Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 25.01.2022, Az. 4 Sa 414/21

4. Kammer | REWIS RS 2022, 1772

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Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.06.2021, Az. 2 Ca 2465/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

              Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen fristgerechten Kündigung der Beklagten vom 03.12.2020.

              Die Beklagte betreibt einen Baustoffhandel und beschäftigt an ihrem Standort in E circa 70 Arbeitnehmer. Es ist kein Betriebsrat errichtet.

              Der am 1972 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.03.2015 als Lagerarbeiter, zuletzt zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.200,00 EUR, beschäftigt.

              Die Beklagte veräußert unter anderem Gipskartonplatten. Diese werden jeweils in einem Gebinde von 24 Platten zu einem sogenannten Hub gestapelt. Die oberste, nicht zum Verkauf bestimmte Platte (circa 2,50 x 1,25 Meter), dient der Transportsicherung der darunterliegenden Platten und ist mit dem Aufdruck „Verpackungsplatte“ versehen. Zusätzlich werden die Platten mit Eckschutz-Winkeln geschützt und mit einem Kunststoffband zu einer verladungssicheren Einheit verbunden. Die Beklagte erhält ein Hub bereits in dieser Form verpackt vom Hersteller geliefert und verkauft es in der Regel ohne Öffnung der Verpackung an ihre Kunden weiter. Soweit nur einzelne Platten an die Kunden veräußert werden, wird die Einheit durch die Beklagte geöffnet und die nicht benötigten Platten werden aus dem Hub herausgenommen. Da jeweils nur eine Verpackungsplatte in jedem Hub enthalten ist, wird im Fall der Öffnung und Teilung des Hubs ein Teil der Platten zwangsläufig ohne eine den Transport sichernde Verpackungsplatte an die Kunden geliefert.

              Mit Schreiben vom 30.10.2019 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Abmahnung aus, mit der sie rügte, dass der Kläger Äußerungen getätigt habe, durch welche sich Kollegen bedroht gefühlt hätten. Wegen der Einzelheiten der Abmahnung wird auf deren Abschrift (Bl.45 der Akte) Bezug genommen.

              Zudem sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger mit weiterem Schreiben vom 30.10.2019 eine Abmahnung aus. Der Kläger überziehe die Pausenzeiten. Nach der Pause benötige er 15 Minuten, um seine Arbeit wieder aufzunehmen und führe in der Zwischenzeit private Gespräche. Wegen der Einzelheiten der Abmahnung wird auf deren Abschrift (Bl.57 der Akte) Bezug genommen.

              Am 02.12.2020 gegen 7:15 Uhr kommissionierte der Kläger den Fahrauftrag Nr. 1 in der Halle 15 der Beklagten. Zu diesem Auftrag gehörte ein Hub Gipskartonplatten der Marke K . Der Kläger öffnete während seiner Arbeitszeit das Gebinde, entnahm die Transportplatte, legte diese zunächst zur Seite, verschloss sodann das Gebinde mit einem neuen Sicherungsband und brachte den Hub zur Warenausgangszone, wo die Ware verladen und ausgeliefert werden sollte. Zu einem späteren Zeitpunkt legte der Kläger die zuvor entnommene Transportplatte in einem Regalfach auf dem Betriebsgelände der Beklagten ab.

              Mit Schreiben vom 03.12.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen des Vorfalls außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht mit Wirkung zum 31.01.2021.

              Der Kläger hat mit einem am 10.12.2020 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangenem Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Meinung vertreten, dass die Kündigung unwirksam sei.

              Er hat - unter Klagerücknahme des allgemeinen Schleppnetzantrags - beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 03.12.2020 weder außerordentlich und fristlos noch ordentlich fristgerecht aufgelöst worden ist.

              Die Beklagte hat beantragt,

                            die Klage abzuweisen.

              Die Beklagte hat die Meinung vertreten, dass der Kläger am 02.12.2020 ein Vermögendelikt zu Lasten der Beklagten begangen habe. Dies sei durch die Herausnahme der Transportplatte und Verbringung dieser in sein „persönliches“ Lager erfolgt. Hierzu hat die Beklagte behauptet, dass sich das „persönliche“ Lager in einem circa 7 Meter hohen, offenen Regalfach befunden habe. Der Vorgang der Herausnahme der Transportplatte sei einem Arbeitskollegen des Klägers aufgefallen. Nach einem Bericht an den Lagerleiter, Herr N , habe dieser um 13:00 Uhr den Geschäftsführer informiert. Der Kläger sei sodann um 14:00 Uhr darüber unterrichtet worden, dass ein Arbeitskollege das Fehlen der Transportplatte aus dem vom Kläger kommissionierten Gebinde bemerkt habe und der Verdacht bestehe, dass der Kläger die Transportplatte aus dem Gebinde genommen habe, um diese mitzunehmen. Der Kläger habe in dem anschließenden Gespräch eingeräumt, die Transportplatte aus diesem Grund aus dem Gebinde genommen zu haben und erklärt, dass sich dies nicht wiederholen werde.

