Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.05.2018, Az. 1 BvR 45/15

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2018, 8463

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Verletzung von Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG durch nicht hinreichend bestimmten Gebührenrahmen für eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung - Nummer 4.1.1.1 der Anlage zu § 2 Absatz 1 der Landesverordnung über Gebühren im Geschäftsbereich des Ministeriums für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz (Besonderes Gebührenverzeichnis; juris: UmwMinGebV RP 2006) mit Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG unvereinbar - Neuregelung bis 31.12.2018 geboten - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Nummer 4.1.1.1 der Anlage zu § 2 Absatz 1 der Landesverordnung über Gebühren im Geschäftsbereich des [X.] und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz (Besonderes Gebührenverzeichnis) vom 20. April 2006 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das [X.]) in der Fassung vom 1. Dezember 2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das [X.]) ist mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes unvereinbar. Wird diese Vorschrift nicht bis zum 31. Dezember 2018 durch eine verfassungsmäßige Neuregelung ersetzt, tritt ihre Nichtigkeit ein.

2. Das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2014 - 3 K 1646/13.MZ - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

3. Der Beschluss des [X.] vom 1. Dezember 2014 - 6 A 10719/14.OVG - wird damit gegenstandslos.

4. Das [X.] hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

5. [X.] wird auf 62.000 Euro (in Worten: zweiundsechzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Festsetzung von Verwaltungsgebühren für ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren.

2

1. Die Beschwerdeführerin beantragte im Februar 2011 eine immissions-schutzrechtliche Genehmigung für den Betrieb von insgesamt zehn Windenergieanlagen. Nach zwischenzeitlicher [X.] des Verfahrens nahm sie den Antrag im März 2013 zurück.

3

Mit Bescheid setzte der im Ausgangsverfahren beklagte Landkreis (im Folgenden: Beklagter) eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 62.408,41 Euro fest. Die [X.] für Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ([X.]) errechne sich aus den Gesamtkosten, die sich hier auf insgesamt 29 Mio. Euro beliefen. Im Falle der Genehmigung wäre bei einem Gebührensatz von 0,7 % eine Gebühr von 203.000 Euro angefallen. Diese Gebühr ermäßige sich nach § 15 Abs. 2 des [X.] ([X.]) um ein Viertel, wenn der Antrag nach Beginn der sachlichen Bearbeitung zurückgenommen worden sei. Hier sei die [X.] aus Billigkeitsgründen um 70 % gekürzt worden.

4

Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Beschwerdeführerin Klage, die das Verwaltungsgericht mit angegriffenem Urteil abwies. Die angefochtene [X.] finde ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1, Satz 2 [X.]. Der [X.] bestimme sich nach Nummer 4.1.1.1 der Anlage zu § 2 Abs. 1 der Landesverordnung über Gebühren im Geschäftsbereich des [X.] und Verbraucherschutz [X.] (Besonderes Gebührenverzeichnis) vom 20. April 2006 ([X.]) in der Fassung vom 1. Dezember 2010 ([X.]). Die Vorschrift lautet:

Lfd. Nr.

Gegenstand

Gebühr EUR

4.1.1.1

Genehmigung nach den §§ 4 und 6, Teilgenehmigung nach § 8 oder Änderungsgenehmigung nach § 16 [X.] einer im Anhang der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. [X.] [sic!]) genannten Anlage

265,75 bis 797.600,00

5

Der [X.] genüge den Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes. Letzterer verlange nicht, dass sich die Gebühr ohne weiteres "auf den Cent genau" aus dem Gesetz ergebe. Auch müsse der Gesetzgeber die für die Bemessung der Gebühr maßgeblichen Kriterien nicht in allen Einzelheiten selbst festlegen. Vor diesem Hintergrund sei nicht zu beanstanden, dass der gewählte Berechnungsfaktor von 0,7 % selbst nicht normativ festgesetzt sei, sondern nach unwidersprochenem Vortrag des Beklagten in Ausübung seiner Verwaltungspraxis zugrunde gelegt werde.

