rechtspfleger gestrichen, weil die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (für im Inland ansässige [X.]en) entfallen sei,
und die Zuständigkeit des Gerichts für die -
bei im Ausland ansässigen [X.]en nunmehr im Ermessen stehende
-
Ent-scheidung, ob die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten angeordnet wird, begründet (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S.
27). Im Hinblick auf das [X.] der Gesetzesbegründung zur Frage der funktionellen Zuständigkeit spricht viel dafür, dass sich der Gesetzgeber damit nicht auseinandergesetzt hat, wer in funktioneller Hinsicht anstelle des bisher zuständigen Rechtspflegers die in §
184 Abs.
1 Satz 1 ZPO vorgesehene Anordnung treffen soll und ob dies auch durch eine Verfügung geschehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 16.
Dezember 2010 -
18
U 55/10, [X.], 1068, 1069).
Nach den vorstehenden Ausführungen ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen,
durch den Vorsitzenden getroffen worden ist. Im Übrigen wäre die Verletzung der funktionellen Zuständigkeit kein so schwerwiegender
Fehler, dass dadurch die Zustellung der Klageschrift und die Anordnung der Zustellung durch Aufgabe zur Post gegenüber der [X.] unwirksam würden.
dd) Zwar sind an die Einhaltung der Vorschriften über das Zustellungs-verfahren insbesondere im Hinblick auf die von §
184 Abs.
2 Satz
1 ZPO aus-gelöste Fiktion und die Bedeutung, die der Zustellung für den Beginn der 14
15
16
-

10

-

Rechtsmittelfristen zukommt, strenge Anforderungen zu stellen (vgl. [X.] vom 10.
November 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 512; [X.], Urteil vom 8.
März 1979 -
IX
ZR 92/74, [X.]Z 73, 388, 390). Wird eine Vorschrift über das Verfahren bei Zustellungen verletzt, ist die Zustellung dennoch nur dann unwirksam, wenn der Zweck der verletzten Verfahrensvorschrift dies erfordert. Bei Verletzung der hier in Rede stehenden funktionellen Zuständigkeit innerhalb des Spruchkörpers ist dies nicht der Fall.
Die Vorschriften über die Zustellung gewährleisten den Anspruch des [X.]en auf rechtliches Gehör, indem sie sicherstellen, dass der Betroffene Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument nehmen und seine Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung darauf einrichten kann (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
Juli 1984 -
1
BvR 1269/83, [X.]E 67, 208, 211). Wird die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, von einem [X.] nicht zuständigen Richter getroffen, wird dadurch die Möglichkeit des [X.]en, von Dokumenten, die den Rechtsstreit betreffen, Kenntnis zu erlangen und rechtliches Gehör in Anspruch zu nehmen, in keiner Weise erschwert. Auch nach Anordnung durch den Vorsitzenden des Gerichts erhält der [X.] das verfahrenseinleitende Schriftstück, die [X.], einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, und die Belehrung über die Möglichkeit der Zustellung durch Aufgabe zur Post für den Fall, dass kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird. Er wird unabhängig davon, wer die Anordnung getroffen hat, jedenfalls über den Inhalt des Rechtsstreits infor-miert. Ihm wird verdeutlicht, dass er durch Bestellung eines Prozessbevoll-mächtigten oder durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten die Mög-lichkeit der Kenntnisnahme von weiteren den Rechtsstreit betreffenden Doku-menten zuverlässig sicherstellen soll und zur Wahrung seiner Rechte tätig wer-den muss. Die fehlende funktionelle Zuständigkeit des anordnenden Richters beeinträchtigt die prozessuale Rechtsposition der im Ausland ansässigen [X.] 17
-

11

-

mithin in keiner Weise. Sie berührt deshalb auch nicht die Wirksamkeit der An-ordnung.
b) Die Anordnung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie nicht mit Gründen versehen worden ist. Allein der Mangel der Begründung führt nicht zur Nichtigkeit der Anordnung, zumal
diese unanfechtbar ist ([X.]/[X.], 3.
Aufl., §
184 Rn.
7; [X.] in [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
184 Rn.
5). Aus dem zulässigen Unterlassen einer Begründung kann auch nicht auf einen Ermessensfehler des im Übrigen nicht an die Anregung der [X.] ge-bundenen Richters geschlossen werden.
Auch wenn
zum Zwecke der Aner-kennung des Urteils in der [X.] die förmliche Zustellung zwingend erforderlich ist, folgt daraus nicht
von vornherein, dass die das weitere gerichtliche Verfah-ren betreffende Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, gegen eine in der [X.] ansässige [X.] ermessensfehlerhaft wä-re.
Zutreffend weist
das Berufungsgericht darauf
hin, dass die förmliche Zustel-lung zu erheblichen Verzögerungen im Prozessablauf führen kann, wodurch
der
Justizgewährungsanspruch der betroffenen [X.] maßgeblich beeinträchtigt würde.