              Die Beklagte hat vertreten, dass die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Begehung einer Straftat durch den Kläger gerechtfertigt sei. Unabhängig davon, ob der Kläger die Beklagte noch fragen wollte, ob er die Platte mitnehmen dürfe, stelle bereits das eigenmächtige Entnehmen der Transportplatte aus dem Hub eine schwerwiegende Vertragsverletzung dar. Das Entfernen der Transportplatte erhöhe das Transportrisiko für die gesamte Ladung und es könne im schlimmsten Fall zu schwerwiegenden Verletzungen kommen. Jedenfalls sei die außerordentliche fristlose Kündigung als Verdachtskündigung gerechtfertigt.

              Weiterhin hat die Beklagte behauptet, dass bereits am 20.04.2016 ein Mitarbeitergespräch stattgefunden habe, bei dem der Kläger darauf hingewiesen worden sei, dass die Beklagte nicht wolle, dass Mitarbeiter zur Entsorgung vorgesehene Ware beiseitelegen, um einen Vorrat für den eigenen Bedarf anzulegen. Der Kläger habe daraufhin erklärt, dies zukünftig nicht mehr tun zu wollen und bei Bedarf sofort zu fragen, ob er Ware mitnehmen dürfe, die anderenfalls entsorgt würde.

              Zudem sei der Kläger während eines Gesprächs am 17.06.2020 wegen Überschreitung der Pausenzeiten und Arbeitsbummelei abgemahnt worden.

              Das Arbeitsgericht Bonn hat der Klage mit Urteil vom 02.06.2021, Az.: 2 Ca 2465/20 stattgegeben. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam sei, da der Verdacht eines versuchten Diebstahls durch den Kläger nicht bestehe. Allein das Beiseite stellen der Transportplatte sowie die Einlassung, dass er die Platte mitnehmen wollte, würden noch nicht ohne Weiteres darauf hindeuten, dass der Kläger die Platte ohne die Einholung des Einverständnisses der Beklagten eigenmächtig vom Betriebsgelände entfernen wollte. Das Entfernen der Transportplatte aus dem Hub stelle zwar für sich genommen eine Pflichtverletzung dar, jedoch sei diese nicht als schwerwiegend einzuordnen und rechtfertige noch nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Als milderes Mittel sei eine Abmahnung des Klägers vorrangig gewesen. An einer vorherigen, gleichartigen Abmahnung des Klägers fehle es. Aus denselben Gründen sei auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche fristgerechte Kündigung unwirksam. Als einen weiteren Pflichtenverstoß rechtfertige die Entfernung der Transportplatte weder die außerordentlich fristlose Kündigung noch die ordentlich fristgerechte Kündigung. Der Beklagten sei zuzugestehen, dass der Kläger nicht berechtigt sei, eine unverkäufliche Transportplatte aus einem vollständigen Hub zu entfernen, da dieser Transportplatte ein eigener Zweck - die Transportsicherung und der Schutz der darunterliegenden Platten - zukomme. Die Entfernung einer solchen Transportplatte zum eigenen Nutzen stelle eine Pflichtverletzung dar. Jedoch sei diese Pflichtverletzung aus Sicht der Kammer nicht geeignet, eine Kündigung ohne eine vorherige, gleichartige Abmahnung des Klägers zu rechtfertigen.

              Gegen das der Beklagten am 15.06.2021 zugestellte Urteil hat diese am 12.07.2021 Berufung eingelegt.

              Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ist der Ansicht, das Entfernen der Transportplatte aus dem Hub sowie das Verbringen in ein sieben Meter hohes Regalfach stelle nicht nur einen versuchten, sondern bereits einen vollendeten Diebstahl dar. Der Kläger habe durch das „Verstecken“ der Transportplatte eine Gewahrsamsenklave geschaffen, da das Regalfach nicht ohne Weiteres einsehbar sei, und es der Beklagten zusätzlich auch aufgrund der Größe des Betriebsgeländes unmöglich gewesen sei, die Platte zu entdecken. Ein Entfernen vom Betriebsgelände sei für die Vollendung des Diebstahls nicht erforderlich. Durch die Handlung des Klägers habe sich auch sein Zueignungswille manifestiert. Ihm sei im Zeitpunkt des Entfernens bewusst gewesen, dass die Transportplatte durch die Herausnahme aus dem Hub ihre bestimmungsmäßige Verwendung als Transportschutz unwiderruflich verlieren und für die Beklagte wertlos würde. Es käme auch gerade auf den Zeitpunkt der Herausnahme der Platte aus dem Hub bzw. dem Verbringen in das Regalfach an und nicht etwa darauf, ob der Kläger die Beklagte im Nachhinein noch um Erlaubnis gefragt hätte. Im Übrigen wäre eine Genehmigung durch die Beklagte nicht erfolgt, wenn der Kläger - wozu er bei Einholung der Genehmigung verpflichtet gewesen sei - die Umstände der Entnahme der Transportplatte offenbart hätte. Jedoch könne ohnehin unterstellt werden, dass der Kläger die Beklagte nicht nach der Gestattung der privaten Mitnahme gefragt hätte. Es würde keine Kontrolle der Mitarbeiter am Ausgang des Betriebsgeländes stattfinden. Der Kläger hätte die Transportplatte daher bei Schichtende unbemerkt vom Gelände entfernen können.