6

Mit angegriffenem Beschluss lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung ab. Die Gebührenfestsetzung beruhe nicht auf einer willkürlichen Berechnungsgrundlage. Die von dem Beklagten entwickelte Praxis zur Festsetzung einer [X.] für immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren sei nicht zu beanstanden.

7

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG.

8

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem [X.], dem [X.], Ernährung und Forsten [X.], der Landesregierung [X.], dem Landtag [X.] und dem Beklagten zugestellt worden. Der Beklagte hat von seinem [X.] Gebrauch gemacht. Die übrigen Beteiligten haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akte des Ausgangsverfahrens ist beigezogen worden.

II.

9

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).

1. Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit öffentlich-rechtlicher Abgaben sind in der Rechtsprechung des [X.]s geklärt (vgl. [X.] 108, 186 <235 f.>; 124, 348 <381 f.>; vgl. auch [X.] 13, 153 <160>; 19, 253 <267>; 34, 348 <365>; 49, 343 <362>; 73, 388 <400>).

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet, soweit sie sich gegen das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2014 richtet.

a) Die Regelung in Nummer 4.1.1.1 Besonderes Gebührenverzeichnis und die hierauf beruhende Entscheidung des [X.] verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Es ist mit dem Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Rechtsvorschriften unvereinbar, dass Nummer 4.1.1.1 Besonderes Gebührenverzeichnis einen [X.] von 265,75 bis 797.600,00 Euro eröffnet, ohne dass weitere Vorgaben dazu getroffen sind, wie die Gebühr für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen zu bemessen ist.

aa) Die Gebührenfestsetzung stellt einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerin dar. Art. 2 Abs. 1 GG schützt insbesondere auch den Anspruch, durch die Staatsgewalt nicht mit einem finanziellen Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist (vgl. etwa [X.] 19, 206 <215 f.>; stRspr).

bb) Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Nummer 4.1.1.1 Besonderes Gebührenverzeichnis steht mit der verfassungsmäßigen Ordnung nicht in Einklang. Die Ausgestaltung des [X.]s für die Genehmigung von Windenergieanlagen verstößt mangels hinreichender Bestimmtheit gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

(1) Das in Art. 20 Abs. 3 GG und in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip begründet das Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze (vgl. [X.] 103, 332 <384> m.w.N.; stRspr). Gesetzliche Tatbestände sind so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen sind, lässt sich indes nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt auch von der Eigenart des Regelungsgegenstands und dem Zweck der betroffenen Norm ab (vgl. [X.] 89, 69 <84>; 103, 111 <135>; stRspr) sowie davon, in welchem Ausmaß Grundrechte betroffen sind (vgl. [X.] 56, 1 <12 ff.>; 59, 104 <114>; 93, 213 <238>).

Auch für öffentlich-rechtliche Abgaben gelten keine einheitlichen, generell-abstrakt formulierbaren Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit des Gesetzes; vielmehr kommt es auch hier auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs wie auf das Betroffensein von Grundrechten an (vgl. für das Steuerrecht [X.] 48, 210 <221 f.>; ferner etwa [X.] 79, 106 <120>; für das Gebühren- und Beitragsrecht [X.] 108, 186 <235>; 124, 348 <381 f.>). Allerdings gilt für alle Abgabentatbestände als allgemeiner Grundsatz, dass sie so bestimmt sein müssen, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Abgabe - in gewissem Umfang (vgl. [X.] 13, 153 <160>) - vorausberechnen kann (vgl. für das Steuerrecht [X.] 19, 253 <267>; 49, 343 <362>; 73, 388 <400>; für Sonderabgaben [X.] 34, 348 <365>).