3. Die Regelung des §
184 Abs.
1 Satz 2 ZPO, die eine Zustellung
durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift des außerhalb des [X.]gebiets und außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung ([X.]) Nr. 1393/2007 des [X.] und des Rates vom 13. November 2007 über die Zu-stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil-
oder Han-delssachen in den Mitgliedst[X.]ten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1348/2000 ([X.]. 2007 L 327, S.
79; im Folgenden: [X.]) ansässigen [X.]en erlaubt, ist im Streitfall weder durch völkerrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen noch verletzt sie Verfahrensgrundrechte der [X.] oder verstößt gegen Art.
6 Abs.
1 [X.].
18
19
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12

-

a) Die Beklagte ist in der [X.] und damit im Ausland außerhalb des Anwendungsbereichs der [X.] (Art.
1 Abs.
1 Satz 1 [X.]) ansässig. [X.] ist die in §
184 Abs.
1 Satz 2 ZPO vorgesehene Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht durch die vorrangigen Regelungen der [X.] (vgl. §
183 Abs.
5 Satz 1 ZPO) ausgeschlossen (vgl. [X.], Urteil vom
2. Februar 2011 -
VIII
ZR 190/10, [X.]Z 188, 164 Rn.
17 ff. mit zustimmender Anmerkung [X.]/[X.], [X.] 2011, 441 ff.; a.[X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., §
183 Rn.
79a). Entgegen der Auffassung der Revision kann daraus nicht her-geleitet werden,
dass auch die Regelungen des [X.] den Zustellungsvorschrif-ten in §
184 ZPO vorgingen. Der nationale Gesetzgeber hat nur die von den [X.] erfassten grenzüberschreitenden Zustel-lungen nicht in die zur Durchführung von [X.] aufgrund völ-kerrechtlicher Vereinbarungen getroffenen Regelungen des §
183 ZPO inte-griert (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2011 -
VIII
ZR 190/10, [X.]O mwN). Die von der Revision in den Blick genommene Anwendung über den Wortlaut [X.] widerspräche dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach der [X.] einer Regelung einer vom Wortlaut nicht mehr gedeckten Anwendung widerspricht.
b) Die Regelung des §
184 Abs.
1 Satz 2 ZPO zur Zustellung durch [X.] zur Post verletzt weder den Anspruch der ausländischen [X.] auf [X.] Gehör noch ihr Recht auf ein faires Verfahren (vgl. zu §§
174, 175 ZPO a.F., wonach es nicht einmal einer Belehrung über die Folgen der Unterlassung der Benennung
eines Zustellungsbevollmächtigten bedurfte: Senatsurteil vom 10. November 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 513 und [X.], [X.] vom 19. Februar 1997 -
1
BvR 1353/95, NJW 1997, 1772). Den berech-tigten Interessen beider [X.]en eines Rechtsstreits auf effektiven Rechts-schutz wird im Einzelfall hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Zu-stellung durch Aufgabe zur Post nicht obligatorisch, sondern aufgrund einer im 20
21
-

13

-

pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Anordnung erfolgt. Die nach §
184 Abs.
2 Satz 3 ZPO bestehende Pflicht, über die [X.] zu be-lehren, stellt außerdem sicher, dass die im Ausland ansässige [X.] sich der drohenden Rechtsnachteile bewusst wird und diese durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten vermeiden kann.
c) Auch Art.
6 Abs.
1 [X.] gewährt der [X.] keine weitergehende Rechtsposition. Die [X.] hat es für Ausländer als zumutbar erachtet, Anstrengungen zu unternehmen, um sich über den Inhalt ihnen zugestellter amtlicher Schriftstücke Gewissheit zu [X.]. Dementsprechend muss ein im Ausland lebender Rechtsmittelführer selbst für die Einhaltung der Einlegungs-
und Begründungsfristen sorgen. Ganz allgemein gilt, dass die prozessrechtliche Ausgestaltung des [X.] weitgehend den einzelnen Vertragsst[X.]ten überlassen bleibt. Hierbei bestehen weite Gestaltungsspielräume (vgl. Senatsurteil vom 10. No-vember 1998 -
VI
ZR 243/97, [X.], 510, 513 f. mwN). Allerdings sind auch sogenannte versteckte Diskriminierungen verboten, nämlich Regelungen, die die benachteiligende Rechtswirkung zwar nicht ausdrücklich an die [X.] anknüpfen, deren Voraussetzungen jedoch typischerweise nur bei Ausländern gegeben sind. Eine offene oder versteckte Diskriminierung ent-hält §
184 Abs.
1 Satz 2 ZPO nicht. Eine solche scheidet schon deshalb aus, weil die Obliegenheit zur Bestellung von Zustellungsbevollmächtigten unter den Voraussetzungen von §
184 Abs.
1 ZPO auch Inländer trifft (siehe auch [X.], [X.] 1990, 90, 93). Abgesehen davon kann nur dann eine Diskriminierung vorliegen, wenn die vorgenommene Differenzierung nicht sachlichen [X.] des zu regelnden Sachverhalts Rechnung trägt ([X.], Urteil vom 10.
Februar 1994 -
Rs.
[X.], NJW 1994, 1271 f.). Denn Art.
6 Abs.
1 [X.] ist eine Ausprägung des Gleichheitssatzes, wonach Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart nach verschieden zu behandeln ist. Die in §
184 22
-