              Die Beklagte führt weiterhin aus, der Kläger habe die Transportplatte zudem nicht bloß beiseite gestellt, sondern habe mit krimineller Energie unter erheblichem Einsatz zeitaufwendig das Gebinde gelöst und den Hub anschließend wieder verzurrt. Aufgrund der besonderen Sicherung des Hubs sei dieses Verhalten als ein besonders schwerer Fall des Diebstahls sowie als Sachbeschädigung zu qualifizieren. Im Übrigen habe der Kläger einen Arbeitszeitbetrug begangen, da der gerügte Sachverhalt circa 20-30 Minuten gedauert hätte und der Kläger während dieser Zeit trotz nicht ordnungsgemäßer Arbeit seine normale Vergütung erhalten habe.

              Es sei richtig, dass die Beklagte ihren Mitarbeitern teilweise gestatte, Abfallprodukte für den privaten Gebrauch mitzunehmen. Dies würde jedoch nur in Ausnahmefällen stattfinden, da sonst die Gefahr bestünde, dass Mitarbeiter Produkte absichtlich beschädigen, um diese später mitnehmen zu dürfen. Von einem betriebsüblichen Vorgang könne keine Rede sein. Sie ist der Meinung, dass die außerordentliche fristlose Kündigung als Verdachtskündigung gerechtfertigt sei. Außerdem stelle das Entfernen der Transportplatte durch den Kläger auch aufgrund des entstandenen höheren Transport- bzw. Unfallrisikos einen wichtigen Grund zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Der Wert des Hubs habe sich durch das Entfernen der Transportplatte verringert. Die Transportplatte sei für die Kunden auch nicht wertlos, diese könnten die Platte etwa zum Weitertransport wiederverwenden.

              Ein Fortsetzen des Arbeitsverhältnisses sei der Beklagten unzumutbar. Der Kläger sei bereits im Rahmen eines Mitarbeitergesprächs im Jahr 2016 einschlägig abgemahnt worden. Die erneute Erklärung des Klägers im Mitarbeitergespräch am 02.12.2020, das beanstandete Verhalten werde nicht mehr vorkommen, sei vor diesem Hintergrund als reine Schutzbehauptung zu werten und sei unbeachtlich. Eine erneute Abmahnung hätte nicht zu einer Verhaltensänderung des Klägers geführt und sei daher entbehrlich gewesen.

              Zumindest sei die ausgesprochene Kündigung als ordentliche fristgerechte Kündigung wirksam. Ihren Auflösungsantrag stützt die Beklagte auf Kündigungsvorwürfe. Eine weitere Zusammenarbeit sei ihr nicht zumutbar. Eine Rückkehr des Klägers würde die Betriebsatmosphäre negativ beeinflussen. Die Kollegen*innen und die Vorgesetzten hätten eine weitere Zusammenarbeit abgelehnt.

              Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.06.2021, Az. 2 Ca 2465/20 abzuändern und die Klage abzuweisen.

              Darüber hinaus, für den Fall, dass die Berufung zurückgewiesen wird, beantragt die Beklagte,

das Arbeitsverhältnis unter Zahlung einer Abfindung aufzulösen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, einen Betrag in Höhe von 4.400,00 EUR brutto aber nicht überschreiten sollte.

              Der Kläger beantragt,

die Berufung und den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

              Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und nimmt zur Klageerwiderung Stellung. Er behauptet, dass es bei der Beklagten ständige Praxis sei, dass Mitarbeiter Gegenstände oder Abfallprodukte nach Absprache privat erwerben könnten. Bei Arbeitsende würden die Mitarbeiter am Büro des Zeugen N i, dem Lagermeister, vorbeikommen und von diesem auf etwaige mitgenommene Gegenstände kontrolliert werden. Im Zeitpunkt der Entnahme der Transportplatte aus dem Hub sei der Kläger davon ausgegangen, dass ihm die Erlaubnis zur Mitnahme erteilt werden würde. Das Entfernen der Transportplatte aus dem Hub sowie die Erneuerung des Gebindes hätten nur eine unwesentliche Zeit von wenigen Minuten in Anspruch genommen. Der Transport der Platte zum Lager sei in seiner Pause erfolgt. Am Ende seiner Arbeitsschicht hätte er den Lagermeister - wie in der Vergangenheit bei anderen Fällen geschehen - um die Gestattung der Mitnahme gebeten, wobei ihm nicht unterstellt werden dürfe, dass er die Beklagte über die Umstände der Entnahme getäuscht hätte. Aufgrund der Größe der Platte sei es ohnehin unmöglich, diese unbemerkt vom Betriebsgelände zu entfernen.