Bei kostenorientierten Abgaben ist es, anders als bei Steuergesetzen, nicht notwendig, einen Mangel an konturenscharfen, die Höhe der Steuerlast wirksam begrenzenden Zwecken durch spezifische Anforderungen an die Tatbestandsbestimmtheit des Parlamentsgesetzes auszugleichen. [X.] Bestimmtheit ist hier durch Festlegung der Bemessungsfaktoren für die die Abgabe tragenden Kosten herzustellen. Insoweit fordert das Bestimmtheitsgebot im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt (vgl. [X.] 108, 186 <236>; 124, 348 <381 f.>).

(2) Auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstands, dass sich die maßgeblichen Bestimmungsgrößen der Gebührenbemessung, wie die speziellen Kosten der gebührenpflichtigen öffentlichen Leistungen oder der Vorteil der Leistungen für den Gebührenschuldner, häufig nicht exakt und im Voraus ermitteln und quantifizieren lassen (vgl. hierzu [X.] 108, 1 <19>), genügen die hier streitgegenständlichen [X.] nicht den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen. Die Gebührenhöhe ist nicht, auch nicht im Wesentlichen, abschätzbar mit der Folge, dass die Gebührenschuldner unzumutbaren Unsicherheiten ausgesetzt sind und angesichts der ungenügenden Regelungsdichte eine willkürliche Handhabung durch die Behörden nicht ausgeschlossen erscheint.

(a) Nummer 4.1.1.1 Besonderes Gebührenverzeichnis eröffnet lediglich einen allgemeinen [X.] von 265,75 bis 797.600,00 Euro. Hinsichtlich der näheren Ausgestaltung der Gebühr fehlt es an normativen Vorgaben in Gestalt der Bemessungsfaktoren für die Kosten, zu deren Deckung die Abgabe erhoben wird (vgl. [X.] 108, 186 <236>; 124, 348 <381 f.>). Insbesondere mangelt es an Regelungen zur Bemessungsgrundlage der Gebühr oder der Höhe des [X.]. Eine solche Vorgabe wäre indes erforderlich, damit der Gebührenschuldner die Gebührenlast zumindest annähernd berechnen kann (vgl. auch [X.], Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 C 7.12 -, juris, Rn. 17).

Vor diesem Hintergrund und angesichts des extrem weit gefassten [X.]s kann der einzelne Gebührenschuldner die voraussichtliche Gebührenhöhe hier nicht ansatzweise vorhersehen, so dass kein wesentlicher Unterschied zu einer Situation besteht, in der ein [X.] völlig fehlt (vgl. [X.], Urteile vom 23. Juni 2016 - 4 LB 21/15, 4 LB 22/15 -, juris, Rn. 25, 30). Die Maximalgebühr übersteigt die Mindestgebühr um mehr als das 3.000-Fache, so dass der [X.] seine Orientierungs- und Begrenzungsfunktion nicht mehr erfüllt. Die Gebührenregelung bietet dem Gebührenschuldner keinerlei Anhaltspunkte dafür, in welchem Bereich des [X.]s sich sein Vorhaben bewegt und mit welchen Belastungen er zu rechnen hat.

(b) Eine nähere Konkretisierung der Bemessungsfaktoren der Gebühren für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung wäre dem Verordnungsgeber ohne weiteres möglich gewesen, etwa in Form eines differenzierten [X.]s in Abhängigkeit der Vorhabenkosten oder der Art der Genehmigung. So schreiben etwa in anderen Ländern die entsprechenden Gebührenverordnungen sowohl die Berechnungsgrundlage - in der Regel die Errichtungs- beziehungsweise Investitionskosten - als auch eine Berechnungsformel fest, zum Beispiel die Summe aus einem Sockelbetrag und dem Produkt der Errichtungskosten und eines (degressiven) Faktors (vgl. etwa [X.] 15a.1.1 zur [X.] [X.] vom 3. Juli 2001 [GV.NW S. 262]; [X.] 2.1.1 der Anlage 2 der Gebührenordnung des [X.] vom 22. November 2011 [[X.]]; Nummer 8.II.0 der Anlage der Verordnung über den Erlass des [X.] zum [X.] vom 12. Oktober 2001 [BayGVBl S. 766]).