14

-

Abs.
1 Satz 1 ZPO vorgesehene Anknüpfung der Pflicht zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten an den Umstand, dass die [X.] über keine inlän-dische Zustellungsmöglichkeit verfügt, trägt einem sachlichen Unterschied Rechnung. Dieser besteht in der Gefahr der ständigen Verzögerung eines Ver-fahrens, an dem eine im Ausland ansässige [X.] beteiligt ist, wenn für jede gerichtliche Zustellung im Laufe des Verfahrens der gegenüber dem innerst[X.]t-lichen Zustellungsverfahren umständliche und langwierige Weg der [X.] Rechtshilfe beschritten werden muss (vgl. [X.], Beschluss vom 3. [X.] 1999 -
VIII
ZB 35/98, [X.], 1871,
1872).
4. Die erneute förmliche Zustellung vermag die bereits eingetretene Rechtskraft des Versäumnisurteils nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten
Zustellung
lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß §
184 Abs. 2 ZPO unberührt;
sie setzt nicht nochmals
eine Frist in Lauf (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20.
Oktober 2005 -
IX
ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom 20.
November 2006 -
NotZ
35/06, juris Rn.
7; Urteil vom 15.
Dezember 2010 -
XII
ZR 27/09, [X.], 522 Rn.
20; [X.], [X.] vom 11.
Mai 2011 -
5
W 8/11, NJW-RR 2011, 1631, 1632; [X.], Urteile vom 10.
August 2011 -
I-8
U 3/11, juris Rn.
40 und -
8
U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64).
5. Der [X.] ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §
233 ZPO zu gewähren. Sie hat keine die Wiedereinsetzung begrün-denden
Tatsachen vorgetragen. Solche sind auch nicht in der [X.], dass von Amts wegen Wiedereinsetzung gemäß §
236 Abs.
2 Satz
2 Halb-satz
2 ZPO gewährt werden müsste (vgl. [X.], Beschluss vom 8.
Dezember 2010 -
XII
ZB 334/10, NJW-RR 2011, 568 Rn.
6
f.). Diese scheidet schon [X.] aus, weil der Prozessbevollmächtigte der [X.] stets die Auffassung vertreten hat, die Zustellung durch Aufgabe zur Post sei aus Rechtsgründen 23
24
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15

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unwirksam
und der Einspruch rechtzeitig eingelegt (vgl. [X.], Beschluss vom
24. September 1952 -
III
ZB 13/52, [X.]Z 7, 194, 198). Die Regelung in §
236 Abs.
2 Satz
1 ZPO erfordert außerdem, dass
alle Tatsachen, die für die Gewäh-rung der Wiedereinsetzung erforderlich sind, innerhalb der Wiedereinsetzungs-frist vorgetragen werden
(Senatsbeschlüsse vom 29.
Januar 2002 -
VI
ZB 28/01, juris Rn.
4; vom 13.
November 2007 -
VI
ZB 19/07, juris Rn.
6; [X.], [X.] vom 19.
April 2011 -
XI
ZB 4/10, NJW-RR 2011, 1284 Rn.
7). Solchen Vortrag zeigt die Revision nicht auf.
Galke
Zoll
[X.]

Diederichsen
Stöhr

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.04.2011 -
12 [X.]/06 -

[X.], Entscheidung vom 25.07.2011 -
5 [X.] -

Meta

VI ZR 223/11

18.09.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.09.2012, Az. VI ZR 223/11 (REWIS RS 2012, 3152)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3152

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