              Weiterhin führt der Kläger aus, der Schutzplatte selbst käme nur ein geringer Wert zu. Dies sei daran erkennbar, dass die Schutzplatte regelmäßig durch die Beklagte selbst entsorgt werden würde, etwa im Fall einer Öffnung des Hubs bei einem Teilverkauf. Nach seiner Meinung könne daher von einer schwerwiegenden Pflichtverletzung keine Rede sein. Die bloße Vermutung würde für eine fristlose Verdachtskündigung nicht ausreichen. Das Entfernen der Platte sei allenfalls als unwesentliche Pflichtverletzung zu qualifizieren. Dieses Verhalten sei zuvor nicht wirksam abgemahnt worden. Eine Abmahnung sei nicht entbehrlich gewesen. Gerade das Mitarbeitergespräch im Jahr 2016 sei in der Sache nicht gleichwertig und sei zeitlich zu lange her gewesen. Zudem sei während des Gesprächs keine Arbeitsplatzgefährdung erkennbar gewesen.

              Aus denselben Gründen sei auch die ordentliche Kündigung unwirksam. Der Beklagten sei es nicht unzumutbar, den Kläger weiter zu beschäftigen.

              Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.               Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.              Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung der Klage stattgegeben. Auf diese Begründung wird Bezug genommen und dort insbesondere auf die mitgeteilten und zitierten Rechtsgrundsätze aus der Rechtsprechung. Die nachfolgenden Ausführungen erfolgen lediglich zur Vertiefung, soweit die Berufungsbegründung hierfür Anlass gegeben hat.

              Die Kündigung vom 03.12.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder außerordentlich fristlos noch ordentlich fristgerecht aufgelöst. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet.

1.              Die Kündigung vom 03.12.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht außerordentlich fristlos beendet. Es liegt nach Auffassung der Kammer kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor; weder durch das Herausnehmen der Transportplatte aus dem Hub und Verbringung in das Regalfach, noch das Entfernen der Transportplatte als solches, noch durch die Durchtrennung der Verpackung des Hubs und die Verwendungen von Verpackungsmaterial, noch durch die in diesem Zusammenhang verstrichene Arbeitszeit.

a.              Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

              Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in zwei Stufen zu erfolgen: Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt an sich, d.h. generell ohne Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 - 8 Sa 798/20 - Rn.42, juris).

              Dabei hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, lassen sich dabei nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes" Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen. Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (st. Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18 - Rn.29, juris).

              Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (st. Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18 - Rn.30, juris).

              Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 - 8 Sa 798/20 - Rn.45, juris).

b.              Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt kein wichtiger Grund für die ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vor.

aa.              Die Herausnahme der Transportplatte und Verbringung in das Regalfach stellt keinen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar.

(1).              Grundsätzlich sind Eigentumsdelikte geeignet, einen wichtigen Grund - an sich - für eine außerordentliche Kündigung zu bilden (vgl. u.a. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 18. Mai 2021 - 2 Sa 269/20 - Rn.37, juris). Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - gegebenenfalls strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, Urteil vom 21.06.2012 − 2 AZR 153/11).

              Ein Diebstahl setzt gemäß § 242 Abs. 1 StGB die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mit Zueignungsabsicht voraus. Die Wegnahme setzt den Bruch fremden und Begründung neuen (i.d.R. eigenen) Gewahrsams voraus (Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 242 Rn.22). Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis zwischen einer Person und einer Sache (objektiv-physisches Element), das von einem Herrschaftswillen (subjektiv-psychisches Element) getragen ist. Ob diese Elemente vorliegen, ist nach der natürlichen Auffassung des täglichen Lebens zu beurteilen (Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB

§ 242 Rn.23).

(2).              Es kann dahingestellt werden, ob der Kläger den (gelockerten) Gewahrsam der Beklagten an der Transportplatte bereits dadurch gebrochen hat, dass er die Platte aus dem Hub entfernte und nach der Behauptung der Beklagten in ein circa sieben Meter hohes offenes Regalfach legte. Aus Sicht der Kammer ist die Zugriffsmöglichkeit der Beklagten noch nicht dadurch entfallen, dass sie keine Kenntnis über den genauen Standort der Transportplatte hatte und ein Auffinden der Platte aufgrund der Höhe des Regalfachs sowie der Größe des Betriebsgeländes nur erschwert möglich war. Es erscheint ohnehin unwahrscheinlich, dass die Beklagte stets Kenntnis vom Standort jeglicher Materialien auf ihrem Betriebsgelände hat. Vielmehr bestand weiterhin die theoretische Möglichkeit des Zugriffs, diese würde der Beklagten erst durch das Entfernen der Platte vom Betriebsgelände endgültig genommen.

              Zudem fehlt es am erforderlichen Vorsatz sowie dem Zueignungswillen des Klägers. Diese stehen nicht hinreichend fest und können nicht unterstellt werden.

              In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Diebstahls den Willen zur Verwirklichung des Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatbestandsmerkmale voraus. Dazu muss der Täter die Sache wegnehmen, um sie unter Anmaßung einer eigentümerähnlichen Stellung zumindest vorübergehend der eigenen oder einer dritten Vermögenssphäre einzuverleiben (Aneignungsabsicht) und sie der Verfügungsgewalt des Berechtigten dauerhaft zu entziehen (Enteignungsvorsatz) (vgl. BGH, Beschluss vom 10.10.2018 - 4 StR 591/17).