(c) Entgegen der Auffassung des [X.] können die in § 3 und § 9 Abs. 1 [X.] enthaltenen Bestimmungen über die Gebührengrundsätze und über die Gebührenbemessung die Unbestimmtheit eines derartig weiten [X.]s nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise kompensieren. Zudem spiegelt das Besondere Gebührenverzeichnis die Ermächtigungsnormen der § 3 und § 9 Abs. 1 [X.] so unvollkommen wider, dass der Vorbehalt des Gesetzes, der bei abgabenrechtlichen Eingriffen zu beachten ist, nicht eingehalten werden kann (vgl. [X.] 56, 1 <12>; 78, 214 <226>). Dies ist auch bei der Anwendung des [X.]s nicht zu kompensieren (dazu vgl. unten 2 b).

§ 9 Abs. 1 [X.] verlangt bei der Festsetzung von Rahmengebühren, sowohl den "mit der Amtshandlung verbundenen Verwaltungsaufwand" (Abs. 1 Nr. 1) als auch "die Bedeutung, den wirtschaftlichen Wert oder den sonstigen Nutzen der Amtshandlung für den Gebührenschuldner" (Abs. 1 Nr. 2) zu berücksichtigen. § 3 [X.] trifft eine ähnliche Entscheidung bereits für die Festlegung der Tarife von Rahmengebühren. Es ist sowohl der Aufwand der Behörde ([X.]) als auch der Nutzen der Leistung für deren Empfänger (Äquivalenzprinzip) in die Bemessung einzustellen. Die Nummer 4.1.1.1 des Besonderen Gebührenverzeichnisses lässt die Berücksichtigung von Verwaltungsaufwand auf der einen und von Bedeutung, wirtschaftlichem Wert oder sonstigem Nutzen der Amtshandlung auf der anderen Seite überhaupt nicht erkennen, sondern gibt nur eine Bandbreite für die mögliche Belastungssumme an.

(d) Die Fachgerichte gehen zudem fehl in der Annahme, dass - jedenfalls hier - die Unbestimmtheit der Gebührenverordnung durch eine ständige Verwaltungspraxis der Genehmigungsbehörde kompensiert werden kann. Dem Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG mag zwar in einfach gelagerten Fällen dadurch genügt werden, dass ein gesetzlicher [X.] vorliegt und der Abgabenschuldner seine Verpflichtung aus der bisherigen Verwaltungspraxis abschätzen kann (vgl. [X.], Urteil vom 20. Dezember 2007 - 3 C 50.06 -, juris, Rn. 17; Urteil vom 26. April 2012 - 3 C 20.11 -, NVwZ 2012, S. 1467 <1468 Rn. 13>). Die vorliegende Regelung überschreitet jedoch die Grenzen des von Art. 20 Abs. 3 GG eingeräumten Spielraums (vgl. auch [X.] 124, 348 <381 f.>; [X.], Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 C 7.12 -, juris, Rn. 17).

Zunächst liegt angesichts des weiten [X.]s, der Vielgestaltigkeit des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsregimes und der Unterschiedlichkeit der nach Anhang 1 der 4. BImSchV genehmigungspflichtigen Anlagen kein einfach gelagerter Fall vor. So erfasst der hier in Rede stehende [X.] neben Genehmigungen nach §§ 4, 10 [X.] auch [X.] (§ 8 [X.]), Änderungsgenehmigungen (§ 15 [X.]) und Genehmigungen für Anlagen, die nach § 19 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit dem Anhang 1 zur 4. BImSchV im vereinfachten Verfahren zu prüfen sind. Er bezieht sich zudem auf eine Vielzahl von Anlagen, die nach Auffassung des Gesetzgebers ein erhöhtes Gefährdungspotential aufweisen, deren Genehmigung aber nicht notwendigerweise mit einem vergleichbaren Prüfungsaufwand verbunden ist und auch für den Antragsteller nicht notwendigerweise mit vergleichbarem wirtschaftlichen Nutzen verbunden ist.

