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Unterbringungssache: Erfordernis der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren
Das Beschwerdegericht darf nicht von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren absehen, wenn von dieser neue Erkenntnisse zu erwarten sind, was etwa dann der Fall ist, wenn das Beschwerdegericht seine Entscheidung auf eine neue Tatsachengrundlage wie eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen stützt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. November 2020 - XII ZB 179/20, FamRZ 2021, 303).
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 7. Januar 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
I.
Die 71jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer Polyneuropathie, die ihre Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigt, einem Alkoholabhängigkeitssyndrom, einer beginnenden Demenz unklarer Genese (wahrscheinlich Korsakow-Demenz) sowie einer somatischen Komorbidität (u.a. Leberzirrhose und strukturelle Epilepsie).
Nachdem sie sich bereits in den Jahren 2011 und 2017 in stationärer Entzugsbehandlung befand, am 27. Oktober 2020 in stark alkoholisiertem Zustand gestürzt war, [X.] äußerte und auch unter Einfluss von Alkohol und Medikamenten regelmäßig Auto gefahren war, hat das Amtsgericht im [X.] an eine vorläufige Unterbringung am 10. Dezember 2020 ihre Unterbringung bis zum 10. Dezember 2021 genehmigt. Das [X.] hat die Beschwerden der Betroffenen und des Verfahrenspflegers zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist [X.] ergangen und hält deshalb einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Gemäß § 319 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar eröffnet § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Unterbringungsverfahren die Möglichkeit, von der Durchführung der persönlichen Anhörung abzusehen, wenn von dieser keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies ist jedoch dann der Fall, wenn das Beschwerdegericht für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heranzieht, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert (vgl. etwa [X.]sbeschluss vom 18. November 2020 - [X.]/20 - FamRZ 2021, 303 Rn. 9 mwN).
b) Gegenstand der Anhörung vor dem Amtsgericht am 10. Dezember 2020 war das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 1. Dezember 2020. Darin ist unter anderem ausgeführt, es habe während der Exploration kein Anhalt für eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung festgestellt werden können; auch habe sich die Betroffene von ihren [X.] glaubhaft distanziert. Es sei jedoch bei ihrem weiteren Alkoholkonsum in kürzester Zeit mit der Zunahme mnestischer Einbußen sowie mit der Verschlechterung der körperlichen Komplikationen, wie zum Beispiel Leberzirrhose und Polyneuropathie, mit einer rapide zunehmenden, in dem fortgeschrittenen Alter der Betroffenen lebensgefährlichen Verwahrlosung zu rechnen. Die Krankheitseinsicht, Kritik- und Urteilsfähigkeit der Betroffenen seien durch ihre Defizite schwer beeinträchtigt. Ihre Eigengefährdung durch umfangreiche gesundheitliche sowohl psychische als auch körperliche irreparable Konsequenzen und Komplikationen durch die Hinderung der unterstützenden Noxenabstinenz und der suchtspezifischen Langzeittherapie könne sie nicht einsehen. Sie könne die Eigengefährdung und die Notwendigkeit der weiteren Behandlung nicht einsehen und sei zu einer freien Willensbildung nicht vollständig in der Lage.
c) Die Berichterstatterin des [X.]s hat sich in einem mit dem Sachverständigen am 7. Januar 2021 geführten Telefonat, das außerhalb der [X.] der noch am selben Tag ergangenen Beschwerdeentscheidung nicht aktenkundig dokumentiert ist, unter anderem dahin ergänzend unterrichten lassen, dass eine Krankheitseinsicht oder Kompromissbereitschaft der Betroffenen in keiner Weise gegeben sei.
Soweit das [X.] die - für eine zivilrechtliche Unterbringung notwendige (vgl. [X.]sbeschluss vom 13. April 2016 - [X.]/16 - FamRZ 2016, 1068 Rn. 11) - Aufhebung der freien Willensbildung der Betroffenen aus den ergänzenden telefonischen Ausführung des Sachverständigen entnommen hat, hätte der Betroffenen im Rahmen einer persönlichen Anhörung Gelegenheit gegeben werden müssen, zu dem Inhalt des den Beschluss tragenden Telefonats Stellung zu nehmen.
2. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
Die Zurückverweisung gibt dem [X.] auch Gelegenheit, sich darüber zu vergewissern, ob der behandelnde Arzt, der zum Gutachter bestellt worden ist, der Betroffenen vor der durchgeführten Untersuchung deren Zweck eröffnet hat, so dass diese ihr Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, sinnvoll ausüben konnte (vgl. [X.]sbeschluss vom 16. September 2015 - [X.]/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 12 mwN).
Dose |
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Schilling |
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Günter |
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Nedden-Boeger |
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Guhling |
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Meta
23.06.2021
Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat
Beschluss
Sachgebiet: ZB
vorgehend LG Fulda, 7. Januar 2021, Az: 5 T 235/20
§ 68 Abs 3 FamFG, § 319 Abs 1 FamFG, Art 103 Abs 1 GG
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2021, Az. XII ZB 42/21 (REWIS RS 2021, 4735)
Papierfundstellen: MDR 2021, 1023-1024 REWIS RS 2021, 4735
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
XII ZB 72/18 (Bundesgerichtshof)
Unterbringungssache: Beauftragung eines Mitglieds der Beschwerdekammer mit der Anhörung des Betroffenen
XII ZB 109/21 (Bundesgerichtshof)
Unterbringungssache: Erforderlichkeit einer erneuten Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren
XII ZB 146/21 (Bundesgerichtshof)
Betreuungssache: Unterlassene Unterrichtung des Betroffenen über das schriftliche Gutachten ergänzende telefonische Ausführungen vor dem Anhörungstermin
XII ZB 52/22 (Bundesgerichtshof)
Unterbringungsverfahren: persönliche Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren notwendig; Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbildung
XII ZB 587/20 (Bundesgerichtshof)
Unterbringungssache: Wesentlicher Verfahrensmangel bei nicht rechtzeitiger Überlassung des Sachverständigengutachtens vor dem Anhörungstermin; Bestellung zum Sachverständigen …