              Nach dem unstreitigen Vortrag beider Parteien dürfen Beschäftigte Abfallprodukte - nach Absprache mit der Beklagten - für den privaten Gebrauch mitnehmen. Es ist unerheblich, ob dies ständige Betriebspraxis oder nur in Ausnahmefällen geschieht. Jedenfalls ist es nicht ausgeschlossen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Entnahme der Transportplatte aus dem Hub diese Möglichkeit der legalen Mitnahme im Sinn hatte. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er bereits in diesem Zeitpunkt oder beim Ablegen der Platte in das Regalfach von einem Gewahrsamsbruch ausging bzw. diesen beabsichtigte. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, dass er im Zeitpunkt der Herausnahme der Transportplatte aus dem Hub damit rechnete, dass ihm die Erlaubnis zur Mitnahme später erteilt werden würde.

(3).              Auch der Tatbestand eines versuchten Diebstahls ist aus Sicht der Kammer nicht erfüllt. Sowohl der Vorsatz als auch der Zueignungswillen des Klägers als erforderliche Teile des Tatentschlusses stehen nicht hinreichend fest. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Transportplatte ohne die vorherige Erlaubnis der Beklagten zum privaten Gebrauch hätte eigenmächtig mitnehmen wollen. Stattdessen erscheint es aufgrund der zumindest vereinzelten Praxis bei der Beklagten in der Vergangenheit, Mitarbeitern zu erlauben, Abfallprodukte nach Absprache mitnehmen durften, nicht ausgeschlossen, dass der Kläger die Erlaubnis noch einholen wollte.

              Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Erklärung des Klägers gegenüber der Beklagten, er habe die Transportplatte bei Schichtende mitnehmen wollen, nicht als hinreichendes Indiz für einen unbedingten Zueignungswillen gewertet werden. Aus dieser Erklärung folgt nicht zwangsläufig der Schluss, dass er die Transportplatte ohne die vorherige Einholung des Einverständnisses der Beklagten mitnehmen wollte. Auch lässt sich der Umstand, dass der Kläger im Gespräch gegenüber der Beklagten nicht erwähnte, die Erlaubnis noch hätte einholen zu wollen, keinen sicheren Schluss darauf zu, dass er die Transportplatte tatsächlich ohne die vorherige Erlaubnis mitnehmen wollte.

              Die Beklagte vermag auch nicht mit dem Vortrag durchzudringen, es sei schon deshalb nicht von einer Absicht zur Einholung der Erlaubnis auszugehen, weil der Kläger dann gegenüber der Beklagten eine Pflichtverletzung hätte eingestehen müssen und ihm die Mitnahme der Transportplatte sodann mit Sicherheit nicht gestattet worden wäre.

              Ob der Kläger die Umstände der Herkunft der Transportplatte gegenüber der Beklagten tatsächlich offenbart hätte, wozu er zwar verpflichtet gewesen wäre, kann jedoch genau so wenig unterstellt werden. Seine Verpflichtung hierzu schließt nicht ohne weiteres aus, dass er dennoch beabsichtigte, die Erlaubnis - womöglich unter Verschweigen der genauen Umstände der Herkunft - einzuholen. Darüber hinaus steht auch nicht mit Sicherheit fest, ob der Kläger davon ausging, dass ihm die Erlaubnis zur Mitnahme der Platte im Fall der Offenbarung seiner Pflichtverletzung unter allen Umständen verweigert worden wäre. Die Annahme, dass er die Erlaubnis der Beklagten mit Sicherheit nicht eingeholt hätte, ist reine Spekulation, welche für die Feststellung des Zueignungswillens keinesfalls ausreicht.

              Da der subjektive Tatbestand eines einfachen Diebstahls nicht vorliegt, scheidet auch ein besonders schwerer Fall des Diebstahls als wichtiger Kündigungsgrund aus.

(4).              Aus den vorgenannten Erwägungen ist auch eine Verdachtskündigung nicht gerechtfertigt. Es besteht keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Kläger die Transportplatte ohne vorherige Nachfrage bei der Beklagten, d.h. durch eine Straftat, unberechtigterweise zueignen wollte bzw. sich zugeeignet hätte. Vielmehr stellen sich die von der Beklagten angeführten Tatsachen und Rechtsansichten als bloße Vermutungen dar, die für eine fristlose Kündigung nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Verdachtskündigung nicht ausreichend sind.

              Aufgrund der Größe der Transportplatte erscheint es unwahrscheinlich, dass der Kläger diese überhaupt unbemerkt vom Betriebsgelände hätte entfernen können. Dies gilt unabhängig davon, ob bei der Beklagten bei Betriebsende tatsächlich Kontrollen durch den Lagermeister stattfinden oder nicht.

              Weiterhin kann aus Sicht der Kammer nicht ohne weiteres mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Kläger die Beklagte am Ende seiner Schicht nicht nach einer Gestattung der privaten Mitnahme gefragt hätte. Es gibt entgegen der Sicht der Beklagten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger deshalb keine Erlaubnis eingeholt hätte, weil er im Rahmen eines solchen Gesprächs auf die Herkunft der Transportplatte, d.h. sein unberechtigtes Entnehmen aus dem Hub, hätte hinweisen müssen und ihm die Mitnahme unter diesen Voraussetzungen womöglich versagt worden wäre. Die Absicht des späteren unberechtigten Wegschaffens der Transportplatte vom Betriebsgelände im Zeitpunkt des Entfernens vom Hub bzw. der Einlagerung im Regalfach ist als bloße Vermutung nicht geeignet, die Verdachtskündigung zu rechtfertigen.