Des Weiteren verstößt eine Rechtsverordnung, die den Umfang der Grundrechtsbeschränkung vollständig dem Verwaltungsermessen überlässt, gegen rechtsstaatliche Grundsätze (vgl. [X.] 8, 71 <77>). Ist - wie hier (vgl. § 2 Abs. 4 [X.]) - ohne die vorgesehene Durchführungsverordnung die gesetzliche Regelung nicht praktikabel, so ist die ermächtigte Stelle verpflichtet, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen (vgl. [X.] 13, 248 <254>). Vermeidet die Exekutive die Normierung der maßgeblichen Bemessungsfaktoren durch Rechtssatz, wo sie der Natur der Sache nach geboten wäre, und weicht auf die Verwaltungspraxis aus, dann verfehlt sie damit die von der Legislative intendierte und in der Sache angemessene Regelungsdichte.

b) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der festgestellten Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Insbesondere sind die verfassungsrechtlichen Mängel des Besonderen Gebührenverzeichnisses nicht durch eine Berücksichtigung der Bemessungsgrundsätze von § 3 und § 9 [X.] kompensiert worden und konnten es mangels hinreichender Rechtsgrundlage auch nicht. Die angegriffenen Entscheidungen zeigen vielmehr, dass den gesetzlichen maßgeblichen Bemessungsanforderungen ohne eine differenziertere Ausgestaltung des Gebührenverzeichnisses in der Rechtsverordnung von der festsetzenden Behörde und den nachfolgend zur Kontrolle berufenden Gerichten nicht entsprochen werden kann.

Die festsetzende Behörde müsste nach § 9 Abs. 1 [X.] die Nummer 4.1.1.1 des Besonderen Gebührenverzeichnisses durch Anwendung beider Bemessungsfaktoren konkretisieren. Mit einem Prozentsatz der Gesamtkosten wie im vorliegenden Fall kann aber allenfalls der wirtschaftliche Wert der Amtshandlung für den Gebührenschuldner nach dem Äquivalenzprinzip des § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] annähernd erfasst werden. Gesetzlich geforderte Erwägungen zum Verwaltungsaufwand oder zum [X.] des § 9 Abs. 1 Nr. 1 [X.] fließen in die konkrete Berechnung der Gebühr auf diese Weise überhaupt nicht ein, obwohl Gebühren nach ständiger Rechtsprechung nicht völlig unabhängig von den Kosten der hoheitlichen Leistung festgesetzt werden dürfen (vgl. [X.] 50, 217 <227>; 97, 332 <345>).