              Ob im Mitarbeitergespräch vom 20.04.2016, den Vortrag der Beklagten unterstellt, der Kläger wegen des „Hortens“ von Ware und „Einrichten eines eigenen Lagers“ abgemahnt worden ist, kann dahinstehen. Die Pflichtverletzung liegt nicht vor.

bb.               Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, liegt in der Entfernung der Transportplatte kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor.

              Wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung verdeutlicht, ist der Kläger nicht berechtigt, eine unverkäufliche Transportplatte aus einem vollständigen Hub zu entfernen. Es hat hierfür keine Veranlassung gegeben. Die Entfernung der Transportplatte zu dem eigenen Nutzen stellt eine Pflichtverletzung dar.

              Diese ist aus Sicht der Kammer nicht so schwerwiegend, dass sie eine Kündigung ohne eine vorherige, gleichartige Abmahnung des Klägers rechtfertigt.

              Es ist nicht davon auszugehen, dass der Wert des Hubs ohne die Sicherheitsplatte erheblich geringer ausfällt und die Pflichtverletzung deshalb als schwerwiegend einzuordnen wäre.

              Auch nach dem Vortrag der Beklagten werden die Gipskartonplatten teilweise ohne Transportplatte an Kunden veräußert, wenn etwa nur ein Teil der im sog. Hub enthaltenen Platten ausgeliefert werden soll. Unabhängig davon, wie regelmäßig es tatsächlich zu einem solchen Teilverkauf kommt, werden Gebinde ohne Transportplatte verkauft. Die von ihr dargelegten Risiken der schwerwiegenden Vertragsverletzung mit dem entsprechenden Risiko für die Ware und die Kundenbeziehung sowie dem erhöhten Transportrisiko für die Ladung und sogar schwerwiegenden Verletzungen nimmt die Beklagte bei Verkäufen einzelner Gipskartonplatten hin.

              Allenfalls entfällt durch das Fehlen der Transportplatte ein gewisser Schutz für die Lieferung und die Transportplatte selbst verliert womöglich ihren Wert. Diese Umstände werden nach dem unstreitigen Vortrag auch durch die Beklagte selbst im Fall von Teillieferungen hingenommen und die Beklagte hat die streitgegenständliche Transportplatte unmittelbar nach dem Auffinden entsorgt. Dies deutet darauf hin, dass die Schutz- bzw. Wertminderung nicht derart erheblich sein dürfte, dass der Beklagten ein unzumutbarer Schaden entsteht und die Pflichtverletzung deshalb als schwerwiegend zu qualifizieren wäre.

              Entsprechend ist es nach objektiven Maßstäben nicht unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen, dass die Beklagte eine erstmalige Pflichtverletzung hinnehmen wird.

              Eine gleichartige Abmahnung liegt nicht vor, eine solche ist nicht entbehrlich.

              Die Voraussetzung einer vorherigen ausgesprochenen Abmahnung ist dann als erfüllt anzusehen, wenn die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und Abmahnung und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 17 Sa 11/18 - Rn.162, juris; BAG, Urteil vom 13.12.2007 - 2 AZR 818/06). Der Zweck einer Abmahnung ist es, ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers zu rügen, ihn zu einer Verhaltensänderung zu bewegen und ihm anderenfalls arbeitsvertragliche Konsequenzen anzudrohen.

              Die beiden Abmahnungen des Klägers vom 30.10.2019 können nach diesen Grundsätzen nicht als gleichwertig herangezogen werden. Sie erfolgten vor dem Hintergrund angeblich unangemessenen Verhaltens des Klägers gegenüber Mitarbeitern sowie wegen vermeintlicher „Bummelei“ des Klägers während seiner Arbeitszeit. Beide Sachverhalte betreffen vom jetzigen Kündigungsvorwurf abweichende Thematiken, sodass die Warnfunktion dieser Abmahnungen nicht zum Tragen kommt.

              Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt keine wirksame einschlägige Abmahnung aufgrund des Mitarbeitergesprächs am 20.04.2016 vor. Den Vortrag der Beklagten unterstellt, dem Kläger wäre im Gespräch verdeutlicht worden, dass er keine Ware „horten“ und kein „eigenes Lager“ unterhalten dürfe und es sei auf die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses durch das Verhalten hingewiesen worden, wäre dies nicht als einschlägig für den Pflichtenverstoß „Entfernung der Transportplatte“ zu werten. Der Kläger hat angegeben, dass er noch vor Ende seiner Arbeitszeit wegen der Mitnahme nachfragen wollte. Die Transportplatte wäre nicht „gehortet“ worden. Zumindest wäre dies nach Rücksprache und somit mit Einverständnis geschehen. Wäre es abgelehnt worden, hätte die Transportplatte unmittelbar vernichtet werden können, wie geschehen.

              Zudem ist der Zeitablauf von circa 4,5 Jahren zwischen dem Gespräch und dem Verhalten vom 02.12.2020 zu berücksichtigten. Die Warnfunktion verblasst mit Ablauf der Zeit.

              Schließlich hat der Kläger in dem mit ihm am 02.12.2020 geführten Mitarbeitergespräch zugesichert, dass das von der Beklagten beanstandete Verhalten nicht mehr vorkommen werde. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass es bei dem Ausspruch einer Abmahnung nicht zu einer Verhaltensänderung des Klägers gekommen wäre.

cc.               Entgegen der Ansicht der Beklagten kann die außerordentliche Kündigung auch nicht auf die vorgetragene Sachbeschädigung und die Verwendung von Verbrauchsmaterial gestützt werden.

              Ob das Öffnen des Hubs den Straftatbestand des § 303 StGB erfüllt, kann dahinstehen. Die Verpackung der Gipskartonplatten stellt Verbrauchsmaterial für alle Verkäufer und Käufer dar. Mangels anderweitigen Vortrags der Beklagten geht die Kammer davon aus, dass diese nach Öffnung weggeworfen wird. Entsprechend geht die Kammer nicht von einem erheblichen Verlust für die Beklagte bei der „Zerstörung“ der Verpackung aus. Zudem hat die Beklagte nicht dargelegt, welche einzelnen Sachen - Plastikgurte oder Folien - zerstört worden sein sollen.

              Daher geht die Kammer nicht von einer erheblichen Nutzung von „weiterem“ Verpackungsmaterial aus. Es fehlt an entsprechendem Vortrag zur Art der Verpackung seitens der Beklagten.

              Die Kammer verkennt nicht, dass das Verhalten des Klägers mit einer Ermahnung oder einer Abmahnung sanktioniert werden kann. Im Hinblick auf den Grad der Pflichtverletzung ist für die Kammer nicht erkennbar, weshalb eine Verhaltensänderung des Klägers nach Ausspruch einer Ermahnung oder einer Abmahnung in Zukunft nicht erwartet werden kann.

dd.               Entgegen der Ansicht der Beklagten kann die außerordentliche Kündigung auch nicht auf den vorgetragenen Arbeitszeitbetrug gestützt werden.

              Zunächst geht die Beklagte davon aus, dass das Lösen und Neuverschließen des Gebindes nicht mehr als zehn Minuten in Anspruch nimmt, wenn alle benötigten Arbeitsgegenstände einsatzbereit sind. Müssten Materialien beschafft werden, wären weitere zehn Minuten nötig. Für das Verbringen der Transportplatte wären weitere zehn Minuten zu berücksichtigten. Nach Behauptung des Klägers sei der Vorgang in wenigen Augenblicken erledigt, da eine elektrische Wickelmaschine vorhanden sei. Die Transportplatte habe er in einer Pause zum Lagerregal gebracht. Auf die Behauptung erwidert die Beklagte, dass das Lösen und Verschließen zumindest mehrere Minuten in Anspruch genommen habe.

              Der Beklagten ist zuzustimmen, dass es keine Bagatellgrenze gibt. Allerdings ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Verhalten des Klägers nicht geeignet, ohne Abmahnung eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der Kläger ist mehrere Minuten nicht der von der Beklagten angewiesenen Arbeitsleistung nachgekommen. Dies mag - wie ausgeführt - eine Abmahnung rechtfertigen, allerdings ist diese Pflichtverletzung nicht so schwerwiegend, dass im Hinblick auf die Betriebszugehörigkeit des Klägers das Ultima Ratio gewählt und eine außerordentliche fristlose Kündigung ausgesprochen werden kann.

2.              Die Kündigung der Beklagten vom 03.12.2020 ist sozial ungerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Dies hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, festgestellt. Es fehlt an einem kündigungsrelevanten Verstoß des Klägers. Die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile geht zu Lasten der Beklagten aus.

a.              Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 30.07.2020 - 2 AZR 43/20 - Rn.44, juris). Der Arbeitgeber hat gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

b.               Wegen der Vertragspflichtverletzung und Interessenabwägung kann auf die unter 1. erfolgten Darlegungen zu einer verhaltensbedingten Kündigung entsprechend für die Prüfung der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung zurückgegriffen werden. Auch im Rahmen der verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung kommt es auf die Frage der negativen Prognose an. Die Vertragsverletzung kommt als Kündigungsgrund nur dann in Betracht, wenn aus ihr geschlossen werden kann, dass auch zukünftige Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu befürchten sind. Die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung ist keine Sanktion für Pflichtverletzungen in der Vergangenheit, sondern es soll das Risiko künftiger Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist deshalb, ob Wiederholungsgefahr besteht oder ob die Pflichtverletzung künftige Folgewirkungen aufweist, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als ausgeschlossen erscheinen lassen.

              Eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung kann vorliegend nicht auf den Vorwurf der Begehung einer Straftat gestützt werden. Nach den obigen Ausführungen ist aus Sicht der Kammer weder der Tatbestand eines vollendeten, noch eines versuchten Diebstahls erfüllt. Es fehlt insoweit bereits an der Feststellung des unbedingten Zueignungswillens des Klägers im Zeitpunkt der Entnahme der Transportplatte aus dem Hub bzw. der Zwischenlagerung im Regalfach.