Es finden sich im angegriffenen Gebührenbescheid zwar in der Begründung einige allgemein gehaltene Hinweise zur Tätigkeit der Behörde im Genehmigungsverfahren. Die Gebühr wird dann allerdings mangels hinreichender Vorgaben in der Verordnung ausschließlich auf der Grundlage von 0,7 % der Gesamtkosten der Anlage berechnet. Daneben werden noch Auslagen der Behörde angefordert. Der Beschluss des [X.] vom 1. Dezember 2014 legt ebenfalls diese Investitionssumme seiner Prüfung zugrunde ([X.]) und lässt die laufende Verwaltungspraxis der Genehmigungsbehörde zur Rechtfertigung für Art. 3 Abs. 1 GG genügen. Das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2014 stützt gleichfalls die Rechtmäßigkeit der erhobenen Gebühr auf den 0,7 %-Satz der Investitionssumme ([X.]) und auf die Verwaltungspraxis ([X.] S. 9). Hinsichtlich des [X.]s des § 9 Abs. 1 Nr. 1 [X.] geht es davon aus, dass die Investitionskosten der Beschwerdeführerin "den bei ihm angefallenen Verwaltungsaufwand in einer § 9 [X.] genügenden Art und Weise" berücksichtigte ([X.] S. 10), obwohl die Kosten der Beschwerdeführerin ersichtlich nichts über den Verwaltungsaufwand einer Genehmigungsbehörde aussagen. Ansonsten erwähnt das Urteil lediglich allgemein und unbeziffert, dass sich mehrere Bedienstete der Genehmigungsbehörde "mit nicht unerheblichen zeitlichem Aufwand" mit dem Antrag beschäftigt hätten und Gemeinkosten angefallen wären ([X.] S. 12). Das Verwaltungsgericht führt zwar zutreffend aus, dass "eine minutengenaue Abrechnung des entstandenen Aufwands oder eine eingehende Aufschlüsselung und Bezifferung der Kosten" nicht geboten sei ([X.] S. 12). Die Kosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 [X.] bleiben damit aber völlig außer Betracht, obwohl geschätzte Bearbeitungszeiten und pauschale Ansätze möglich gewesen wären und in der Praxis auch üblich sind. Im Ergebnis beruhen Gebührenbemessung und Gerichtsentscheidungen allenfalls allein auf dem Äquivalenzprinzip des § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] und lassen das [X.] der § 3 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 [X.] völlig außer [X.]; vor allem kann es seine gebührensenkende Funktion im Streitfall überhaupt nicht entfalten. Die Unbestimmtheit der Landesverordnung hinsichtlich des ihr als Anlage beigefügten Gebührenverzeichnisses findet so in den angegriffenen Entscheidungen ihren Niederschlag.

3. Das angegriffene Urteil des [X.] ist gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Damit wird der ebenfalls angegriffene Beschluss des [X.] gegenstandslos. Seiner Aufhebung bedarf es nicht, weil von ihm insoweit keine selbstständige Beschwer ausgeht (vgl. [X.] 14, 320 <324>; 76, 143 <170>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 -, juris, Rn. 16). Auf das Vorliegen der weiteren gerügten Verfassungsverstöße kommt es nicht an.

Die [X.] führt dazu, dass Nummer 4.1.1.1 Besonderes Gebührenverzeichnis von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewandt werden darf (vgl. [X.] 37, 217 <262>; 82, 126 <155>; 84, 9 <21>; 99, 280 <298>; 109, 256 <273>; 111, 115 <146>; 127, 293 <333>; 129, 49 <76>; 133, 143 <162>; 139, 19 <63 f.>). An dieser Entscheidung ist die Kammer nicht nach § 93c Abs. 1 Satz 3 [X.] gehindert, weil es sich vorliegend um die Beanstandung einer Verordnung, nicht aber eines Gesetzes im formellen Sinne handelt. § 95 Abs. 3 [X.] ist in diesem Fall auf Kammerentscheidungen entsprechend anzuwenden (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. Juni 2007 - 1 BvR 1290/05 -, juris, Rn. 23).

Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Nummer 4.1.1.1 Besonderes Gebührenverzeichnis entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstes aber bis zum 31. Dezember 2018 ausgesetzt oder sind auszusetzen (vgl. [X.] 37, 217 <260 f.>; 82, 126 <155>; 105, 73 <134>). Die Aussetzung gibt dem Verordnungsgeber Gelegenheit zu einer verfassungskonformen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Regelung, tritt am 1. Januar 2019 Nichtigkeit ein.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Meta

1 BvR 45/15

30.05.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 1. Dezember 2014, Az: 6 A 10719/14.OVG, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 95 Abs 3 BVerfGG, BImSchG, § 3 GebG RP, § 9 Abs 1 GebG RP, § 15 Abs 2 S 1 Nr 1 GebG RP, § 15 Abs 2 S 2 GebG RP, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, Anlage Nr 4.1.1.1 UmwMinGebV RP 2006 vom 01.12.2010

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.05.2018, Az. 1 BvR 45/15 (REWIS RS 2018, 8463)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8463

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