              Auch der Verdacht eines versuchten Diebstahls rechtfertigt die ordentliche Kündigung nicht. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus. Es steht nicht mit großer Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger beabsichtigte, die Transportplatte ohne Nachfrage bei der Beklagten zum privaten Gebrauch mitzunehmen. Vielmehr erscheint es aufgrund der (wenn auch womöglich nur in Einzelfällen gegebenen) Praxis bei der Beklagten, Mitarbeiter nach Einholung der Erlaubnis den Erwerb von Abfallware zu ermöglichen, durchaus denkbar, dass der Kläger genau dieses Vorgehen beabsichtigte. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.

              Die soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Pflichtverletzung des Klägers durch das eigenmächtige Entfernen der Transportplatte aus dem Hub. Insoweit gelten dieselben Erwägungen wie bei der außerordentlichen Kündigung. Es fehlt an einer vorherigen, gleichartigen Abmahnung des Klägers als vorrangiges milderes Mittel.

Ebenso rechtfertigen die vorgetragene Sachbeschädigung und die Verwendung von Verbrauchsmaterial sowie der vorgetragene Arbeitszeitbetrug die ordentliche Kündigung nicht. Wie dargestellt sind die vorgeworfenen Vertragspflichtverletzungen nicht einschlägig gleichartig abgemahnt worden. Dies ist auch vor dem Ausspruch einer ordentlichen fristgerechten Kündigung erforderlich.

3.              Der Auflösungsantrag der Beklagten ist zurückzuweisen.

a.              Der Auflösungsantrag ist zulässig und die innerprozessuale Bedingung eingetreten.

b.               Der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet.

aa.               Die Arbeitgeberin kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Dabei sind an den Auflösungsantrag der Arbeitgeberin strenge Anforderungen zu stellen, um den durch das KSchG gewährten Bestandsschutz zu sichern. Der Auflösungsantrag erfordert im Vergleich mit der gescheiterten Kündigung eine zusätzliche Begründung. Es ist verfassungsrechtlich nicht vertretbar, dass Gründe, die für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausreichen, als erheblich genug angesehen werden, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG zu rechtfertigen (LAG Köln, Urteil vom 13.05.2020 - 6 Sa 663/19 - Rn.122, juris). Der Geeignetheit als Auflösungsgrund steht es aber nicht von vornherein entgegen, dass das fragliche Verhalten des Arbeitnehmers die Kündigung selbst nicht rechtfertigen konnte (BAG, Urteil vom 24.05.2018 - 2 AZR 73/18). Die Arbeitgeberin kann sich zur Begründung ihres Auflösungsantrags auch auf Gründe berufen, auf die sie zuvor - erfolglos - die ausgesprochene Kündigung gestützt hat. In diesen Fällen muss sie indes im Einzelnen vortragen, weshalb die unzureichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen. Der Vortrag der Arbeitgeberin muss so beschaffen sein, dass sich das Gericht, wollte es die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf dieses Vorbringen stützen, nicht in Widerspruch zu seiner Beurteilung des Kündigungsgrundes als unzureichend setzen müsste. Hat das Gericht z.B. eine verhaltensbedingte Kündigung allein deshalb für unwirksam erklärt, weil eine erforderliche Abmahnung fehlt, kann der Auflösungsantrag begründet sein, wenn eine durch objektive Tatsachen begründete Gefahr feststellbar ist, der Arbeitnehmer könne ein pflichtwidriges Verhalten (mit erheblichem Schadenspotenzial) trotz Abmahnung wiederholen (Schadenspotential Batterieexplosion: BAG, Urteil vom 24.05.18 - 2 AZR 73/18 - NZA 18, 1131, 1131).

bb.              Nach diesen Maßstäben liegt keine hinreichende Begründung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz sozialwidriger Kündigung vor.

              Soweit die Beklagte als Auflösungsgrund den Kündigungsvorwurf nennt, reicht dies nicht aus, um den Auflösungsantrag zu begründen. Die Beklagte hat im Einzelnen nicht dargelegt, weshalb die unzureichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen.

              Allein der Vortrag, dass die Rückkehr des Klägers in den Betrieb die Betriebsatmosphäre negativ beeinflussen würde, die Kollegen und Vorgesetzten eine Rückkehr nicht wünschten und eine Zusammenarbeit ablehnten, ist nach Auffassung nicht ausreichend. Es fehlt an substantiiertem Vortrag.

III.               Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Meta

4 Sa 414/21

25.01.2022

Landesarbeitsgericht Köln 4. Kammer

Urteil

Sachgebiet: Sa

Vorgehend: Arbeitsgericht Bonn, 2 Ca 2465/20

§ 626 BGB, § 1 KSchG

Zitier­vorschlag: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 25.01.2022, Az. 4 Sa 414/21 (REWIS RS 2022, 1772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1772

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

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Zitiert

8 Sa 798/20

2 AZR 370/18

2 AZR 153/11

4 StR 591/17

2 AZR 43/20

6 Sa 663/19

2 AZR 73/18

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